Kapitel 3
Ohne Vorwarnung streckte Salivan die Hände aus und murmelte einige schnelle Worte. Sogleich erhoben sich die unruhigen Schatten vom Boden, huschten blitzschnell an den Hauswänden entlang und türmten sich hinter dem Dämon zu einer schwarzen Mauer auf, durch die es kein Hindurchkommen gab.
Alarmiert fuhr der Dämon herum und kurz meinte Salivan sogar Furcht in dessen dunklen Augen aufflackern zu sehen, doch er ignorierte diesen womöglich trügerischen Eindruck.
Mit einer weiteren Handbewegung
dirigierte er die Mauer weiter, bis sie sich wie eine Kuppel über ihre Köpfe gewölbt hatte und sie endgültig von der Außenwelt abschirmte. Kein Mensch dieser Stadt sollte mitbekommen, was hier vor sich ging, geschweigedenn dadurch zu Schaden kommen. Dies war allein seine Verantwortung.
Nun erst schien auch der Dämon nicht länger tatenlos zuzusehen, wie der Magier sein Gefängnis aus pechschwarzem Marmor vervollständigte. Mit konzentrierter Miene riss er nur einen Arm in die Luft und Salivan spürte bereits im selben Moment, wie mit einem Mal eine ungeheure Last auf ihn drückte. Ein
flüchtiger Blick nach oben ließ ihn sehen, wie die finstere Kuppel anfing zu beben und dann in sich kollabierte. Gerade noch rechtzeitig packte er seinen Stab und raunte einen unverständlichen Vers, ehe das starre Gebilde auf ihn niederstürzte. Doch er war dennoch zu langsam.
Ehe er ausgesprochen hatte, prasselten die ersten Bruchstücke herab und verloren in dem Augenblick ihre feste Form, in dem sie den Boden berührten. Innerhalb eines Wimpernschlags war die gesamte Sackgasse in eine einzige, dichte Wolke aus umherwabernden Schatten gehüllt. Nur langsam lichteten sie sich und gaben den Blick auf den
Magier frei, der sich einige Meter von seinem ursprünglichen Standort entfernt, von einem Hustenreiz geschüttelt an seinen Stab klammerte. Er hatte nur mit Mühe verhindern können, von den Trümmern getroffen zu werden, doch die körperliche Anstrengung war enorm gewesen.
Sein hohes Alter machte ihn trotz seiner unvergleichlichen Fähigkeiten langsam. Zu langsam für ein Wesen, welches Magie wirken konnte, ohne Verse sprechen zu müssen. Noch ein Punkt auf jener langen Liste, warum Dämonen so gefährlich waren.
Er musste diesen Kampf schneller zu Ende bringen, als er vermutet hatte, ehe
ihn seine deutlich begrenzten Kräfte verließen. Es blieb keine Zeit, Rücksicht auf seine Umgebung zu nehmen.
Er holte mit rasselndem Atem Luft, während er seinen Stab umherschwang und die restlichen, verblassenden Schatten aufwirbelte, um seine Lippenbewegungen noch einen Moment länger vor dem Dämon zu verbergen. Doch dieser schien zu ahnen, dass Salivan zu einem erneuten Vers angesetzt hatte und kam nun bedrohlich schnell auf ihn zu. Ein heftiger Windzug begleitete seine Schritte und fegte auch die letzten, dunklen Wolken fort. Doch davon ließ sich der Magier nicht beirren. Das letzte Wort seines Verses
ging in dem Knallen seines Stabes unter, den er kräftig auf die Erde stieß. Helle Funken stoben aus der Stelle, an der er auf dem staubigen Boden aufschlug und erloschen sogleich darauf, als sei der Zauber fehlgeschlagen. Doch das war er nicht.
Der Boden vor seinen Füßen begann mit einem Mal zu dampfen und der Dämon stoppte abrupt ab, als ihm ein starker, verbrannter Geruch entgegenschlug. Mit jeder Sekunde wurde es um sie herum wärmer, bis dem Magier bereits der Schweiß an den hochgezogenen Mundwinkeln glänzte.
Der Dämon wandte sich hektisch um und sah denselben Effekt an den Überresten
der dunklen, kollabierten Mauer, die ihm noch immer den Weg zurück versperrte. Der aufsteigenden Dampf färbte sich mehr und mehr hellrot, als nun einige Stellen des Bodens und selbst einzelne Steine an den Hausmauern zu glühen begannen.
Der Magier hatte ein Feuer beschworen, um ihn mit seiner menschlichen Hülle zu verbrennen! Und zwar bis er ihm seinen Namen freiwillig gab, damit er ihn von den unsäglichen Qualen erlöste.
Er hatte schon immer gewusst, dass allen Menschen das Potential zu herrlicher Grausamkeit innewohnte. Es war nur seine aktuelle Lage, die verhinderte, dass ihn das maßgeblich
faszinierte.
Er warf dem Magier einen verachtenden Blick zu und legte seine Hände für einen kurzen Moment auf seine Augen. Als er sie wieder senkte, lag ein tiefroter Schleier auf seinen Lidern. Die Iris seiner Augen verfärbte sich rasend schnell in ein tiefes Schwarz. Dieselbe, alles verschlingende Finsternis wie die des Ascalon Steins an Salivans Finger. Als er die Lider niederschlug, quollen dunkle Tränen unter seinen Wimpern hervor und spalteten sich wieder und wieder auf, anstatt dem Gesetz der Schwerkraft zu folgen.
Mit Schrecken bemerkte Salivan diese Veränderung im Gesicht des Dämons und
beobachtete einen Moment lang hypnotisiert, wie sich die schwarzen Linien immer weiter verschachtelten. Wie feine Risse fraßen sie sich mosaikartig durch seine helle Haut und breiteten sich langsam auch über seinen Hals aus, bis sie sich unter den farbenfrohen Stoffen einer Kleidung verloren. Er gab seine Gestalt auf!
„Nein“, raunte Salivan donnernd und strengte sich mehr an, um die Wirkung des Zaubers zu beschleunigen. Schon stoben die ersten, kniehohen Flammen aus dem von Glut zerfressenen Boden empor und die sengende Hitze trieb ihm den Schweiß aus allen Poren. Der Zauber verhinderte zwar, dass ihn die
Flammen verletzten, doch das flackernde Feuer blendete ihn stark und der beißende Rauch brannte in seinen Augen, sodass die zurückweichende Gestalt des Dämons nach und nach vor ihm verschwamm. Ein weiterer Hustenreiz überkam ihn und ein stechender Schmerz breitete sich infolge dessen in seiner Brust aus. Er kämpfte damit, den Zauber aufrechtzuerhalten, bis er die ersten, qualvollen Schreie des Dämons hören konnte, doch bald waren es seine eigenen, schmerzerfüllten Laute, die das Knistern des Feuer übertönten.
Verwirrt riss der Dämon seinen Blick von den Flammen los, die abrupt an
Intensität verloren, als der alte Magier erstickt zu keuchen begann. Langsam senkte er die Arme, die er kurz zuvor erhoben hatte, um die Flammen mit einem eigenen Fluch zurückzudrängen. Doch diese erstarben nun beinahe von alleine und verrauchten wie Kerzen im Wind, ohne dass er überhaupt etwas tat.
Mit einem lauten Röcheln knickten die Beine des Magiers ein und er fiel zuckend und sich vor Schmerz krümmend auf den staubigen, rußbedeckten Boden.
Was geschah plötzlich?
Mit fragender Miene blieb der Dämon an Ort und Stelle stehen und sah nur ungläubig zu, wie der Großmeister
hilflos an seinen Gewändern zerrte und die Hände verkrampfte auf seinen Brustkorb presste. Klappernd fiel sein Holzstab zu Boden und die dunkle Wand hinter ihnen löste sich daraufhin jäh in Rauch auf, der still gen Nachthimmel stieg und spurlos verschwand, als wäre nie etwas dort gewesen.
Und plötzlich war alles vorbei.
Die stöhnenden Geräusche des Magiers verstummten und eine gespenstische Stille legte sich nun über die Sackgasse, in der nur noch einige dampfende Stellen daran erinnerten, dass erst vor wenigen Augenblicken ein magisches Feuer auf dem Vormarsch gewesen war.
Einen Augenblick nahm er sich Zeit und
fügte die Risse in seiner Haut wieder gewissenhaft zusammen, ehe er sich leise räusperte und vorsichtig ein Paar Schritte auf den reglosen Körper des Großmeisters zu ging. In einigem Sicherheitsabstand bückte er sich zu ihm herab und begutachtete unsicher das aschfahle, in Qual erstarrte Gesicht des Magiers.
Er war tot.
Mit betretener Miene richtete er sich wieder auf und sah sich mehrmals ziellos um, bevor er den Blick wieder in großer Ratlosigkeit auf den Leichnam des Großmeisters richtete.
Was – bei allen Pforten der Hölle – wollte ihm das Schicksal damit
sagen?