Forumbattle 55
Das Thema lautet:
VORFREUDE
Vorgaben sind:
Es darf kein Wort mit dem
Anfangsbuchstaben "A"
verwendet werden
Die Texte dürfen höchstens
20 MyStorys-Seiten vorweisen.
SPIEL 77
Sonntagmorgens, kurz vor 8 Uhr und ich höre meinen Mann schon in der Küche werkeln. Kaffeeduft zieht durch die offene Tür des Schlafzimmers und lockt mich endgültig unter meiner kuscheligen Decke hervor. Es ist noch nicht richtig hell draußen und mir kommt in den Sinn, dass ja nun bald wieder die Uhren umgestellt werden, der Herbst Einzug hält und es nicht mehr lange dauert, bis der Winter das Land zum Schlaf bettet.
Dennis reicht mir meine Kaffeetasse. "Hier, du Schlafmütze, damit du wach wirst". Ich schenke ihm ein schiefes Lächeln, greife mir
meinen Morgenmantel und die unvermeidliche Zigarette und öffne die Balkontür, um draußen erst einmal meinem Laster zu frönen.
Es ist kühl. Die frische Morgenluft weckt mich vollends. Der rosarot gefärbte Himmel, das Krächzen der Krähen, die Stille hier draußen besänftigen mein Gemüt.
Gestern hatte ich mich so geärgert über diese bissige Bemerkung meiner Tochter, die heute, sonntags ihrem Broterwerb nachgehen muss und darüber wenig erfreut ist. Ich hatte ihr zu bedenken gegeben, dass sie für diese vier Stunden in der Bäckerei ja den vollen Sonntags-Zuschlag kassiert und sich das deswegen für sie lohnt. Sie hielt dagegen,
dass wir, ihre Eltern ja jeden Tag Sonntag hätten und es deshalb nicht zu schätzen wüssten, wie wertvoll diese Zeit sei.
Okay, wir sind beide verrentet, nicht planmäßig, weil krankheitsbedingt. Dennoch bleibt das Wochenende für uns etwas Besonderes, und trotz der freien Zeit haben wir unsere täglichen Pflichten.
Nun ja, ein kleiner Disput, der unser herzliches Mutter-Tochter-Verhältnis nicht trübt.
Dennis gesellt sich zu mir, küsst meine Wange und fährt durch mein zerzaustes Haar. "Das Frühstück ist fertig, Spatzl, kommst du rein?", fragt er und öffnet die Balkontür für mich.
Wie jeden Sonntag, hat er schon früh Brötchen geholt. Nicht nur für uns. Die
Nachbarn von nebenan, zwei befreundete Paare, die nur ein paar Straßen weiter wohnen und sein kleiner Bruder werden wie gewohnt ihre Brötchentüte vor ihrer Haustür finden, weil mein Mann sie ihnen lieferte.
Ein Ritual für meinen Mann; seine sonn-tägliche Brötchen-Runde, die Sonntags-ausgabe unserer Tageszeitung, die Panoramabilder in Bayern 3 mit Zithergedudel und bayrischen Heimatklängen und das gemeinsame üppige Frühstück.
"Sonntags hat meine Frau frei", sagte er oft in diversen Unterhaltungen, zu der Zeit, da wir beide noch im Berufsleben standen. Das hat er bis heute beibehalten und ich genieße es.
Während ich mich genüsslich in der
Badewanne räkele, werkelt er in der Küche, bereitet seinen Sonntagsbraten zu und liest zwischendurch seine Sonntagszeitung.
Gegen 11 Uhr ertönt die Haustürklingel. Ich bin gerade in meine legere Kleidung geschlüpft, habe ein bisschen Ordnung geschaffen und lese in der “Schnäppchen-jägerin”, meiner leichten Lektüre, die mir ein paar Schmunzler schenkt.
Peter kommt im Schlepptau von Dennis ins Wohnzimmer mit einem gut gelaunten Morgengruß. Ebenfalls so eine liebgewordene Gewohnheit, seit Dennis seine Krebsdiagnose hat. Sonntagvormittags besucht uns immer einer seiner Brüder. Peter der Kleine, oder
Wilfried, der große Bruder. Manchmal stößt Bernd dazu, der zweitälteste Bruder.
Natürlich die erste Frage, wie es ihm geht und ob es etwas Neues gibt. "Gut geht es mir", ist die Standardantwort meines Mannes. Ja, Neues gibt es. Er war wieder einmal zur Kontrolluntersuchung. Die Tumormarker sind weiter im unteren Bereich, die Prognose ist sehr gut. Die Chemo wird wie gehabt fortgeführt.
Das beruhigt nicht nur seine Brüder, sondern in der Hauptsache uns drei, ihn, unsere Tochter und mich.
Peter erzählt von seinem Berufsalltag im Klinikum. Er ist dort Fahrer, fährt Langzeit-Patienten zu unterschiedlichen Zielen und
Zeiten. Oftmals beschwerlich für ihn, wenn er Rollstuhl-Patienten hat oder geistig Behinderte, die im Transportfahrzeug herumhampeln.
Ob wir schon gehört hätten, dass in der vergangenen Woche der riesige Lotto-Jackpot nach Nordhessen zu einem Hartz IV-Empfänger gewandert sei. "Nö", sage ich, "das ist ja mal eine kluge Entscheidung des Schicksals", füge ich noch hinzu. "Na, ich hätte ebenso nichts dagegen, wenn mich solch ein Glück träfe", meint Peter und mir fällt ein, dass ich unseren Lottoschein ja noch gar nicht überprüft habe.
"Dennis, reichst du mir mal deine Zeitung,
bitte? Ich will doch gleich mal nachsehen, ob uns Fortuna hold war", sage ich, während ich die Mappe mit der Lotto-Quittung und der Lotto-Kundenkarte meiner Handtasche entnehme.
"Und, sind wir jetzt Millionärs", fragt Dennis wenig später, scherzhaft und ein bisschen süffisant. "Wie immer", entgegne ich, "zwei Richtige und der Rest voll daneben".
Peter, der hinter der Couch steht und im Begriff ist, sich von uns zu verabschieden, setzt sich unvermittelt neben mich und verpasst mir einen kleinen Schubs. “Hey, schau doch mal das Spiel 77, da hast du doch die letzten zwei richtig, oder?”, fragt er.
“Nein”, beantworte ich, selbst überrascht,
seine Frage, “es sind die letzten vier, die getroffen haben. Das hätte ich jetzt beinahe übersehen”.
“Wow, dann habt ihr ja 777 Euro gewonnen”, ist Peter ganz begeistert.
Ich schnappe mir den Schein plus Zeitung und eile freudestrahlend zu Dennis in die Küche. Er hatte ja unsere Entdeckung gar nicht mitbekommen, weil die Dunstabzugshaube solch einen Radau veranstaltete.
“Wie genial ist das denn!”, ruft er. Und ganz spontan: “Damit feiern wir meinen Sechzigsten im Posthaus. Die haben das leckerste Essen.”
“Oh ja, das machen wir”, freue ich mich mit ihm.
Peter sagt noch im Gehen, “schade, dass es
nicht ein paar mehr Zahlen sind”. Meine spontane Entgegnung: “Dann hätte ich ja Geldsorgen, würde mir Tag und Nacht den Kopf zerbrechen, wie ich die Millionen gerecht verteile und gewinnbringend verwende. Nein, so ein kleiner warmer Regen ist schon in Ordnung”.
Unsere Tochter, die pünktlich zum Sonntags-braten nach Hause kommt, ist genauso begeistert. “Das wird ein rauschendes Fest, nicht wahr Papa”, lächelt sie voller Vorfreude,
ohne zu erahnen, dass das Schicksal die Karten schon mischt, um sie neu zu verteilen.