BESUch von der alten Frau Schettertaube
Immer wenn etwas im Haus passiert und keiner kann sich die Ursache erklären, beschuldigen die Kinder den kleinen Geist, dann spukt Gernot im Haus herum.
Text und Bilder von Marle
Die Sonne war gerade aufgewacht und schickte ihre ersten Strahlen in den Himmel hinein.
Es war noch so früh, dass sogar der Hahn noch keine Lust verspürte,
sein morgendliches Kikeriki zu krähen.
Auch Tante Mastha hatte noch lange Zeit zum Aufstehen. Sie hatte Sommerurlaub und konnte ausschlafen.
Doch sie wurde durch ein Gurren geweckt, das bis in ihr Schlafzimmer drang.
Eine große, dicke Taube saß auf dem Dach vom Hinterhaus und hatte es sich dort gemütlich gemacht. Sie gurrte und gurrte ohne Punkt und Komma und wenn sie doch mal still war, fing sie um so lauter gleich wieder an.
'Mit wem unterhält sich die Taube da?', dachte Tante Mastha, 'Hört ihr überhaupt jemand zu?'
Als das Gurren gar zu arg geworden war, schaute Tante Mastha nach. Als sie durch das Fenster
blickte, entdeckte sie den kleinen Geist auf der äußeren Fensterbank sitzen. Er sah noch ganz schön müde aus.
„Kennst du die Taube?“, fragte Tante Mastha.
Gernot nickte. „Das ist meine alte Nachbarin.“, sagte er. „Sie wohnt oben in der Kirchturmspitze und hat sich dort ein Nest gebaut. Jetzt ist sie gekommen, um mich zu besuchen.“
„So früh am Morgen?“, staunte Tante Mastha. „Die hat aber einen ganz schönen Redefluss!“
„Sie erzählt gerade, was so alles im Kirchturm passiert. Der Pfarrer lässt die Treppen machen, die zur Aussichtsplattform führen. Aber das weiß ich alles schon. Ich besuche die Glocken ja selber
noch.“, erklärte er ihr.
„Mh.“, überlegte Tante Mastha laut. „Ob die Taube vielleicht Hunger hat? Die weckt ja alle Leute auf mit ihrem lauten Organ. Vielleicht sollte ich ihr ein Frühstück machen?“
„Die hat schon gefrühstückt.“, meinte Gernot. „Und hat dabei das ganze Dach bekleckert. Schau doch mal, wie weiß es ist.“
In der Tat. Es war nicht zu übersehen. Der produzierte Taubendreck reichte vom Dachfirst bis runter in die Dachrinne. Frau Taube schien das aber nicht zu stören.
„Es ist wohl nicht ihre Taubenart, ihren Unrat wieder wegzuwischen?“, fragte Tante Mastha leise und Gernot flüsterte zurück:
„Nein, die nicht. Drum nennen wir sie ja auch Frau Schettertaube!“
Darüber mussten beide kräftig lachen.
Das bekam Frau Taube natürlich mit und schlussfolgerte ganz richtig daraus, dass sich ihre morgendlichen Gastgeber auf ihre Kosten lustig machten.
Das nahm sie nicht so einfach hin.
Sie plusterte sich energisch auf, schimpfte ein paar Gurrlaute in
ihre Richtung, drehte sich erhaben um und flog stolz davon.
„Auweia, jetzt ist sie beleidigt!“, rief Gernot erschrocken und Tante Mastha sagte zerknirscht:
„Ja, höflich war das jetzt nicht von uns, da hat sie Recht. Aber so früh macht man nun mal auch keine Besuche. Was denkst du? Ob sie noch mal wieder kommt?“
„Doch, das glaube ich schon.“, antwortete Gernot zuversichtlich. „Wenn sie sich beruhigt hat, ist sie bestimmt bald wieder da. Dafür erzählt sie viel zu gern.“
„Dann sollten wir die Zwischenzeit nutzen und zurück in unsere Betten
gehen. Vielleicht können wir noch ein wenig schlafen.“
Übrigens:
Gernot sollte Recht behalten.
Frau Schettertaube kam bald wieder und bekleckerte weiterhin das Dach.
Aber so früh, wie an diesem
Morgen, war sie nicht mehr wieder gekommen.
Wer schleicht da
durch die dunkle Nacht?
Ich kann niemand sehen!
Es hat ganz leise nur gelacht,
das konnt' ich gut verstehen.
Es ist ein Geist, der spuken will,
er möchte mich erschrecken.
Ich verhalte mich ganz still,
so kann er mich nicht necken.
Ich weiß,
es ist nicht wirklich schlimm,
ich mag den Geist gut leiden.
Ich kenne nämlich seine Stimm',
das Kind spielt nur verkleiden.