Paloma Vindicta Amparo, kampferfahrener Kapitän des stellaren Commonwealth - Sternenkreuzers Esperanza, lag im Sterben. Ihre physischen Wunden, vor allem die Verbrennungen und inneren Blutungen, waren einfach zu schwerwiegend. Praktisch hätte ihr zerschundener Körper schon längst in eine erlösende Bewusstlosigkeit gleiten sollen. Dazu kam, dass ihr Schiff nicht mehr zu retten und ihre Mannschaft mehrheitlich tot war - die wenigen davon, die noch am Leben waren, würden es wohl auch nicht mehr lange
machen. Sie hatte alles verloren. Außer ihrem Stolz, ihren unbändigen Willen … und einer sehr wichtigen Aufgabe. Also klammerte sie sich weiterhin verzweifelt an ihr verblassendes Leben und zwang sich gegen jeden rationalen Grund weiter zu gehen. Denn noch war sie nicht tot. Noch nicht ... Doch sie tat dies nicht für sich oder ihr geliebtes Schiff, das einst ihr ganzer Stolz gewesen war. Ihre einzige Aufmerksamkeit galt hier und jetzt den menschlichen Passagieren im hell beleuchteten Schiffskorridor vor ihr, die immer noch unter ihrer Obhut
standen. Diese gesund und frei zu sehen, gab ihr gegenwärtig die nötigte Kraft, um durchzuhalten. Es waren doch alles noch Kinder; auch wenn ihr die Infantin, also zukünftige Königin, Luz Dorléac für ihr Alter von 14 Jahren eine Spur zu aufgeklärt schien, als gut für sie war. Die Geschwister Zsofia, Nadzieja und Toivo, mit ihren tieftraurigen schwarzen Augen - praktisch die letzte Hoffnung ihres untergehenden Adelshauses - waren ihrerseits alle zwischen sieben und elf Jahre alt. Wobei der naseweise und quirlige Toivo wohl der Jüngste der Dreien war. Im Moment jedoch stolperte er bloß eingeschüchtert seinen
Schwestern nach und versuchte verzweifelt mitzuhalten. Keiner von ihnen trug mehr an sich, als das wenige, in das er zu schlüpfen fähig gewesen war, als Paloma sie zu sich gerufen hatte. Luz trug ihr lichtblaues Nachmittagskleid aus arkadischer Seide, Toivo seinen militärischen Trainingsanzug, den er über alles liebte und seine Schwestern die olivgrünen Schuppen-Overalls, die so typisch für das Haus des Drachens waren. Und schließlich war da noch die kleine Consuelo mit ihrem goldenen Wuschelkopf, die alle nur zärtlich 'Consi' nannten. Sie trug als einzige noch
ihren Schlafkimono und klammerte sich mit ihren zwei Jahren tapfer an ihren Teddy. Trotz ihres Alters ahnte auch sie die Dringlichkeit des Moments, als sie sich zwar verängstigt umsah, aber in den Armen der Infantin Luz entschlossen so zu tun versuchte, als hätte sie keine Angst. Luz Johanna Dorléac vom Hause Castella würde wohl einst eine wundervolle, von ihrem Volk geschätzte Regentin abgeben. Wenn sie den heutigen Tag in Freiheit überlebte. Und dafür würde Paloma Vindicta Amparo bis zu ihrem letzten Atemzug
kämpfen. Kurz musste sie innehalten und sich an einer Strebe abstützen, die mit dem königlichen Wappentier der Castellas, dem purpurnen Löwen, geschmückt war. Zumindest, bis sie ihre Beine wieder unter Kontrolle hatte. Zärtlich streichelte sie dabei ihre geliebte Esperanza, hinterließ blutige Spuren am weißen Marmor der Korridorwand. Wieso musste es so enden? Das waren keine Piraten gewesen, die sie überfallen und geentert hatten. Mit solcher Effizienz kämpften nur die ‚Vasallen der Auslöschung‘, die Soldatendroiden des Gottkaisers. Erst jetzt wurde sie gewahr, dass sie in
der Zwischenzeit von den Kindern umringt worden war und die Infantin Luz sie besorgt musterte. Ihre Schnurrhaare zitterten heftig, als sie sich so gut wie nur möglich aufrichtete und ihren Körper gnadenlos weiter zwang. „Los, los! Uns bleibt keine Zeit!“ Meinte sie dabei mit ihrer unverwechselbaren, warmen Stimme. Die Kinder rannten wieder los. Aber vielleicht war dies auch ihr Schicksal. Sie würde wohl den Schwur, den sie deren Eltern gegeben hatte, die Kleinen an einen sicheren Ort zu geleiten, nicht einhalten können … aber sie würde diesen eingebildeten Fratzen des
Gottkaisers schon Respekt beibringen! Ihre Flucht endete schließlich vor einem imposanten Wartungsschott. „Was jetzt?“ Fragte Luz verunsichert. Sie war wirklich ein aufgewecktes Ding, dachte Paloma, als sie sich an die gemeinsamen Spaziergänge auf der Schiffspromenade erinnerte, während sie zwischen den Kindern an das Schott herantrat und dieses mit einem speziellen, mechanischen Schlüssel öffnete. Dann übergab sie ihn Luz, in deren Augen sie deutlich die Abneigung erkennen konnte, den Schlüssel an sich nehmen zu müssen. Aber Paloma wusste, dass sie in ihrer
Verfassung durch die Wartungsschächte keine Chance gehabt hätte, und bis zu ihrem baldigen Ableben bloß ein zeitraubendes Hindernis sein würde. „Meine Reise endet hier“, meinte sie mit ernster Stimme, “ihr aber, schlagt euch weiter zum Haupthangar durch und besteigt dort unbedingt einen der Rettungsshuttles oder eine autarke Überlebensboje der Esperanza. Schotts und Schleusen, die mit diesem Schlüssel geöffnet werden, kann der Zentralcomputer nicht wahrnehmen. Haltet euch aber unbedingt von den Rettungskapseln fern. Darauf warten sie nur!“ Zärtlich streichelte sie bei diesen Worten
Consuelos Wange, bis in ihrer Stimme eine einzigartige Entschlossenheit schwang. „Sobald euch das gelingt, werde ich persönlich dafür sorgen, dass ihr fliehen könnt!“ Kurz verlor sie den Fokus. „Und nun geht ..." Ein letztes Mal umringten und umarmten sie die Kinder, klammerten sich Luz und Consuelo in ihrem Fell fest, während sie vergebens versuchten, die Tränen zurückzuhalten. Eine kurze Umarmung, die für eine gefühlte Ewigkeit anhielt. "Und nun schnell, rennt und versucht mindestens durch die nächste drei Schotts zu
kommen!" Paloma Vindicta Amparo zwang die Kinder förmlich durch das Wartungsschott. „Viel Glück!“ Als sie das Schott versiegelte, versuchte sie es zwar noch zu blockieren, musste dabei jedoch feststellen, dass ihre Berechtigung als Kapitän bereits nicht mehr aktiv war. Kurz kämpfte das humanoide Pantherweibchen um ihr Bewusstsein, fand aber mit verbissener Entschlossenheit zurück. „Ich bin immer noch der Kapitän dieses Schiffes. Wartet nur … ein Ass habe ich noch im
Ärmel!“ Zitternd griff sie sich an ihr neuronales Interface an der Schläfe und brach dessen Verdeck ab, drehte die Einstellung bis zum Anschlag und darüber hinaus. „Upload beginnen!“ Als sie das bizarre Kribbeln in ihrem Gehirn spürte, lächelte sie erstmals seit langem. "Bald ist es vorbei." Murmelte sie dabei. Am Meisten würde sie die sanftmütige und einnehmende Stimme der Infantin Luz vermissen. Schließlich atmete sie tief durch, sah erschöpft auf und blickte entschlossen den nahenden Soldatendroiden entgegen.
Wie erwartet waren es die Vasallen der Auslöschung, mit ihren typischen, einem humanoiden Skelett nachempfundenen Körpern und den wütend dreinblickenden Schädeln. Erschaffen einzig und alleine, um Furcht und Schrecken zu verbreiten. Als Reaktion auf ihre kampfbereite Pose blieb die schwer bewaffnete Einheit knapp zehn Schritt vor ihr stehen. Während alle Laserwaffen auf sie gerichtet wurden, teilten sich ihre Reihen. Drei hochgewachsene Männer schritten hindurch, und ihre goldenen Uniformen waren unverwechselbar. Paloma Vindicta Amparo zeigte keine
Schwäche, kein Schwanken, nur ihre markante Stimme zitterte und war von einer unendlichen Müdigkeit erfüllt. „Piraten … dass ich nicht lache. Das ist unverkennbar das Wappen des Gottkaisers Auroom.“ „Man kann nun mal seine Herkunft nicht verleugnen.“ Meinte einer der drei blasshäutigen Menschen zynisch. „Und nun Kapitän Paloma“, begann derjenige in der Mitte, „sie haben uns jetzt eindrucksvoll bewiesen, dass ihr Ruf als unerbittliche und begnadete Kämpferin trotz ihres fortgeschrittenes Alters immer noch Gültigkeit hat ... aber jede Legende stirbt nun einmal.“ „Seid ihr Fratzen euch wirklich so
sicher?“ Der letzte der Dreien grinste nur. „sie blufft bloß. Praktisch ist das Tierweib schon Tod. Sie weiß es nur nicht!“ „Tja, so ist nun Mal das Schicksal“, sprach erneut der Erste zufrieden, „eure kurzsichtigen Herren waren nun mal in jeglicher Hinsicht blind, als sie sich den Anforderungen unseres geliebten Gottkaiser widersetzten und dachten, sie würden mit einer solch billigen Rochade davonkommen.“ Paloma brachte so etwas wie ein Schmunzeln zu Stande. „Das glaube ich, wenn man gleichzeitig kurzsichtig und blind sein soll.“ „Ich … ihr wisst, was ich
meinte!“ "Des weiteren … ihr Anfänger habt wirklich keine Ahnung vom großen Spiel. Das sind keine Könige.“ „Noch nicht!“ „Es war uns gewissermaßen ein Vergnügen mit ihnen, Kapitän“, meldete sich nun wieder der Mittlere zu Wort, der seine lange, lichtblaue Mähne als Zopf über der rechten Schulter gebunden trug. „Aber auch wir haben nicht unbegrenzt Zeit zur Verfügungen. Sie, meine Verehrte, SIND bereits Geschichte … mit ihren Gästen werden wir jedoch Geschichte schreiben! Wo sind sie?“ Paloma sah noch ein letztes Mal zum
Wartungsschott, dann richtete sie sich stolz auf, spitzte die Ohren durch und rückte sich die Reste ihrer blutbesudelten Uniform zurecht. In ihren Augen brannte ein wildes Feuer. "Nur über meine Leiche!" „Wenn ihr das wünscht“, meinte der Dritte, als er nun unbeeindruckt auf sie zuging, „denn ihr seid bereits Tod. Aus den Weg, Tierweib!“ Seine Begleiter folgten ihm entschlossen, und auch die Soldatendroiden setzten sich wieder in Bewegung. Dann griff der Mann nach ihr, um sie beiseite zu stoßen. Paloma Vindicta Amparo atmete noch ein
letztes Mal aus und das Feuer in ihren Augen erlosch endgültig ... einen halben Herzschlag, bevor sich ihr Daumen komplett krümmte und den Auslöser des Sprengsatzes in ihrer Hand durchdrückte.
Die Explosion erschütterte die ganze Esperanza und brach sogar deren Außenhülle auf.
Belledejour Ich mag Deine spannende Geschichte sehr. Sie ist sehr stimmig. Liebe Grüße Belle |