In der Wärme des Tages
Mit Vorfreude auf einen vergnügten Nachmittag mit meiner Freundin stieg ich aus dem Bus. Ich ging bis zur Ampel, um auf die gegenüberliegende Straßenseite zu kommen, als mir eine ungefähr 80jährige Frau auffiel, die Fell-Hausschuhe trug und hilflos auf mich wirkte.
"Suchen Sie jemanden? Kann ich vielleicht helfen?", sprach ich sie an.
"Ich wollte jemanden besuchen, aber jetzt habe ich mich wohl verlaufen". - "Ach, lachte ich, "ohne Navigationsgerät wüsste ich schon drei Straßen weiter nicht mehr, wie
ich ans Ziel kommen soll. Bisschen übertrieben jetzt, aber so ungefähr ist es", fügte ich schmunzelnd hinzu.
"Wo wohnen Sie denn?", fragte ich interessiert. - "Das will mir jetzt gerade nicht einfallen". "Fällt Ihnen Ihr Name vielleicht gerade ein?" Hilflos sah sie mich an.
"Die Polizei findet im Computer alles. Auch Ihre Anschrift. Soll ich da mal anrufen?"
"Das wäre vielleicht gut. Ich kann mich nicht an meine Wohnung erinnern". -
"Die Polizei findet ihre Wohnung, keine Sorge". Ich rief über Handy die Polizei an
und schilderte die Situation. "Ein Streifenwagen kommt gleich. Lassen Sie die Frau nicht allein".
"Die Polizei ist gleich hier". Wir unterhielten uns noch über die Jahreszeiten, wie schön der Sommer gerade ist. "Ja, so schön warm.". Sie erzählte, dass sie immer sehr viel gearbeitet hat und der Garten so viel Arbeit macht..
Als der Polizeiwagen nach 10 Minuten eintraf und eine Polizistin sich rührend um die Frau kümmerte, verabschiedete ich mich und ging gedankenvoll zu meiner Freundin.
Ich dachte an meinen Onkel, der Demenz hat
und zu meiner lieben Tante Gertrud immer sagte: "Du bist mein Kopf".
Tante Gertrud kümmerte sich liebevoll, so lange es zu Hause ging. "Wo habe ich denn meine Socken hingelegt?" - Ach Eugen, die hast du in die untere Schublade gelegt im Schlafzimmerschrank". Sie musste immer aufpassen. Er räumte so gern auf. Wusste nur leider nie wohin er sie Sachen dann legte.
Mein Onkel war Abteilungsleiter gewesen. An einem Nachmittag setzte sich mein Onkel seine Lieblingsmütze auf und zog seine Jacke an. Als er sich die Einkaufstasche griff und die Haustür öffnete, fragte meine
Tante: "Wo musst du denn noch hin Eugen? Du hast dich so schön angezogen"
"Na, zur Arbeit, wie immer". -
"Du hast doch heute schon so viel gearbeitet. Aber hier hast du ja noch die Akte, die du dir ansehen wolltest.
Meine Tante reichte ihm die Fernsehzeitung, "Ach ja, dann werde ich mich noch darum kümmmern".
"Das ist gut Schatz".
Kurz danach musste er in ein Heim. Er hat Glück. Dort wird er ernst genommen. Die
Pflegekräfte haben Kompetenz. Ich besuchte mit meiner Tante ein Seminar. Wir beide können jetzt mit Demenz umgehen und sehen diese Krankheit seitdem anders.
Demente möchten einfach nur ernst genommen werden. Achtung, Respekt - so einfach ist das eigentlich - theoretisch. Die praktische Umsetzung ist nur leider nicht so leicht. Wir sind halt individuell.