Reinste Perfektionr
Bei diesem guten Stück handelt es sich um eine Neuauflage zu meiner Kurzgeschichte „Sie und Ich“, welche ich bereits entfernt habe – sie hat mir einfach nicht mehr gefallen.
Ich widme diese Zeilen der Korrekturleserin – welche zugleich meine Lieblingsautorin ist.
Fil, ich bedanke mich, dass du so auf eine bescheidene Art zeigst, was mit Worten möglich ist und du stets ein offenes Ohr für mich hast – obwohl es selten ums Schreiben geht.
Ihr klares Lachen erfüllte das sonst so trostlose Klassenzimmer. Ich konnte sehen, wie ihre schneeweißen Zähne hervor blitzten und sich Lachfältchen um ihre Augen bildeten, die ihr einen fröhlichen Ausdruck verliehen - und ich so sehr an ihr mochte. Sie strahlte so viel Energie und Lebenslust aus, dass man nicht anders konnte, als fasziniert von ihr zu sein. Dabei wusste ich nicht einmal worüber sich lachte. Anschließend, strich sie sich eine ihrer Strähnen aus ihrem schönen Gesicht. Sie tat es in einer so graziösen und flüssigen Bewegung, dass es so manchen Mal an Kunst grenzte.
Immer wenn ich sie aus meinen
Augenwinkeln beobachtete, dachte ich daran, wie schön sie war, so wunderschön, so vollkommen und doch aus Fleisch und Blut. Einfach alles wirkte an ihr stimmig – von ihren Haaren, die wie flüssiges Gold über ihre Schultern fielen, bis hin zu ihrer makellosen Haut, die dem feinsten Porzellan glich. Sie war reinste Perfektion! Viel zu einzigartig für diesen trüben Ort und dennoch war sie hier, nur wenige Zentimeter von mir entfernt.
Plötzlich bohrten sich ihre blauen Augen in die meinen. So unerwartet, dass mir die Luft zum Atmen weg blieb. Zwei Seen starrten mich an, so
unglaublich tief, dass man sich leicht in ihnen verlieren konnte, bereitwillig ertrank, wenn es bedeutete, ihr etwas näher zu sein.
Ihre Lippen bewegten sich, woraufhin ihre Stimme erklang. Helle, sanfte Töne drangen in meine Ohren und erzeugten eine Gänsehaut, die meinen ganzen Körper überzog. Es war Genuss für die Ohren, weshalb ich mich oft nicht darauf konzentrieren konnte, was sie eigentlich sagte – wie auch in diesem Augenblick.
Plötzlich hörte ich jemanden meinen Namen rufen. „Hanna, mir ist durchaus bewusst, dass Mathe jetzt nicht die schönste Sache der Welt ist, aber ich
würde dich dennoch bitten, mir mehr Aufmerksamkeit zu schenken als deiner Sitznachbarin!“
Widerwillig löste ich den Blick von meiner besten Freundin und sah nach vorn. Mein Klassenlehrer stand deutlich verärgert an der Tafel und klopfte sachte mit ein Stück Kreide neben dem Gleichheitszeichen einer Aufgabe. „Kannst du die Aufhabe lösen, Hanna? Offensichtlich benötigst du ja keine Erklärung!“ Ich war perplex. Wir hatten doch gerade Kunst bei der neuen Referendarin?!
Die Klasse brach in tobendes Gelächter aus, denn offensichtlich hatte ich meine
Gedanken laut ausgesprochen. Mein Klassenlehrer schüttelte ungläubig den Kopf. Üblicherweise ein schlechtes Zeichen, das würde sich ganz und gar nicht gut auf meine Note auswirken. Er wählte eine andere Schülerin aus um die Aufgabe zu lösen und befreite mich aus der peinlichen Situation.
„Was ist denn bitte mit dir los?“, fragte mich meine Freundin neckend und lachte leise. Was mit mir los war? Sie war mit mir los! Seit Tagen geisterten nur noch diese Wünsche in meinem Kopf herum: Wünsche nach Nähe und Zärtlichkeit. Aber Sie waren nicht richtig! Schließlich begehrte ich sie, meine Freundin – ein Mädchen. War ich
verrückt? Ja, ergänzte ich für mich, verrückt nach ihr.
Die alte Schulglocke erklang dumpf und monoton und verkündete das Ende eines weiteren Schultages. Wie üblich brauchte ich am längsten um meine Tasche zu packen. Meine Freundin lehnte im Türrahmen und begutachtete mich amüsiert, wie ich alles mühselig zusammen klaubte. Ich war keine besonders ordentliche Persönlichkeit. Meine Stifte waren nie sortiert, meine Schulhefte hatten vereinzelt Eselsohren und wenn man nur suchte, würde man auf dem Boden meiner Schultasche sicher die Überreste eines aufgegangenen Anspitzers finden, die ich oftmals
achtlos in die Tasche packte – anstatt sie sicher im Etui zu verstauen.
Wie üblich traten wir den Heimweg gemeinsam an, denn wir wohnten nicht weit voneinander entfernt. Wir liefen immer einen kleinen Umweg, der durch einen Wald führte, den wir beide so gern mochten. Wir genossen den Klang der Bäume, die dem Wind nachgaben und erfreuten uns an den Gesang der Vögel.
Während unsere Schritte durch den Waldboden gedämpft wurden, wurde mir bewusst, dass wir ganz allein waren. Niemand war in der Nähe, keiner konnte uns sehen oder hören, es gab nur sie und mich. Eine Stimme in mir schrie
förmlich danach die Situation zu nutzen. War das vielleicht der Augenblick, auf den ich insgeheim gewartet hatte? Ich könnte ihr sagen, wie viel ich für sie empfand, mich der Situation stellen – die mir schon so lange den Schlaf raubte und mich jede wache Sekunde beschäftigte, sodass mich diese einsamen Gedanken inzwischen schmerzten. Jetzt hatte ich eine Chance. Ich musste sie nutzen, bevor sie verschwand!
Ruckartig blieb ich stehen, jedoch rechnete sie nicht damit, sodass sie in mich hinein lief. Reflexartig hielt sie sich an mir fest, damit sie nicht ins Straucheln geriet und auch ich griff
schnell nach ihr, um Halt zu bieten. Fragend und entschuldigen sah sie mich an und lächelte leicht verlegen. „Was ist denn los?“, fragte sie mich erneut, wie zuvor im Unterricht und klang ein wenig besorgt. Ich wollte ihr so vieles sagen - so viele unausgesprochene Dinge.
Wir standen immer noch dicht beieinander. Kein Blatt hätte zwischen uns gepasst. Unsere Nasenspitzen berührten sich fast und ich fragte mich, ob ich ihr jemals so nahe gewesen war. Sie war kleiner als ich und musste ein wenig hinaufschauen, um den Blickkontakt halten zu können. Auf ihren Wangen breitete sich eine leichte Röte aus, aber sie veränderte die
Situation nicht, deutete mir nicht, sie los zu lassen – war das vielleicht ein Zeichen? Eine stumme Zustimmung? Nur Wozu?
Ich wollte mich ihr gegenüber öffnen, sagen welche Gedanken in meinem Kopf herumschwirrten – aber ich konnte es nicht. Meine Aufmerksamkeit wanderte zu ihren Lippen, die so schön geschwungen waren und so einladend wirkten. Mein Herz raste schnell, pochte mit voller Kraft in meiner Brust. Es fühlte sich an als würde es hinausspringen! Kurz wanderte mein Blick wieder zu ihren tiefblauen Augen. Ich suchte nach einer Reaktion, aber sie blieb aus. Ich wusste nicht woher ich
den Mut nahm, aber wie von selbst überbrückte ich den letzten Abstand und drückte sachte meine Lippen auf die ihren.
Es war eine unvernünftige Aktion, geboren aus der Spontanität. Auch wenn ich meine Augen geschlossen hatte, konnte ich ihre Überraschung spüren, wie sich ihr Körper versteifte und sie leicht ihre Hände hob, aber sie stießen mich nicht weg. Im Gegenteil, vorsichtig umfasste sie meine Schultern und so schnell, wie sie sich verkrampft hatte, wurde sie sanft. Ihr ganzer Körper war in meinen Händen so geschmeidig wie Samt und sie erwiderte sachte und liebevoll meinen Kuss. Der Moment war
vollkommen, so vollkommen wie sie.
2016/10
©Inhalt und Cover: Anna Breinlinger