12. Rückfahrt
( Überarbeitete Version
Müde blickte der völlig erschöpfte Junge auf den Holzstock, und anschließend auf die entschlüsselte Botschaft. Hoffnungslos sackte er auf dem Rücksitz von Isodoras Wagen zusammen.
Nicht sehr aufschlussreich, was er herausbekam. Ein Haufen Buchstaben und Zahlen.
S4POA4RVTCAH
CKOANIT/RAALRIXOASNKDYETRAPLAES
ISNADUEFBDIIBCIHLAIUOFTPEACPAA
JUONADNMIANMAA
Die Rückfahrt nach Falkenstein würde im Verhältnis zu andern Reisen nicht all zu lange dauern. Doch die letzten Ereignisse brachten Kai um einige Tage richtigen Schlafs. Der Brief seines Onkels fraß sich tief in seine Seele hinein. Jeder Buchstabe davon schien eine Kopie auf Kais Netzhaut zu
hinterlassen. Es war kein weitschweifiger Brief gewesen, wie Julian immer mir, seiner Mutter zukommen ließ.
Kai, diese Nachricht hat es niemals gegeben!
Dein Vater wollte, dass du diesen Stab erhältst.
Ich werde dir nicht helfen können.
Es tut mir leid.
Wir alle schweben in großer Gefahr.
Fragen wie Gewehrkugeln schossen dem Jungen durch den Kopf. Mir sagte er nichts jedoch wäre ich keine Oma, wenn ich sein Gesicht nicht dabei deuten
könnte. Das genaue Ausmaß von Julians Nachricht war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst. Mit dieser Vorladung bei den Astrons hatte ich mehr zu tun, als mit Isodoras Gemeckere.
"Was wird aus den Studenten?", wollte die Frau wissen. So gut gelaunt wie es ging stieg ich in den Jeep.
"Ich habe Raven angerufen."
Mit ihrem fast durchdringendem Blick strafte mich Isadora: "Frau Professor, dieses Haus ist etwas Besonderes.“
Ihre dunklen Haare hatte sie zu einem Strengen Dutt nach oben gebunden wirkte somit, als hätte sie das Fräulein Rottenmeier, aus Heidi kopieren
wollen.
„Ich weiß, deswegen habe ich die zuverlässigste Schülerin meines Mannes ausgewählt, die meine Studenten im Auge behalten soll. Und willst du nicht bald mal den Motor starten?“
Mein Ausspruch hatte die praktische Folge, dass die Schwester meiner Schwiegertochter keine Widerrede gab. Im Gegensatz zu der mürrischen Anstandsdame aus dem Kinderbuch, war sie doch etwas umgänglicher und um einiges eleganter.
„Wir fahren“, jubelte Mia vom Rücksitz lauthals.
„Mia, meine Ohren“, brummte Kai-Alexander.
Für das Mädchen verlief die Fahrt spannender, als jedes Abenteuerbuch. Zum ersten Mal in ihrem Leben sah sie mehr als die Schule, unser Studienhaus, oder das Kamui. Es war eine wirklich gute Ablenkung von all den Dingen, die Kai innerlich marterten. Mein Enkel hatte allerhand damit zu tun, um Mia all ihre löchernden Fragen zu beantworten.
Was ist das? - Eine Hochspannungsleitung, eine Fabrik, eine Straßenbahn, ein Tiertransport und so weiter und so fort...
Wir fuhren erst abends los und auf halber Strecke schliefen alle außer Isodora, die am Steuer saß, und Kai im
Auto.
Allerdings verspürte Kai nicht das geringste Bedürfnis sich mit seiner Tante zu unterhalten.
„Du weißt, dass du sie Felizitas vorstellen musst! Das Center kümmert sich seit jeher um Wesen wie sie."
Genau wegen solchen kalten Worten, wollte Kai nicht mit ihr reden. Mit ihrer Art hatte er schon immer Schwierigkeiten. Außerdem hatte sie nichts mit seiner Mutter gemein gehabt, abgesehen von einer ziemlich verkorksten Jugend.
"Hast du mich verstanden
Kai-Alexander!"
In seinem Magen brodelte es bei ihren strengen, fast beiläufigen Worten.
"Über dem Center steht immer noch der Segen der Falkenherrin", nuschelte der Junge, und vermied den Blickkontakt über den Rückspiegel des Jeeps.
Im Schein der vorüberfliegenden Straßenbeleuchtung blitze das Gestell von Isodoras Brille warnend auf.
"Johanna hat ihre eigenen Probleme und du wirst auch bald welche bekommen, wenn es so weiter mit dir geht. Wie stellst du dir die Prüfung vor? Die Alexis verfügen kaum noch über Reputation. Gabriel ist ein Aureus, und stärker als du. Gegen andere Großmagier hast du
keine Chance."
Von dieser Frau eine Moralpredigt zu bekommen machte Kai innerlich zu dem Rebellen, den viele in der Schule in ihm sahen. Für diese Frau hatte ihr doch sowieso nur zufunktionieren.
"Sechs große Geister Eurasiens schlossen mit sechs Menschen und deren Familien ein Bündnis, damit es eine Brücken zwischen den so unterschiedlichen Welten, und eine Ordnung darin gab. Als eine der Familien ihre Macht missbrauchte und den Geist unterwarf, wurde die Familie ausgelöscht und der Geist in viele kleine Segmente zerteilt, die nur noch als Halbschatten den andern Geistern dienten, um die restlichen fünf
Familien im Auge zu behalten. Fortan wird alle fünfzig Jahre geprüft, wer sich als loyal und würdig erweist. Unwürdige, sei es zu schwache oder verdorbene Wesen, bleiben am Ort der Prüfung zurück bis in alle Ewigkeit."
"Danke für das Schauermärchen", knurrte Kai in sich hinein, und dachte an den Brief seines Onkels. Um das Gespräch endgültig zu beenden senkte er den Kopf und begegnete somit, ganz unverhofft, den müden Augen von Mia.
Somit sahen sie sich einfach nur an. Keiner verlor ein Wort oder einen flüchtigen Gedanken, den der andere hätte hören können. Sehr angenehm und warm empfanden die beiden diesen
ruhigen Moment. Dann richtete sich Mia etwas auf und umarmte Kai still, sowie irgendwie auch heimlich. Dieser rührte sich nicht, und ließ es einfach geschehen. Ihre Hand fuhr wie ein Hauch über seine Wange, sodass ihn ein Schauer überfiel.
Zum ersten Mal begann Kai sich seit Tagen zu Entspannen. Seine Augen wurden bleiern und schwer, sodass sie langsam zufielen. Bei jedem Atemzug erkannte der Junge Mias Geruch und spürte ihre Nähe, ihre Wärme. Seine Glieder sehnten sich nach mehr Erleichterung und Aufschwung, weswegen sein Arme ruckten um Mia festzuhalten. Doch soweit sollte es nicht
kommen.
Auf dem Schoß des Mädchens lag nämlich ihr Schreibheft, dass sie immer mit sich führte und alles aufschrieb, was sie lesen konnte.
Jedoch das, was Kai darin aufgeschlagen sah, raubte ihm den letzten Funken Hoffnung auf den Schlaf. Allerdings schrieb Mia nur das was sie auch lesen konnte, und notierte sich den Text von Julian. Doch Kai zeigte ihm niemanden nicht einmal mir, oder seinem Bruder. An Mia dachte er dabei nicht ein einziges Mal, und trotzdem stand dort der Brief seines Onkels in entschlüsselter Form.
404 v. Chr.
Sparta
Contrario Skytale in de Biblioteca Joanina.
Kai-Alexander, pass auf dich auf
Papa und Mama
Mia, was hast du getan?
Dein Vater, nicht ich. Ich bin nur die Tochter einer verfluchten Schamanin.