Mein Neujahrswunsch
Lassen wir uns nicht verheizen, verhetzen
und mit Dingen mästen, die uns nicht gut tun.
Richten wir unseren Blick auf das, was wir beeinflussen können, alles andere kostet nur unnötige Energien.
Trauen wir uns, in die Chefrolle zu schlüpfen und unser Leben selbstbestimmt zu gestalten.
Allen Schreiberfreunden ein möglichst
angst- und schmerzfreies Neues Jahr!
MerleSchreiber 01. Jan 2020 ==>
Das Verwöhn-Package
Auf meinem Teller in der gefühlten
Größe eines Wagenrads liegen drei Kalbsmedaillons, jeweils vom Durchmesser einer 2 Euro Münze, festgepappt auf einem drei Millimeter hoch verstrichenen Löffelchen Püree vom Safran mit Dillsabayon. Wie von Sinnen, weil von einem Heißhunger gesteuert, spieße ich das mittägliche Almosen dieses feinen Hauses auf meine Gabel und schlinge es hinunter.
Die Geschmacksknospen meiner Zunge sind überrumpelt, haben keine Zeit, sich zu entfalten und so hätte es genauso gut ein ordinäres Gulasch sein können, das mich da am Gaumen kitzelt, aber
mitnichten auch nur annähernd satt macht.
Ich habe noch die Stimmen meiner Lieben im Ohr, als sie mir vergangene Woche zu meinem vierzigsten Geburtstag den Gutschein für diesen mit fünf Sternen ausgezeichneten Wellnesstempel
überreichten:
"Dort ist alles Premium, Fini," hatte Richard gönnerhaft gemeint und Tanja hat dann noch eins drauf gesetzt:
"Hyper-hyper-hyper-Premium, Mum!"
Stimmt, sie hatten recht. Hier IST alles hyper - hyperunnormal! Und ich weiß, dass ich gleich hyperventilieren werde, denn irgendetwas oder irgendeiner in den Windungen meines Gehirns zählt mich
an: 10, 9, 8..... bei Null werde ich entkräftet, wie ein nasser Kartoffelsack, auf den hochglanzpolierten Marmorboden sinken. Wenigstens bin ich Dank meines vormittäglichen Besuchs in der Beauty-Lounge perfekt gestylt, wenn sich dann gleich einer der drahtigen Serviceboys über mich stürzen wird, um mich mit Mund zu Mund-Beatmung wieder ins Diesseits zurückzuholen.
Aber ich falle nicht, denn ich weiß, was ich meiner Familie schuldig bin:
Die Würdigung ihres großartigen Geburtstagsgeschenks! Pflicht beflissen stehe ich kurze Zeit später am Beauty-Empfang, um mir die Jetons für die Sauna abzuholen.
"Stubensauna, Grubensauna oder Biosauna?", fragt mich eine a la Katie Perry Gestylte, deren runzeligen Hände ihr wirkliches Alter verraten. Als sie sich über den Tresen beugt, um mir Wellnessbanausin das künstlich verkomplizierte Prozedere des Saunabesuchs zu erklären, meine ich, in ihrem Nacken einen Druckknopf entdeckt zu haben, der die Falten ihres Gesichts nach hinten zieht und zusammenhält. Ihr aufdringliches Parfüm verursacht mir einen Brechreiz, das Gulasch äh` die Dillsabayon hat das Bedürfnis, sich zurückzumelden...
Ich schwanke und das Neonlicht der mit unzähligen Swarovskisteinen besetzten
Deckenleuchte droht mir, sich auf mich herabzustürzen, wenn ich nicht pariere.
Contenance, Fini, Contenance!
Das Glück deiner Familie steht auf dem Spiel. Sie haben für dich einen Ort zum Wohlfühlen ausgesucht. Einen Ort, dessen "Verwöhnpackages" dich
innerhalb zehn Tagen Aufenthalt für alle Strapazen und Mühen des Karriere-Kinder-Küche-Alltags der vergangenen zwanzig Jahre entschädigen soll.
Schuld bin ich selber, habe ich doch seit Monaten mit mehr oder weniger versteckten Hinweisen auf ein Geschenk hingearbeitet, das mich zu meinem Lieblingsort bringen sollte. Ich sehnte mich nach diesem für mich
schönsten Ort der Welt, der mit unendlich vielen Erinnerungen und Glücksmomenten verbunden ist.
Und was habe ich bekommen?
Sie haben die Fährten, die ich gelegt habe, vollkommen missverstanden und mich einer Wellnessmaschinerie zum Fraß vorgeworfen!
Nein, so nicht.
So wird das nichts.
Ich offenbare der nun schon etwas angefressen dreinblickenden Druckknopflady, dass ich es mir anders überlegt habe. Ich habe keine Lust, weder auf Stube- noch Bio- und schon gar nicht auf Grubensauna und ich will auch gar nicht wissen, was die drei
Schwitzvarianten voneinander unterscheidet.
In mir reift ein Plan und ich spüre, wie augenblicklich meine Lebensgeister zurückkehren. Nachdem ich gepackt habe, gehe ich zur Rezeption und lasse mir ein Taxi zum Bahnhof bestellen.
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Giselle ist erstaunt: "Was, da willst du hinauf?" Und als sie ergänzt: "Da ist alles noch so einfach wie früher, wir haben da nichts gemacht in all` den Jahren", hüpft mein Herz vor Freude.
Der schrullige Obermarzoner-Bauer nimmt mich bis zur letzten mit einem Fahrzeug erreichbaren Ortschaft auf seinem Erntewagen mit und schenkt mir noch eine Handvoll dunkelroter Weintrauben, als er mich absteigen lässt. Dann bin ich allein. Ohne mich auch nur noch einmal umzudrehen, nehme ich den steinigen, steil ansteigenden Feldweg, der nach wenigen Metern in den Wald hineinführt. Ein leichter Wind lässt die Wipfel der Nadelbäume mir zuwinken, so als wollten sie sagen:
"Dare il buongiorno..."
"Boungiorno", rufe ich erfreut lächelnd zurück: "Ah, ihr kennt mich also noch!"
Es ist noch ein weiter Weg bis zur Hütte.
Auf einem moosbewachsenen Baumstumpf mache ich nach etwa einer Stunde Rast und verspeise die köstlichen Weintrauben vom Obermarzoner. Überall um mich herum raschelt und knistert es. Ich ängstige mich nicht, denn Giselle sagt, böse Leute machen sich nicht die Mühe, so weit hoch zu gehen und von den Tieren hast du nichts zu befürchten. Sie sind froh, wenn du sie in Ruhe lässt.
Von der Ferne höre ich Kirchenläuten,
das mich ans Weitergehen erinnert.
Ich erreiche die Hütte noch vor Sonnenuntergang, finde den Schlüssel an der alten Stelle unter der Dachrinne und kann mein Glück kaum fassen, als ich die schwere knarzende Türe öffne. Ein in all`
den Jahren nie in Vergessenheit geratener Duft von altem Holz, getrockneten Pilzen und Kräutern kommt mir entgegen. Es gibt nur eine Küche mit einem Holzofen, einer Eckbank und einem ausrangierten Kanapee und eine Schlafstube mit einem Doppelbett. Ja, und einen Raum, der für die Besucher tabu ist. Er gehört den Bienenvölkern, die dort unermüdlich die Wabenkästen befüllen, die Hans, Giselles Mann, gezimmert hat. Ich werde mich hüten, ihrer Einflugschneise auf der Südseite der Hütte nahe zu kommen!
Nachdem ich mir ein Bett mit der rot-weiß gewürfelten Bettwäsche - die Giselle mir mitgegeben hat - bezogen
habe, falle ich todmüde in die Kissen. Meine Gedanken sind nun völlig frei. Ich habe es geschafft, ich bin an meinem Lieblingsort! An dem Ort, an dem ich mich regenerieren kann. Morgen früh werde ich mir mit dem eiskalten Brunnenwasser die verbliebenen Schminkreste aus dem Gesicht und den aufgestauten Groll von der Seele
waschen. Denn ich habe es nun, mein
Verwöhnpackage, das ich mir zu meinem runden Geburtstag so sehnlichst gewünscht hatte.
Ach ja, es könnte sein, dass ich morgen ins Dorf hinuntergehe, zu Hause anrufe
und Richard und Tanja bitte,
nachzukommen.
Es könnte aber auch sein, dass ich damit noch einige Tage warte..... ;-)