Im Sommer diesen Jahres, aber auch schon zuvor, überschlugen sich Politiker und Meinungsmacher mit verschiedenen Hinweisen darauf, wie man es denn endlich anstellen könne, dass gewisse gesellschaftliche Randphänomene in der aktuellen Krisenstimmung nicht das Fass zum Überkochen brächten.
Der Antrieb ist vor allem das Verhindern einer neuen Rechten in der Gesellschaft, indem man versucht den „Sorgen“ von „besorgten Bürgern“ zuvorzukommen. Rechts von der CDU/CSU sollte wirklich nur noch die Wand kommen, frei nach Franz Josef Strauß.
An dieser Stelle sollen nur Bekleidungsverbote angesprochen werden, da diese anscheinend eine auch medial so bedeutsame Rolle einnehmen, dass unzählige Reporterinnen sich zuletzt in Niqabs schwangen.
Worum geht es eigentlich? Im Grunde sollen gewisse religiöse Kleidungsstücke entweder ganz oder teilweise aus der Öffentlichkeit verbannt werden, da diese ein mit unseren Werten (was das genau bedeuten kann wird weiter unten angesprochen) unvereinbares Frauenbild repräsentierten, Angst machen, unserem Kulturraum nicht angemessen sind.
Auffällig ist hier meines Erachtens augenscheinlich, dass eine Problematik eine gewaltige Aufmerksamkeit erfährt, welche lediglich eine Randerscheinung in unserer Gesellschaft darstellt. Wie in der „Verbrauchersendung“ (Ironie aus!) SternTV vor ein paar Wochen gezeigt wurde gibt es eine geringe dreistellige Zahl von Frauen in Deutschland, die einen Niqab tragen. Dies ist ein Gesichtsschleier, welcher die Augen jedoch offen lässt. Die Zahl der Burkaträgerinnen, also Frauen, welche zusätzlich vor den Augen ein Gitternetz tragen, ist nicht bekannt. Es darf jedoch davon ausgegangen werden, dass eine noch stärkere Verschleierung auch
bedeutet, dass es signifikant weniger Burkaträgerinnen gibt. Insgesamt dürften wir hier über eine im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung der BRD (ca. 82.000.000 Menschen) verschwindend geringe Zahl von Adressaten sprechen.
Nichtsdestotrotz wird so eine gewaltige mediale Aufmerksamkeit, so viel politischer Wind gemacht (zuletzt scheiterte eine Bundesratsinitiative für ein Burkaverbot in gewissen Bereichen), dass es schon grotesk anmutet. Da scheinen Themen wie eine „Flexirente“ u.ä. geradezu lächerlich unterrepräsentiert, obwohl diese doch alle angehen.
Leider hat dies den gegenteiligen Effekt,
wie man beispielsweise im CSU Bayern hoffen mag. Rechte Populisten können auf diesen Zug aufspringen und somit ein Thema künstlich aufblähen, dass eigentlich bei ihren Wählern in der Lebenswirklichkeit keinen Platz hat. Oder kennen Sie eine Burkaträgerin aus Mecklenburg-Vorpommern? Aber gerade deshalb kann man am rechten Rand so laut mit diesen Themen trommeln und vor einem Untergang des Abendlandes warnen, wenn schon die Etablierten sich so nachhaltig darum bemühen. Angst wird geschürt vor dem Fremden schlechthin, wer sagt denn nicht, dass das ein Terrorist unter dem Ganzkörperschleier ist? Vielleicht hat der
ja Waffen dabei? Sowas muss doch verboten gehören!
Doch versuchen wir diese Fragen nach Bekleidungsvorschriften von staatlicher Seite einmal rational zu bedenken.
Den Rahmen für staatliches Handeln gibt das Grundgesetz vor. Art. 4 Abs. 1, 2 GG schützen mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit auch die Auslebung von Religion also auch religiös konnotierte Bekleidung.
Die Religion selbst ist ein Teil der menschlichen Persönlichkeit, genauso wie das eigene Gewissen. Über seine Verortung in der Welt anhand religiösen
Regelungen definiert sich der Mensch ebenso selbst, wie durch die Bestimmung über seine Sexualität oder das allgemeine Auftreten im öffentlichen Raum. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) hat demnach also auch Ausstrahlungswirkung auf die Religionsfreiheit.
Ein recht verstandener Rechtsstaat darf in den Bereich der höchstpersönlichen Lebensführung nur eingreifen, wenn er hierbei nicht in die absolut vor Eingriffen geschützte Intimsphäre eingreift und dieser Eingriff in einen
anderen Bereich zugleich gerechtfertigt Eingriff ist. Jetzt ist die religiöse Bekleidung keine Sache der Intimsphäre. Und deshalb muss gefragt werden, ob der Staat hier gerechtfertigt eingreifen kann.
Immer wieder wird von Personen wie Alice Schwarzer behauptet, dass eine Burka insbesondere Frauen bloß unterdrücke und dass mit unserer Auffassung der gleichberechtigten Geschlechter schlechterdings nicht vertretbar sei. Demnach müssen wir die armen Geknechteten befreien, wenn wir es ihren Unterdrückermännern unmöglich machen diesen Stoffkäfig
ihnen aufzuzwingen.
Die Gegenseite (man hört es beispielsweise aus den Mündern von Konvertitinnen) meint, dass so eine Verschleierung gerade die Freiheit vor den geilen Männerblicken sei und von ihrer religiösen Überzeugung her vom Koran (d.h. Allah) her vorgeschrieben sei.
Ordnen wir hier einmal das Geflecht des Gesagten. Zuerst einmal gewährt ein Rechtsstaat die Religionsfreiheit in einem Maße, dass dieser sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Gläubigen einmischt. Er selbst gibt sich keine favorisierte Staatsreligion, er legt
gerade nicht fest, was denn nun Sache ist beispielsweise im Islam.
Argumente, welche sich gegen einen Niqab oder eine Burka als vorgeschriebene islamische Kleiderregel für Frauen aussprechen (das ist wohl die Mehrheit der Muslime auf der Welt) müssen ihn kalt lassen. Wenn Muslima A kein Kopftuch tragen will, Muslima B ein Kopftuch und Muslima C eine Burka und diese sich dann untereinander fragen, was denn nun von im Koran genau mit „bedecken“ gemeint sei, dann ist das eine rein innerreligiöse Frage. Der Staat muss sich dazu neutral verhalten. Denn im neutralen Verhalten ermöglicht er erst pluralen religiösen
Ansichten innerhalb einer Gemeinschaft sich zu verwirklichen, weil jede sich frei nach außen zeigen kann ohne zugleich um Verbote fürchten zu müssen.
Entscheidend ist bei alledem allein der freie Wille der Frau. Wenn sich eine Frau frei entscheidet beispielsweise einen Niqab zu tragen oder eine in ihrem Heimatland aufgezwungenen Gesichtsschleier endgültig abzulegen (beide Beispiele wurden ebenfalls in der bereits genannten Sendung SternTV gezeigt). Erst dann, wenn das Tragen eines religiösen Kleidungsstückes gegen den Willen aufgezwungen wird kann der Staat dies nicht dulden. Doch wie kann
er dies bewerkstelligen?
Ein generelles Verbot hat das Problem, dass es dafür sorgt, dass es die Frauen gegen ihren Willen zwingt ihre Religionsfreiheit einzuschränken weil die abstrakte Gefahr besteht, dass ihnen ein Kleidungsstück aufgezwungen wird.
Dagegen ist die Schaffung von Institutionen vorzuziehen, welche in solchen Fällen den Frauen ermöglichen sich (auch anonym) an diese zu wenden um dann Hilfe zu erhalten. Das bedeutet Schutzmechanismen vorhält, wenn es zu einem solchen Fall kommt. Dies sind uns bekannte Formen wie Frauenhäuser, welche man aus Fällen häuslicher Gewalt kennt. Diese Alternative ist
vorzugswürdig, da sie im Ergebnis keinen Eingriff in die Religionsfreiheit darstellt.
Allgemein darf der Staat nicht ohne gerechtfertigte Begründung in meine persönlichen Lebensentscheidungen eingreifen. Wenn in Art. 3 GG als Staatsziel die Gleichberechtigung der Geschlechter festgeschrieben ist so bedeutet das ja nicht, dass der Staat seine Bürger dazu zwingen muss unbedingt hiernach zu leben.
Wenn eine Frau einem total konservativen Rollenverständnis folgen will und die Bedienstete ihres Mannes sein will, dann darf sie das. Viele Frauen
wollen das nicht aber das bedeutet ja nicht, dass man es ihnen verbieten darf. Was die Parteien in freier Willensübereinstimmung vereinbaren hinsichtlich der Führung von Beziehung, Ehe, u.a., da muss der Staat seine Finger heraus halten. Sobald es strafbare Folgen hat freilich nicht mehr.
Dann ist noch die Frage, ob man beispielsweise eine Niqab tragende Staatsanwältin oder Richterin dulden soll, oder ob man das nicht verbieten darf d.h. das Tragen dieses Kleidungsstückes.
Staatsanwälte sind Staatsbeamte, also Repräsentanten des Staates. Demnach kann man die Frage genauso aufziehen wie bei der kopftuchtragenden Lehrerin. Solange eine Staatsanwältin ihre Arbeit ordentlich macht und nicht anfängt plötzlich im Gerichtssaal für die „wahre Religion“ zu werben oder gewichtige wahrscheinlich erfüllte Straftatbestände nicht zur Anklage bringt, weil hier ein „Glaubensbruder/-schwester“ auf der Anklagebank sitzt, dann ist fraglich, warum man ihr dies dann verbieten soll.
Bei einer Richterin (der wahrscheinlichere Fall in den kommenden Jahren sind Richterinnen mit
Kopftuch) kommt die Besonderheit des Richteramtes, seine Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG), hinzu. Das bedeutet, dass ein Richter sich nicht auf die Seite einer Partei also deren „Lager“ schlagen darf.
Strafrechtler wissen, dass das bei einem Prozessbetrug nach §263 StGB unwissentlich doch mal passieren kann.
Doch mal ehrlich, was ändert das Kleidungsstück an der Unabhängigkeit? Wenn eine jüdische Richterin vor mir sitzt, welche kein Kleidungsstück trägt, das darauf hindeuten, dass diese einer bestimmten Religion zugehört, kann ich dann durch meinen Anwalt einen Befangenheitsantrag stellen lassen? Als
Deutscher, weil ich glaube, dass die jüdische Richterin mich wegen der Shoa nicht nach Recht und Gesetz aburteilt? Darüber würde die Richterin in ihrem Zimmer kurz lachen und das dann zurückweisen. Was macht es dann schlimmer bei einer Frau mit religiöser Bekleidung?
Und wo wir schon mal bei Gericht sind; wie sieht es denn mit den Parteien selbst aus? Ich sehe bei einer Burkaträgerin ja gar nicht, wie die ihre Mimik verändert, wenn sie redet. Ich sehe bloß, was sie währenddessen tut.
Hier haben verschiedene Stellen (beispielsweise die Uni Gießen aber auch
neulich das VG Osnabrück) darauf abgestellt, dass Kommunikation nicht nur ein verbaler Akt sei. Mimik und Gestik des Gegenübers zu erkennen ist essentiell hierfür.
Dies stellt einen schwer angreifbaren Fakt dar aber ebenso ist es klar, dass ich Stimmungen u.a. auch aus der Tonlage und der Gestik einer Person herauslesen kann. Natürlich scheint diese Frau erst einmal etwas zu verbergen. Doch schützt sie das nicht davor, wenn sich herausstellt, dass ihr gesprochenes Wort nicht mit der festgestellten Wahrheit in Einklang zu bringen ist, dass sie hier ein falsches Zeugnis abgelegt hat. Ob man da etwas
vor dem Gesicht trägt oder nicht ist egal.
Bei einem Burkini, der ja in Frankreich für Wirbel sorgte, aber auch in deutschen Schwimmbädern, muss man zugestehen, dass dieser gerade Freiheitsräume eröffnet. Frauen, welche zuvor nicht in der Öffentlichkeit baden konnten, weil ihre Nicht vollständig bedeckten Körper den Blicken von Männern ausgesetzt waren, was ihrer Auffassung nach gegen religiöse Gebote verstößt, können jetzt auch schwimmen gehen. Welchen Grund haben wir hier diese zu verbieten? Es mag einem nichts einleuchten. Denn solche Burkinis sind ja
eigentlich wie Hochleistungsschwimmanzüge und dass es anstößig erscheint, wenn eine Frau bekleidet ins Wasser geht ist ja noch gar kein Grund für ein Verbot. Es mag lästig erscheinen (was im Auge des Betrachters liegt) aber das ist zu wenig, dass der Gesetzgeber tätig werden muss.
Was bleibt also? Höchstens unstreitige Bereiche wie der Straßenverkehr, wo aber keine Frage besteht, dass eine Burka da lebensgefährlich ist, aufgrund des extrem eingeschränkten Sichtfeldes. Man darf ja auch (eigentlich) nicht im Winter Auto fahren, wenn man nur
Löcher zum Raussehen in die Frontscheide gekratzt hat. Die Frontscheibe muss komplett frei bleiben.
Es bleibt das Staunen darüber, dass ein an sich marginales Thema, welches eigentlich gar keine so extremen Verwerfungen aufwirft, ein so gewaltiges Echo hervorgerufen hat. Man möchte Politikern wie Julia „Plan 2 A4“ Klöckner und Konsorten gerne zurufen, dass man mit ebenso lautem Gebrülle wie die Herren und Damen vom rechten Rand leider keinen langfristigen Erfolg hat. Und wir sollten endlich erkennen, dass unser GG weitere Freiheitsräume eröffnet und Restriktionen stärker
zurückdrängt als manchem das lieb sein mag. „Unsere Werte“ sind eben nicht nur die, die ich meinem deutschen Nachbarn am Stammtisch zubillige, sondern die universellen und unveräußerlichen Rechte, die einem jeden Menschen zukommen auch unabhängig seiner Religion.
Es wird Zeit, dass wir alle mal einen Gang zurückschalten und uns wieder den wichtigen Themen in unserem Land zuwenden.
Euer Sigmar Gabriel ;-)