Tierlieb
Thorvald Wenneström hatte sein Leben umgekrempelt. Er bewohnte eine einsame Blockhütte in Kanada. Bis zur nächsten Ortschaft waren es ca. 100 kanadische Miles, also rund 160 Kilometer. Der Winter wird kommen. Das war so sicher, wie das Amen in der Kirche. Und in Kanada war man schlicht von der Außenwelt abgeschnitten.
Er fuhr also in den nächsten Ort, solange es noch mit seinem SUV auf der Schneepiste möglich war.
Er begab sich in die Mall, Abteilung Schneeschlitten, “maudite bonnes machines“ (verdammt gute Maschinen). Er kaufte das robusteste Modell und nahm noch 100
Gallonen (ca. 380 Liter) Benzin mit.
„Eine gute Wahl“, meinte der Verkäufer. „Dieses Viking III Modell hat sogar heizbare Griffe. Und wenn sie außer Benzin noch Öl mitnehmen, sagen wir zwei Gallonen, dann kriegen sie einen Eierwärmer gratis dazu.“ „Eierwärmer?“
„Sie wissen schon, wenn sie länger fahren, dann wird es trotz Decke im Schritt…“
„Ich verstehe!“
Der Anhänger wurde beladen.
„Wenn sie Öl und Benzin im Schuppen verstauen: Zu kalt darf es nicht werden“, mahnte der Verkäufer.
„OK“, nickte Wenneström und sie schüttelten sich die Hände.
Gerade, als Thorvald einsteigen wollte, hüpfte
ein Straßenköter ins Führerhaus.
„Mach, dass Du rauskommst!“
Mister Straßenköter dachte gar nicht daran und arbeitete mit seinem Hundeblick.
Thorvald stieg wieder aus und besorgte Hundefutter für 3 Monate.
Der Schlittenverkäufer sprach ihn erneut an. „Sie sind aber Tierlieb! Sie werden sehen, er wird es ihnen danken.“
Als Thorvald wieder einstieg, sprach er zum Hundeblick.
„Du würdest erfrieren, Kumpel, wenn es richtig Winter wird. Aber auskommen müssen wir zwei Beide“, mahnte er.
Sie waren wieder am Blockhaus angekommen Unser Vierbeiner, der Hundeblick, der
ehemalige Straßenköter, hatte nun den Namen Rusty verpasst bekommen und markierte erst einmal die Umgebung. Thorvald lud ab, verstaute den Viking in der Stallung und begrüßte erst einmal seine zwei Huskys, die ihn vor Freude überfielen. Dann aber hielten die Hunde inne.
„Oje“, seufzte Thorvald, „jetzt gibt es Ärger.“ Der Rüde Mumik und die Hündin Attika stürzten hinaus, doch, oh Wunder, nach kurzer Rangelei, zeigte sich Rusty unterwürfig und die Sache war geregelt. Alle drei folgten Wenneström ins Haus. Der hatte wenig Muße. Er musste noch den Viking unterbringen, die Kanister zu verstauen und die Lebensmittel für drei Monate einräumen. Danach gönnte er sich eine Flasche Bier und seinen Hunden
eine ordentliche Mahlzeit. Er war zufrieden.
Eine Woche später war es soweit. Sie waren abgeschnitten. Wenneströms Satellitenschüssel funktionierte nicht mehr, die Solarpanels am Hüttendach hatte er vom Schnee befreit. Aber nun tobte ein Sturm. Wenigstens war genügend Kaminholz vorhanden. Öfters dachte er, dass Amunsen draußen an der Tür kratzte. So nannte er den Grizzlybär Bären, der in dieser Gegend herumstreunte. Klar, dass er um Einlass bat. Die Speisekammer samt Thorvald selbst würde ihm gut bekommen. Zum Glück war die Hütte äußerst solide. Er war überzeugt, dass die Huskeys im Schuppen mit ihm zu Recht kamen. Gegen Huskeys waren Grizzlys
vorsichtig. Rusty lag vor dem Kamin. Da wäre es den Huskeys zu warm, Rusty aber fühlte sich wohl. Mit diesem Straßenköter wurde er richtig warm. Der Hund dankte ihm die Zuneigung und half ihm über die Einsamkeit.
Es klopfte drei Mal. Das war nicht Amunsen. Thorvald schnappte sich das Gewehr von der Wand und öffnete.
„Da seid ihr ja endlich. Kommt rein.“
Ron, der verletzt war, stützte sich auf Silja, welche eine große Tasche in der anderen Hand hielt. Rusty kläffte wie verrückt. „Ruhig“, beruhigte Wenneström und Rusty zog sich widerwillig zurück. Ron wurde auf das Bett gelegt und Silja sank erschöpft auf einen Stuhl. „Schöne Scheiße!“ „Was ist passiert?“
Ron stöhnte. „Ging soweit alles gut, als wir die Bank überfielen. War so, wie Du gesagt hast. Die waren völlig überrascht.“ „Das Geld ist in der Tasche?“ „Ja, das ganze Geld! Und die Scheine kann keiner verfolgen. War eh unterschlagenes Geld von den Bankfuzzis. Die werden ja nie verfolgt.“ „Weiter“, knirschte Thorvald. Silja ereiferte sich. “Das blöde Schwein hat nicht aufgepasst. Ein Wärter musste den Helden spielen. Da hat er ihn abgeknallt!“ Thorvald sprang auf. „Ihr seid einfach unfähige Blödiane! Habe ich nicht ausdrücklich gesagt keine Gewalt?“
Silja hatte hysterisch Lachtränen in den Augen und wimmerte. „Hat sich dabei vom Wärter selbst noch eine Kugel eingefangen.“ „Wo ist der Hubschrauber?“ „Bruchlandung im
Sturm.“ „Wo?“ „Am See, hier in der Nähe. So wie du gesagt hast.“ „Der See ist noch nicht zugefroren, oder?“ „Nein.“
„Jemand muss den Hubschrauber versenken.“ Sie sahen sich an.
„Ich bin da nicht dienlich“, grinste Ron mit schmerzverzerrtem Gesicht.“
„Und ich bin fix und fertig. Der Weg vom See hierher, der Sturm und auch noch Ron an der Backe!“ „Vielen Dank!“
„Dann gehe ich eben“, beschloss Thorvald. „Du Kannst ja Ron inzwischen verarzten.“ Silja nickte.
Thorvald brach auf und Rusty sprang hinter ihm drein. Im Schuppen war es kalt, aber die Huskeys hatten sich aneinander gekuschelt und sich eingerollt. Der Viking sprang um das
Verrecken nicht an. Wenneström musste den Schlitten nehmen, schirrte Mumik und Attika an und verstaute Rusty in seiner Daunenjacke. Der mit Akku betriebene Eierwärmer würde den kleinen Hund schützen. So brach Thorvald in den Sturm auf. Er gelangte an die Unglücksstelle. Ron mit seiner Verwundung hatte es tatsächlich geschafft im Sturm den Helikopter noch einigermaßen zu landen, halb am Ufer, halb schon im Wasser. Lediglich eine Kufe war gebrochen. Einfach ein Klasse Pilot! Mit Hilfe des Windes, eines Hebels mit einem größeren Ast und kurzer Kraftanstrengung konnte er den Hubschrauber umkippen, so dass er im See versank, denn das Ufer fiel steil ab. Sie machten sich auf die Rückreise. „Ihr kommt
mit ins Haus“, beschloss Thorvald und streichelte die zuverlässigen Huskeys. Rusty schleckte ihm über das eiskalte Gesicht.
Als Thorvald in der Hütte den Schnee abklopfte und sich schließlich umdrehte, blickte er in die Mündung des Revolvers. Silja hatte stahlharte Augen. Thorvald blickte ungläubig. Dann wanderte sein Blick zum Bett hinüber. Ron rührte sich nicht mehr. Silja trat einen Schritt zurück. Der Revolver lag ruhig in ihrer Hand. „So hatte ich das mit dem Verarzten nicht gemeint.“ „Hat doch einen Vorteil“, kicherte Silja. „Nur durch zwei zu teilen.“ „Wie wäre es, wenn nur einer?“ „Gute Idee“, bestätigte Silja. Wenneström rührte sich nicht. „Deine blöde Liebhaberei mit den
Viechern ging mir bei Dir schon immer auf die Nerven.“ „Und jetzt?“ „Ich nehme den Viking. Ich habe ihn bei der Ankunft in der Scheune gesehen. Ich warte nur, bis der Sturm sich gelegt hat.“ „Hirnlos, meine Gute. Wo willst du denn hin?“ „In die nächste Ortschaft. Werde mir schon eine schöne Räuberpistole einfallen lassen. Wie Du mich gequält und gefesselt hast, und so weiter. Jedenfalls habe ich Dich dann in Notwehr erschießen müssen.“
In diesem Augenblick sprang Rusty von hinten auf ihren Rücken. Der Schuss pflügte in die Bodendiele, als sie fiel. Blitzschnell war Thorvald über ihr. Bald war sie gefesselt und die Hunde hechelten in Reih und Glied. Thorvald ging zum Bett. Ron hatte einen
weiteren Schuss in die Brust abbekommen, lebte aber noch.
Thorvald hielt das Ohr hin und Ron flüsterte mit den letzten Atemzügen. „Sie war es.“ „Ich weiß.“ „Auch mit dem Wächter.“ Dann war Ron tot.
Thorvald stand auf. Er löste die Fesseln und lotste sie zur Türe mit ihrem Revolver in der Hand. „Raus!“
„Das kannst du nicht tun!“
„Raus!“ Er öffnete die Tür, der Schnee blies herein.“ „Bitte“, diesmal waren es keine Lachtränen.
„Raus!“
Er schmiss Silja nach draußen und schlug die Türe zu.
Zwei Tage später hatte sich der Sturm gelegt. Thorvald suchte, aber Silja blieb verschwunden. Thorvald entdeckte nur Wolfsspuren und auch Amunsen musste in der Nähe gewesen sein. Ron begrub er in der Nähe des Sees. In der Nähe seines geliebten Hubschraubers.
Das Weihnachtsfest war einsam, aber friedlich und es gab zur Feier des Abends nicht wie geplant Kohlroulade, sondern viele warme Würstchen.
Da schnalzten aber vier Zungen!