Was bisher geschah ...
1768. Seit zwei Jahren geht in der Grafschaft Werrentheim eine Bestie um, tötet wahllos Menschen. Eine Jagd ist nur zum Schein erfolgreich. Der König beauftragt Erik von Berensiel, dass er dem mörderischen Treiben ein Ende setzt. Der Empfang beim Grafen ist wenig freundlich.Von Doktor Himmelblau bekommt Erik einige Papiere. Es gelingt ihm, den Vater des ersten Opfers zu retten, doch von dem kann er nichts erfahren. Auf einem Ausritt lernt die Tochter des Grafen und dessen Sohn näher kennen, wird mit einer seltsamen alten Frau konfrontiert. Dann kommt ihm eine Erkenntnis: Die Bestie ist ein Mensch! Sie schlägt wieder zu, reißt Helene Ümmler! Nur mit Mühe befreit er die seltsame Frau aus den Lynchhänden eines Mob,bespricht sich danach mit Moritz von Werrentheim und dem Strohkarl.
18 Brief von Moritz von Werrentheim an seinen Vater (Auszug)
Anmerkung AvR.: Teil des Manuskripts, jedoch ohne Jahr, vermutlich zwischen Frühjahr 1770 und Frühjahr 1771. Kürzungen vom ursprünglichem Autor vorgenommen.
Mein lieber Herr Vater,
leider sind wir im Streit voneinander gegangen. Ich bin mir sicher, dass Ihr eure Meinung nicht geändert habt. Wäre ich an eurer Stelle, würde ich es wohl auch so sehen wie Ihr, warum ich euren Willen verstehen und ihm folgen kann. Zu meinem tiefsten Bedauern kann ich ihn jedoch
nicht befolgen.
(...)
Seit ich ein Knabe war, habt Ihr mir mitgegeben, der Vernunft und * dem Herzen zu folgen, so gut ich nur kann für Ausgewogenheit zu sorgen. Auch meine Lehrer haben immer wieder so auf mich eingewirkt. Wie mein Herz von all den Ereignissen getroffen wurde, muss ich Euch nicht sagen, denn es geht Euch ja nicht anders. Auch die Jahre werden kaum zu heilen vermögen, was diese Bestie gegen uns angerichtet hat.
Doch ebenso laut ruft mein Verstand mir Fragen zu. Nichts, was ich weiß, vermag ihn zum Schweigen zu bringen. So viel Unbeantwortetes breitet sich vor uns aus. Ein jeder, der all das miterleben musste, weiß, dass es die beantworteten Fragen weit übersteigt
(...)
Ihr mögt es nicht einsehen wollen, wie die meisten Menschen, die sich in unsere Grafschaft
dem Wiederaufbau verschrieben haben, doch auch wenn sie seit Jahren schweigt, so wissen wir noch nicht einmal, ob das Leben der Bestie in jener schicksalhaften Nacht ein Ende fand. Ihr könnt womöglich mit dieser Ungewissheit leben und all das, was sonst noch geschehen ist, aus eurem Denken verbannen. Ich, mein lieber Herr Vater, kann das nicht.
Tag für Tag, Nacht für Nacht, plagen mich die Dinge, die ich nicht weiß, die Lücken, die all das Geschehene in mir geschlagen hat. Herz und * Verstand können so nicht weiterleben. Ich kann nicht so tun, als sei alles wieder so, wie wir es uns gedenken. Und darum kann ich euren Wünschen nicht folgen. Ich erbitte eure Verzeihung, ohne zu erwarten, dass Ihr sie mir gewährt.
(...)
Aber ganz gleich, von welcher Seite man es auch betrachten möchte, so gibt es doch nur einen Menschen, der all die Fragen beantworten
kann, nicht nur, weil er es erlebt hat, sondern auch weil er der klügste Mann ist, den ich jemals kennenlernen durfte: Erik von Berensiel. So bin ich ungehorsam gewesen und habe mich auf die Suche nach ihm begeben. Einiges habe bereits herausgefunden, doch dadurch haben sich die Fragen nur vermehrt. Ich will Euch nicht alle Einzelheiten schildern, auch weil ich noch nicht genug zusammengetragen habe. Doch es steht fest, dass Erik von Berensiel in die Neue Welt abgereist ist.
Lange habe ich mit mir gerungen, habe mich gefragt, ob ich euch das auch noch antun kann. Verzeiht mir, mein lieber Vater, jedoch habe ich beschlossen, dass es von Nöten ist. So bin ich nach ... ** gereist und werde die Passage machen. Auf die 'Wappen von Emden' werde ich mich einschiffen und mich gleichfalls in die Neue Welt begeben. Ihr kennt mich und wisst, dass es immer mein Wunsch war, so viel, wie es nur geht, von der Welt zu sehen. Darum harre
ich aufgeregt der Dinge, die da kommen. Die Suche nach Erik werde ich aber immer als Erstes bedenken.
Sobald es Neues zu berichten gibt, werde ich Briefe verfassen und mich auch sonst immer wieder bei Euch, meinem hochgeschätzten Herr Vater, melden.
Euer euch liebender, aber ungehorsamer Sohn
Moritz von Werrentheim
- Fortsetzung folgt -
Anmerkungen:
* = Hervorhebung im Manuskript
** = Hier steht im Manuskript der Name der Hafenstadt. Den bisherigen Gewohnheiten folgend habe ich ihn aus der Reinschrift entfernt.