Nummer Eins bis Sechs
Ziemlich ratlos stand ich vor vierzehn Tagen in meinem Garten. Es herbstelte und jeder Winkel machte mir deutlich, dass es viel zu tun gab.
In jedem Jahr zuvor hatten wir die 650 Quadratmeter gemeinsam bewältigt. Die schweren Tätigkeiten wir zusammen, die halbschweren er und die ganze Pusselei ich.
Schwer und Halbschwer gab es nicht mehr, nur noch mich und viel Unerledigtes. Wieder ein Moment, der mich in die Knie zwang. Doch bevor es richtig schlimm wurde, fiel mir ein, dass meine Töchter mir insgesamt sechs Jungs geschenkt hatten. Zwei unüberlegte Telefonate und drei Tage später passierte ES.
Pünktlich um zehn Uhr polterte die Meute hier herein.
Meine Mädels lächelten milde und bedienten zuerst einmal die Kaffeemaschine, um dann von einem sicheren Standpunkt aus das Geschehn zu beobachten. Die Jungs versicherten sich ebenso zuerst, dass das Catering ihren Vorstellungen entspricht und verteilten sich sogleich zügig über der Gartenfläche.
Da ich lange Jahre mit Kinder gearbeitet habe, verliere ich nicht so schnell den Überblick und bewahre normalerweise gut die Ruhe. Dennoch war ich mit dieser Situation ziemlich schnell gefordert. Oder sollte ich zugeben - überfordert?
Der Größte, die Nummer Eins mit zwölf
Jahren, war der Meinung, dass Heckeschneiden überhaupt kein Problem sei, nun selbstverständlich sein Job wäre, bewaffnete sich mit der großen Schere und begann planlos das Heckengewächs zu malträtieren. Binnen weniger Minuten zeigte sie schon merkwürdige Musterkanten, denen ich mich jedoch nicht widmen konnte, da die beiden Neunjährigen den Gartenteich säubern wollten. Einer hatte wohlweislich seine Kleidung entfernt und stand in Unterhose im neun Grad kalten Wasser, während der zweite vom Ufer her Befehle schmetterte. Einige Fische, die sich bereits zum Winterschlaf verzogen hatten, schwirrten wild umher und deuteten den kleinen Eindringlich eindeutig als Feind. Mit einem vorsichtigen Blick auf meine
Hecke, fischte ich Nummer Zwei heraus und erklärte Nummer Drei, dass sich ein Gartenteich nicht zum Säubern der schmutzigen Gummistiefel eignet.
Die Hecke beunruhigte mich zunehmend, Zwei und Drei bekamen schnell unverfängliche Tätigkeiten vermittelt , damit ich Nummer Vier, den Vierjährigen daran hindern konnte, meinen Rhododendron zu köpfen. Interessiert hatte er seinen großen Bruder - Nummer Eins in der Hecke - beobachtet. Da große Brüder immer Vorbilder sind, wusste er genau, was zu tun war. Nachdem ich ihn bremsen konnte, widmete er sich dem großen Laubhaufen, der bereits zusammengeharkt war und verteilte die Blätter - begeistert quietschend - in seinem
Umfeld.
Langsam kam ich ins Schwitzen. Für Beruhigung sorgte keinesfalls die Tatsache, dass die zweijährige Nummer Fünf dabei war, begeistert versunken die Wasserhähne der Regentonne wechselnd zu öffnen und schließen.
Zwei und Drei hatten inzwischen die Biotonnen den Berg meines Hanggrundstücks nach oben gezerrt. Dummerweise machte sich eine davon selbständig und ergoss ihren Inhalt nun leise schmatzend über die Wiese. Nummer Vier pfefferte Begeisterungsrufe zu Nummer Eins, der inzwischen Muster wie die einer Häkeldecke in meine Hecke geschnitten hatte.
Der Inhalt der Biotonne rollte langsam und
bedächtig den Hang hinunter und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann der erste Müll sich in einer weiteren Hecke verfangen würde. Die Regentonne tropfte halbschnell leer und Eins bis Drei fragten stöhnend, wann endlich Pause wäre.
In diesem Moment fiel mir ein, dass Nummer Sechs meinem Blickfeld entschwunden war. Nummer Sechs hatte vor Kurzem seinen ersten Geburtstag gefeiert, war damit nun ebenfalls ein Großer und hatte die Brotzeit vorgezogen. Er saß mitten auf der Terrasse, umgeben von ehemals hellen Fliesen und speiste - nunja - das, was greifbar war. Erwachsene würden Dreck dazu sagen. Jeder der schon einmal Einjährige beim Essen beobachtet hat, weiß, wie schnell sich die
Farbe der Fliesen veränderte.
Um das hier zu verkürzen …
Relativ schnell habe ich meine sechs „Männer“ ihrer Pflicht enthoben. Nach der Pause und der Komplettreinigung von Fünf und Sechs, spielten wir Karten, was wesentlich unspektakulärer verlief.
Um meinen Garten haben sich eine Woche später - ganz ohne Beaufsichtigung - meine Schwiegersöhne gekümmert. (O-Ton: "Wir haben das ja gleich gewusst!")
Bei untergehender Herbstsonne stand ich später draußen. Die Hecke wird wieder zuwachsen, die Fische haben ihre Ruhe schnell wieder gefunden, die Regentonne bleibt bis zum nächsten Jahr leer und die
Fliesen waren geputzt.
Still war es, sehr still. Es roch nach Herbst und wie so oft in den letzten Monaten nach Einsamkeit. Der Garten wurde winterfest gemacht, ohne Schwer und Halbschwer. Träumend hielt ich inne, schaute ins Nichts und das Bild des nächsten Sommers schob sich in meine Gedanken. In diesem Moment konnte ich ihn ganz kurz spüren, den nächsten Frühling, hörte die Jungs Fußball spielen, fühlte Sonne. Ein winziges Lächeln stahl sich in mein Gesicht.
© Memory (2016)