Einleitung
Diese Geschichte entstand im Rahmen eines Themas: „Die Geister, die in mir wohnen“
Beim Betrachten eines Videos der FATTORIA LA VIALLA, bei der Szene mit der Ernte von Basilikum, in einer nicht gerade bequemen Haltung, quellen Erinnerungen eigener Lebensabschnitte hoch. So ist es nun mal, wenn man mit etwas in gewisser Weise konfrontiert wird, dass man sich oftmals davon inspiriert fühlt, wenn es ähnlicher Art ist.
Vielleicht sieht man sich selbst dort stehen, vielleicht aber auch nicht …
Träge Synapsen im Gehirn beginnen hektisch zu schwingen und Bilder aus vergangenen Zeiten, direkt aus dem Hinterstübchen, formen sich zu einem Wechselbad der Gefühle, auch „Film“ genannt …
Es war im Zeitraum 1993 – 1994. Irgendwie ohne Job, warum – hab ich vergessen (hey, das liegt gefühlte 100 Jahre zurück – da kann man sich nicht mehr an alles erinnern), bewarb ich mich mit zwei anderen Kumpels beim Gemüsebau von Lutz Gericke in Berlin-Rudow. Warum ausgerechnet dort, weiß ich auch nicht mehr. Einer der Kumpels hieß Hempel. Genauso ein Hempel wie er im Sprichwort vorkommt. Bei DEM Hempel lag allerdings nicht nur Müll unter dem Bett, sondern vor allem haufenweise Glaszeugs und Metall - mit anderen Worten Getränkebüchsen und Bierflaschen.
Und nicht nur unterm Bett – nein – im ganzen Zimmer.
Ich bewohnte damals ein Zimmer im Ledigenwohnheim, derer es einige gab, mit Gemeinschaftsdusche und Gemeinschaftsküche. Nummer 16, um präziser zu sein. Hempels Nummer weiß ich nicht mehr. Ich weiß aber noch, dass man sich gegen seine Tür stemmen musste, wenn man rein wollte – soooo viel Kram lag da vor und unterm Bett herum. Ob der Spruch „Wie bei Hempels unterm Bett“ nun etwas mit eben diesem Hempel zu tun hat, kann ich nicht sagen – wäre aber durchaus möglich und – in seinem Fall – sogar zu 100% wahrscheinlich.
Nun, wie auch immer – Der Hempel, ich und der Dritte (den Namen weiß ich nicht mehr. Armstrong kennt ja auch jeder, aber nicht den Namen dessen, der nach ihm den Mond betrat) bekamen Gummihosen und Gummijacken, jeweils ein Messer, haufenweise kleine Gummis und ein Plastikkörbchen zum Reintun für den Krempel. Und schon ging es los. Petersilie schneiden!
Nun ist es nicht so einfach wie im eigenen Garten, womöglich Blatt für Blatt mit der Nagelschere, oder nur Zupfen.
Nein, hier werden Nägel mit Köpfen gemacht, oder besser gesagt: ganze Sträuße. Und nicht einfach nur mal hier – mal da – nein, in einer Reihe, kniend und im Akkord. Hier liefen die Zeiger rückwärts und nur dem ward die Gunst der Stunde hold, der mitzog, bei gleich bleibender Qualität wohlgemerkt!
Die Petersilie stand in mehreren geraden Reihen auf dem Feld und wurde, wenn sie eine gewisse Größe erreicht hatte, geschnitten. Dazu kniete man sich etwas seitlich davon hin, umfasste ein Bund mit seiner linken Hand und schnitt es mit dem scharfen Messerchen etwa 3 Zentimeter über dem Boden ab. Nun das Bund etwas schütteln, damit die gelben Zweiglein
herausfielen, vielleicht noch hier und da etwas rauszupfen – und fertig. Gummiband rum, Bund auf die linke Seite gelegt. Nächstes Bund.
Nun war das eine kniende Arbeit, also, man kniete sich im wahrsten Sinne des Wortes in die Arbeit. Wer schon mal mit nackten Knien auf Stoppeln kniete, weiß in etwa, wie hart solche Stängel sein können, selbst wenn sie frisch sind. Zumal die Erde ja auch nicht gerade weich drumherum ist. Es ist also, als würde man auf einen unregelmäßig harten Beton knien, der mit lauter Nägeln beschlagen ist, die nicht völlig im Boden eingehämmert wurden. Den ganzen Tag lang. Nun ja – nicht den ganzen Tag, aber eben so
lange, wie die Phase des Schnittes dauerte. Denn es wurde ja nicht nur Petersilie geschnitten.
Die Gummihosen sollten übrigens vor Nässe schützen, wobei die Knie irgendwie immer zuerst kaputtgingen. Und geschnitten wurde bei Wind und Wetter. Eigentlich am besten bei Bewölkung, weil man bei sonniger Hitzebeschallung in seinem Gummistrampler keine Dusche mehr brauchte – man schleppte das Wasser quasi mit sich herum – mit der Zeit.
Nun waren nicht nur wir drei Neulinge beschäftigt, mehr oder weniger gut Petersilie zu schneiden, sondern auch noch ein überaus sympathischer Junge und eine ältere
polnische Frau, mit der man sich leidlich gut unterhalten konnte. Der Junge arbeitete nachts als Türsteher und verdiente damit eigentlich sein Geld. Die Arbeit auf dem Feld – so erfuhr ich später – sei eigentlich nur ein Ausgleich zu seinem Job. Schlafen täte er 4 Stunden, das genüge ihm. Nun ja – jedem wie er es braucht. Jedenfalls konnte ich mich mit ihm immer gut unterhalten. Anfangs – denn bei seinem Tempo entschwand er bald meinen Sprechblasen und ich hätte schreien müssen, um den Konversationsfluss nicht unterbrechen zu lassen. Ich brauchte meine Kraft aber für die Schneiderei des Grünzeugs. Und die Knie taten weh …
Der Dritte im Bunde verschwand schon nach der Frühstückspause. Hempel und ich blieben noch. Der Chef kannte das Spiel schon. Es würde sich immer, bei mehreren Bewerbungen, die Anwärterschaft reduzieren. Ob am Ende jemand übrigblieb, blieb fraglich. Aber noch hielten wir durch. Nun ging es in den Spinat. Gleiches Spiel, gleiche Regeln. Nur mit den Änderungen, dass man den Spinat schnitt, die gelben Blätter rauszog, und anschließend mit den Halmen nach unten in eine Holzkiste packte, die man zusätzlich hinter sich herschleppte. Wenn die Kiste geschätzte 11 Kilo wog, durfte man, sich aufatmend streckend, aufstehen und sie zur Ladebordwand des parkenden altertümlich wirkenden Traktors
tragen. Danach eine neue Kiste nehmen, diese zum Punkt der Schnippelei tragen und weitermachen. Natürlich auch im Knien.
Rücksichtnahme auf eventuelle Schneckilein und turtelnde Ameisenbräute gab es nicht, zumal man sie in dem Blattgetümmel eh nicht sah. Und wenn doch, war es eh zu spät. Ach – ehe ich es vergesse – zum Glück trug man bei jeglicher Arbeit mit dem Messer Gummihandschuhe. So fühlte man erst gar nicht, ob da was Ekliges an den Halmen klebte.
Zupacken, schneiden, schütteln, reinpacken … Etwas vorrutschen.
Zupacken, schneiden, schütteln, reinpacken
… Etwas vorrutschen.
Zupacken, schneiden, schütteln, reinpacken …
Zupacken, schneiden, schütteln, reinpacken … Etwas vorrutschen.
Zupacken, schütteln, Kurz innehalten, über Knieschmerzen und Rückenbeschwerden klagen, dem Kumpel bestätigend zunicken, seufzen, reinpacken … 11 Kilo … Hui ...
Nächste Kiste holen, hinknien … das Tempo der schon länger Beschäftigten bewundern, seufzen …
Zupacken, schneiden, schütteln, reinpacken …
So ging es die ganze Zeit.
Gemein an der Sache war, dass der Türsteherjunge noch ein Kofferradio mit sich schleppte, das er wie die Kiste hinter sich herzog, sodass die Musik stetig leiser wurde und irgendwann wieder lauter, weil er uns Anfänger in der Reihe wieder einholte. Das war echt nervig! Aber auch interessant. Und vielleicht ein kleiner Anreiz für uns, schneller zu werden, damit die Lautstärke nicht stetig ab- bzw. zunahm. Also, damit sie gleichbliebe. Interessanterweise war mein Arbeitstempo im Laufe des ersten Tages so, dass ich irgendwie bald alleine schnitt.
Schneller als das Hempelchen, aber langsamer als die polnische Frau, geschweige denn vom Türsteherjunge, der schon wieder eine neue Bahn anfing und mit steigerndem Musikpegel an uns allen vorbeizog.
Irgendwann ist jeder Arbeitstag vorbei. Am späten Nachmittag zogen wir unsere Gummiklamotten aus – ein Grund mehr, kein Gummifetischist zu werden – und streckten unsere steifen Knie.
Der Tagesablauf war natürlich nicht ganz exakt so wie beschrieben. Zuerst wurde Spinat geschnitten, dann nachgewogen, gewaschen und gepackt. Eine willkommen feuchte Abwechslung in Gummiklamotten. Nach dem Frühstück ging es in die Petersilie. Danach auch diese waschen und einkisten. Das Grünzeug ging stets in den Kühlraum. Darum kümmerte sich der Chef, der beim Waschvorgang auch oft mithalf.
Anschließend war Mittag. Dann ging es in den Kräutergarten, irgendwelche exotischen oder heimischen Kräuter zu schneiden.
Es gab da so einen komischen Kohl, Blattkohl, um genauer zu sein, den die Türken immer wollten. In der Linie versagte ich im Tempo gänzlich, wohl auch, weil die Blätter nicht in einer Linie hingen wie der Spinat wuchs und sie mal kleiner und mal größer waren als die Petersilie, die immer schön regelmäßig wuchs.
Die Tätigkeiten änderten sich mit den Jahreszeiten etwas - aber solange Spinat wuchs, war dies die erste Tätigkeit, mit der angefangen wurde, damit die Knie nämlich erstmal schön durchweichten, um danach auf hartem, aufrechtstehenden Petersilienstroh gequält zu werden.
Jedenfalls wurden wir beide, also Hempel und ich, gefragt, ob wir bleiben wollen. Hempel verneinte kategorisch. Ihn zog es zu seinem Müll unter und neben seinem Bett. Zumal man sich da nicht so bewegen muss.
Ich … ja ich … kam da nicht so sicher mit dem N…ein herüber – der Chef schien es zu merken und bekräftigte ein JAAA, dazubleiben.
Nun ja, was soll ich sagen – ich blieb.
Und es war trotz aller Schwere der Arbeit eine schöne Zeit. Ach ja, ehe ich es vergesse – ich steigerte natürlich noch mein Tempo.
Mit gleich bleibender Qualität der Tätigkeit natürlich. Es nützt ja keinem was, wenn die Bunde immer kleiner werden, damit ich die Muße habe, auf gleichem Level mit dem Barsteherjungen zu liegen, damit ich mich mit ihm unterhalten UND die Musik in gleichbleibender Lautstärke hören konnte.
Es gäbe noch so viel zu erzählen. Wie ich die Hecke auf einer Leiter stehend schnitt, weil ich zu klein war. Oder die Hecke zu groß. Von der Heuernte. Den Späßen mit dem Sohn vom Chef. Den Gesprächen mit der polnischen Erntehelferin, die jedes Jahr kam. Die lauter und leiser werdende Musik. Doch eines war sicher – mit der Zeit des Jahres bekamen meine Knie eine dicke Hornhaut,
sodass ich selbst mit nackten Knien auf Nägel, deren Köpfe nach oben guckten, hätte knien können. Hätte …
Man muss aber nicht alles ausprobieren …
Jedenfalls erschienen mir genau diese Bilder, als ich den Film sah, wie die Leute dort stehend und zu einem krummen Bogen gebückt den Basilikum schnitten.
Einen Vorteil werden sie in der Toskana sicherlich haben:
Sie müssen keine Gummihosen tragen!