„Was bitte ist diese 'tödliche-Knoblauchlikör-Theorie'?“ Der Spaten fuhr in den Lehmboden wie durch Butter. Ich befürchtete schon, dass meine Augen sich in ein Röntgengerät verwandeln würden, bei diesem gestandenen Mannsbild, welches das Gartengerät versenkt hatte. Alleine die Oberarme waren preisverdächtig. Zu meinem Glück sah mich Sarahs Bruder an als sei ich ein Alien von der Venus, welches ihm eröffnet hatte, dass es die bipolare genetische Eigenschaft der Homosapiens erstaunlich fand,
jedoch sich noch nicht entschieden hatte, ob es sich zu einer vollbusigen Blondine oder einem wandelnden Sixpack transformieren lassen sollte. Der Stand des Zwitters sei hier jedoch so selten vertreten, dass dieses außerirdische Experiment eventuell doch zu auffällig sei. Da ich den Mann vor mir angestarrt hatte, sah ich etwas verschämt beiseite. Zu meinem Glück kam mir meine Mitbewohnerin zur Hilfe, welche eine weitere Ladung Buntsandstein ablud. Sie grinste ihren älteren Bruder unverschämt und unverhohlen an. „Das waren die Mordanschläge, welche wir uns im Vollsuff ausgedacht hatten,
um Luisas Ex zu meucheln.“ Das smarte Gesicht blickte die kleine Schwester fragend an. „In unseren ersten Tagen des WG-Lebens haben wir es uns gut gehen lassen. Ab einem gewissen Pegel haben wir sogar den Knoblauchlikör von Melanie getrunken. Zum Wohle unserer Kreativität entstanden nun Mordmethoden, die selbst Hollywood für übertrieben halten würde.“ Die beiden Geschwister waren sich sehr ähnlich, jedenfalls für Mann und Frau. Wenn man Dominik neben Sarah sah, konnte man fast denken, ein verrückter Arzt wäre auf die Idee gekommen, seinem Zwilling solange Östrogene zu
verpassen bis meine mir liebenswerte Madame Doppel D entstanden war. Ihre Haare waren beide borstig und kohlrabenschwarz. Die Augenpartien waren sich sehr ähnlich. Ebenso wieder der dunkelblaue Stahl ihrer Augen, eingefasst mit vollen Augenbrauen und langen geschwungen Wimpern. Hauptunterschied im Charakter war Sarahs Unabhängigkeit und Singleleben und Dominiks Vergötterung seiner Frau Elena. Eben diese zarte Person kam mit einer Ladung Wasserflaschen in auf den Armen die Treppe vom Wintergarten heruntergelaufen. Vor sich schob sie ihre fünf Monate alte
Babykugel. „Hört bitte auf von so etwas zu sprechen, das bringt Unglück“, bat sie und wurde sofort von ihrem Mann umschlungen und geküsst. Es sah ein wenig witzig aus, denn die beiden unterschieden 17,5 cm. Diese Zahl wurde jeden unter die Nase geschoben, der auch nur daran dachte, Dominiks Liebe in Zweifel zu ziehen. Sarah machte ein typisches Würgegeräusch, welches nur Schwestern machen konnten, wenn sie Eltern oder Brüder peinlich fanden und stapfte danach wieder zum Auto, um noch eine Fuhre Steine zu holen. „Unser Nachtbar hat wegen der
Geschichte mit Luisa und ihrem kriminalistischem Fachwissen heute schon die Hilfe verweigert.“ „Liebling, Klaus hat bestimmt noch mehr zu tun, als uns beim Grillplatzbauen zu helfen. Er hat bestimmt nicht auf die Anspielung reagiert, dass ich aufpassen muss, dass du mich in den Grill einmauern lässt.“ „Er hat viel durchgemacht. Du weißt ganz genau, dass er sich mit Mord, Presse und Gerede schwer tut “, klagte die werdende Mama und schien wirklich besorgt zu sein, was mein frevlerisches Fachinteressen auslösen könnte. Elena wurde wieder in die Arme genommen. Mir war die gesamte
Situation sehr unangenehm. Heute Morgen erst hatte ich Sarahs Familie kennenlernen dürfen und da sich das Doppel D wieder einmal nicht zurückhalten konnte, hatte der Nachtbar Klaus sehr schnell erfahren, dass ich mich ebenso gut mit Mord auskannte wie mit Edelsteinen und Mentalen. Zuerst war der nette Herr von nebenan sehr nett gewesen. Er war Steinmetz und hatte gute Kontakte zum Steinbruch in Falkengesäß. Ausserdem er hatte Dominik versprochen dort mit ihm Bruchstein für den Grill zu holen. Sarah und ich hatten Hilfe angeboten. Das großzügige Angebot von Klaus hatte nach unserer Vorstellung ein schnelles
Ende erlebt. Die Begeisterung über meine Bekanntschaft war aus einem mir nicht ersichtlichen Grund in Misstrauen umgeschlagen. Nachdem Elena sich aus den Fängen ihres Mannes gelöst hatte, wanderte sie wieder zurück ins Haus. Schwangere hatte wirklich sehr schwache Nerven und Elena war als Italienerin sehr empfindlich. Sarah holte weiterhin kleine Steinfuhren aus dem Wagen, Dominik hob das Fundament aus und ich schichtete den Bruchstein auf. Beim Anrühren des Estrichzementes hielt ich die Gießkanne und das Schweigen nicht mehr aus. „Tut mir
leid, wenn ich Unannehmlichkeiten bereite. Vielen finden mein Fachwissen und den Grund dafür abstoßend.“ Dominik hielt nicht in seiner Arbeit inne. Das konnte er auch nicht, weil sich sonst die Konsistenz des Betons verschlechtern würde. Trotzdem blieb er mir eine Antwort nicht schuldig. „Er hat Schwierigkeiten mit Presse und Polizei. Seine Frau ist vor etwas mehr als einem Jahr verschwunden. Da sich herausstellte, dass er eine Geliebte hatte, ging man natürlich von einem Kapitalverbrechen aus und zog den Ehebrecher selbstverständlich ordentlich durch den Kakao. Die Presse war sogar so penetrant, dass ein Privatermittler den
Steinbruch in Falkengesäß nach der Leiche abgesucht hat.“ „Dort hat er gearbeitet?“ „Na ja, das Betthupferl war die Schwester des Besitzers. Sie verschwand kurz danach auch, aber sie wird wohl nur umgezogen sein, bei all dem Gerede. Sie war Spanischlehrerin und liebte Venezuela. Klaus ist dann von Beerfelden nach Michelstadt gezogen. Venezuela hatte er zwar auch in Betracht gezogen, aber einmal Odenwälder immer Odenwälder. In seinem Alter noch eine Sprache zu lernen, schien ihm zu anstrengend. Außerdem gehörte das Haus den Eltern seiner verschwunden Frau. Er fährt regelmäßig hoch und
besucht den Bruder seiner Geliebten. Waren wohl schon immer Stammtischbrüder.“ Dominik begann den ausgehobenen Kreis mit auszufüllen. Da es eine Arbeit war, bei der ich nicht mehr helfen konnte, ging ich zu Sarah ans Auto, die den Kofferraum noch von Sand und Schutt befreite. „Und was meinst du zu der Geschichte?“, fragte sie sofort, als sie mich bemerkte. Ihr üppiges Hinterteil ragte mir entgegen, während sie sich mit dem Staubsauger abmühte. „Nenne mir bitte eine Intelligenz
bezogene Rechtfertigung, weswegen ich meine moralisch bedenklichen Kenntnisse und Erfahrungen an einer unbekannten Person ausüben soll.“ „Wegen des Bausparvertrages und der Umschreibung des Hauses“, erklärte sie und stellte das Dröhnen des Staubsaugers ab. Ich setzte mich auf den Rand des Kofferraumes. Sarah hockte sich neben mich. Ich reichte ihr eine von Elenas Wasserflaschen. „Du hast meinen freien Samstag also nicht grundlos verplant.“ Mit der Flasche am Hals sah sie mich aus ihrem Profil her an und zwar eindeutig
schuldbewusst. „Elenas Grillsalate sind der Hammer, da habe ich nicht gelogen und gib zu, mein Bruder ist der Oberknüller.“ Ihren Rettungsversuch erstickte ich im Keim: „Er ist wohlwollend beweibt und die Manifestation seiner Paternität tritt in etwas mehr als einem Quartal ein!“ „Ist ja gut. Pass auf, Klaus war vor einigen Tagen hier und hat mit Dominik einen gehoben. Er war stinksauer, weil die Versicherungen immer noch nicht zahlen wollen, da seine Frau noch nicht offiziell für tot erklärt worden ist. Aber einige Verträge laufen sowohl auf ihn als auch seine Frau und es werden mal wieder zwei Unterschriften benötigt. In
der gesamten Zeit, in der Klaus hier ein und aus ging, bei den Renovierungen geholfen hat und zum Abendessen kam, war von Geld niemals die Rede. Er hat immer sehr liebevoll und bedacht von seiner Frau gesprochen und seit einiger Zeit spricht er gar nicht mehr von ihr. Er ist schnell gereizt und ungeheuer misstrauisch geworden. Nur noch Elena hält es mit ihm länger als 10 Minuten aus.“ „Ermittelt die Polizei denn noch?“ „Soweit ich weiß, nicht, jedenfalls nicht gegen Klaus. Jeder Verdacht wurde ausgeschlossen. Selbst dieser Privatschnüffler hat nichts
herausgefunden.“ Ich zog ein Knie an und dachte nach. Bis hierher schlugen meine Sinne nicht Alarm. Mein Ex war von einem Mautstoßzahn durchbohrt worden, weil er von einer Balustrade im Museum gestürzt war. Die Polizei hatte auch mich fälschlicherweise verdächtigt, obwohl ich sehr viele anderen Methoden hatte, ihn abzumurksen. „Wer hat den Privatermittler beauftragt?“ „Auch eine Sackgasse, die Geliebte hat ihn beauftragt, um ihren Schatz zu entlasten. Hat aber nicht viel gebracht. Die Schlagzeilen nahmen immer mehr zu. Ebenso wie das Getuschel.“ Mein Verstand rastete ein wie das
Durchladen eines Maschinengewehrs. „Er hat seine Frau nicht umgebracht.“ Wenn Sarah mich in diesem Augenblick nicht angestarrt hätte, als würde das Großkaliber meines Verstandes auf ihre Person gerichtete sein, so hätte sie nicht sämtliches Blut in ihrem Gesicht verloren. „Er hat nicht nur seine Frau ermordet, sondern hat die Geliebte auch verschwinden lassen.“ Frisch gekalkt sah mich meine Freundin an, also musste ich weiter ausholen. „Die erste Frau lässt er verschwinden und hofft auf ein gutes Leben, wenn er die Summen aus den gemeinsam angelegten Versicherungen und dem
Erlös des Hausverkaufes hat, wenn die Zahlungen nach dem offiziell bekanntgegebenen Tod der Frau fällig werden. Ohne Leiche kein Mord! Leider angeschmiert, die Geliebte beauftragt diesen Schnüffler, dieser schaut sich auf dem Gelände des Steinbruches um. Klaus gerät in Panik und lässt die Geldgeberin auch verschwinden. Der Detektiv hat bis dahin zum Glück noch nichts herausgefunden. Also kann Klaus den trauernden und entsetzten Ehemann spielen. Die Polizei glaubt ihm. Das Verfahren wird eingestellt. Nur leider spielen die Versicherungen nicht so gut mit wie er dachte. Nach mehr als einem Jahr der Geheimhaltung und der Schikane
werden seine Nerven schwach. Die Anspannung man könnte den Fall noch mal aufrollen, ist absolut berechtigt, denn er weiß, wie narrensicher und doch offensichtlich beide Leichen versteckt sind.“ Neben mir schüttelte es meine Mitbewohnerin. Sie trank die Flasche in einem Zug aus. Paradoxerweise war Sarah fassungslos, dass ich eine gute Vorstellung hatte, was vor knapp zwei Jahren geschehen war und auch Beweise für meine Theorie vorlegen konnte. Wenn ich keine Beweise hatte, würde ich darüber auch nicht sprechen. „Sag bitte nicht, die Leichen liegen im Garten neben der neuen Grillstelle“,
schauderte es meine Freundin. Doch ich schüttelte den Kopf. „Wo denkst du hin. Das wäre zu offensichtlich. Du hast zwar recht, dass einige Mörder den Ablageort ihrer Opfer im Auge behalten wollen, aber hier wäre kein guter Ort. Die Gärten in dieser Straße sind zu gut einsehbar und er wohnte damals in Beerfelden gut 25 Minuten Fahrtweg. Dann hätte er sie gleich im Marbachstausee verschwinden lassen können, aber das erscheint mehr als unwahrscheinlich, da es sich um einen beliebten Badesee handelt.“ Sarah lachte plötzlich. „Wäre mal 'ne coole Schlagzeile für den 'the Sound of Forest'. Ein so cooler Beat, dass er Tote
heraufbeschwört!“ Dies bezüglich enthielt ich mich jeglichen Kommentars und klärte sie auf: „Sie liegen unter dem Schutthaufen, von dem wir die Sandsteine für den Grill geholt haben.“ „Verarsch mich nicht, Luisa. Ich habe die Steine geholt und in den Armen gehalten“, entsetzte sich mein Doppel D. „Der Schutthaufen liegt etwas abseits, zwar direkt an der Abzweigung nach Arilenbach, jedoch kommt an der Stelle kaum ein Auto vorbei, erst recht nicht nachts. Ich gehe davon aus, dass der Schutthaufen nur sehr selten umgelagert wird, sollte mal zu viel Schutt daliegen. Wenn er abgeräumt ist, wird aufgrund
des feuchten Bodens und der vielen Steine sowie der Insekten nicht mehr viel von den Leichen übrig sein und die Knochen gehen beim Umbetten endgültig unter. Der Schutt ist an die drei Meter hoch und die Breite würde ich auf gut zehn Meter schätzen. Meinst du nicht, dass da die Chancen schlecht stehen, dass ein paar Steine, die für eine Feuerstelle genutzt werden, die Leichen freilegen?“ Meine letzten Beschreibungen beruhigten Sarah nicht im Geringsten. Sie schien es zu bereuen, mich mit hierhin genommen zu haben. Als Rache dafür, dass sie mich schon wieder in eine solche missliche Lage gebracht
hatte, setzte ich noch eines obendrauf. Ich ließ mir ihr Handy geben, wählte die Nummer der Polizei und noch während es läutete, reichte ihr das Telefon.
„Du rufst an. Das ist auf deinem Mist gewachsen. Kommissarin Avenius am Wochenende zu stören, ist genauso schlimm wie Melanie nachher zu verklickern, dass eine tödliche Knoblauchlikör- Theorie wahrhaftig funktioniert hat. Mord durch Steinschlag!“