Geburtstags silvester
Autobiografische Erzählung
zum Forumbattle Nr.56
Autorin: FLEURdelaCOEUR
Thema: BRAUCHTUM
Wort-Vorgaben:
Werk Treibholz
Tragödie Fichtennadeln
Forderung vermissen
Verzicht nesteln
Buchdeckel Tradition
Keramikschale beschönigen
Geburtstagssilvester
Zu Beginn der dritten Klasse kam ich in eine neue Schule, wohin ich mit der Straßenbahn fast durch die ganze Stadt fahren musste. Im gleichen Jahr zog ein neuer Vater bei uns ein, der morgens zeitig mit dem Zug zur Arbeit fuhr. Meine Mutter ging meist zu Fuß, Oma und die beiden Tanten - im Rentenalter - blieben zu Hause. So herrschte nun morgens noch mehr Andrang im einzigen Badezimmer
Ich weiß noch, wie meine Mutter mich am bereits leicht verschneiten Vorabend zu meinem 9. Geburtstag mit dem Dackel Gassi gehen schickte. Maulend zog ich los, jedoch bei der Rückkehr erwartete mich eine freudige
Überraschung – der Geburtstagstisch!
Damit wurde diese schöne Tradition in unserer Familie eingeführt und bis heute beibehalten. Immer, bei allen Familienmitgliedern, findet die Bescherung schon am Vorabend des Geburtstags statt. Nach - oder auch schon vor - dem liebevoll vorbereiteten Abendessen, gibt es Sekt zum Anstoßen für die Erwachsenen. Abends können es alle leichter einrichten, zu Hause zu sein, während es morgens oft mehr oder weniger hektisch zugeht. Die Gratulationen und Glückwünsche werden natürlich immer erst am eigentlichen Geburtstag ausgesprochen, auch wenn wir nicht abergläubisch sind, das ist Ehrensache!
Selbst wenn der Geburtstag auf einen Sonn- oder Feiertag fällt, wird die Beschenkung schon am Vorabend zelebriert. Meine Mutter meinte, das sei doch keine Tragödie, denn das Neue Jahr beginne ja schließlich auch mit der Silvesterfeier! Man habe doch allen Grund zu feiern, das vergangene Lebensjahr gut gemeistert zu haben, nicht nur wie ein Stück Treibholz durch das Leben gedümpelt zu sein, und kann sich auf das kommende schon festlich einstimmen.
Ich sollte vielleicht erwähnen, dass da am Vorabend keine Torte mit Kerzen auf dem Tisch steht, die gehört erst zur eigentlichen Feier mit den Gästen. Es gibt Blumen, schöne Musik, eine Kerze – für die Kinder, ihrem Alter entsprechend, auch mehrere - und eben die
Geschenke. Bei diesen bin ich mir ziemlich sicher, bisher niemals einen Verzicht auf „Buchdeckel“ erlebt zu haben, wobei natürlich keine leeren gemeint sind. In unserer Familie waren und sind wir alle Leseratten, und das finde ich gut so! Bei einem Geburtstag ohne Buch würde ich wirklich etwas vermissen.
Nur ein einziges Mal lief mein Geburtstagssilvester ein klein wenig anders ab, als gewöhnlich.
An diesem Freitagabend war in der Firma, bei der ich beschäftigt war, die alljährliche beliebte Weihnachtsfeier angesagt. Man hatte ein gutes Hotelrestaurant ausgewählt und wir freuten uns, auch die Kollegen aus den anderen Firmenstandorten bei Gänsebraten
und dem Duft von Fichtennadeln wiederzusehen. Also sagte ich meiner Familie bescheid, sie sollten nicht auf mich warten. Eine Kollegin wollte mich mitnehmen, ich käme vermutlich erst spät. Über den Gabentisch würde ich mich auch am nächsten Morgen freuen.
Als meine Kollegin mich zu Hause absetzte, brannte oben in unserer Etage noch Licht… Mein Mann und meine Mutter, die im Erdgeschoss wohnte, hatten es sich nicht nehmen lassen, beim reich gedeckten Geburtstagstisch auf mich zu warten. Der Sekt stand gekühlt bereit, in der Keramikschale auf dem Couchtisch dufteten frisch gebackene Weihnachtsplätzchen. Meine Lieben nahmen mich in den Arm und konnten mir diesmal
auch gleich gratulieren, denn Mitternacht war ja schon vorbei …
Aber, noch ein weiteres Familienmitglied hatte mich schon sehnlichst erwartet, den zum Gabentisch umfunktionierten Teewagen genauestens inspiziert und immer wieder neugierig versucht, am goldenen Geschenkband zu nesteln. Keiner Unterlassungsforderung war sie nachgekommen und hatte sich schließlich noch äußerst dekorativ platziert, um das Gesamtwerk somit ganz selbstverständlich zu krönen.
Ohne etwas zu beschönigen, kann ich jedoch sagen, sie ist sehr vorsichtig vorgegangen und hat nichts umgeworfen, sich nicht ein einziges
Härchen an der Kerze versengt. So possierlich!
Seht selbst:
Fleur,
im November 2016
PS - außer Wertung:
Die Fotos hat damals mein Mann geschossen.
Im Gegensatz zum Kunstkalender "Der blaue Reiter" gehörte die Katze nicht zu den Geburtstagsgeschenken, die war schon da.
;-)