Der Zug des Lebens
Manuel spürte, dass es so nicht mehr weiter gehen konnte. Jeden Tag ging er mor-gens zur Arbeit, nur um abends nach Haus zu kommen und dann Chips mampfend vor dem Fernseher den Tag zu beenden. Nein, auch wenn er schon 45 war, das war wirklich nicht dass, was er vom Leben erwartete.
Außerdem war sein Lieblingszitat: „Zu spät ist nur, wenn man nie anfängt.“ Zuerst musste er allerdings herausfinden, wo er eigentlich hin wollte. Es würde schließlich nichts bringen, wenn er eine Richtung einschlagen würde, die womöglich sogar in die gegenteilige
Richtung führte, in die er eigentlich wollte.
Da es gerade ein schöner, sonniger Tag im Mai war, zog er sich sein Lieblings-T-Shirt und eine kurze Hose an und lief darauf los, ohne selbst zu wissen, wohin er ei-gentlich wollte. Er lief durch die lange Straße, in der er wohnte, danach durch den da-ran angrenzenden Park und dann an den Bahngleisen entlang.
Als ein Zug an ihm vorbeifuhr entschloss er sich den Bahngleisen zu folgen,. Vielleicht wäre ja Zugführer das Richtige für ihn? Er lief weiter und weiter und weiter und wunderte sich, dass er sehr lange lief, ohne auch nur einen Haltepunkt und schon gar nicht einen Bahnhof zu sehen. Gerade als er umkehren
wollte, tauchte wie aus dem Nichts ein sehr grosses Gebäude auf. Ob das ein Bahnhof war? Da er sehr neugierig war, lief er in die Nähe des Gebäudes. Kurz bevor er bei dem Gebäude ankam, spürte er irgendetwas, das sich anfühlte wie eine Mauer. Aber keine Mauer aus Stein, sondern nur eine Art virtueller, unsichtbarer Mauer, die er auch ganz einfach durchbrechen konnte. Als er diese Mauer durchdrungen hatte, wunderte er sich noch mehr. Der Bahnhof schien recht groß zu sein, dabei hatte er nur ein Gleis gesehen, das in dieses Gebäude führte. Jetzt schien es so als würde es in diesem Gebäude mindestens 20 Gleise oder mehr geben. Das war nicht das Einzige, was hier seltsam war. Im gesamten Bahnhof sah er
weder Ankunfts- noch Abfahrtspläne und auch von Menschen war weit und breit nichts zu sehen. Wie konnte das denn sein? Auf einem so großen Bahnhof müsste es doch normalerweise wimmeln vor lauter Menschen. Da er absolut nicht wusste, wo er hier jetzt war und erst recht nicht, warum es hier so leer war, schaute er sich weiter um. Nicht einmal in den kleinen Geschäften im Bahnhof war irgendjemand zu sehen. Wenn er gewollt hätte, hätte er alle Läden leerräumen können und es hätte niemand gemerkt. Da das nicht seine Art war, lief er weiter, schaute sich in den Läden um und ging jeden Aufgang zu den Gleisen hoch. Es blieb dabei. Kein Mensch zu sehen, kein Zug und auch auf den Anzeigetafeln war nichts zu lesen.
Einfach nichts, noch nicht einmal „Nicht einsteigen“ oder „Zug endet hier“, nein einfach nichts.
Als er den Aufgang zu Gleis 46 nahm, wurde es wieder einmal noch seltsamer, Ge-rade als Manuel die Treppe hochlief, erschien auf der Anzeige „Vorsicht Manuel, Zug fährt ein.“ Zusätzlich kam noch die Ansage: „Manuel, bitte zurücktreten, Dein Zug fährt ein.“ Manuel dachte nur: „Hä? Wie kann dass denn sein? Wieso werde ich direkt angesprochen? Sowas gibt es doch gar nicht“ Viel Zeit darüber nachzudenken hatte er nicht, denn da fuhr der Zug auch schon ein. Manuel wunderte sich ein weiteres Mal, denn der Zug war in seiner Lieblingsfarbe rot gestrichen
und in Schwarz stand sein Vor- und sein Nachname auf diesem Zug. Wenn er doch nur wüsste was hier gespielt wird,,
Da sein Name auf dem Zug stand und er sehr neugierig war, stieg er in den Zug ein, und schaute sich um. Wie er sich umsah, kam ihm, sehr plötzlich, ein Mann entgegen und er fragte diesen: „Hallo Herr Zugbegleiter, wo bin ich hier? Wo fährt dieser Zug denn hin?“ Da lachte der Schaffner und sagte: „Oh Manuel, dieser Zug fährt, einmal abgesehen von kleineren Umleitungen und Ähnlichem, genau da hin wo Du hin möchtest. Wo möchtest du denn hin?“ Man sah die Fragezeichen über Manuels Kopf aufsteigen und er sagte: „Wenn ich das mal selber wüsste...“ Da lachte
der Zugbeglei-ter wieder und er ging aus dem Zug, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Manuel dachte sich: „Na, wenn ich jetzt hier bin, dann kann ich ja mir den Zug mal genauer ansehen. Manuel lief in diesem Zug immer weiter nach vorne, und irgendwann war er ganz vorne. Er öffnete die Türe und wunderte sich, denn nicht einmal hier war ein Mensch zu sehen. Da knallte es sehr laut, und die Tür fiel hinter Manuel zu. Er versuchte sie zu öffnen, leider ohne Erfolg.
Manuel setzte sich auf den Stuhl, auf dem normalerweise der Zugführer gesessen hatte, und wie er dort saß, fiel sein Blick auf einen Ordner, auf dem stand: „Für Manuel“
Jetzt war Manuel ein wenig mulmig, da er
aber eh nicht den Raum verlassen konnte, wegen der verschlossenen Tür, fing er an zu lesen. In diesem Ordner war nur ein einziges Blatt. Auf diesem Stand: „Manuel, dies ist Dein Zug des Lebens, nur Du weißt wo er hinführen soll. Gute Fahrt und pass auf Dich auf“
Kaum dass Manuel diesen Text gelesen hatte, setzte sich der Zug in Bewegung, und er fuhr immer genau da lang, wo er dachte, dass er am ehesten hingehört. Nebenbei musste er an viele seiner Freunde und Freundinnen denken, die nicht in der Lage waren ihren Zug des Lebens zu finden, geschweige denn diesen zu fahren.
In diesem Sinne
Gute Fahrt ;)