Irgendwie nimmt der Alltag wieder seine gewohnte Gestalt an. Und trotzdem. Die vergangenen Tage haben mich entscheidend geprägt. Seit gestern bin ich wieder zu Hause, es ist alles wieder gut, ich habe im Prinzip überhaupt keine Schäden davongetragen. Das Dramatischste sind wohl die Narben an meinem Hals, helle Punkte, die sich ein wenig von der übrigen Haut abheben. Doch das ist nicht weiter tragisch. Ich bin gut weggekommen, wirklich. Ich bin heilfroh, dass alles in Ordnung ist, keine bleibenden Nachwirkungen, sogar
mein Gehirn ist unversehrt geblieben. Der Doktor hat gesagt, ein entscheidender Faktor sei, dass ich die meiste Zeit über gelegen habe. Und trotzdem. Heute Morgen, als ich aufgewacht bin, hatte ich zuvor einen finsteren Traum, der mich bis in die Realität verfolgt hat. Die Panik, die mich so fest umklammerte, dass ich kaum Luft bekam, hat mich, kaum dass ich wach war, zur Flucht getrieben und infolgedessen bin ich erstmal aus dem Bett gefallen, die Beine in meiner Decke verheddert, ich war vollkommen verstört und wenn ich daran zurückdenke, erkenne ich mich selbst nicht wieder.
Ich habe mich verändert. Diese schwarze Gestalt mit ihren großen, gefiederten Flügeln, die den Hauch des Todes verbreiten, dieser faulige Atem, ich kann ihn noch immer riechen. Immer und immer wieder fühle ich diese ekelhaften Finger in meinem Gesicht, die eiskalten Fangzähne, die sich langsam in mein Fleisch bohren. Allein der Gedanke schüttelt mich. David, der in unserem Doppelstockbett oben schläft, meinte heute morgen, als ich aus dem Bett gefallen bin, das würde vorbeigehen. Ich hätte sicherlich ein Trauma erlitten, und etwas Ähnliches haben Léo, mein Vater und Dr. Martin
mir auch gesagt. Ich will es gerne glauben, dass es wieder aufhört, doch das kann ich nicht. Die Bilder sind zu lebendig, die Erlebnisse waren zu einschneidend, denke ich. Ich glaube nicht, dass ich sie jemals wieder vergessen kann. Ich war dem Tod so nahe und das Leben erscheint mir so zerbrechlich … so sehr, dass ich es kaum noch einfach so … leben möchte. Ich fürchte mich zu jedem Tageszeitpunkt, auch in unserer Wohnung. Eine irrationale Angst, die sich auch mit einfachstem logischen Denken nicht vertreiben lässt. Vor den Bestien habe ich mehr Angst als jemals
zuvor. Ich traue mich eigentlich nicht mehr, nach draußen zu gehen, aber ich muss ja. Es ist keine Lösung, sich zu verkriechen, nicht mal für mich. Ich gehe jetzt wieder zum Krankenhaus, das ist meine Pflicht, vor allem jetzt, da ich weiß, was es heißt, auf die Hilfe von Ärzten und generell anderen Menschen angewiesen zu sein, nachdem man von einer Bestie angefallen wurde und verwirrt und hilflos ist. Es ist keine bewusste Angst, die von mir Besitz ergriffen hat. Vielmehr verfolgen mich die Eindrücke der letzten Tage so sehr, dass ich nicht einmal mehr darüber nachdenken kann. Sie ist einfach da, die Panik, ohne dass ich sie kommen sehe. In
jedem Schatten sehe ich jetzt dunkle Flügel, ständig kann ich dieses Keckern hören, dieses Zischen, ich spüre manchmal noch einen eiskalten Atem in meinem Nacken, die Narben an meinem Hals schmerzen. Dann fahre ich keuchend herum und stelle fest, dass ich ganz allein bin. Es ist, als hätten die Bleigewichte, die mich in Richtung Abgrund ziehen, zugenommen. Sie sind so schwer, dass ich kaum atmen kann. Jeder Schritt fällt mir schwer. Aber es gibt Menschen, die mich nach wie vor festhalten. Vater. Léo. David. Es ist acht Uhr, in einer halben Stunde fährt meine U-Bahn, und dann wird sich
auch der Rest meiner Familie auf den Weg machen. Und meine Angst wird bei diesem Gedanken nicht geringer. In diesem Fall geht es nicht um mich, sondern um die Menschen, die mir wichtig sind. Ich habe Angst, dass ihnen etwas zustoßen könnte, dass ihnen dasselbe widerfahren könnte wie mir. Sie könnten ein schlimmeres Ende nehmen als ich. Im Augenblick sitzen wir noch am Frühstückstisch, mein Vater gießt mir gerade Kaffee nach. Ich trinke viel davon in letzter Zeit und weiß nicht einmal, warum. Ich weiß, ich strapaziere die begrenzten Vorräte gewaltig. Aber irgendwie brauche ich die Bitterkeit auf
meiner Zunge, das heiße Getränk vertreibt die Kälte aus meinen Knochen. „Hey, Louis“, sagt David da. „Sag mal, schläfst du noch?“ Ich sehe auf, bin für einen winzigen Augenblick verwirrt, doch dann fange ich mich wieder. „Nee“, erwidere ich einfach und setze die Kaffeetasse an meine Lippen, ich spüre den Dampf, der mein Gesicht streift, ich rieche das starke Aroma. Wir müssen ziemlich viel Kaffeepulver für vergleichsweise wenig Wasser aufwenden, weil das Zeug schon so alt ist und das Aroma demnach immer weiter verblasst. Bald, in recht naher Zukunft, wird es gar keinen Kaffee mehr
geben. Ich habe keinen Schimmer, ob Kaffeepulver schlechtwerden kann, aber wir verbrauchen, was immer da ist. Manchmal gibt es neue Lieferungen, neue Importe, aber die Wirtschaft hat stark gelitten im letzten Jahr. Und Kaffee ist kein zwingend notwendiges Lebensmittel. Viel wichtiger sind Getreide und Gemüse, das hier in Frankreich gar nicht für alle Menschen zur Genüge angebaut werden kann. Unser übriger Speiseplan stellt sich aus Konserven zusammen. Und auch eingemachtes Obst hält sich lange, ein Lichtblick, denn Zucker hellt ja bekanntermaßen die Gemüter auf, und etwas Besseres könnte es für uns gar
nicht geben. Auf unserem Frühstückstisch steht noch immer die selbstgemachte Marmelade meiner Großmutter, obwohl sie schon seit anderthalb Jahren tot ist. Sie hat den Anfang vom Ende der Welt gar nicht mehr miterlebt, und trotzdem hatte sie in ihrem Keller Vorräte wie für eine Apokalypse. Als ob sie es geahnt hätte. „Was war das vorhin eigentlich für ein Krach?“, will Léo gerade wissen und rührt mit einem Löffel in seinem Kaffee, obwohl er ihn genauso schwarz trinkt wie ich. „Louis ist aus dem Bett gefallen“, erklärt David sofort.
Ich sage nichts, sehe meinem besten Freund nur gedankenverloren dabei zu, wie er sein Brot mit Erdbeermarmelade bestreicht, so dick, dass es fast mehr Marmelade ist als Brot. Irgendwie … benimmt er sich immer noch wie ein Kind. Sein breites Grinsen, sein Lachen, seine Art zu reden, unbedarft und auch ein wenig unüberlegt. Er redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Wie ein zehnjähriger Schuljunge. Irgendwie … beneide ich ihn. David ist, so lange ich denken kann, in meiner Schulklasse gewesen, immer schon, zehn Jahre lang. Er war auch bei
mir, als die Bestien uns das erste Mal mitten auf der Straße aus dem Nichts heraus attackierten, an jenem verhängnisvollen Maimorgen. Seine Eltern sind an diesem Tag ums Leben gekommen und als wir nach Paris gebracht wurden, erklärte mein Vater sich bereit, ihn wie einen dritten Sohn bei uns wohnen zu lassen. Glücklicherweise war das alles nicht nur dumme Bürokratie, bei der aufgrund irgendwelcher schwachsinnigen Maßnahmen Familien auseinandergerissen und Freunde getrennt werden. Nein, als die Frage im Raum stand, wer denn einen sechszehnjährigen verwaisten Jungen in
seine Notunterkunft aufnehmen würde, war es kein Problem, zu sagen, dass wir gut mit ihm auskommen würden und dass wir David schon lange kannten. Doch wenn ich an diesen Tag, an dem wir auf die Wohnungen aufgeteilt worden sind, zurückdenke, denke ich auch an Leane, die noch einsamer war als mein bester Freund, und ich frage mich, ob es wohl anders gekommen wäre, wenn es in diesen Tagen einen Freund oder irgendeinen anderen liebevollen Menschen gegeben hätte, der sich ihrer annimmt … Doch vier Personen in einer gewöhnlichen Wohnung waren das Maximum, ausgenommen Familien mit
beiden Elternteilen und mehr als zwei Kindern, für die gab es auch minimal größere Wohnungen mit mehr Betten und natürlich mehr Platz. Und außerdem hatte ich in diesem Moment, ganz ehrlich gesagt, nicht an das unscheinbare blonde Mädchen gedacht … Nun jedenfalls sind wir eine reine Männer-WG und eigentlich bin ich glücklich damit. Ich kann mich nicht beschweren. David war für mich schon immer ein guter Freund und jetzt ist er eigentlich schon so etwas wie ein zweiter Bruder. Auch Léo und mein Vater kommen gut mit ihm aus. Wir verbringen ja auch nicht besonders viel
Zeit miteinander, nur morgens sehen wir uns zum Frühstück und abends schlagen wir irgendwie die Zeit tot. „Hattest du einen Albtraum?“, fragt Léo mich und ich sehe überrascht auf. „Äh … was?“, frage ich, obwohl ich Léo eigentlich verstanden habe. „Ob du einen Albtraum hattest“, wiederholt mein großer Bruder geduldig. Ich zögere. „Ja … so ähnlich“, sage ich. Eigentlich erinnere ich mich gar nicht mehr daran. Die Traumbilder sind schon lange verblichen und solange ich mit meiner Familie zusammen bin, habe ich auch keine Angst. Der Traum ist schon längst wieder unwichtig geworden. „Geht es dir auch wirklich gut, Louis?“,
fragt nun mein Vater und stellt seine Tasse ab. „Du bist schon seit Tagen so blass und du sprichst noch weniger als sonst.“ Ich zucke unbeteiligt die Achseln. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Die Sorge meines Vaters und meines Bruders ist schön und belastend zugleich. Ich weiß doch selbst nicht, was los ist. Es ist alles so merkwürdig, ich fühle mich … wie paralysiert. Geht es mir schlecht? Nein … irgendwie ja nicht. Ich lebe noch und ich habe meine Familie, eigentlich habe ich sogar alles, was ich im Leben brauche. Geht es mir gut? Irgendwie auch nicht. Ich fühle mich merkwürdig, ich kann es
nicht beschreiben und noch viel weniger kann ich offen darüber reden. Die Melancholie, die mich mit dem Auftauchen der Bestien vereinnahmt und innerlich gelähmt hat, ist noch viel stärker geworden, sie beherrscht nun mein ganzes Denken, mein Handeln. Ich merke doch selbst, dass ich mich bewege wie eine Maschine, abgehackt und freudlos. Ich spreche nicht mit anderen, weil mein Kopf so leer ist. Ich denke träge an diese sehr prägenden sechs Tage zurück, die ich mit der Bestie verbracht habe. In dieser furchtbaren Zeit habe ich mich trotz allem lebendiger gefühlt als jetzt. Ich wollte um keinen Preis sterben. Jetzt
lebe ich und fühle gar nichts. Es macht mich verrückt. Aber ich kann es nicht ändern. „Wenn es dir schlecht geht, solltest du vielleicht einfach bei diesem Arzt anrufen und ihm sagen, dass du heute nicht kommen kannst“, schlägt David nun zwischen zwei Bissen vor. Ich schüttle müde den Kopf. „Nein … ich kann nicht einfach zu Hause bleiben, nur weil …“ Ich stocke. Ja, weil was? Wie kann man das beschreiben? Weil ich mich ausgebrannt fühle? Antriebslos? Weil ich keinen Bock mehr habe? Plötzlich spüre ich Léos Hand auf meiner Schulter und obwohl ich weiß, dass es nur seine Hand ist, wachsen ihr
in meinen Gedanken von einer Sekunde auf die andere lange schwarze Nägel, die nach Leichen stinken, und ich fahre erschrocken herum. Sofort weicht Léo zurück. „Louis“, sagt er jedoch mit dem gewohnten Ernst. „Du bist doch überhaupt nicht richtig bei dir. Du solltest dich noch ein bisschen schonen.“ „Ich schone mich“, erkläre ich sofort und mit einem Mal löst sich diese lähmende Müdigkeit von mir. „Ich muss ja keinen so harten Job machen wie ihr …“ „Hier geht es doch gar nicht um körperliche Arbeit“, sagt Léo entschieden. „Du hast sechs Tage lang
die reinste Hölle durchgemacht. Du brauchst Zeit. Nimm sie dir.“ Für einen Moment fehlen mir glatt die Worte. „Dein Bruder hat Recht“, stimmt mein Vater Léo zu. David nickt nur eifrig. „Nein“, sage ich entschieden. „Ich muss im Krankenhaus helfen, da gibt es Leute, denen es viel schlechter geht als mir!“ Ja. Jetzt, wo ich es ausspreche, kommt sogar beinahe meine Motivation zurück und ich fühle mich wieder etwas wacher. Léo seufzt und ich sehe, was ihm auf der Zunge liegt. „Es gibt genug Leute, die deinen Job machen können“, möchte er
gerne sagen und allein das Wissen darum, dass er Recht hätte, lässt mich schlucken. Aber er spricht es nicht aus, weil er mich nicht verletzen will, obwohl es die Wahrheit ist, aber es würde eben auch irgendwie falsch klingen. Es ist ein Teufelskreis, denn so verletzt es mich noch viel mehr. Aber egal, was meine Familie denkt, ich werde mich nicht verkriechen. Zu Hause fühle ich mich genauso unwohl wie irgendwo anders und im Krankenhaus habe ich zumindest etwas zu tun. Ich will nicht allein zu Hause bleiben und vor mich hin starren, bis ich mir das nächste Mal eine Bewegung oder ein
Geräusch einbilde. Und außerdem sitzen immer die Bestien gegenüber von unserem Haus auf dem Dach, wie die Geier. „Es ist alles okay“, verkünde ich entschieden und stehe auf, stelle meine mittlerweile leere Tasse ins Spülbecken. „Wie gesagt, ich habe heute Nacht schlecht geschlafen und bin müde. Das ist alles.“ Ich weiß nicht, ob sie das überzeugt, aber es ist mir auch egal. Ich gehe in das kleine Zimmer, das ich mir mit David teile. Mein Vater und Léo schlafen nebenan. Unsere Zimmer sind jeweils nur so groß, dass die Doppelstockbetten reinpassen und zusätzlich eine kleine Kommode, in der
wir unsere Sachen aufbewahren. Ein Glück, dass wir nicht viel Krempel brauchen. Maximal drei T-Shirts pro Kopf, zwei Jeans. Das war’s. Ich trete ans Fenster, sehe nach draußen. Der Himmel ist grau, einfach nur verschleiert, ohne Wolken. Einfach nur … grau. Trüb, mit einem Hauch weiß und blau vielleicht. Keine Ahnung. Ich sehe nach draußen und sofort fallen mir die Dämonen mit ihren fiesen Fratzen ins Auge, wie sie da drüben hocken, wie die Hühner auf der Stange. Und sie warten einfach. Sie pflegen ihr Gefieder, vielleicht unterhalten sie sich sogar. Ich weiß es nicht. Wenn sie Hunger haben, suchen sie sich einen
wehrlosen Menschen aus und fallen ihn an, saugen ihn aus. Ich wüsste gerne, wo sie herkommen. Und warum sie ausgerechnet jetzt Interesse an uns gefunden haben. Ich will wissen, wer sie sind. Warum sie sind. Eine der dämonischen Kreaturen wendet mir sein hässliches Gesicht zu, das kann ich sogar aus der Entfernung sehen und ich schlucke, aber ich wende mich nicht ab. Ich frage mich, ob wir uns wirklich mit dem Gedanken anfreunden müssen, von nun an für eine fremde, überlegene Spezies nichts weiter als Freiwild zu sein. Kann das funktionieren? Es ist
schwer, zu begreifen, dass wir Menschen von unserem Thron gestoßen wurden. Sie sind schneller, zäher, sie können fliegen und zudem scheinen sie auch noch intelligent zu sein. Sie sind rücksichtslos, ohne Skrupel, brutal und unberechenbar. Ich versteife mich, als sich die Kreatur auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufrichtet und die gefiederten Schwingen hebt, als ob sie gleich losfliegen wollte. Im nächsten Moment springt sie wirklich von der Kante des Hausdaches, verschwindet in der Tiefe, aus meinem Sichtfeld. Ich lehne mich nicht nach vorne, ich schaue ihr nicht hinterher.
Im nächsten Augenblick jedoch bleibt mir fast das Herz stehen. Geschmeidig wie ein Greifvogel landet die Kreatur vor mir, vor der Glasscheibe, auf dem Fenstersims, geht in die Hocke wie ein kleiner Kobold und sieht mich einfach nur an. Ich kann nicht einmal sagen, ob ich Angst habe. Ich kann mich nicht bewegen. Natürlich denke ich als allererstes an den Dämon, der mich sechs Tage lang benutzt und anschließend wie eine leere, zerbeulte Konservendose zurückgelassen hat. Natürlich kommt mir diese Fratze vertraut vor, doch zugleich glaube ich
auch, dass sie alle gleich aussehen. Ich kann mich nicht bewegen. Und dann, plötzlich, geht die Tür auf und kurz darauf höre ich Léos aufgeregte Stimme, sie schmerzt in meinen Ohren. „Louis, geh da weg, um Himmels Willen!“, ruft er, dann legt sich ein Arm um meinen Oberkörper und ich werde vom Fenster weggezogen, ich stolpere und verliere den Halt, reiße meinen großen Bruder mit mir zu Boden. Im nächsten Augenblick weiß ich nicht, was ich tun soll, ich spüre nur diese Hand und ich winde mich eilig aus dem Griff, komme auf Knien auf, mein Atem geht heftig. Eine Welle der Übelkeit durchflutet mich, als die Panik, von der
ich erst jetzt bemerke, dass sie da war, wieder abebbt. Ich keuche und schließlich rollt mir eine Träne über die Wange. Und jetzt erst kommt ein Gedanke in mir auf, der zuvor in meinem gelähmten Denken steckengeblieben ist, der meinen Verstand einfach nicht erreicht hat, obwohl er mir das Leben hätte retten sollen. Aber da war einfach nur Leere in mir. „Da ist nur dünnes Glas zwischen uns.“ Ich hebe den Blick und schaue über meine Schulter, sehe noch immer den dunklen Schatten vor dem Fenster hocken, ein finsteres Grinsen liegt auf den sehnigen Gesichtszügen, dann lässt
die Kreatur sich nach hinten fallen und fliegt davon. Da war nur dünnes Glas zwischen uns. Ich beginne zu zittern und kann nicht einmal sagen, warum. Schwäche überkommt mich. „Hey, Louis“, sagt Léo nun. Er hockt neben mir. Ein Schluchzen entrinnt meiner Kehle und meine Arme zittern mit einem Mal so sehr, dass ich fast vorneüber falle, doch ich schaffe es, mein Gewicht auf meine Beine zu verlagern. „Louis, was sollte das? Diese Bestie hätte dich töten können!“ Léos Worte machen alles nur noch schlimmer, doch schließlich sieht Léo
davon ab, auf mich einzureden und nimmt mich einfach nur in den Arm. Ich klammere mich an meinen großen Bruder und weine noch mehr und allmählich durchdringt mich eine schaurige Gewissheit.
Ich konnte mich nicht von dem Dämon abwenden.