Das Paradies
Die Schule des Dorfes, finanziert von Sponsoren aus der Ferne, steht da vorne, um sie herum die Reste vergangenen Glücks. Es herrscht eine angenehme Stille, nur hin und wieder hört man das Knacken des langsam schwindenden Feuers, oder das Rascheln der vereinzelt stehenden Pflanzen. Manchmal streift ein Luftzug durch das Dorf und wirbelt den Staub auf, der sich gerade erst wieder gelegt hat. Die Sonne brennt auf den Boden und erhellt die Ebene. Ein möglicher Beobachter müsste sich das Gesicht bedecken um in der grellen Flut des Lichts etwas erkennen zu können. Er
würde vielleicht erkennen, dass die Tür der Schule aus den Angeln gehoben und das Fenster zerbrochen war. Wenn er sehr aufmerksam war, würde er das klaffende Loch im Dach sehen. Das Dach war ohnehin sehr unprofessionell gearbeitet und der Besucher würde sich möglicherweise überlegen, dass ein alter, zittriger, unwahrscheinlich untalentierter Handwerker das wohl gebaut hatte und würde sich fragen, wer diesem Menschen wohl den Auftrag gegeben hatte? Wäre der Gast ein Dorfbewohner gewesen, hätte er gewusst, dass die größten Kinder des Dorfes dieses Dach nach einem Sturm repariert hatten, da ihre Väter fort waren, das Land zu schützen.
Vielleicht würde der Besucher eine Schultüte im Eingangsbereich des Gebäudes entdecken. Ein näherer Blick würde ihm eröffnen, dass die Tüte ein paar feuchte Flecken hatte. Vielleicht würde er diese als Freudentränen für das tolle Geschenk deuten. Dann würde er sehen, dass die Tüte noch mit ein wenig Schulmaterial gefüllt war. Er würde an seine Schulzeit denken und sich wünschen, er hätte damals solches Material bekommen. Er würde sich vorstellen, wie glücklich das Kind doch über all das gewesen sein musste und dass es wohl zurückkommen würde, um die Sachen abzuholen. Der Fremde würde dann wahrscheinlich aufblicken
und die rote Farbe bemerken, die hier und da auf dem Boden schimmerte und eine willkommene Abwechslung zum ewigen grau/braun darstellte. Irgendwann würde der Besucher durch die Häuser stapfen und sich ansehen, was die Leute wohl in ihrer Unordnung vergessen hatten. Er würde in einem Haus unter einem Stein ein altes Medaillon finden, das wohl vor ewigen Zeiten von einem jungen Mann gebastelt worden war, vielleicht war es ein Familienerbstück gewesen. Der Fremde würde das Medaillon einstecken und sich vornehmen, es seiner Freundin eines Tages um den Hals zu hängen. Irgendwann würde der Beobachter sich
entscheiden, dieses Paradies zu verlassen und zurück in seine trostlose Stadt zu fahren, in der er in einem heruntergekommenen Gebäude wohnte, welches in den nächsten Jahren wohl renoviert werden sollte. Er hasste es, dort zu wohnen, jedoch konnte er sich nichts Besseres leisten. Es regte ihn auf, dass jede Nacht eines der Kinder in der Wohnung gegenüber zu schreien begann. Er wusste nicht, dass es immer wieder vom Tag seiner Einschulung träumen musste...