Wenn ich zurückblicke auf meine Kinderzeit und besonders zur Weihnachtszeit, muss ich letztendlich gestehen: Auch wenn es nicht viel gab, es war doch eine schöne Zeit, wobei ich nichts beschönigen will..
Wir wohnten zuerst zusammen mit meiner Großmutter in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in der zweiten Etage eines Geschäftshauses, was an sich eine Tragödie war, denn es gab weder fließendes Wasser, noch einen Herd zum Kochen. Nachdem jedoch die Tochter des Vermieters mit Mann und Kind in den Westen „abgehauen“ waren, konnten wir die vorderen zwei Zimmer dazu belegen, allerdings nach langem Kampf mit dem örtlichen Wohnungsamt, das die
Forderung hatte, eine Familie mit sechs Kindern in diese zwei Zimmer zu „stecken“.
Nun bewohnten wir die obere Etage allein und da es in einem der beiden dazu gekommenen Räume sogar ein Waschbecken mit fließendem Wasser gab, vermissten wir nichts mehr.
Vom Hauswirt (jetzt Vermieter) wurden wir nur das Dreimäderlhaus genannt.
Wir hatten nun zwei Schlafzimmer - eines für Oma und eines für meine Mutti und mich, ein Wohnzimmer und eine große Küche. Bad oder gar ein WC gab es damals nicht.
Die Toilette befand sich im Hinterhof, nichts für Leute mit einem dringenden Bedürfnis. Im Winter wurde die Herzöffnung in der Tür
einfach mit einem Buchdeckel verschlossen, damit der Wind nicht gar zu kalt ins stille Örtchen blies. Aber ich will den werten Leser nicht mit Berichten über unsere damalige Wohnsituation langweilen.
Bereits in der Vorweihnachtszeit gab es auch damals schon Einkaufsstress. Da es das ganze Jahr über meist in den Lebensmittelgeschäften nur Äpfel, Weißkraut und Rotkraut gab und nur manchmal vor den Feiertagen auch Südfrüchte, wie Apfelsinen, Mandarinen und Bananen stellte man sich überall, wo Schlangen standen halt mit an, um das begehrte Obst zu ergattern. Dieses wurde dann auch meist noch zugeteilt. Süßigkeiten wie Schokolade gab es zur
damaligen Zeit auch nur wenig, war aber wahrscheinlich gut für die Zähne, so kam es, dass ich als Kind mit dem Zahnarzt keine schlechten Erfahrungen machen musste. Dieser Verzicht war somit sogar als gesundheitsfördernd anzusehen.
Ich glaube, ich habe meine erste Schokolade mit drei Jahren bekommen und wusste damit gar nichts anzufangen. Dass man die essen konnte, musste mir erst beigebracht werden und sie schmeckte mir anfangs gar nicht, was sich später aber änderte.
Meine Großmutter war das ganze Jahr über schon rege gewesen und hatte Geschenke für Weihnachten „gesammelt“, die sie dann in ihrem großen Schlafzimmerschrank und in
ihrer Kommode versteckte und meist zu Weihnachten vergessen hatte, wo sie die lagen. Am Weihnachtstag nach der Bescherung fiel ihr auf einmal etwas ein. Sie sagte: "Ich hatte doch noch was....", und ging auf die Suche in ihrer Schlafkammer.
Manchmal fand sie diese vergessenen Sachen erst zu Ostern wieder, ebenso wie den Rest des obligaten Stollens, den sie stets selber backte.
Das Stollen backen war bei uns schon Tradition geworden und immer ein Fest für mich, denn ich durfte mithelfen.
Da wurden Mandeln gebrüht, abgezogen und gerieben, Rosinen verlesen und in Rum eingeweicht. Eine Menge davon wanderte meist heimlich in den Mund. Davon durfte
Oma natürlich nichts merken, sonst hätte es statt Süßem Saures gegeben.Die anderen Zutaten, wie Zitronat und Orangeat bekam sie meist von ihrem Sohn, meinem Onkel aus dem Westen geschickt, denn bei uns gab es so was meist nicht.
Dann wurden die ganzen Zutaten in die Großbäckerei geschafft, wo sich Großmama dann die ganze Zeit über am Backtrog mit dem Kneten des Teiges beschäftigte.
Daraus wurden immer zwölf Stollen angefertigt, die meist, bis auf einen kleinen Rest, wieder den Weg gen Westen antraten. Der Rest des Teiges wurde mit gekochten geriebenen Kartoffeln vermengt und daraus ein riesengroßer runder Stollenteigkuchen gebacken, der immer am leckersten
schmeckte, besonders wenn er gerade eben aus dem Backofen kam und noch warm war. Großmutter war danach immer erschöpft, aber stolz auf ihr Werk.
Kurz vor dem Fest wurde dann bei einem Holzhändler ein Weihnachtsbaum gekauft, der zwar noch ein paar Verschönerungen über sich ergehen lassen musste, da die Bäume meist ausgesonderte Fichten und nicht immer gerade und schön gewachsen waren. Also wurden an einigen Stellen neue Äste eingesetzt. Den Geruch nach frischen Fichtennadeln habe ich heute noch in der Nase..
Beim Schmücken des Baumes durfte ich dann immer mithelfen. Da wurden aus der
hintersten Ecke der Bodenkammer die Weihnachtsbaumkugeln und die sorgfältig sortierten Blei-Lamettafäden hervorgekramt. Später gab es schon eine elektrische Baumbeleuchtung, die natürlich sicherer war, als die Wachskerzen, die oft genug schon Wohnungsbrände verursacht hatten.
Freitags vor Weihnachten wurde dann in Ermangelung eines Badezimmers die Küche zur Badestube umfunktioniert. Dazu wurde unsere große Zinkwanne vom Boden geholt, der Küchenherd mit dem gesammelten Treibholz angeheizt und sämtliche Töpfe, die es im Haushalt gab, mit Wasser gefüllt daraufgestellt. Die Küche ähnelte dann eher einer Dampfsauna, denn einer Küche.
Baden durfte ich, als die Jüngste zuerst, danach kam meine Mutter an die Reihe und zuletzt war Oma dran. Ob diese hinterher auch noch das Gefühl hatte sauber zu sein, kann ich nicht mehr mit Bestimmtheit behaupten.
Es war auch immer wieder eine Prozedur, die Wanne zu leeren, da diese keinen Abfluss hatte. So wurde sie halt mit einem Topf wieder leer geschöpft und nur den letzten Rest konnten wir drei „Weiber“ unter mühsamen Anheben der Wanne in das Waschbecken entleeren.
Ja nun waren wir alle sauber (bis auf Oma?) und für das Weihnachtsfest gerüstet.
Ob es einen Weihnachtsmann gab, konnte ich damals nicht mit Bestimmtheit sagen…. Hätte aber durchaus sein können.
Zu sehen bekam ich ihn aber nie. Dafür durfte ich manchmal tagelang nicht in die „gute Stube“, da passte Oma auf, wie ein Wachhund.
Aber zum heiligen Abend erstrahlte dann die Stube in hellem Lichterglanz und Punkt fünf Uhr gab es die obligatorische Linsensuppe mit Bratwurst und dazu Heringssalat, (natürlich alles selber gemacht), Sellerie-und Rote Rübensalat, serviert in einer Keramikschale, hausgemachte Sülze viele andere „Leckereien“. Die Linsen kochte Oma
zwar immer süßsauer, aber da hatte sie nicht mit mir gerechnet. Süßsaure Linsen mochte ich nicht, nie. Damit war geregelt, dass diese nur wie „normaler“ Eintopf gekocht wurden und jeder machte sich Essig und Zucker nach Belieben dazu.
Danach kam die Bescherung. Am Meisten bekam wahrscheinlich ich. Oma hatte wieder an meiner Puppenstube gebastelt, neue Lämpchen verlegt oder neues Inventar gekauft. Manchmal saß auch ein Teddy darin oder eine neue Puppe. Da war die Freude natürlich groß. Oft war ich aber auch traurig, weil ich kein Geld hatte, um für Oma und Mutti Geschenke zu kaufen, denn Taschengeld gab es damals keines.
Trotzdem war es die schönste Zeit, wenn ich bei Dunkelheit vor meiner beleuchteten Puppenstube sitzen und an den Püppchen nesteln konnte.
©Baesta