Anmerkung: Diese Erzählung ist Teil der Kosmogonie einer fantastischen Welt. In ihr leben als menschengleiche Gestalten die Elfen. Die Sirenen sind ihr Todfeinde, körperlose Wesen, die in stillen Wassern hausen.
An beiden Ufern gab es nur schmale Wege und steil aufragende Felsen. Nur selten war Platz für ein Ort und jene waren zumeist klein und nur besonders zähe Elfen ließen sich dort nieder. Sie lebten als Flößer, was nicht ungefährlich war, denn der Fluss war wild und schäumend und nicht selten zerschellte ein Floss an scharfem Gestein. Doch auch hier hatte
sich der Ach–Horenn seine Freundlichkeit bewahrt, denn selbst wenn alle Waren dann verloren waren, niemals kam auch nur ein einziger Elf zu Schaden.
Als Bauern oder Hirten hätten die Elfen ein ruhigeres Leben gehabt, doch wer hier lebte, tat dies zumeist, um sich selbst oder den Fluss oder beides zu besiegen. Es war schwierig, dem Verlauf des Flusses zu folgen, doch wer es wagte, vergaß es sein Leben lang nicht mehr, denn nirgendwo sonst in der Welt gab es soviel Kraft, Schönheit, Trotz und wilden Eigensinn zu bewundern. Nicht selten spritze das Wasser bis auf die schmalen Wege, als wolle der Ach–Horenn jeden herausfordern, um dann doch lachend davonzurauschen, denn mit seiner Kraft konnte sich niemand messen und alle Sirenen der Welt hätten ihn nicht besiegen können. In der Nacht klangen die Wasser bedrohlich, denn ihr Brausen echote durch die schmale Schlucht. Wer sich jedoch die Zeit nahm und genau
hinhörte, der vernahm nicht anders als das übermütiges Gelächter eines heiteren Gesellen der froh war, zumindest für den dunklen Teil des Tages unbeobachtet seines Weges zu fließen. Die Flößer taten oft so, als verstünden sie all das, doch das stimmte nicht und vielleicht begriff es nur Dihanech*.
An den Ufern des steinigen Weges erzählte man sich viele Märchen und Geschichten und wenn sie auch nicht wahr waren, so änderte das doch nichts daran, dass die Elfen sie, besonders des Nächtens an einem Lagerfeuer, gerne weitersponnen. Die bekanntesten Drei sollen hier in gebotener Kürze erzählt werden. Dereinst lebten Maleos und seine Frau Sasena bei dem großen Fluss. Beide stammten vom fruchtbaren Unterlauf, doch dort waren ihnen die Geschehnisse des Lebens zu wiederkehrend und vohersehbar. Darum verliebten sie sich und schließlich beschlossen sie zusammen
fortzugehen. Doch liebten beide den Ach–Horenn genauso wie einander und wollten sich nicht von ihm trennen. So zogen sie in das steinige Tal und erfreuten sich lange an seinem Rauschen und seiner Wildheit. Unter großen Mühen errichteten sie die erste Mühle aus Stein in der Klamm und sie sah aus wie eine Festung, musste sie doch der Kraft des Flusses trotzen. Nur das Wasserrad war aus Holz gemacht und darum zerschlugen die Wellen es immer wieder und immer wieder mussten sie es ausbessern und nicht selten auch ein ganz Neues bauen. Doch das machte ihnen nichts aus, denn deshalb waren sie hierhin gekommen. Ihr Erstgeborener war Kelos und als dieser heranwuchs, sprach Maleos: "Sechzehn Jahre ist unser Sohn und er kennt nur einen wilden Fluss. Ich wünsche mir, dass er ihn, wenn er älter wird, genauso liebt wie wir. Doch wenn es an der Zeit ist, soll es seine Entscheidung sein und um zu entscheiden, muss er die ganze Welt
kennen. Darum sollten wir losziehen und ihm alle Wunder dieser Welt zeigen."
Sasena erwiderte: "Auch ich glaube, dass unser Sohn die Welt kennen muss. Doch was ist mit unsere Mühle? Wir können sie nicht einfach zusperren, denn viele verlassen sich auf ihre Arbeit. Darum gehe du mit Kelos und zeige ihm alles, was er wissen will und muss. Ich hingegen bleibe hier und mach unsere Arbeit."
So reichten sie sich die Hände zum Abschied und Maleos zog mit Kelos flussaufwärts. Lange hörte Sasena nichts von ihnen, doch das verwunderte sie nicht, kannte sie doch die Welt und manchmal glaubte sie, dass der Ach–Horenn ihr von dem Staunen ihres Sohnes erzählte. Ein Jahr verging und sie arbeitete hart alleine in der Mühle. Das sie von Sohn und Mann immer noch nichts hörte verwunderte sie immer noch nicht weiter. Doch auch das zweite Jahr verging ohne eine Nachricht von ihren Liebsten. Das dritte Jahr war schon fast
vorüber, da übernachtete ein alter Wanderer bei Sasena, den ein Unwetter überrascht hatte. Er dankte ihr die Freundlichkeit mit vielen Geschichte, denn er war ein fahrender Spielmann. Er erzählte von schimpfenden Bäumen, wilden Tieren und Steinen, die jeden erschlugen, der ihnen nicht gefiel. Doch es waren nicht diese Schauergeschichten, die sie erschreckten, sondern jene von dem Jüngling, der sich in einer Stadt am Fluss so innig verliebte, dass er dort für den Rest seines Lebens bleiben wollte und seinen Vater bat, ihm ein Haus zu bauen und mit ihm dort zu bleiben. Als Sasena diese Geschichte zu Ende gehört hatte, wusste sie, das Maleos und Kelos nie mehr zu ihr zurückkehren würden, denn der Vater hatte dem Sohn nie einen Wunsch ausschlagen können.
Unglücklich lief sie aus der Mühle und kletterte auf einen hohen Felsen über dem Fluss. Dort ließ sie sich nieder und ihr Weinen
hallte durch das Tal. Ihre Tränen fielen in den Fluss und dieser trug ihre traurige Geschichte weiter. So lange saß Sasena dort und regte sich nicht, bis sie selbst zu Stein wurde. Dort sitzt sie heute noch, doch nur selten kann man sie sehen, denn eine Wolke von Traurigkeit hüllt den Felsen zumeist ein und bis heute fallen ihre Tränen noch wie Regen in den Fluss.
In der engen Klamm lebten die Elfen zumeist nur auf einer Seite des Flusses und überquerten ihn nur selten. Darum gab es auch keine Brücken und nur wenige Fährleute. Einer von ihnen war Bathmann und alle achteten in wegen seinem großen Mut, denn es war nicht ungefährlich, den Fluss zu überqueren. So kam es von Zeit zu Zeit vor, dass selbst Bathmanns Floss mit allem und allen kenterte. Doch immer konnten die Lebenden sich retten und nicht selten war es Bathmann, der sie aus dem tosenden Floss zog. Die Waren hingegen waren
stets verloren.
Mit den Jahren wurde Bathmann jedoch unfreundlich, raubeinig und reich. Nicht selten fing er grundlos eine Schlägerei an und wenn er eine Schänke betrat, rückten alle eng zusammen, damit für ihn kein Platz mehr an ihrer Runde war. Sein Reichtum hingegen wuchs und wuchs und irgendwann bracht er nur noch solche über den Fluss, deren Nasen ihm gefielen und das waren nicht sehr viele. Dann kenterte wieder einmal ein Floss und durch einen Zufall standen viele Elfen am Ufer. Einer der Verunglückten wurde abgetrieben und drohte zu versinken. Doch plötzlich zappelte er im Wasser, wie ein Fisch an der Angel. Und tatsächlich entdeckten die herbeigeeilten Elfen, als sie den Ertrinkenden retteten ein grobmaschiges Netz im Fluss. Es dauerte nicht lange und sie begriffen, dass Bathmann dies gespannt hatte. Denn wenn es ihm lohnend erschien, ließ er sein Floss kentern und holte sich in der Nacht die
Dinge, von denen alle dachten, dass der Fluss sie davongetragen hätte. Das war die Quelle seines Reichtums. Da ergriff sie großer Zorn und in ihrem Rasen warfen sie Bathmann in den Fluss. Ein einziges Mal rettet der Fluss eine in ihm Treibenden nicht und Bathmann ertrank.
Doch waren die Elfen es gewohnt, den Fluss an dieser Stelle zu überqueren, also begannen sie den Bau einer Brücke aus Stein. Als diese vollendet war, feierte man ein großes Fest, das bis in die Nacht andauerte. Kurz nach Mitternacht hörten alle Gäste unvermittelt Hammerschläge und ein böses Lachen. Sie eilten aus der Schenke und was sie sahen, ließ ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Bathmanns Geist stand auf der Brücke und schwang einen großen Hammer mit dem er solange zuschlug, bis die Brücke zusammenbrach. Dabei lachte er wild und rief: "Niemand soll hier den Fluss überqueren, wenn ich es nicht will. Und ich will es nicht!" Aus Angst errichteten die Elfen keine
neue Brücke und die Überreste der Rampen ließen sie an beiden Ufern stehen bis sie verwittert und aufeinanderzeigend von andern Felsen nicht mehr unterschieden werden konnten. Doch in dunklen Nächten erscheint ein Floss auf dem Ach–Horen. Wer es sieht, nimmt besser schnell Reißaus, denn sonst muss er - ob er will oder nicht - die Überfahrt machen. Und auch wenn der Fährmann zunächst freundlich scheint, so wird sein Gesicht in der Mitte des Flusses doch zu einer abscheulichen Fratze und er lässt das Floss kentern und alle auf ihm müssen jämmerlich ersaufen.
Wild, mächtig und eigenwillig strömte der Ach–Horenn durch das enge Tal. Doch ebenso mächtig, aber gefährlicher erschienen den Elfen die scharfen Felsen der steilen Bergwände. Unter einer mächtigen Felsnase, kurz vor einer engen Windung des Flusses, lebte einst Rok allein in einem Hause. Er war ein geschickter
Handwerker und schon bald als bester Bootsbauer in der Klamm bekannt. Er arbeitete nicht viel und selten waren es mehr als ein fünf Aufträge, die er in einem Jahr annahm. Doch waren es so meisterhafte Werke – es hieß keines von ihnen könne der Fluss zum kentern bringen –, dass er von dem Ertrag seiner Arbeit gut leben konnte und es dauerte nicht lange, bis es hieß, er sei ein reicher Mann. Darum achteten ihn die meisten seiner Nachbarn, obwohl er klein von Statur war und in späteren Zeiten hätte man ihn ohne Zweifel für einen Blimp gehalten. Er war auch ein lustiger und geschwätziger Elf, wie es die Blimps gemeinhin sind und er ließ es sich nicht nehmen, wenn er in eine Schänke einkehrte, allen anderen Gästen eine Krug Wein zu spendieren. Die so Beschenkten tranken dann gerne auf Roks Wohl, worauf dessen Nasenspitze ganz rot wurde, aus Verlegenheit und wegen dem guten Wein.
So kam es das Rok viele Freunde, Kameraden
und Bekannte hatte. Doch auf dem anderen Ufer, nur ein kleines Stückchen den Fluss hinauf lebte Peirowei, ein großer, kräftiger und - wie sich zeigen sollte - recht grimmiger Elf. Auch er versuchte sich im Bootsbau, doch was dabei herauskam, konnte selten schwimmen und schön war es nie. So verlegte sich Peirowei darauf, Flöße zu zimmern und davon lebte er mehr schlecht als recht, denn niemand bestellte zweimal eines bei ihm. Darum hauste er in einer schäbigen Hütte, während er mit ansehen musste, wie Roks Haus jedes Jahr größer und prächtiger wurde. Mit den Jahren wuchs seine Verbitterung und niemand wollte mit ihm etwas zu tun haben, weil er sich ständig über sein hartes Schicksal beschwerte und noch nicht einmal, selbst wenn alles Sinne längst benebelt schienen, ein angenehmer Zechgenosse war. So saß er eines Nachts alleine in seiner Hütte, mit einer Flasche in der Hand und soff und soff, bis auch das Letzte bisschen seines mürrischen
Geistes vom Weine hinfort gespült war. Als die Flasche dann leer war, warf er sie gegen eine Wand und sein Zorn war groß. Also bestieg er, trunken wie er war, eines seiner mühsam zusammengezimmerten Flösse und setzte über auf das andere Ufer. Er konnte gerade noch einen Fuß auf festen Boden setzten, als die Wasser des Flusses sein Floss zerschlugen und die Überreste mit sich nahmen. Peirowei schwankte zu Roks Haus und mit einem einzigen Schlag seiner mächtigen Hand hob er die Tür aus den Angeln. Dann packte er sich den verängstigten Rok und sprach:
"Du bist schuld daran, dass es mir so schlecht und dir so gut geht. Du magst ein geschickter Bootsbauer sein, doch faul bist du und jeder sollte dich verachten, wie ich es tue. Aber nun wendet sich dein Glück. Von jetzt an wohne ich in diesem prächtigen Haus und dich jage ich auf die mächtige Felsnase darüber und von dort musst du zusehen, wie ich es mir gut gehen
lasse."
Ohne zu zögern packte er Rok am Schlafittchen, zerrte ihn aus dem Haus und die steile Felswand empor, bis auf die steinige Nase, die bis über den Fluss reichte und eine tiefe Felsspalte von dem steilen Hang trennte. Da war Rok nun gefangen, konnte nichts tun außer ausharren, bei Sonne und Regen, denn er konnte nicht über die Spalte springen und niemand wagte es ihm zu helfen, weil Peirowei jeden, der es auch nur versuchen wollte, prügelte bis er nicht mehr Laufen konnte. Er ließ es sich in Roks Haus gut gehen und es kümmerte ihn nicht, dass ihn alle fürchteten. Rok verging mit den Jahren. Er wurde kleiner und seine Kräfte schwanden. Doch nach drei Jahren, kurz bevor Gram ihn ganz verzehrt hatte, verlieh ihm sein Zorn noch ein Mal solche Kraft, dass er mit einem einzigen Sprung, die Felsnase, sein Gefängnis, zum Einsturz brachte. Krachend fiel sie auf das Haus
und erschlug Peirowei, doch auch Rok überlebte den tiefen Sturz nicht. Alles, Steine und Haus und auch die beiden toten Elfen rutschten in den Ach–Horenn, der an diesem Tage besonders wild war und er trug alles zum Meer, nicht ohne den leblosen Körper Peiroweis gegen so manchen scharfen Felsen zu schleudern. Danach mieden die Elfen die Stelle, wo die Felsnase abgebrochen war, denn es wird erzählt, dass hier öfters als irgendwoanders ein Steinschlag einen Elfen aus dem Leben gerissen hat. Nur die Weisesten unter ihnen begriffen, dass ehrliche und brave Elfen nichts zu befürchten hatten, denn es heißt, Roks Geist halte auf den Überresten der Felsnase Wacht und nur wenn ein von einem bösen Geist beseelter Elf auf dem Fluss oder an seinen Ufern erscheine, täte er einen mächtige Satz, um ihn so unter einem gewaltigen Steinschlag zu begraben.
Dies sind die drei berühmtesten Mythen des
steinernen Weges. Doch waren es nicht die ersten und auch nicht die letzten. Doch verschwanden sie wie der ganze Fluss beim Einsturz der Welt
- Fortsetzung folgt -
* Dihanech = Sagenhafter Gelehrter der Elfen.
ArnVonReinhard Dabei wurden sie "rückwärts" entwickelt. Ich stellte mir Felsstrukturen vor und dann, was für Geschichten man daraus wohl machen könnte. Danke für das Mögen und LG AvR |