Und wieder tauchen wir ein in die geheimnisvolle Welt Ghaleon´s. Wie schon im ersten Teil sind es wieder lose, kleine Geschichten, zusammengehalten durch einen dünnen, roten Faden. Man muss also nicht zwingend den vorigen Band gelesen haben, um der Handlung folgen zu können. Aber schön wäre es natürlich trotzdem.
Auch dieses Mal gilt mein besonderer Dank dem Youtuber Gronkh, auf dessen Life in the Woods - LetsPlay diese Geschichten basieren. Darüber hinaus auch an Pandorya, welche ich ungefragt mit ein gebaut habe, da sie mittlerweile auch Teil dieser Welt ist. Möge sie es mir verzeihen und ihre Rolle genießen.
Jon Barnis
Ghaleon´s Chroniken erstrecken sich, wie im letzten Teil schon beiläufig erwähnt, über ganze vier Bände. Alle samt dicke Wälzer, jeder über sechshundert Seiten mächtig und dicht beschrieben bis an die vergilbten Ränder. Eine nahezu komplette Zusammenfassung der Geschichte dieses Landes, von der Gründung Grisholm´s über die Entstehung der östlichen Liegenschaften, welche sich Ghaleon nannten, bis zum unausweichlichen Ende. Wenn es da nicht einen kleinen Makel gäbe. Zwar sind die Anfänge der Besiedlung anschaulich und ausführlich geschildert, fast schon so, als wäre der Autor selbst dabei gewesen. Doch gerade vom Ableben und Verschwinden dieser erstaunlichen Kultur fehlt jede Spur. Die letzten Worte des vierten Buches beschreiben detailliert, in aller Tragik und
Brutalität, wie der Zwist zwischen dem Fischer Jughelm Drusslich und dem Thaumatologen Liedharf Vagemund endete. Kein Wunder, zieht sich diese Geschichte doch wie ein roter Faden durch das ganze Buch, da wäre es schon ein erzählerischer Fausthieb gewesen, sie nicht am Schluss auch aufzulösen. Doch scheint dieses Ereignis erst der Anfang vom Untergang Ghaleon´s, vermutlich sogar ganz Grisholm´s zu sein. Genau davon gibt es aber leider keinerlei Aufzeichnungen, die Zeit danach bleibt ein undokumentiertes Rätsel. Kein geschriebenes Wort ist darüber zu finden, warum die weiten Lande heute Menschenleer sind. Was ist mit den Bewohnern geschehen? Und wo sind die mythenberankten Nyhn ab geblieben, jenes lebenskünstlerische Baumvolk, welches alle bisherigen Nöte und Katastrophen unbeschadet überstanden hatte?
Es kann dafür nur eine Erklärung geben. Die Chroniken von Ghaleon bestehen nicht aus vier Büchern, sondern aus fünf. Folglich fehlt mir der letzte Band. Jener, welcher Aufschluss darüber gibt, wer oder was verantwortlich ist für das Massensterben nach den überlieferten Geschehnissen. Und warum das einst so lebendige Land nun von widerlichen Untoten, klappernden Skeletten und noch viel gefährlicheren, abartigeren Wesen heimgesucht wird. Nun mag man richtig anmerken, dass es auch für den pflichtbewusstesten Chronisten schwierig ist, seinen eigenen Tod schriftlich und grammatikalisch formschön festzuhalten. Wenn es also ein fünftes Buch gibt, wovon ich absolut überzeugt bin, hat es Friedlauf Hagendorn unvollendet mit ins Grab genommen.
Wer weiß, vielleicht liegt es noch irgendwo unter den Ruinen Thindra´s begraben, seiner Heimatstadt weit im Süden Ghaleon´s. Nur darauf wartend gefunden und gelesen zu werden, wenn es nicht längst zu Staub zerfallen ist. Möglicherweise hält er es noch immer fest umklammert, seit dem Tag seines Dahinscheidens, so dass es der Entdecker ihm erst aus den fleischlosen, knöchernen Händen reißen muss. Ganz sicher aber werden wir erst dann verstehen, was mit dem einst so mächtigen Grisholm geschah, wenn dieses Buch gefunden wird. Derweil harren aber noch fast zweitausend fünfhundert Seiten darauf, erzählt zu werden, großzügig verteilt auf die vier Bände, welche der Nachwelt unbeschadet erhalten geblieben sind. Und ich las jedes einzelne Wort darin. Keine leichte Lektüre, vor allem da sich Hagendorn gern in langatmigen
Abschweifungen verliert. Manchmal berichtet er viele Seiten lang nur über ein größeres, geschichtlich aber absolut irrelevantes Ereignis, wie die Wahl zur Wollkönigin von Sandersholg. Keine besonders nachwirkende Begebenheit, eher unnötig und trivial, aber der Chronist wohnte ihr zumindest persönlich bei. Das besagte Wollkönigin letzten Endes seine Angebetete Lisgard wurde, könnte erklären, weshalb er sich gerade dafür so viel Zeit und Seiten nahm. Davon abgesehen finden sich in den Chroniken viele Abschnitte, die Verleger heutzutage ohne zu zögern heraus streichen würden. Ich bin sehr froh, dass dies nie geschehen ist, denn es gibt eine Auffälligkeit, die mir erst bewusst wurde, als ich mich mühsam und gleichfalls aufmerksam durch sein Gesamtwerk gewühlt hatte. Auch, und vor allem, durch die eher belanglosen und langatmigen Abschnitte. Ein
Name der immer wieder auf taucht, schon im ersten Band, der vierhundert Jahre vor der Zeit Liedharfs und Jughelms spielt. Pheli Andorya. Die Weiße Frau.
Mir ist bewusst, dass in der heutigen Zeit urbane Legenden im Umlauf sind, die ebenfalls von so genannten "Weißen Frauen" handeln. Meist flüchtige, geisterhafte Erscheinungen, deren Auftauchen als böses Omen interpretiert wird und deren Existenz nicht einmal annähernd bewiesen wurde. Um zu begreifen, wer oder was Pheli Andorya war, sollte man sich von dieser hirngespinstigen Vorstellung schnellstens befreien. Damals galten die Weißen Frauen noch als Glücksbringer und waren alles andere als geisterhaft. Man sehnte sogar ihr Erscheinen herbei in schweren Zeiten. Und ja, es gab mehrere von ihnen. Auch wenn besagte Pheli scheinbar die aktivste war aus der Andorya-Familie, finden sich in den Chroniken Hinweise auf drei weitere Frauen dieser Art.
Schon die Schreibweise Ihres Vornamens lässt erahnen, dass es sich bei Pheli um ein sehr altes, langlebiges Exemplar handeln muss. Wobei man das mathematische Alter nicht gleich setzten sollte mit körperlichem Verfall, zumindest nicht was die Weißen Frauen betrifft. Angeblich leben sie mehr als zehnmal so lang wie ein normaler Mensch, ohne dabei in dieser Zeit auch nur einen Tag zu altern. Zwar traute sich damals niemand das Wort „Unsterblichkeit“ in den Mund zu nehmen, denn unsterblich waren nur Götter und Dämonen, aber zumindest bescheinigte man ihnen ein unnatürlich langes Leben. Ein gutes Indiz dafür, dass sie tatsächlich schon seit einigen Jahrhunderten in Ghaleon lebte, ist, wie schon erwähnt, ihr Vorname. Die ersten Siedler dieser Gegend gebrauchten
noch Begriffe, die heute kaum mehr üblich oder gar fast vergessen sind. So ist Pheli das alte Wort für Feli, welches wiederum ganz einfach den gemeinen Fuchs bezeichnete. Man erzählt sich, dass die Weiße Frau hin und wieder in die Gestalt eines solchen Tieres schlüpfte, um sich unerkannt durch die Wälder zu bewegen. Weshalb es auch seit jeher strengstens verboten war, Füchse zu jagen oder gar zu töten. Selbst der Besitz eines Fuchsfells wurde mit harten Strafen belegt, vom Verkauf mal ganz zu schweigen. So avancierten diese Tiere schnell zu heiligen Wesen, ähnlich der berühmten Kühe in Indien. Daher wurde es auch stillschweigend akzeptiert, dass ihnen hin und wieder das ein oder andere Haushuhn zum Opfer fiel. Schließlich wollte niemand aus Versehen die Weiße Frau töten, nur weil Meister Reineke sich an seinen Eierlieferanten vergriffen hatte. Im Laufe der Zeiten wandelte sich der Name
Pheli zu Feli, was aber nichts an der Verehrung änderte, die die Menschen ihr entgegen brachten. Vor allem dieser einen, denn in vielen Belangen unterschied sie sich von ihren sehr unnahbaren Schwerstern. Schon das sie regen Umgang mit der Bevölkerung pflegte, machte sie zu etwas Besonderem. Wo andere Weiße Frauen die Menschen so gut es ging mieden, suchte Pheli ihre Gesellschaft und genoss sie sogar. Auch wenn sie weit davon entfernt war, dauerhaft unter ihnen leben zu wollen. Wirft man einen verstohlenen Blick auf die hygienischen Verhältnisse der damaligen Zeit, erscheint diese Entscheidung sehr nachvollziehbar. Außerdem erzählt man sich, dass sie hin und wieder etwas verstreut und gedankenverloren daher kam. Irgendwie liebevoll normal und für ein "höheres Wesen" erstaunlich bodenständig. Auch, oder gerade deshalb, verehrten die
Bewohner von Ghaleon sie. Natürlich nicht wie einen Gott, das wäre Blasphemie gewesen, worauf schon gern mal Strafen standen, die ein Weiterleben unmöglich machten. Eher wie eine Art „gute Fee“, auch wenn sich jede Weiße Frau gegen diesen Vergleich mit Händen und Füßen gewehrt hätte. Schließlich war es ihre ganz eigene Entscheidung, wem sie wann zur Hilfe kam und vor allem, aus welchen Beweggründen. Ein bekanntes Sprichwort lautete daher "Weiße Frauen erscheinen nie, wenn man sie wirklich braucht, sind aber immer zur rechten Zeit am richtigen Ort." Wie Ihnen dies gelingen konnte, erklärt der Geschichtsschreiber natürlich nicht, doch dass es immer wieder geschah ist an vielen Stellen zu lesen. Mal verhalfen sie verhassten
Stadtfürsten zum vorzeitigen Abdanken, oder retteten andernorts ertrinkende Kinder, welche sich auf zu dünnes Eis gewagt hatten. Auch für so manchen, lang ersehnte Regenschauer nach endlosen Dürreperioden zeichnet man sie verantwortlich, obwohl zu Recht bezweifelt werden darf, das sie tatsächlich so viel Macht über die Naturgewalten besaßen. Man konnte sie natürlich nicht einfach herbei rufen, aber zumindest darauf hoffen, dass sie in einer Notlage auftauchen würden. So geschehen auch zur "Endzeit", wie Friedlauf die Epoche nannte, in der der Thaumatologe und der Fischer lebten. Doch Pheli Andorya erschien damals nicht nur hin und wieder, so wie sie es in den Jahrhunderten davor gerne tat, sondern war sehr häufig an verschiedenen Stellen Ghaleon´s anzutreffen. Mal sah man sie unbeschwert durch die dichten Urwälder nahe Bryhngard wandern, dann stand sie plötzlich im
Dorf Silbringen, welches sich ganz in der Nähe des Glockensinger-Teiches befand, um mit den ansässigen Handwerkern Waren zu tauschen. Zu dieser Zeit beherbergte der Ort noch echte Menschen, wohl gemerkt, keine Narg´s wie heute. Die Leidenschaft fürs Tauschen haben sich diese allerdings von den früheren Bewohnern ab geschaut, auch wenn ihre Kultur, nein sogar ihr ganzes Sinnen und Streben auf grünen Edelsteinen aufgebaut ist. Ohne Zweifel sitzen sie auf einem ganzen Berg Emerald´s. Niemand weiß, wie diese etwas tumben, wortkargen Wesen so viel Reichtum horten konnten. Dazu aber in einem späteren Kapitel mehr. Die Silbringer von damals schworen auf jeden Fall Stein und Bein darauf, dass Pheli mindestens ein Mal pro Dekade beim örtlichen Schmied anzutreffen war.
Nur am Rande, eine Dekade sind zehn Wochen, eine Woche zehn Tage und jeder Tag besteht aus zehn Stunden. Die Bewohner Ghaleon´s wehrten sich bis zum Schluss tapfer gegen das hoch komplizierte Zeitsystem, welches Der Gerd, oberster Buchhüter Grisholm´s, im Rest seines Reichs eingeführt hatte. Zehn Wochen, zehn Tage, zehn Stunden. Einfach, schnell zu lernen, selbst für den Dümmsten und effektiver als alles was sich die Bürokratie in der fernen Hauptstadt jemals einfallen ließ. Welche Waren die Weiße Frau dort beim Schmied tauschte, darüber schwieg dieser immer beharrlich. Selbst als übereifrige Mitbürger ihn dafür an den Pranger stellen wollten und dunkle Machenschaften witterten, hielt er sein offensichtliches Versprechen ihr gegenüber. Natürlich kam es nicht dazu, denn
selbst damals konnte man Menschen nicht einfach verurteilen, nur weil sie über ihr Geschäftsgebaren keine Auskunft geben wollten. Allerdings brannte wenig später die alte Schmiede am Ortsrand lichterloh, was ganz sicher kein Zufall war. Selbst heute noch stehen dort die kahlen, halb verfallenen Überreste des Gebäudes, als eine Art Mahnmal gegen Dummheit, Neid und Missgunst. Graloff, so hieß der gute Mann, ließ sich davon natürlich nicht unter kriegen, baute direkt am Marktplatz eine neue Schmiede auf und handelte weiterhin rege mit Pheli Andorya. Genau dort traf sie auch zum ersten Mal auf den jungen Fischer, denn der Schmied gehörte schließlich zu seinen besten Kunden. Niemand vermochte einen Glimmerling so zu zu bereiten wie er, weshalb Jughelm den Fisch nicht nur lieferte, sondern auch häufig gleich zum Essen blieb. Der Weißen Frau war er vorher noch nie
persönlich begegnet, trotzdem hatten sich die Gerüchte und Erzählungen über sie natürlich auch bis zu ihm herum gesprochen. Ganz offensichtlich hinterließ der Junge Mann schnell einen bleibenden Eindruck bei ihr, so wie bei vielen Frauen im übrigen, denn wenig später stand sie plötzlich vor seiner Hütte am Glockensinger-Teich und sah ihm fasziniert bei der Arbeit zu. Ein unglückseliger Zufall wollte es, dass genau in diesem Moment auch Liedharf des Weges kam und sofort seine Schlüsse daraus zog. Nein, er ging gewiss nicht davon aus, dass sein Erzfeind eine Art Verhältnis mit der mysteriösen Frau hatte. So weit reichte seine Vorstellungskraft nicht, von der Kenntnis zwischenmenschlicher Beziehungen mal ganz zu schweigen. Zudem war der Fischer zu der Zeit schon über ein Jahr, welches natürlich zehn Dekaden umfasste, glücklich mit der Nyhn-Frau Velin liiert.
Viel mehr hegte Liedharf die an Paranoia grenzende Befürchtung, dass sich Jughelm nun auch noch mit einer Drupin verbündet hatte. In seinen Augen sicher eine unheilschwangere Vorstellung, waren diese Wesen doch dafür bekannt, dass sie überall dort vermehrt auf tauchten, wo auch Thaumatologen ihrem mysteriösen Tagewerk nach gingen. In deren geheimer Sprache bedeutete das Wort Drupin nichts anderes als „Feind“, was vermuten lässt, dass sie nicht besonders gut auf Pheli Andorya und ihre Schwestern zu sprechen waren. Tatsächlich verband diese beiden Gruppen sogar eine lang gehegte Feindschaft, waren doch Weiße Frauen nicht selten daran beteiligt, die selbsternannten Magiekundigen dem Gesetz zu zu führen, wenn diese mal wieder deutlich über die Stränge geschlagen hatten. Immer sehr diskret, versteht sich, aber schon einige aus
dem dunklen Zirkel landeten ihretwegen auf dem Schafott. Konnte es also Zufall sein, dass ausgerechnet der verhasste Fischer nun Besuch erhielt von einer Drupin? Planten sie etwa einen Schlag gegen Liedharf? Ganz ohne Zweifel ging er davon aus, denn schon am folgenden Tag sah man eine Horde Grauwölfe an Silbringen vorbeiziehen, Richtung Süden, dort wo er das Versteck der Weißen Frau vermutete. Nur gut, dass Liedharf recht wenig mit den Dorfbewohnern zu tun hatte, denn die hätten ihm, auskunftsfreudig und unbedarft wie sie nun mal waren, sicher mehr verraten als gut war. Zum Beispiel dass sich Pheli´s Versteck angeblich auf der Weltenkrone, weit im Norden befinden solle. Natürlich wusste dies niemand mit Sicherheit, aber die Gerüchte mehrten sich auffällig, dass sie dort des Öfteren gesichtet wurde. Selbst wenn in Ghaleon Geheimnisse nie
lang geheim blieben, konnte sie sich ganz sicher keinen besseren Rückzugsort suchen als die Krone der Welt.
In Ghaleon und den umliegenden Landstrichen findet man auch heute noch Orte, die auf den ersten Blick magisch und unwirtlich erscheinen, so als wären sie von einer fremden Macht in diese Welt gebracht worden. Wälder in denen das Gras viel grüner ist als normal und die Blätter an den Bäumen dunkelblau schimmern. Verdorrte, in Gift getränkte Haine, aus denen jegliches Leben gewichen ist und nur noch totes Holz an frühere Zeiten erinnert. Oder alte, versandete Ruinen mitten in der Wüste, in denen Horden lichtscheuer Wesen auf unbedarfte Wanderer oder den Einbruch der Nacht harrten. Ein ganz besonders eindrucksvoller Ort dieser Art ist ohne Zweifel die Weltenkrone. Jenes imposante, bis in die dichten Wolken ragende Gebirge, welches nicht grundlos auch als
"Schicksalsberge" bezeichnet wird und mehrere Tagesreisen vom Zentrum Ghaleon´s entfernt liegt. Zumindest wenn man versucht es zu Fuß zu erreichen und nicht die Fähigkeit besitzt, im Raumschatten zu wandeln, so wie es die Ender tun. Oder Weiße Frauen. Schon sehr früh in den Chroniken taucht der Begriff "Krone der Welt" auf, da ein gewisser Sig Frodrad sie bereits wenige Jahre nach der Erstbesiedlung Grisholm´s entdeckte. Er war damals auf der Suche nach geeigneten Orten um der wachsenden Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, sich gebührend auszubreiten. Womit er, ganz nebenbei, auch noch gut verdiente, denn Primus Jull, der damalige Buchhüter Grisholm´s, hatte ihn als ´Landler´ in seinen Dienst genommen. Natürlich war er nicht der einzige dieser Zunft. Es gab mindestens genauso viele professionelle Kundschafter und Landvermesser wie
unentdeckte Gebiete in den frühen Jahren. Aber zumindest überlebte er seine Forschungsreisen in die damals noch gefährliche und vor allem gefräßige Wildnis deutlich länger als seine Kollegen. Trotzdem blieb die "Krone der Welt" seine wohl bedeutendste Entdeckung. Obwohl ihr makelloser, fast schon ins Mythische abdriftender Ruf schnell von sehr unschönen Ereignissen überschattet wurde. Wenn man vor den erhabenen, vollends mit Schnee bedecken Bergen steht, wird einem schnell klar, warum es kurz nach der Entdeckung schon viele Wagemutige in dieses Gebiet zog. Beim Blick hinauf zu den Gipfeln stockt einem ganz automatisch der Atem, nicht zuletzt weil diese Berge gern plötzlich wie aus dem Nichts vor einem auf tauchen. Gerade steht man noch an einem ruhigen See in mitten
der ausgedehnten Ebene, bis sich die Nebel lichten und die Sicht auf das gewaltige, steil emporragende Bergmassiv frei geben. Der beste Ort um ein Dorf zu erreichten, bei diesem Panorama! Das dachten sich wohl auch die ersten Siedler und so entsandt in Windeseile der Ort Kroningen, am Fuße des Gebirges, welcher nach nur wenigen Dekaden bereits über Tausend Einwohner zählte. Zu allem Überfluss fand man fast zeitgleich im Inneren des Berges eine natürliche Höhle, voll gestopft mit Gold und Diamantadern. Man muss kein Hellseher sein um zu erahnen, wie groß der Ansturm auf die Weltenkrone ab diesem Tage war. Von überall strömten Menschen heran, getrieben von der Gier nach Reichtum, oder gar von Primus Jull selbst, der natürlich auch ein gehöriges Stück vom Kuchen ab haben wollte.
Doch dann geschah das erste Unglück. Die Höhle brach aus heiterem Himmel in sich zusammen und begrub fast zwanzig Bergleute unter Tonnen von Gneis, Dazit und Blauschiefer. Sicher kein schöner Anblick. Die Nachricht davon verbreitete sich schnell im Umland, dämpfte aber den Zustrom von Glücksrittern nur unwesentlich. Wenig später, kaum das die Kroninger sich vom Schrecken erholt hatten, gab ein künstlich angelegter Stollen nach und forderte sogar noch mehr Leben als beim ersten Mal. Doch auch wenn sich die Bewohner langsam Gedanken machten, dachten sie im Traum nicht daran, die noch im Berg schlummernden Schätze einfach der Natur zu überlassen. Stattdessen bauten sie das wohl modernste Bergwerk in ganz Grisholm, großzügig
abgestürzt durch mehrmals gewalzte Stahlträger, mit Fluchttunneln, Rettungsschächten und Notfallbuchten ausgestattet. Im Herzen der Weltenkrone lagerte noch immer mehr Gold als jemals in ganz Grisholm gefunden wurde, daher waren sie entschlossen, es mit allen Mitteln dem Berg abzuringen. Nur wenige Tage nach der Eröffnung des neuen Bergwerks brannte Kroningen. Das Feuer fraß sich in rasender Geschwindigkeit durch die Stadt, welche größtenteils nur aus schnell zusammen gezimmerten Holzbaracken bestand. In dieser Schicksalsnacht sterben fast die Hälfte der Einwohner eines grausamen Todes. Alle die noch leidlich am Leben waren, flohen aus den Ruinen, zurück ins Landesinnere, wo sich fast genau so schnell wie das Feuer die Sage vom verfluchten Berg aus breitete. Seitdem wagte es niemand mehr, dort eine
Siedlung zu errichten oder nach Schätzen zu Graben. Wenn sich Legenden ein mal manifestiert haben, sind sie nur noch schwer aus den Köpfen der Menschen wieder zu verbannen. Pheli Andorya allerdings wählte gerade die Weltenkrone, um sich ungestört von anderen Menschen einen Rückzugsort zu schaffen. Schließlich war sie selbst eine Legende und hatte darüber hinaus auch nicht vor, im Berg nach Gold oder Diamanten zu graben. Stattdessen drang sie bis in die kleine, grüne Senke vor, welche von der Gebirgskette schützend umschlossen wurde, baute sich dort ein bescheidenes, aber zweckmäßiges Häuschen und lebte fortan abgeschieden von der Außenwelt. Gelegentlich erklomm sie den höchsten Gipfel um ihre Krimmer-Pferde zu besuchen, welche auf dem kleinen Plateau ein
kärgliches aber ruhiges Dasein fristeten. Seltsame, dickfellige Tiere, denen das unwirtliche Klima nichts anhaben konnte. Sie lebten dort schon zu den Zeiten Kroningens, erzählt man sich, weshalb einige verwegene Querdenker ihnen jene unglückseligen Ereignisse in die Hufe schoben, die sich dort damals zugetragen hatten. Verschwörerischer Unsinn, natürlich. Aber auch diese Legende hat die Jahrhunderte überdauert und ihren Platz in den Chroniken gefunden. Von all dem wusste Liedharf nichts und das war auch gut so. Schließlich sandte er seine Späh-Wölfe nicht nur in die falsche Himmelsrichtung aus, sondern machte sich auch nicht die Mühe, ein paar Dorfbewohner vorher zu befragen. Nicht wenige hätten ihm sicher bereitwillig Auskunft gegeben, wie Tristram Windswurtz zum Beispiel, seines Zeichens Braumeister in der eigenen, kleinen
Brauerei und im Dorf zuständig für Informationsbeschaffung und kostenpflichtige Weitergabe. Heute würde sich jeder Geheimdienst nach ihm die Finger lecken, doch etwas in der Art gab es zum Glück weder in Ghaleon noch in Grisholm. Der Thaumatologe verzichtete auf derlei Hilfe. Er war überzeugt, die Weiße Frau mit seinen eigenen Mitteln finden zu können, schließlich hielt er Thaumatologie für eine viel stärkere Macht als Gerüchte und Geschichten die von Mund zu Mund weiter getragen wurden. Pheli dagegen war sich wohl bewusst, dass sie einen neuen Feind hatte, auch weil ihr Erscheinen hier natürlich nicht zufällig war. Sie hörte von den Machenschaften des Liedharf Vagemund und beschloss, ihn im Auge zu behalten. Scheinbar wuchs hier ein mächtiger Magier heran, der dieses Land im
Handumdrehen in eine vergiftete Wüste verwandeln konnte, wenn seine Experimente nicht beobachtet und notfalls verhindert wurden. So war es schon an anderen Orten geschehen. Dort wo grünes Gras der Dunkelheit anheim viel, jegliche Natürlichkeit verlor und sich in unheilvoll glitzerndes violett verwandelte. Ganze Gebiete entstanden so, in denen jeder Schritt unweigerlich ins Verderben führte. Totes Land, nannten es die Menschen und es breitete sich an manchen Stellen schon unaufhaltsam aus. Niemand bezweifelte, dass die Sekte der Thaumatologen daran schuld war, schließlich zeigten sich derartige Veränderungen auch an den Monolithen, welche vermehrt auf tauchten und an denen sie ihre seltsamen Rituale durch führten. Pheli wusste all dies, und noch viel mehr, war
sie auf ihren Reisen doch an einigen dieser unheiligen Orte vorbeigekommen. Wenn Liedharf so mächtig wurde wie befürchtet, musste er aufgehalten werden, bevor er auch dieses schöne Fleckchen Erde auch in eine unbegehbare Ödnis verwandeln konnte.
Nun dürfte es auch keine Frage mehr sein, warum sie ausgerechnet beim jungen Fischer auf tauchte. Jeder weiß, dass man am meisten über einen Menschen erfährt, wenn man seinem ärgsten Widersacher nur aufmerksam genug zu hört. Oder, wie es heute so schön heißt, "der Feind meines Feindes ist mein Freund".
cosima3051b Hui, das war schön, wenn man mit dabei war wie Pan und Gronkh dieses Bergmassiv erklommen haben, und jetzt dazu die Geschichte liest. Ich hoffe allerdings, das Dank Pan die Krimmer Pferde nicht aussterben ...*kicher |
cosima3051b in Band 1? |
JonBarnis Also manchmal frag ich mich ... nein, egal. Gut, dann erklär ich es nochmal. Der Begriff "Chroniken" ist hier natürlich nur im übertragenen Sinn gemeint. Schon im ersten Kapitel dieses Teils habe ich erklärt, dass dies hier nicht die Chroniken von Ghaleon selbst sind (4 Bände a 600 Seiten... wäre selbst für diese Plattform zu viel Text.). Ich versuche lediglich einzelne Geschichten aus den originalen Chroniken auf zu greifen und näher zu beschreiben. Ein paar Eindrücke aus der Welt zu liefern, welche alle zwar durch einen dünnen, roten Faden verbunden sind, aber auch für sich allein bestehen können, ohne große Vorkenntnisse. Dabei muss ich auch weitestgehend auf Dialoge verzichten, was mir nicht leicht fällt. Aber um der Geschichte treu zu bleiben, lässt es sich nicht vermeiden, schließlich macht sich kein Chronist die Mühe, lange Reden oder ausufernde Dialoge mit zu schreiben. Natürlich werde ich hier NICHT chronologisch 400 Jahre herunter rattern, von der Entstehung bis zum Untergang Ghaleons. Das wäre viel zu trocken, würde den Rahmen deutlich sprengen und, am wichtigsten, mir überhaupt keinen Spaß machen. Wie beim letzten Teil schon würde ich ausdrücklich darum bitten, Kommentare nur zu schreiben, wenn man auch ernsthaft Kritik üben möchte oder Verbesserungsvorschläge parat hat. Oder etwas positives zu sagen hat, natürlich. Alles andere hilft mir nicht weiter und knabbert energisch am Spaß, den ich bei diesem Projekt eigentlich habe. |