Weihnachten 2016
Es war noch früh. Das Christkind rekelte sich in den Kissen, ein tiefer Seufzer entfuhr ihm. Das kann ja heiter werden, dachte sie beim Blick aus dem Fenster und legte eine Hand auf den Wecker, der sogleich verstummte. Die erste Sonne stahl sich durch den letzten Dunst der Nacht, ein leiser Hauch wehte durch die nackten Äste der Birke. Es würde warm werden, heute, an seinem Ehrentag, es hatte seinen großen Auftritt – es war sein Geburtstag.
Es erhob sich etwas mühsam, die letzten Tage waren nicht ganz so gewesen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Ein Schatten
legte sich auf ihre Miene.
„Da musst du jetzt durch“, mahnte es sich. „Schließlich …“ Sie stockte bei dem Gedanken, ein bitterer Beigeschmack legte sich auf ihre Zunge. „Schließlich erwartet man von dir, dass du heute fröhlich bist.“
Nach der Morgentoilette, für die es sich besonders viel Zeit nahm – es wählte ein güldenes Kleid und schlüpfte in feste Schuhe – betrat es den Wintergarten vor dem Haus und betrachtete das Gewusel um sich.
Überall waren sie geschäftig: Dutzende Helfer schoben Tische zusammen, legten blütenweiße Decken darauf und schmückten sie mit allerlei Krimskrams,
wie das Christkind meinte.
Ein langes Buffet wurde aufgebaut. Platten mit allerlei Aufschnitt, Schüsseln mit Salat und Körbe voll mit Brot und Brötchen. Etwas weiter weg stand das Dreibein, an dem ein Kessel mit dampfender Suppe gegen die äußere und innere Kälte der Zeit hing.
Ein Lächeln huschte ihm übers Gesicht.
Ja, so will es die Zeit. Das Christkind griff eines der Taschentücher aus dem weiten Ärmel und schnäuzte. „Wie gut, dass ich immer eines parat habe.“
Es verwunderte sich jedoch, dass keiner ihre Anwesenheit zu bemerken schien. Man lief grußlos an ihm vorbei, kein Blick traf den seinen. Und jetzt erst
nahm es ein Detail wahr, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ: Alle hatten ein Pflaster auf dem Mund und ihre Hände waren mit festen Bändern zusammengebunden; als einziges Geräusch vernahm sie nunmehr das Schleifen der schweren Kugeln wahr, die mit ebenso dicken Ketten an den Knöcheln der Menschen zerrten.
Im selben Moment kam ihm der eben noch verführerische Duft der feinen Speisen wie altes gammeliges Katzenfutter in die Nase. Sein Blick erstarrte.
Das Christkind sank schwer auf einen Stuhl an dem schön gedeckten Tisch nieder und schloss die Augen. Eine Träne
rollte seine Wangen hinab. „Der Friede geht in Rente – was bleibt, ist die Erinnerung an fröhliche Zeiten“, meinte es traurig und sein Kopf sank kraftlos auf die Brust.