Ich versuche möglichst regungslos da zu stehen. Ich verbiete meinem Körper zu zittern. Ich bin nichts weiter als ein schwarzer Schatten zwischen den dunklen Bäumen. Die Minuten verstreichen und ich warte, ich beobachte und bin geduldig. Letztlich kann ich niemanden mehr auf den Straßen entdecken und während die nächtliche Patrouille sich von mir abwendet, schleiche ich mich über den Hauptplatz. Ich schlüpfe in die dunklen Gassen. Eng an den Hauswänden gepresst, verschwinde ich in deren Schatten.
Dennoch wähle ich die kleinen Wege, fern der Hauptstraßen, nur um sicher zu gehen, dass mein nächtlicher Spaziergang auch wirklich unentdeckt bleibt. Daher dauert es ungewöhnlich lange, bis ich vor dem kleinen, windschiefen Haus stehe. Ich will gerade um das Haus herumschleichen in der Hoffnung , dass wie üblich das kleine Fenster zur Rückseite ein Stück offen steht, als sich die Tür mit einem Schwung öffnet. Das schwache Licht ergießt sich bis über meine Füße, und instinktiv bin ich einen Sekundenbruchteil versucht zu flüchten, aber dann
erkenne ich wer da in der Tür steht und bleibe. Mit einem zaghaften Lächeln trete ich ganz in den Schein der Lampe.
Energisch zieht er mich heran und schubst mich unsanft ins Haus. Prüfend blickt er noch mal nach draußen und geht sicher, dass mich niemand gesehen hat. Dann schließt er die Tür und baut sich vor mir auf. „Wo bist du verdammt nochmal gewesen?“ zischt er durch zusammen gebissenen Zähnen und ich höre die Wut, die in ihm kocht. Doch dann wird sein Blick sanfter. Er sieht wie ich aussehe, und jetzt lässt seine Besorgnis ihn seine Wut
vergessen.
„Wie siehst du denn aus?“ und jetzt zittert seine Stimme leicht. Wirklich nicht besonders doll, wer ihn nicht kennt, würde es sicher nicht mal bemerken. Aber ich kenne ihn, ich kenne ihn sehr gut und daher entgeht mir dieses kleine Zittern nicht. Ich straffe meine Schultern und versuche zu lächeln. Er soll sich nicht um mich sorgen.
Aber ich ahne wie ich aussehen muss und wenn ich nur ansatzweise so schlimm aussehe, wie ich es mir vorstelle, ist seine Besorgnis durchaus berechtigt.
Jetzt ganz sanft, nimmt er meine
Hand und zieht mich zu der kleinen Feuerstelle. Ich setze mich auf den kleinen Hocker, der neben dem Feuer steht und sehe ihm zu wie er neues Holz auf die klein gewordenen Flammen legt. Die Flammen fressen sich begierig an den Holzscheiten hoch und ich spüre wie es wieder wächst,
spüre die wiederkehrende Hitze.
Er bringt mir eine Decke und legt sie mir um die Schultern.
„Wo bist du gewesen?“ flüstert er nun erneut. Er nimmt meine Hände in seine. Haucht seinen warmen Atem dagegen und seine Wärme bringt mir wieder Leben zurück in
meinen Körper. Langsam hören meine Finger auf zu zittern und ich sehe zu wie die blaue Farbe wieder vor meinem normalen blass rosigen Haut Ton weicht.
Erleichtert seufze ich auf.
Dann sehe ich ihn wieder an. Er wartet auf eine Antwort, aber die kann ich ihm nicht geben. Selbst ihm kann und vor allem darf ich nicht sagen wo ich war, oder gar was ich getan hab.
Betreten schaue ich weg, schaue wieder auf unsere miteinander verschlungenen Finger.
Wie gern würde ich es ihm sagen, wie gern würde ich ihm einfach
alles erzählen… mich jemandem anvertrauen… aber es geht nicht.
Er entzieht mir sich, seine Nähe, seine Wärme… er steht auf und dreht sich von mir weg.
Ich weiß, er ist verletzt.
„Vertraust du mir etwa nicht?“ wieder dieses leise, kleine Zittern… „glaubst du echt ich würde dich nach allem einfach verraten? Glaubst du ich würde gleich zu den Wachen laufen und dich anschwärzen?“ Ich stehe auf und lege ihm meine nun warme Hand auf die Schulter. „Es geht nicht darum, dass ich dir nicht vertraue. Das weißt du aber auch ganz
genau. Ich vertraue dir, ich vertraue dir mehr als so manchen anderen…“ Er hebt wieder seinen Blick und schaut mir tief in die Augen. „Ich bring dich schon jetzt in Gefahr, allein durch meine Anwesenheit jetzt und hier. Ich will nicht dran denken, was passieren würde…
was sie dir antun würden, sollten sie erfahren, dass ich dir davon erzählt hätte… ich darf dich nicht immer in solche Gefahren bringen.“ Meine Stimme klingt rau und kratzig. Ich hab im Grunde schon jetzt zu viel gesagt. Man könnte meine Worte als Geständnis
auffassen…
Augen verdrehend wendet er sich wieder von mir ab.
„Ich kann sehr gut selbst auf mich aufpassen, aber vielen Dank für deine Rücksichtnahme“ mit einem ironischen Grinsen sieht er mich wieder an „und übrigens, falls dich jemand fragt, du hast für mich Maronen beim Hügel gesucht.“
Verwundert sehe ich ihn an und er lacht leise auf. „Glaubst du ich lass dich gnadenlos ins Messer laufen? Ich hab ihnen gesagt ich hätte dich zum Hügel geschickt. Dieses Jahr muss man ein deutliches Stück weiter rauf um an eine Stelle zu
kommen, an welcher genügend wachsen. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass du dich auf der Suche nach ihnen, so verspätet haben könntest. Ich sagte ihnen, dass du dich morgen in aller Frühe bei ihnen meldest, dass es dir sicher ziemlich leid tun würde, aber auch, dass das ganz allein meine Schuld war…“
„Du hast was?“ ich bin völlig entsetzt. „Du hast sie belogen? Und auch noch die Schuld auf dich genommen? Bist du wahnsinnig?“
„Ja weißt du doch“ wieder lacht er leise und ist vollkommen entspannt. „Keine Sorge, sie
werden mich nicht bestrafen, also hab ich gar nichts für dich riskiert“
Mir gefällt es gar nicht, dass er wieder für mich in die Bresche gesprungen ist. Irgendwann wird es nicht gut gehen, dann werden sie ihn eben doch bestrafen und dafür zu Rechenschaft ziehen. Ich muss in Zukunft vorsichtiger sein,
allein seinetwegen.
Noch einen Augenblick lang sitze ich am Feuer und lasse mich mit Wärme fluten, dann stehe ich auf und gehe zur Tür. Es ist schon spät genug, ich sollte es nicht darauf ankommen lassen.
Ich bin schon fast aus der Tür, da höre ich ihn noch sagen: „ach übrigens, Leo… weißt du denn eigentlich gar nicht, dass Ende November eine scheiß Zeit ist um schwimmen zu gehen…“