Mein wunderbarer Ort
Drei Gelegenheiten hatte ich, diesen Ort aufsuchen zu können.
Das erste Mal war absolut berauschend. Sicherlich, weil es das erste Mal war.
Das zweite Mal war mit Abstand das Beste.
Und das dritte Mal war das kribbeligste, weil ich allein unterwegs war. In schlechtem Englisch wurden mir vor dem Start Anweisungen gegeben, und schon war ich in der Luft, ehe mir klar wurde, dass ich nun auf mich gestellt war.
Ein bisschen froh darüber, dass ich so etwas schon mal gemacht hatte und zumindest bruchstückhaft wusste, was mich erwartet.
Doch war das Ganze ziemlich kurz, weil nicht sonderlich hoch.
Im Nachhinein denke ich, es wäre auch viel zu gefährlich gewesen …
Doch an die beiden anderen Male kam es nicht ran.
Nicht mal mit Abstand!
Es geht um den ältesten Traum der Menschheit.
Es geht um das Fliegen.
Und zwar mit möglichst wenig Ballast und Schutzhülle um mich herum.
Und weil es mir um das Fliegen geht und nicht um das Fallen, erzähle ich hier vom Paragliding.
Und natürlich betreffen meine Ausführungen den zweiten Flug.
Komm mit mir, mein lieber Leser, und lass es uns gemeinsam zusammen erleben …
Die Sonne schien, der Himmel war makellos. Das Telefon klingelte.
Es war Achim.
Er bemerkte, die Bedingungen seien sehr gut und ich solle mich an besagtem Ort einfinden.
Aufgelegt, Hose an und los.
Ich war froh, nicht selbst fahren zu müssen, so aufgeregt war ich als wir das Haus verließen.
Wir mussten eine weite Strecke fahren. Dorthin, wo die Berge noch steiler wurden, wo die Natur unberührter war.
Mit pochendem Puls sah ich aus dem Fenster.
Mein Mann - ein bisschen ernst.
Was hatte er nur getan?
Mir diesen Flug organisiert.
Aber was, wenn etwas schief ging?
Ich konnte sein Gedankenspiel auf seiner Stirn ablesen, wollte aber nicht an irgendwelche Folgen denken, sondern rief mir das Gefühl vom ersten Mal auf.
Das half.
Meine Aufregung schlug in Vorfreude um und tatsächlich konnte ich ihn ein bisschen anstecken.
Oder er machte einfach nur eine gute Miene zu diesem Spiel.
Das kann ich nicht so genau sagen.
Vom Parkplatz aus mussten wir noch ein gutes Stück wandern, ehe wir das Bergplateau erreicht hatten.
Ein aufrechter kraftvoller Mann kam auf uns zu. Er stellte sich mit dem Namen Achim vor. Ich sah in seine ruhigen Augen, die sonnenverwöhnten Fältchen drum herum und das offene Lächeln.
Zu diesem Mann hatte ich vom ersten Moment an Vertrauen.
Und mein Puls entschleunigte sich ein wenig.
Ich unterschrieb einen Zettel – eine Urkunde für den Fall, dass etwas schief geht …
Mein Mann verabschiedete sich.
Er wollte mich am Fuße des Berges in Empfang nehmen. Vielleicht musste er sich einfach die Füße vertreten. Er hatte niemals einen Hang zum Risiko und brauchte wahrscheinlich dringend Abstand …
Achim erklärte mir, worauf es ankam, welchen Part ich übernehmen soll. Und es war wirklich leicht:
Ich musste einfach nur machen, was er sagte.
Ganz simpel, wenn nur das Blut in meinen Ohren nicht so laut gerauscht hätte.
Ich sagte ihm das, wir lachten gemeinsam und schon war es besser.
Er legte mir mein „Geschirr“ an.
Zuerst ein Bein, dann das andere …
Wie ein kleines Kind stützte ich mich unbeholfen an seiner Schulter ab.
Einen schweren Sack vor dem Po – ich wusste, das war der Sitz, in den ich mich, sobald wir in der Luft waren, hineinsetzen konnte. Dann zog er sich selbst seines über. Zum Schluss verband er uns miteinander.
Metallhaken klickten, Sicherheitsriegel wurden verschraubt.
Dicht aneinander standen wir nun am Hang. Er sagte, wir müssten rennen bis da vorne und zeigte auf den markanten Punkt, an dem sich der Berg steil abwärts neigte.
Beim besten Willen konnte ich mir nicht vorstellen, wie ich mit diesem schweren Zeug rennen sollte – mein Begleiter sehr dicht hinter mir. Kaum eine Möglichkeit, ihm nicht auf die Füße zu treten!
(Beim ersten Mal wurde ich mit einer Seilwinde hochgezogen …)
Es musste im absoluten Gleichschritt geschehen. Dafür pendelte er uns ein.
Auf sein Kommando lief er los. An meinen Schultern nahm er mich mit sich.
Und stoppte.
Es war ein Test.
Ich musste mich anpassen wie eine Marionette. Mich lenken lassen in Geschwindigkeit und Richtung.
Er dirigierte mich mal hier hin und mal dort hin.
Ein zweiter Test.
Schon besser.
Nun legte er seinen Schirm aus.
Wenn man davor steht, hat so ein Teil beträchtliche Ausmaße!
Jede Schnur muss akkurat liegen.
Wir stellten uns an die Startposition.
Schräg vor uns, ganz nah am Abgrund, war eine Windhose befestigt.
Achim beobachtete das flatterige Teil.
Mal stand es wie eine Eins und schon ließ es wieder nach. Er erklärte mir einiges über den Aufwind. Und dass er in Wellen den Berg heraufkam.
Wichtig war es, die stärkste Welle abzupassen.
Bei „los“ wurde gelaufen. Und zwar, was die Füße hergeben!
Bald war es soweit.
Er rief „los!“ und ich rannte so gut ich konnte. Achim lenkte mich optimal in den Wind. Mit einem Mal gab es einen kräftigen Ruck.
Ohne Achim wäre ich sicher auf dem Hintern gelandet!
„Weiter, weiter“, rief er und schon lösten wir uns vom Boden.
Es ging steil aufwärts.
Der Wind trug unseren Schirm weit hinauf. Achim sagte, „gut gemacht“, und „setz dich in das Geschirr.“
Mit einem leichten Schwung hob ich mich in den Sitz und Ruhe kehrte ein.
Genuss pur.
Die Welt so klein unter mir.
Die Kronen der Tannen.
Minihafte Wege - ganz da unten.
Nur der Wind sang leise sein Lied an den Schnüren.
Achim lenkte den Schirm in weiten Schleifen, immer auf der Jagd nach den Aufwinden.
Er fragte, ob es ein bisschen wilder sein dürfte.
Ich antwortete mit, „auf jeden Fall!“ und lachte in den Wind hinein.
Und so holte er raus, was ging. Ließ uns abfallen, damit wir wieder aus dem Schwung heraus frischen Auftrieb bekamen.
Freiheit fühlt sich genau so an.
Für mich.
Schwerelos mit ordentlich Wind im Schirm.
Leider wurde irgendwann der Sportplatz unter uns größer.
Je dichter wir unserem Planeten kamen, desto bewusster wurde mir die Geschwindigkeit, mit der wir uns bewegten.
Nun stand uns die Landung bevor.
Unter uns schien die Welt sich schneller zu drehen. Die Wiese ergab nur noch ein rasant rasendes Streifenmuster.
Achims Anweisung: „Lauf, lauf, lauf!“
Bereits in der Luft loslaufen und dann auch auf der Wiese nicht nachlassen.
Das hörte sich einfach an.
Aber da es bereits mein zweiter Flug war, wusste ich um die Tücken der Landung Bescheid.
Dennoch!
Ich lief.
Ich lief so schnell und kraftvoll ich konnte. Doch bei der ersten Berührung mit der Erde fiel ich vornüber und Achim auf mich drauf. Der Schirm überholte uns und zog noch ein wenig an uns.
Wir lachten gemeinsam.
Mit diesem Adrenalinspiegel ist es unmöglich, sich weh zu tun.