Unter Verdacht
Von unseren Nachbarn wohnen die Steinmeyers direkt neben uns. Sie haben ein schönes Reihenhäuschen und einen recht großen Grund. Größer, als unserer! Aber, na ja. Ich kann nur Eines von mir mit Sicherheit sagen: Ich bin nicht neugierig.
Allerdings muss man in der heutigen Zeit schon eine gewisse Aufmerksamkeit an den Tag legen. Sie haben doch auch dauernd die Meldungen gehört. Da gibt es Anschläge, Kindesentführung und alles Mögliche.
Heute früh habe ich schon zu meiner Frau gesagt. "Steinmeyer ist mit zwei großen, blauen Müllsäcken zur Mülltonne gegangen." "Du kannst
doch die Mülltonnen nur von der Terrasse sehen und es hat doch heute früh geregnet."
"Hab nur mal Luft geschnappt. Die waren so groß, die hat er gar nicht in seine Tonne reinkriegen können. Stell Dir vor, um sechs Uhr früh!"
"Na und?"
" Machst du dir da keine Sorgen?"
"Nö! Außerdem wäre es mal gut, wenn du in der Nacht nicht aufstehen würdest, um irgendetwas zu kontrollieren."
"Ich bin bloß aufgestanden, weil jemand geschrien hat. Es war wie ein Heulen! Laut! Und das Samstag Nacht!"
"Ich habe nichts gehört", winkt sie ab. Manchmal ist es mit meiner Frau zum Verzweifeln.
"Und was war um halb sieben Uhr früh? Da hat
er seinen Karli zur Schule gefahren. Das hat er sonst nie getan. Und bis jetzt ist er nicht zurück!"
"Beruf?"
"Der hat doch Schicht! Aber nie am Montagmorgen. Und seine Frau, die Mathilda habe ich auch noch nicht gesehen. Gestern auch nicht. Ich sage Dir, da muss was passiert sein."
"Du bist ein misstrauischer Kerl. Ich gehe später mal rüber und frage, ob ich ihr vom Einkauf etwas mitbringen kann", grinst sie verschwörerisch.
"Genau, tue das!"
Die nächsten zwei Stunden konnte ich kaum abwarten. Wenn ich mir vorstelle, dass Mathilda nun aufgetrennt in zwei blauen Müllsäcken in ihrem Blut vor sich hin moderte, dann..
Ich beobachtete aus der Deckung hinter dem Fensterstore. Es geschah nichts und das war nervig. Es musste etwas passiert sein! Ich war mir sicher. Steinmeyer war noch nie von seinem Tages-Rhythmus abgewichen.
„Wann gehst du denn endlich rüber und fragst", donnerte ich ungeduldig.
"Ich gehe ja schon."
"Aber gehe nicht zu nah hin! Vorsicht! Bleibe immer in Sichtweite!"
Sie winkte ab.
Als sie drüben klingelte, presste ich vor lauter Aufregung die Hände um den Feldstecher.
Sie sprach mit Jemanden. Immer noch!
"Zieh dich zurück", murmelte ich verzweifelt. Ein Schlüssel wurde übergeben und ein
Briefumschlag.
Endlich war meine Gute wieder da. Unbeschadet.
"Was ist", drängelte ich.
"Erzähle!"
"Nichts!"
"Wie, nichts?"
"Es war nur Helga da, die Putzfrau. Die kommt doch immer am Montag. Sie hat nur gebeten, dass wir nach dem Rechten schauen. Karl Steinmeyer würde nämlich für mindestens vier Wochen verreisen. Karibik, oder Kreuzfahrt, oder so."
"Hab ich’s doch gewusst! Der Verbrecher will sich absetzen. Wenn es nicht überhaupt ein Flug nach Argentinien ist, von wegen keiner Auslieferung. Und von Mathilda, der armen Frau,
hast Du nichts gesehen?"
"Nö. Die fahren halt in den Urlaub, was soll‘s?"
"Für vier Wochen? Wer kriegt denn vier Wochen am Stück heutzutage Urlaub? Keiner! Alles ein abgekartetes Spiel. Ich schleiche mich jetzt herüber und sehe in den Müllsäcken nach. Mittags ungefähr kommt die Müllabfuhr. Dann ist es zu spät. Da muss ich vorher Gewissheit haben!"
"Das tust du nicht!"
"Wohl! Das ist meine Pflicht!"
Ich schlich nach draußen, presste mich an der Hecke entlang und wischte durch einen nicht so dicht bewachsenen Durchlass in Nachbars Garten. Die beiden prallen Müllsäcke lagen neben der Tonne. Ich wusste, dass die vielen
Fleischteile nicht in die mickrige Tonne hinein gepasst hätten. In diesem Augenblick musste ausgerechnet die doofe Putzfrau Helga um die Ecke kommen.
"Was machen sie da", herrschte sie mich an. Ich ließ mich nicht einschüchtern.
"Wo ist Frau Steinmeyer, ich meine Mathilda?"
"Im Bett!"
"Im Bett? Ziemlich blass im Gesicht? Regungslos?"
"Ja", lächelte die Helga. "Sie hat etwas zu tief ins Glas geschaut. Ich kann es ihr nicht verdenken."
Das Eine wusste ich: Mathilda war praktisch Abstinenzlerin.
"Und was ist mit dem Jungen? Hat er ihn entführt?" Sie staunte Bauklötze, gab sie vor. Was für eine Schauspielerin.
"Nein, er hat nur etwas Wichtiges in der Stadt zu erledigen.
Da lag die Schule auf dem Weg."
Ich platzte gleich vor soviel Lügenmähr.
Da fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren. Helga, die Putze und der Steinmeyer stecken unter einer Decke! Die waren ein heimliches Liebespaar und haben die arme Mathilda um die Ecke gebracht!
Gerade, als ich auf sie zustürzen wollte, da kicherte Helga.
"Fragen sie ihre Frau", flüsterte sie."Ihre Frau hat für das Blumen Gießen und für das nach dem Rechten Sehen eine ganz schöne Anzahlung bekommen."
Das haute mich fast um. Meine Frau wird auch
noch in diesen Mordkomplott verwickelt. Sie hat natürlich keine Ahnung, aber wenn das raus kommt. Unbescholtene Nachbarin lässt sich für ihr Schweigen bezahlen. Nicht auszudenken!
Ich raste nach Hause.
Ich hätte vorher doch noch in die Müllsäcke gucken sollen, verdammt!
Aber sie werden verstehen, die Aufregung.
Meine Frau war nicht da!
Sie kam erst drei Stunden später.
Sie hatte Schuhe, Handtasche und ein Sammelsurium aus der besten Parfümerie am Platz erstanden.
"Was war im Briefumschlag?"
"Geld! Für uns."
Ich war entsetzt.
Ich soll’s nicht verraten, aber die Steinmeyers haben am Samstag den Jackpot im Lotto geknackt"