Heiße Maronen
Martin ging am Abend noch ein wenig spazieren, Bewegung tat ihm gut und außerdem fiel ihm seine Studentenbude auf die Nerven. Er brauchte einfach etwas frische Luft, es war der 24 Dezember und es schüttete aus Kübeln. Martin nahm das Wetter kaum wahr und die Tatsache, dass heute Heiligabend war interessierte ihn nicht. Er mochte Weihnachten nicht sonderlich, so ging er ganz in Gedanken Richtung Stadt. Plötzlich sagte eine Stimme: Sie mögen Weihnachten auch nicht, nicht wahr. Dieser ganze Konsumrummel und die Hektik schon Wochen vorher.
Martin drehte sich zu dieser Stimme um und schaute in ein finsteres Gesicht. Der Mann, der zu ihm gesprochen hatte trug einen schwarzen Mantel, eher eine Art Umhang mit breitem Kragen. Sein dünnes, weißes Haar flatterte um Seinen Kopf herum, obwohl es gar nicht windig war. Er hatte stechend blaue Augen und einen dünnlippigen Mund. Jetzt lächelte er Martin an und wirkte auf einmal schön und gütig. Doch Martin schaute ihn genauer an und sah: Das Lächeln erreichte nicht die Augen des Fremden! Hatte nicht immer Martins Großmutter gesagt: Junge, wenn Dich ein Mensch
anlächelt, achte darauf ob das Lächeln auch seine Augen erreicht! Das schoss Martin durch den Kopf und er wollte sich gerade abwenden um weiter zu gehen. Da war der seltsame Fremde verschwunden! Martin schaute sich suchend um, doch der Mann war fort. Es regnete immer noch, Martin war in der Stadtmitte angekommen, doch war ihm als zöge ihn irgend etwas fort aus der Stadt zum Wald. Es dauerte nicht lange und er stand am Waldrand, dort war alles tief verschneit und ein kleiner Weihnachtsmarkt war aufgebaut. Es duftete nach gebrannten Mandeln, Zuckerwatte und Glühwein, nach Lebkuchen und heißem Kakao. Leise
spielte ein Drehorgelmann Weihnachtslieder und die Schneeflocken wirbelten immer dichter auf Martin herab. Er ging langsam weiter durch diese wundersame Weihnachtsstadt und erinnerte sich an früher, als er noch ein kleiner Junge war. Vater und er gingen immer schon am 23 Dezember in den Wald um den Weihnachtsbaum zu holen. Während Mutter Plätzchen backte und Martins kleiner Schwester Julia Geschichten über Weihnachten erzählte. Wenn Vater und Sohn dann nach Hause kamen, gab es herrlich duftende Bratäpfel und Kakao.
Ein Lächeln breitete sich über Martins
Gesicht aus, wenn er daran dachte, es war immer so schön gewesen zu Hause. Zu Hause , dieses Wort hatte einen besonderen Klang, weich und lieblich. Warum nur mussten seine Eltern bei diesem schrecklichen Unfall sterben und warum war Julia so weit fort gegangen, nach Afrika. Warum? Sie hatte ihm angeboten mit zu kommen, doch Martin wollte diese , seine Heimatstadt nicht verlassen. Hier war ihm alles vertraut, nur hatte er diesen Wald noch nie so verzaubert gesehen! Er ging von Stand zu Stand und klopfte sich immer wieder den Schnee vom Mantel. Als er ein paar mal durch die Buden gegangen war, sah er einen alten Mann der sich die Hände
über seinem Ofen wärmte.
Es war ein Maronenofen und es ging ein köstlicher Geruch davon aus, Martin ging zu dem Maronenverkäufer und unterhielt sich mit ihm. Der alte Mann schaute ein wenig erschrocken drein und fragte: Haben Sie ihn auch getroffen? Wen getroffen erwiderte Martin. Den Mann mit dem schwarzen Umhang, der lächelt und freundlich redet. Doch seine Augen lächeln nie und der alte Mann erschauderte und blickte Martin fragend und hilflos an! Ja, sagte dieser ich habe ihn auch gesehen, was ist denn mit ihm? Der Maronenverkäufer antwortete: er verkleidet sich gerne, aber ich glaube nicht dass er ein Mensch ist, da kann er
so viel lächeln und in verschiedenen Gestalten erscheinen wie er will! Hören Sie junger Mann, gehen Sie ihm besser aus dem Weg. Martin stellte noch ein paar Fragen, doch der Alte antwortete nicht
mehr. So ging er verwundert weiter und nahm die Umgebung um ihn kaum noch wahr, Er merkte nicht einmal, dass er schon wieder in der Stadt war. Plötzlich sprach ihn ein Mann von der Seite an er sagte: Nun junger Freund, sind Sie jetzt überzeugt dass dieser ganze Rummel nichts als eine dumme Narretei ist. Martin sah den geheimnisvollen Fremden an und schaute ihm in die Augen, die keinen Glanz hatten, keine
Wärme. Es war als schaute er in die starren Augen einer Puppe, Er wollte nur noch fort, so schnell wie möglich und so sagte er: Ich muss jetzt nach Hause, es hat mich gefreut Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Er hatte diese Worte mit zu Boden blickenden Augen gesagt, um den Fremden nicht mehr ansehen zu müssen. Als er nach oben blickte war der Mann verschwunden! Martin sah sich noch nach ihm um, doch er konnte ihn nirgends entdecken. Ihm war kalt, es regnete auch wieder, es gab keine einzige Schneeflocke. Wie war das möglich? Im Wald war doch alles tief verschneit gewesen, Martin ging weiter
endlich Heim, ins warme er war ganz durchgefroren und musste etwas heißes trinken. Als er zu Hause war, erschien ihm seine kleine Wohnung gar nicht mehr so trist und leer. Er brühte sich einen Tee auf und wollte noch ein wenig lernen, doch er konnte sich nicht konzentrieren. Immer wieder dachte er an diesen seltsamen Mann, dass Martin auf dem Weihnachtsmarkt im Wald war hatte er völlig vergessen!
Während draußen der Regen gegen die Fensterscheiben trommelte, trank Martin seinen Tee und dachte an seine Kindheit zurück. Wie schön war es immer zu Weihnachten bei ihnen gewesen, wenn er
und Julia ganz gespannt auf das Christkind warteten, mit heißem Kakao und Weihnachts- Früchtebrot saßen sie in der gemütlichen Küche und sahen ihrer Mutter beim Plätzchenbacken zu. Und Mutter erzählte ihnen Geschichten aus ihrer eigenen Kindheit.
Warum nur waren ihre Eltern am heiligen Abend verunglückt? Sie gingen so fröhlich aus dem Haus um noch beim Christkind etwas abzuholen, und kamen nie zurück. Seit diesem schrecklichen Tag hasste Martin Weihnachten! Er hatte es nie wieder gefeiert und so viel er wusste, Julia auch nicht. Über all diesen Erinnerungen schlief er auf dem Sofa ein und träumte von dem seltsamen
Fremden, wie dieser ihn mit auf eine Reise nahm. Eine Reise in die Dunkelheit, an einen kalten und feindseligen Ort und Martin hörte den Fremden sagen: Dort sind deine Eltern, willst du sie nicht begrüßen? Nun bist du mit ihnen vereint, wolltest du das nicht immer? Martin schrak aus dem Schlaf auf und schaute sich verwirrt um, noch ganz im Bann des Traumes stand er auf um sich noch einen Tee zu machen. In seinem kleinen Flur mit der Garderobe lag sein Mantel auf dem Boden, er hob ihn auf und wollte ihn auf einen Bügel zum trocknen hängen. Da sah er, dass die rechte Manteltasche ganz ausgebeult war. Er griff hinein und
fühlte eine Papiertüte darin, sie war heiß und als er hinein blickte sah er frisch geröstete Maronen! Martin erinnerte sich plötzlich wieder an alles, an den Weihnachtsmarkt im Wald. An die vielen verschiedenen Düfte ,an den Schnee und ganz deutlich an den Maronenverkäufer! Sein Herz wurde ganz leicht und er lächelte und sagte zu sich selbst: Jetzt wird es Zeit einen Weihnachtsbaum zu besorgen. Er stürmte ohne Jacke oder Mantel aus der Tür und traf im Treppenhaus seine Nachbarin, die alte Frau Bernau. Frau Bernau sagte er, wo bekomme ich jetzt noch einen Weihnachtsbaum und ein wenig Schmuck dafür her? Oh, sagte sie
unten an der Ecke am Bürgerplatz gibt es noch welche und den Schmuck bekommen Sie von mir. Martin umarmte sie und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, Sie sind ein Engel Frau Bernau, mein Weihnachtsengel! Sie lächelte und sagte: Ich helfe Ihnen dann beim schmücken . Martin warf ihr noch eine Kusshand zu und stürmte aus dem Haus. Als er am Bürgerplatz ankam saß dort ein alter Mann. Martin rief schon von weiten: Ich brauche unbedingt einen Weihnachtsbaum! Der Mann lachte und rief, da haben Sie aber Glück junger Mann, ich wollte gerade alles zusammen packen und ab ins warme. Martin brauchte nicht lange, er fand gleich eine
hübsche, kleine Tanne. Als er bezahlen wollte sah er dem Mann in die Augen und erkannte den Maronenverkäufer. Er wollte gerade sagen: Ich kenne Sie doch, da sagte der Mann: Gut, dass Sie sich von Ihm ferngehalten haben! Martin wollte fragen, wer dieser düstere Mann war, doch der Verkäufer sagte: Sagen Sich nichts, nehmen Sie ihr Bäumchen. Ich glaube es wartet jemand zu Hause auf Sie, ich schenke Ihnen den Baum und wünsche frohe Weihnachten. Vielen Dank sagte Martin, für Sie ebenfalls und ging mit dem Bäumchen nach Hause. Als er dort angekommen war, hörte er Stimmen im Treppenhaus. Frau Bernau und eine jüngere Stimme, es war Seine
Schwester die aus Afrika zu Besuch gekommen war. Sie hatte nicht geschrieben, sie war einfach da. Martin konnte gar nichts sagen, ihm liefen die Tränen über die Wangen und er nahm Julia stumm in den Arm. Frau Bernau hatte inzwischen den Christbaumschmuck geholt und für alle Kakao gemacht.
Und so schmückten Martin und seine Nachbarin und Julia die kleine Tanne, dabei tranken sie Kakao und aßen heiße Maronen. An den seltsamen Fremden dachte Martin nie wieder!
Aber eines fand er sehr seltsam, die Maronen waren immer noch richtig heiß,
und das obwohl er doch stundenlang damit herumgelaufen war.