Taxi
Erwin Krause hatte die Taxinummer 531 in Leipzig. Gerade war er am Augustusplatz vorgefahren und dachte, dass er sich in eine wartende Reihe am Taxistand einreihen müsste, aber alle Taxis waren „on tour“.
Kein Wunder! Der Leipziger Weihnachtsmarkt war ein gutes Taxigeschäft. Das bewies jede Statistik.
Ein Mann mit dunkelblauem Mantel riss den Verschlag zum Fond auf und warf sich auf die Hinterbank. Wenigstens war der Mantel noch nicht nass. Schon seit Stunden wälzten sich Regenwolken über der Stadt hin und her, aber geregnet hatte es bis vor ein paar Minuten
noch nicht. Er konnte es sich also sparen nach der Fuhre sorgsam die Polster zu reinigen.
„Fahren sie los!“ „Wohin?“
„Einfach erst einmal los.“
Erwin startete und schaltete den Zähler ein. Kurz darauf meldete sich der Mann doch. „Zum Flughafen Halle/Skeu.. Halle.“
"Halle/Skeuditz, ok."
Irgendwie hatte der Mann einen Akzent. Erwin konnte nur nicht so richtig analysieren, welchem Land er ihn zuordnen sollte.
„Das wird so um die 60 €“, erklärte Erwin.
„Ich denke, wir sind in einer halben Stunde da.“ Der dunkle Mann nickte nur stumm. Dann meldete sich Erwin nach Vorschrift bei der Zentrale „Erwin, Taxi 531 auf dem Weg zum Flughafen, letzte Fahrt.“ „Verstanden“, “ Sie
fuhren die Brandenburger Straße entlang, als doch plötzlich der Fahrgast rief. „Halten da.“
Erwin lenkte in die nächste Parkbucht am Straßenrand. „Komme wieder, gleich.“
Im Rückspiegel verfolgte Erwin den Gast. Der verschwand in Istanbul Shahia, einem Imbiss. Die Neugier packte Erwin. Er näherte sich vorsichtig und lugte um die Ecke in das Schaufenster. Der Fahrgast hatte sich einen Espresso bestellt und palaverte mit einem Anderen, vielleicht der Wirt. Türkisch, vermutete Krause und zog sich zurück. Neben seinem Taxi zündete er sich eine Zigarette an. Der Mann hatte keinerlei Gepäck dabei gehabt. Was wollte er dann am Flughafen? Jemanden abholen, oder abfliegen. „Kein Gepäck“, paffte Erwin nachdenklich. Sein
Mantel war ausladend und der Mann gar nicht so groß, wie er ihm vorgekommen war. Vielleicht ein Sitzriese? Der Mann hatte den Mantel krampfhaft fest zusammen gehalten, das viel ihm erst jetzt auf. Selbst im Imbiss war das so gewesen. Die Zigarette war aufgeraucht und gerade, als Krause sie austrat, da erschien der wulstige Mann wieder. „Weiter!“
Krause sprang in das Taxi. Er fuhr wieder an. Jetzt regnete es richtig und legte sich auf die Stimmung. Die Regenwolken wirkten bedrohlich schwarz. Im Fond atmete der Gast tief. Erwin versuchte eine Konversation. „Der türkische Espresso ist doch der Beste, oder?“ „Haben sie Musik?“ Erwin nickte und schaltete das Radio ein. „Jingle Bells“. „Nein“, schrie der
Gast. „Irgendetwas Anderes! Haben Sie irgendetwas von Kirmes Albini?“ „Ich bedaure!“ Krause schaltete durch und fand einen Song von Billy Joel, das dem Fremden offensichtlich passte. Sie bogen auf die A14 ab. Das Radio dudelte, der Mann bleib stumm. Erwin fuhr und ihn beschlich ein Gefühl der Angst. Ein Türke würde zu seinem Akzent passen. Die Hautfarbe war auch dunkler, als die eines echten Leipzigers. War so schwer zu erkennen gewesen, wegen des plusternden Schals und der Dunkelheit. Es war nun 21:30 Uhr.
"Was wäre, wenn er doch vorher einen Koffer gehabt hatte? Ihn irgendwo im Gewühl hinter einem Weihnachts-Stand abgestellt hätte? Wumm! Und jetzt? Nichts wie weg?"
Die Gedanken von Krause überschlugen sich und es fiel ihm schwer sich auf das Fahren zu konzentrieren. Am liebsten hätte er der Zentrale eine verschlüsselte Meldung gemacht, aber er traute sich einfach nicht. "Was hatte der Kerl am Flughafen vor?"
Da könnte Krause gleich in eine Glaskugel schauen!
Jedenfalls sah der Fremde wieder auf die Uhr. Erwin sollte kurz halten, während der Mann austrat. Dringendes Geschäft. Als der Kunde wieder einstieg, lächelte der blaue aufgedunsene Mantel gezwungen.
„Nervös! Jetzt wirklich Flughafen.“
"Kein Wunder", dachte sich Krause. „Ich wäre vor einem Selbstmord auch nervös.“
Während der Ausländer gepinkelt hatte, war
Erwin nicht faul gewesen und hatte die Zeit genutzt, um die Nachrichten abzuhören. Der Mann war Kurde, da war er sich sicher.
Keine Explosion am Leipziger Weihnachtsmarkt.
Schließlich, am Flughafen angekommen, meinte der Seltsame. „Bitte warten.“ „He, so geht das nicht! Wir sind schon bei über 60 Euro.“ Krause musste verhindern, dass der Mann so einfach das Flughafengebäude überfallen konnte, um dann in den Massen von Menschen unterzutauchen. Aber der Mann machte ihm einen Strich durch die Rechnung. „Hier, hundert Euro. Bitte warten!“
Erwin stand verdattert da, während der Mann in das Gebäude eilte. Den Mantel hielt er
vorne immer noch zusammen. „Himmel!“
Krause schlug die Türe des Taxis zu und eilte zum nächsten Sicherheitsmann. „Gefahr“, rief er. Der Wachmann schaute ihn aufmerksam an, als Krause sah, wie der Mann wieder aus dem Gebäude kam und zielstrebig auf Erwins Taxi zusteuerte. Er hatte eine zierliche, dunkelhaarige Schönheit im Arm. „Hat sich erledigt“, beeilte sich Erwin dem Wächter zu erklären.
Erwin sprang ins Taxi „Wohin?“ „Zurück Leipzig. Mann sieh, meine Frau. Fatima. Ist angekommen." Fatima hielt einen großen Geschenkkarton in der einen Hand, während der Fahrgast nun in seinem Mantel sehr schmal geworden war. In der anderen hielt sie eine Beauty Case und im Fußbereich stand
ein schon etwas abgegriffener Koffer. „Geschenk“, grinste der Fahrgast glücklich. „Hab ich auf Weihnachtsmarkt gekauft. Echt deutsche Überraschung!“ Fatima grinste. „Ich bin glücklich! So lieb!“ Sie gab ihrem Mann einen Kuss und presste eine kleine Orchidee an ihre Brust. „ Wir wollen dann feiern. Leipzig, Weihnacht. Möchtest du auch. Ich lade ein“, lachte sie begeistert nach vorne zu Krause. "Du kannst gucken, wenn ich großes Geschenk auspacke."
„Nein, ich bin erschöpft, langer Arbeitstag, leider.“
„Ja, immer viel Arbeit, kenne ich.“
Seine ganzen Verdächtigungen waren wie ein Kartenhaus
zusammengefallen.
Krause erließ ihnen das Fahrgeld für die Rückfahrt.
Erwin schämte sich.