Was bisher geschah ...
1768. Seit zwei Jahren geht in der Grafschaft Werrentheim eine Bestie um, tötet wahllos Menschen. Eine Jagd ist nur zum Schein erfolgreich. Der König beauftragt Erik von Berensiel, dass er dem mörderischen Treiben ein Ende setzt. Der Empfang beim Grafen ist wenig freundlich.Von Doktor Himmelblau bekommt Erik einige Papiere. Es gelingt ihm, den Vater des ersten Opfers zu retten, doch von dem kann er nichts erfahren. Auf einem Ausritt lernt die Tochter des Grafen und dessen Sohn näher kennen, wird mit einer seltsamen alten Frau konfrontiert. Dann kommt ihm eine Erkenntnis: Die Bestie ist ein Mensch! Sie schlägt wieder zu, reißt Helene Ümmler! Nur mit Mühe befreit er die seltsame Frau aus den Lynchhänden eines Mob.
17 Kriegsrat
Str.k.: Das war sehr mutig.
E.v.B: Nicht unbedingt. Der Mob ist eher feige und fürchtet die Entschlossenheit.
M.v.W.: Eine maßlose Untertreibung! Das waren an die hundert! Männer und Frauen! Oh, leben wir denn immer noch in so finsteren Zeiten?
E.v.B.: Nicht, wenn wir das Licht der Vernunft hochhalten.
M.v.W.: Vernunft ja. Aber gerade darum war ich verwundert, dass du von Gott sprichst. Ich hatte den Eindruck, dass in deiner Welt Gott schon lange gestorben ist.
E.v.B.: Da irrst du dich. Ich glaube an Gott, sehe in ihm den Allmächtigen. Woran ich nicht glaube, ist Mutter Kirche.
Str.k.:
Der Herr Pfarrer würde euch widersprechen und sagen, dass es das eine ohne das andere nicht gibt.
E.v.B.: Weil er nur so ein gutes Leben führen kann und sich um das, was in der Bibel steht, keine Gedanken machen muss.
Str.k.: Halleluja!
(Alle drei lachen)
E.v.B.: Aber wenn wir so unter uns sind, sagst Du Erik, mein Freund Karl.
Str.k.: Was?
E.v.B.: Gott hat uns alle gleich geschaffen. Meister und Diener sind eine Erfindung des Menschen und beileibe nicht seine Beste. Wir müssen dort leben, wo wir sind und uns an die Spielregeln halten. Doch zumindest hier können wir ausbrechen.
M.v.W.: Zu wenige tun das.
E.v.B.: Du weißt sehr gut, dass ich das auch so
sehe. Aber lassen wir das für den Augenblick. Karl, wie geht es den beiden? Ich schätze Maja kümmert sich gut um sie?
Str.k.: Sie tut was sie kann.
M.v.W.: Was nicht wenig ist.
Str.k.: Sie ist klug. Viel klüger als ich. Und der Herr Doktor lächelt immer, wenn er bemerkt, was sie alles schafft. Und er lächelt nicht sehr oft. Auf jeden Fall schlafen ihre Tante und Trudwin sehr viel und das kann nicht schlecht sein.
M.v.W.: Warum hat sie Dich so angeschrien, Erik?
E.v.B.: Ich weiß es nicht. Es war auch nicht das erste Mal. Als ich mit Amarant in den Wald, in dem sie lebt, geritten bin, ist so etwas schon einmal passiert.
M.v.W.: Als ob sie dich kennt. Hast Du sie schon einmal gesehen?
E.v.B.: Wie gesagt, zwei Mal. Und jedes Mal hat sie mich angebrüllt, als sei ich der
Leibhaftige. Dabei habe ich sie zuvor noch nie gesehen, so viel ist sicher.
Str.k.: Vielleicht sieht sie ja tatsächlich mehr, hat das zweite Gesicht.
E.v.B.: Niemand kann jemanden wiedererkennen, wenn er ihn zum ersten Mal sieht!
M.v.W.: Das denke ich auch.
Str.k.: Seltsam.
E.v.B.: Ja, dass ist es. Aber es ist nicht das, worüber ich mir Gedanken mache. Im letzten Herbst hat der Baron Brachwitz die große Jagd durchgeführt. Einen Tag danach hat die Bestie, wenn wir sie so noch nennen dürfen, zugeschlagen. Und dann war Ruhe. Sehr lange Ruhe. Den Berichten nach hat die Bestie noch nie so lange geruht. Immerhin ist es jetzt schon bald Sommer.
M.v.W.: Oh! Das habe ich gar nicht bemerkt. Aber es stimmt, ja.
Str.k.: Vielleicht haben wir die Ruhe einfach
genossen ohne zu begreifen, dass es nur ein Atemholen war, zu viel gehofft und zu wenig getan.
M.v.W.: Hm ...
E.v.B.: Vorwürfe bringen uns nicht weiter. Doch ich bin überzeugt, dass hier nichts ohne Grund geschieht. Und kaum bin ich etwas länger als eine Woche hier, da schlägt die Bestie wieder zu.
M.v.W.: (entsetzt) Aber was hast Du denn damit zu tun?
E.v.B.: Gar nichts. Und alles. Vielleicht. Ich meine nicht mich. Aber sobald jemand mit königlichem Auftrag in Werrentheim auftritt, ist es vorbei mit der Ruhe. Und nicht nur das. War es wirklich ein Zufall, dass Helene Ümmler das Opfer war?
M.v.W.: Dazu kann ich nichts sagen. Ich weiß nur, dass es daran nicht liegen kann, denn eigentlich haben wir dich - also einen königlichen Abgesandten - viel früher erwartet. Die Papiere waren auf jeden Fall schon länger
unterwegs. Was bedeutet, dass, wenn Du eher hier gewesen wärst, die Bestie erst nach Monaten wieder zugeschlagen hätte.
E.v.B.: Das macht Sinn. Und die Sache wieder komplizierter.
Str.k.: Geht es womöglich um den Bericht? Dazu wüsste ich etwas.
M.v.W.: Welchen Bericht?
E.v.B.: (eifrig) Ja, den Bericht. Den Bericht von Brachwitz an den König. Was weißt du darüber, Karl?
Str.k.: Das muss nicht stimmen. Vielleicht ging es auch um einen anderen Bericht. Ich habe nur geraten.
E.v.B.: Keine langen Vorreden, die nichts bringen. Erzähl was du weißt!
Str.k.: Es ist einen Monat her, vielleicht auch ein wenig mehr. Maja und ich hatten einen dummen Streit. Nichts, was es zu berichten oder zu streiten lohnt. Später hat es uns beiden sehr Leid getan. Auf jeden Fall hatte ich eine
Stinkwut. So bin ich in die Goldene Hirschkuh gegangen und habe getrunken. Ich habe mehr getrunken, als es gut ist. Sternhagelvoll war ich. Und dann, der Wirt wollte schon dicht machen und mich, war der Letzte, vor die Tür setzen, da kommt ein Offizier hereingetorkelt. Gegen den war ich noch nüchtern. Brüllt nach Wein und setzt sich zu mir. Kreischt, brüllt und weint. Ihn rauszuschmeißen hat der Wirt sich nicht getraut. Außerdem war er spendabel. Wir haben gesoffen wie die Stiere.
E.v.B.: Wenn ich raten müsste: Hauptmann Hinrich von Leffersingen!
M.v.W.: Sturzbetrunken. Wie immer.
Str.k.: Ja, aber das habe ich erst später erfahren und begriffen. Und ich kann euch sagen, ihr solltet nicht so hart über ihn urteilen. Das erzähle ich später. Auf jeden Fall haben wir noch so manchen Humpen geleert. Natürlich konnte ich mich hinterher nicht mehr an viel erinnern. Doch zwei Dinge, ja, die
wusste ich noch. Er beschwerte sich, dass der Baron ihn angeschnauzt hätte, als sei er ein Gemeiner, weil er einen Bericht, anstatt ihn abzuschicken, monatelang in seinem Rock mit sich getragen hätte. Einen Bericht über diese verschissene Knallerei.
M.v.W.: Die Jagd des Baron!
E.v.B.: Ohne Zweifel. Und was war da noch?
Str.k.: Ich denke, der Herr Hauptmann ist ein sehr feinfühliger Mensch. Irgendwann hat er erzählt, dass der Baron im Kriege einhundert Gefangene hat füsilieren lassen, einfach so, ohne Befehl, weil ihm danach war. Er war sehr erschrocken und ich denke, da hat er mit dem Trinken angefangen. Der Oberst ist sein großes Vorbild gewesen, aber nun nannte er ihn nur noch Baron von Mörderwitz. (zögert) Zumindest glaube ich, dass es so war. Aber ihr könnt ja den Wirt fragen. Womöglich erinnert der sich noch. Gehört haben muss er es.
(Stille)
E.v.B.: Das alles ist seltsam. Und womöglich hat es gar nichts mit unserer Sache zu tun. Aber zumindest weiß ich endlich, was ich tun sollte.
M.v.W.: Und was?
E.v.B.: Ich sollte mit dem Herrn von Leffersingen mal reden. An einem abgeschiedenen Örtchen und mit einer guten Flasche Wein. Aber eins nach dem anderen zunächst einmal werde ich mich auf die Suche nach dem Versteck unser Bestie machen.
M.v.W.: Versteck?
E.v.B.: Jeder Mensch braucht ein Versteck.
M.v.W und Str.k.: (zusammen) Ein Mensch?
E.v.B.: Oh ja, ein Mensch. Unsere Bestie ist kein Tier, kein Monster und auch keine Heimsuchung des Himmels. Ein Mensch hat all das angerichtet. Ich weiß nicht, warum dieser Mensch das tut, aber ich bin mir sicher, dass dem so ist. Und ich weiß auch schon, wo ich zu
suchen habe.
M.v.W und Str.k.: (zusammen) Wo denn?
E.v.B.: Im Hexenwald!
- Fortsetzung folgt -
Anmerkungen:
St.k. = Strohkarl (Karl Jülich)
M.v.W. = Moritz von Werrentheim, Sohn des Grafen von Werrentheim
E.v.B. = Erik von Berensiel