die rote Baseballkappe
Begleitung:
Wolfgang Amadeus Mozart
KV415 Klavierkonzert Nr.13 Andante
die rote BAseballkappe
Ist es ein Sonnenaufgang oder senkt sich der Feuerball am fernen Horizont ins Meer?
Am Strand beobachte ich einen alten Mann. Er sitzt auf einem grossen Stein und hat den Kopf zur Sonne gerichtet.
Unweit von ihm entfernt wirft ein Junge flache Steine ins Wasser. Er freut sich, wenn sie mit möglichst vielen Berührungen über die Oberfläche hüpfen.
Regungslos, die Ellbogen auf den Oberschenkeln abgestützt, liegt das Kinn
des Alten auf den verschränkten Händen zwischen den Zeigefingern und den nach hinten gerichteten Daumen, welche ihm Halt geben. Sein Haupt ist bedeckt mit einer braunen Schiebermütze. Trotz unzähliger Falten im Gesicht strahlt er Zufriedenheit aus. Langsam aber stetig verlängert sich sein Schatten.
Ich höre ein enthusiastisches Jauchzen. Der Bursche hopst vor Freude. Er muss wohl einen neuen Rekord erzielt haben. Überschwänglich wirft er seine rote Baseballkappe in die Luft, und fängt sie mit dem Kopf wieder auf. Begeisterung funkelt aus seinen Augen. Schon lässt er den nächsten Stein übers Wasser
springen. Hinter ihm wird sein Schatten immer kürzer.
Auf einmal wendet sich der Rentner dem Jungen zu. Sein Blick verrät die Gedanken: „Ach könnte ich noch einmal … “
„Opa, guck mal, was ich kann“, tönt es von dort. Wieder klatscht ein Stein über die ruhige See. Für einen Moment steht die Zeit still.
Nun rennt der Enkel direkt auf seinen Opa zu und umarmt ihn in voller Absicht. Denn im selben Augenblick stibitzt er seinem Grossvater die
Schiebermütze und setzt ihm die rote Baseballkappe auf die Glatze. Der alte Mann schmunzelt, erhebt sich, und geht einige Schritte zur Seite. Genau an die Stelle, an der zuvor sein Enkel war.
Der Junge setzt sich auf den grossen Stein, stützt die Ellbogen auf die Oberschenkel und legt sein Kinn auf die verschränkten Hände. Lustig sieht er aus unter der viel zu grossen Schiebermütze. Es bereitet ihm sichtliches Vergnügen, einen Erwachsenen zu spielen. Hinter ihm wird der Schatten länger.
Leicht zitternd sucht der alte Mann nach geeigneten Steinen und steckt sich ein
paar davon in die Hosentasche. Dann steht er da, das weite Meer vor sich. Etwas nach vorne gebeugt, wirft er, so gut es eben geht, die Steine übers Wasser. Die ersten beiden Versuche misslingen, doch beim dritten Mal glückt ihm ein super Wurf. Schier endlos scheint der Stein übers Wasser der Sonne entgegen zu surfen. Der Alte schaut hinaus aufs Meer und hinter ihm verkürzt sich unverzüglich sein Schatten.
Erheitert kehrt er zu seinem Enkel zurück und nimmt neben ihm Platz. Laut lachend hebt er dem Jungen die Schiebermütze vom Kopf und setzt ihm wieder die Baseballkappe auf. Gleich
darauf sitzt auch die braune Mütze wieder ordnungsgemäss am richtigen Ort.
Während die Sonne im Meer versinkt, beginnt Opa aus seinem Leben zu erzählen. Sein Enkel liebt diese Geschichten. Dabei geht für ihn die Sonne auf. „Das möchte ich auch einmal sehen …“
Der Alte legt den Arm um sein Enkelkind: „Das wirst du ganz bestimmt!“
Allmählich entschwinden hinter den beiden ihre Schatten.