Kapitel 1: Die FluchT
Fina erwachte aus ihren angenehmen Träumen. Die Sonne schien ihr ins Gesicht. Sie stand auf und streckte sich, während sie zu ihrem Fenster ging, um es zu öffnen. Sie schaute hinaus und blickte in einen wolkenlosen Himmel. Ihr Blick schweifte über die maroden Häuser und blieb in einer Gasse hängen. In dieser liefen bereits einige Leute zum nahegelegenen Markt. Sie erschrak und stürmte zu ihrem Kleiderschrank. Hastig zog sie ein schlichtes Kleid an. Nachdem sie ihre schulterlangen, rotbraunen Haare zurechtgemacht hatte, nahm sie einen Korb und verließ das Haus. Sie schlenderte durch die Gassen und erblickte zwei Soldaten, die sich angeregt unterhielten. Fina lief an ihnen vorbei und verfolgte kurz ihr Gespräch.
„Ich habe gehört, dass ihr gestern wieder jemanden erwischt habt.“, sagte der schmächtige
Soldat.
„Ja. Es war nicht einfach. Wir mussten sie durchs ganze Dorf verfolgen. Als ich zu den anderen stieß war alles bereits gelaufen.“, sagte der andere missmutig. Es war ein alltägliches Gespräch, dass Fina schon oft von Soldaten gehört hatte. Sie erzählten meist, dass jemand beim Stehlen erwischt worden war oder sie unterhielten sich über ihre Familien. Fina ging ihren Weg weiter. Auf dem Marktplatz waren bereits viele Bewohner unterwegs. Die zahlreichen Händler priesen ihre Waren an, während der Schmied bereits seiner Arbeit nachging und ein Schwert schmiedete.
„Hallo Fina!“, begrüßte sie der Schmied. „Bist Heute aber spät dran.“
„Ich habe wieder einmal verschlafen. Schätze die besten Waren sind bereits weg.“, antwortete Fina.
„Kann schon möglich sein. Ich habe das Schwert fertig, dass dein Vater haben
wollte.“
„Davon wusste ich nichts.“, erwiderte Fina überrascht. „Ich habe leider nicht genug dabei.“
„Ist schon in Ordnung. Ihr habt mir schon so oft aus der Patsche geholfen. Das Zweite wird in einer Stunde fertig sein. Bitte nimm sie als Geschenk. Du kannst in Ruhe deine Besorgungen erledigen.“
„Bist du sicher?“
„Natürlich bin ich das. Bis später.“
„Ok. Bis später.“ Fina schlenderte über den Markt und kaufte ein paar Lebensmittel fürs Abendessen ein. Sie schaute sich ein paar Accessoires und Kleider an. Die Zeit verging und die ersten Händler begannen ihre Waren zu verstauen. Da bemerkte Fina, dass es bereits die Sonne unterging. Sie kehrte zum Schmied zurück und erhielt die zwei Schwerter. Fina bedankte sich und machte sich auf den Heimweg. Sie wollte gerade den Marktplatz verlassen, als sie ein interessantes Gespräch einer kleinen Gruppe
belauschte.
„Unser armer Bürgermeister. Er war so ein guter Mann.“, sagte eine ältere Dame.
„Psssst, sei still. Wir dürfen über den Vorfall nicht reden.“, fauchte ein älterer Herr sie an. Fina verlangsamte ihre Schritte.
„Wir wissen alle, was passiert ist. Ich wünschte auch, dass jemand den Mut hat sich für das Amt zu bewerben. Allerdings hat keiner Lust genauso zu enden.“, sagte ein stämmiger Mann. Fina kannte diesen Vorfall ebenfalls. Der letzte Bürgermeister hatte eine Audienz bei König Alfons. Dieser hatte, nach dem Tod seines Bruders König Enriques, den Thron in Anspruch genommen. Der Bürgermeister nahm sich heraus König Alfons als verrückt zu bezeichnen. Jeder wusste, dass der König auf der Suche nach irgendetwas war. Dazu entsandte er die meisten Soldaten durchs Land. Es rankten sich viele Gerüchte darüber, wonach er suchte. Einige meinten er suche einen Schatz. Andere glaubten
er suche eine schöne Frau, die er heiraten wollte. Allerdings wusste keiner genaueres. Der Bürgermeister wurde einige Tage darauf hingerichtet. Seit diesem Tag wurde der Bürgermeisterposten nicht mehr besetzt. König Alfons verstärkte daraufhin seine Suche und sandte weitere Soldaten aus. Diese schien jedoch erfolglos zu verlaufen, denn plötzlich kehrten die Soldaten mit leeren Händen ins Schloss zurück. Seine Suche gab er jedoch nicht auf. Plötzlich rannte eine junge Frau an Fina vorbei zur Gruppe.
„Habt ihr schon gehört? Eine junge Frau wurde gestern festgenommen.“, berichtete sie. Alle nickten.
„Sie soll den König bestohlen haben.“, erzählte der stämmige Mann.
„Armes Ding. Sie wird sicher hingerichtet.“, sagte die ältere Dame.
„Jeder, der das Gesetzt gebrochen hat wird hingerichtet. Man bekommt keinen Prozess
mehr.“, erklärte der ältere Herr. Fina wurde wütend und beschleunigte ihre Schritte. Am Haus angekommen, schlug Fina die Tür auf. Mit einem lauten Knall prallte die Tür gegen die Steinwand.
„Schön, dass du zu Hause bist, aber musst du die Tür so aufschlagen?“, sagte ein Mann.
„Ich bin wütend. König Alfons hat schon wieder jemanden festnehmen lassen. Sie soll ihn angeblich bestohlen haben. Immer dasselbe. Mir reicht es.“, sagte Fina wütend und stellte den Korb kraftvoll auf dem Tisch ab, sodass einige Lebensmittel aus dem Korb vielen und über den Tisch rollten. Der Mann saß auf einem alten, verschlissenen Sessel mit einem Buch in der Hand.
„Hier deine Schwerter. Der Schmied gab sie mir für dich.“
„Das ging diesmal schnell. Allerdings bestellte ich nur eines bei ihm. Sei so gut und zeig sie mir.“ Fina legte die Schwerter auf den
Tisch. Sie waren in ein weißes Leinentuch gehüllt und verschnürt. Der Mann erhob sich aus dem Sessel und legte das Buch neben den Korb. Er öffnete das Leinentuch, nahm ein Schwert und begutachtete es. Der Mann war groß und schlank. Seine weißen, kurzen Haare erweckten den Anschein, dass er sehr alt sein musste. Sein alter kannte Fina jedoch nicht.
„Ich kann das nicht mehr Chiron.“, sagte Fina wütend. Chiron lies das Schwert sinken und blickte zu Fina. „Ich muss etwas tun.“
„Nein!“, sagte Chiron wütend. „Du wirst nichts tun, außer dich beruhigen oder glaubst du, dass ein 16-jähriges Mädchen so einfach ins Schloss spazieren kann und ohne weiteres wieder rauskommt? Keiner verliert gern sein Leben. Auch du nicht und du wirst dein Leben verlieren, wenn du Hals über Kopf eine Rettungsaktion startest. Hast du denn einen Plan oder willst du durch das Haupttor ins Schloss gelangen. Dann kannst du dich auch gleich selbst
an den Galgen hängen. Ich möchte nicht erleben, dass meine Tochter so eine Dummheit begeht.“ Eine unangenehme Stille breitete sich im Raum aus.
„Sei so gut und bereite das Abendessen zu, wenn du dich beruhigt hast.“, sagte Chiron und wandte sich wieder dem Schwert zu. Fina nahm den Korb und verließ wütend den Raum. Sie ging in die kleine Küche. Diese war mit dem nötigsten ausgestattet. Sie nahm sich ein paar Zutaten und versuchte diese in mundgerechte Stücke zu schneiden. Nach einiger Zeit hatte sie die Zutaten zu einer deftigen Mahlzeit verarbeitet und stellte Chiron, der mit dem Begutachten der Schwerter fertig war und die Tür offenbar geschlossen hatte, einen Teller auf den Tisch. Beide aßen ohne ein Wort. Als sie aufgegessen hatten, spülte Fina das Geschirr ab und ging hinauf in ihr Zimmer. Sie schaute eine Weile in den schönen Sternenhimmel, bevor sie zu Bett ging. Fina starrte die Decke an und rief sich die
Unterhaltung der Dorfleute ins Gedächtnis.
Fina blickte in das Gesicht eines Mädchens. Erschrocken blickte sie sich um. Sie war an einem kalten, düsteren Ort, der kaum beleuchtet wurde. Wasser floss durch die Steinwände, die sie umgaben. Das Mädchen saß zusammen gekauert in einer Ecke. Sie trug ein schmutziges, zerrissenes Kleid. Ihr langes, blondes Haar viel ihr über die Schultern. Tränen rannen ihr übers Gesicht. Schritte ertönten. Fina drehte sich um und sah den Umriss eines Mannes, mit einem Tablett in der Hand, hinter den Gitterstäben stehen.
„Da hast du was zu essen.“, sagte eine Stimme und schob das Tablett durch die Gittertür. Auf dem Tablett lag ein Stück Brot und ein Becher mit einer Flüssigkeit.
„Du kannst froh sein, dass der König dir diese ehre erweist bevor du übermorgen hingerichtet
wirst Aya.“ Das Mädchen zeigte keine Reaktion. Der Mann drehte sich um und ging fort. Das Mädchen wartete bis die Schritte verhallten, um nach dem Brot zu greifen, das sie sofort verschlang. Anschließend setzte sie sich wieder in die Ecke.
„Hilfe.“ flüsterte das Mädchen und blickte Fina in die Augen. „Warum hilft mir den niemand?“ Das Mädchen lehnte sich gegen die Mauer und schlief weinend ein.
Fina erwachte schweißgebadet. Sie blickte sich verwirrt um und erkannte ihr Zimmer wieder.
Was war das für ein merkwürdiger Traum? dachte Fina und schaute aus dem Fenster. Der nächste Morgen war bereits angebrochen. Sie machte sich zurecht und ging zum Markt. Fina schlenderte von Händler zu Händler. Es gab verschiedenes zu begutachten. Doch nichts
weckte ihr Interesse. Plötzlich schnappte sie Worte eines Gespräches auf.
„Hast du gehört. Das Mädchen, dass sie vorgestern erwischt haben, soll eine Schönheit sein.“, sagte ein Mann.
„Ihr Name soll Aya oder so gewesen sein.“, sagte eine Frauenstimme. Fina blieb erschrocken stehen.
Aya! Das kann nicht sein, dachte Fina. Ist sie das Mädchen aus meinem Traum?
„Eine Wache berichtete, dass Aya immer in einer Ecke sitzen soll und kein Wort sagt. Hat es wohl aufgegeben sich zu wehren.“, sagte der Mann. Fina lief nach Hause. Die Worte der Leute verwirrten sie.
Was soll ich tun. Das kann doch kein Zufall sein, dachte Fina. Ich sollte mit Paps darüber reden. Zuhause angekommen stellte Fina den Korb auf den Tisch. Chiron war scheinbar noch nicht von seiner Arbeit zurückgekehrt. Sie setzte sich in Chirons Sessel und versank in Gedanken.
Plötzlich hörte Fina die Tür. Sie stand auf und wollte Chiron begrüßen, als dieser das Wohnzimmer betrat.
„Du bist ja schon zurück. Und wie ich sehe ohne Einkäufe.“, sagte Chiron enttäuscht.
„Ich…muss mit dir reden.“ Fina berichtete Chiron von ihrem Traum und von dem Gespräch der Dorfleute.
„Was soll ich nur machen?“, wollte Fina wissen.
„Das ist reiner Zufall. Du solltest nichts auf das Geschwätz der Leute geben.“, meinte Chiron.
"Aber was, wenn es kein Traum war?"
"Du kannst nichts ausrichten. Lass uns zusammen zum Markt gehen und Sachen für unser Abendessen kaufen."
„Hilfe! Bitte hilf mir!“, hörte Fina. Sie schaute sich verwirrt um. Außer Chiron war niemand im Haus.
„Ich glaube es war kein Traum. Ich habe gerade ihre Stimme gehört.“, sagte Fina und
faste einen Entschluss. „Chiron. Ich werde sie befreien. Nur schaffe ich das nicht allein. Bitte hilf mir dabei.“
„Du weißt schon, was passiert, wenn wir erwischt werden.“, sagte er.
„Ja klar. Nur mein Gefühl sagt mir, dass ich ihr helfen muss.“
„Na gut. Ich werde dir helfen. Du bist von deiner Idee sowieso nicht abzubringen. Bereite dich gut vor. Bei Sonnenuntergang brechen wir auf.“ Fina rannte in ihr Zimmer und holte aus ihrem Kleiderschrank eine Kiste hervor. Sie öffnete diese und holte einen Kampfanzug heraus. Dieser war schwarz und hatte viele Taschen. Sie zog sich um und füllte ihre Taschen mit einem Dietrich, einem Messer, einem Seil, Haken und Ösen, sowie anderen Dingen, die ihr nützlich erschienen. Nachdem Fina fertig war schaute sie ein letztes Mal aus dem Fenster und dachte an die vergangenen Jahre. Sie hatte von Kindheit an verschiedene Kampfkünste erlernt.
Darunter auch den Schwertkampf. Die Ausbildung hatte sie nicht beendet. Fina war irgendwann der Meinung genug gelernt zu haben, um sich zu verteidigen.
Als Fina aus ihren Gedanken zurückkehrte, bemerkte sie, dass die Sonne fast untergegangen war. Sie schloss ihren Kleiderschrank, schaute sich kurz um, um sicher zu gehen nichts vergessen zu haben, und ging anschließend zu Chiron hinunter, der bereits auf sie wartete. Er trug ebenfalls einen Kampfanzug und hatte die beiden Schwerter vom Schmied in der Hand. Er reichte eines davon Fina.
„Dieses ist für dich. Es ist eines seiner besten. Er würde sich freuen, wenn du es bekommst. Ich werde vorausgehen.“, sagte Chiron und ging durch die Tür. Fina band sich das Schwert auf den Rücken und folgte ihm. Sie liefen hinters Haus, an ein paar Häusern vorbei, zur Dorfmauer. An der Mauer stand ein riesiger dichter Busch. Dieser wurde von Jahr zu Jahr
breiter. Chiron stand vor dem Busch und schaute sich um. Er nahm Finas Hand und zog sie durch das Gebüsch. Als sie das Gebüsch verlassen hatten, lies Chiron ihre Hand los. Fina stand hinter der Mauer. Das Schloss war nicht weit entfernt. Chiron und seine Tochter bahnten sich ihren Weg durch den Wald und über Felder, um kein Aufsehen zu erregen. Niemand würde ihnen glauben, wenn sie behaupten würden zu einem Training unterwegs zu sein. Ihre Ausrüstung war dafür zu aufwendig. Es war bereits Nacht, als sie die Schlossmauer erreichten. Plötzlich blieb Chiron stehen.
„Wie kommen wir da rein?“, flüsterte Fina.
„Folge mir einfach. Ich kenne einen Weg hinein.“, erklärte Chiron und deutete auf eine Stelle in der Mauer.
„Woher?“ Chiron sah Fina mit einem vielsagenden Blick an. Sie wusste, dass ihr Vater sein Geheimnis nicht preisgeben würde. Finas Blick schweifte über die Schlossmauer. Diese
war mit Moos bewachsen. Hier und da konnte Fina ein paar merkwürdige Zeichen erkennen. Da entdeckte sie Chiron, der plötzlich an der Mauer aufgetaucht war und im gleichen Augenblick auch wieder verschwand. Verwirrt blickte sie um sich. Chiron stand nicht mehr neben ihr. Erneut warf Fina einen Blick die Mauer entlang, um sich zu vergewissern, dass keine Wachen in der Nähe waren. Sie lief zur Stelle, an der Chiron verschwunden war und fand, beim genaueren Hinsehen, eine kleine Nische. Diese war vom Wald aus nicht zu sehen gewesen. Fina ging hinein und sah Chiron am Ende der Nische, den Blick auf die Mauer gerichtet, stehen. Bei ihm angekommen, schaute sie ebenfalls auf die Mauer. Auch hier war alles mit Moos bewachsen und Fina konnte auch hier ein paar der merkwürdigen Zeichen sehen.
„Was sind das für Zeichen?“, fragte Fina.
„Das sind magische Runen. Sie sollen das Gemäuer vor Schäden bewahren.“, erklärte
Chiron. Er hob die Hand und strich etwas Moos zur Seite. Darunter kamen eine Rune und rissiges Mauerwerk zum Vorschein. Chiron zeigte neben die Rune. Fina musste genau hinschauen um eine kleine Kugel zu entdecken. Chiron drehte sie und eine Tür öffnete sich dort, wo zuvor die Rune war. Fina stelle sich erneut die Frage, woher Chiron das wusste. Doch bevor sie ihn darauf ansprechen konnte, lief er durch die Tür. Fina folgte ihm. Eine lange Treppe offenbarte sich ihr. An den Wänden waren Fackeln angebracht worden. Unten angekommen betätigte Chiron eine zweite Kugel, die ebenfalls kaum zu sehen war. Eine weitere Tür öffnete sich. Sie gelangten in eine Kammer. In dieser befanden sich einige Fässer, Kisten und Regale.
„Wir müssen nach diesem Raum nach Links. Nach kurzer Zeit führt eine Treppe zum Kerker hinunter. Ich denke es werden nicht viele Soldaten Wache halten. Sei trotzdem auf der Hut. Der König ist unberechenbar.“, sagte Chiron und
trat zur Tür. Er öffnete sie einen Spaltbreit und blickte hindurch. Niemand war zu sehen. Chiron schlüpfte aus der Tür und lief vor. Fina tat es ihm gleich. Sie lief den Gang entlang und fand die besagte Treppe. Der Kerker war finster. Er wurde nur durch drei Fackeln beleuchtet. Zwei befanden sich an einem Tisch, an dem sich Soldaten aufhielten. Die Dritte beleuchtet den Weg zu den Zellen. Chiron zerrte Fina neben die Treppe ins dunkle und zeigte auf die Soldaten. Diese waren in ihr Kartenspiel vertieft. Fina setzte sich dicht ans Mauerwerk. Sie mussten eine günstige Gelegenheit abwarten. Für Fina verging eine Ewigkeit bis ihr auffiel, dass die Soldaten eingeschlafen waren. Sie stand auf und schaute die Treppe hinauf. Totenstille. Chiron ging langsam an den Soldaten vorbei und gab Fina ein Zeichen es ihm gleich zu tun. Sie suchten jede Zelle nach dem Mädchen ab.
„Hey, du.“, sagte eine männliche Stimme. Fina drehte sich zu einer Zelle, in der ein Mann
mittleren Alters saß.
„Seid ihr hier um uns zu befreien?“, fragte der Mann. Seine Kleider waren zerschlissen, die Schuhsolen seiner Sandalen waren nicht mehr vorhanden und seine Haut war blass. Darüber hinaus war sein Körper stark verschmutzt.
„Komm.“, sagte Chiron.
„Aber.“
„Nein. Nur sie. Je mehr Leute wir sind, desto langsamer sind wir und werden eher entdeckt.“
„Ihr seid dann wohl wegen der kleinen hier. Zu schade, wenn die Wachen wegen irgendetwas aufwachen würden. Hmmm vielleicht durch eine Hilfe schrei.“, sagte der Mann und holte tief Luft. Chiron blickte ihn wütend an.
„Na gut, aber beeile dich. Wenn du zurückfällst, bleibst du hier.“, sagte Chiron und gab Fina ein Zeichen. Sie holte ihren Dietrich hervor und öffnete die Zelle. Sie liefen weiter. In der hintersten Zelle saß Aya, wie Fina es in
ihrem Traum gesehen hatte, in einer Ecke. Als sie Fina entdeckte, stand sie auf und lief zur Gittertür.
„Bist du wirklich hier?“, fragte Aya. Fina nickte und benutzte ihren Dietrich.
„Dann war es kein Traum. Ich habe versucht mit jemanden Kontakt auf zu nehmen. Es hat funktioniert.“ Fina wusste nicht, was Aya damit sagen wollte. Chiron gab ihr ein Zeichen schneller die Zelle zu öffnen. Doch diese war anders. Knack. Die Zelle öffnete sich.
„Bleib dicht hinter mir.“, sagte Fina zu Aya. Aya nickte. Sie gingen zurück zur Treppe, vorbei an den schlafenden Wachen. Sie konnten ungehindert zu der Kammer mit dem Geheimgang gelangen. Vor der Kammer, mit dem Geheimgang, blieb Chiron stehen und drehte sich zu dem Mann um.
„Wie kommt es, dass nicht ein Wache hier patrouilliert? Du scheinst schon länger hier zu sein. Moment.“, sagte Chiron mit weit
aufgerissenen Augen. Er zog sein Schwert und hielt es dem Mann vors Gesicht.
„Ich kenne dich. Du bist kein Gefangener.“
„Schade. Du bist zu früh draufgekommen.“, sagte der Mann mit einem Lächeln im Gesicht. „Die Wachen sind bereits informiert. Sie werden jeden Moment hier eintreffen. Wir wussten, dass du den Köder schlucken würdest.“
„Lauft. Ich kümmere mich um ihn.“, sagte Chiron und holte zum Schlag aus. Der Mann wich aus, sprach Wörter in einer merkwürdigen Sprache, die Fina noch nie zuvor gehört hatte, und holte aus dem nichts ein Schwert herbei. Seine Klinge war anders. Sie schien aus Eis zu bestehen, denn sie glitzerte im Feuerschein der Fackeln. Fina zog ihr Schwert und wollte zum Schlag ausholen. Chiron hob seinen Arm.
„Nein. Das ist mein Kampf.“, sagte Chiron entschlossen.
„Aber.“
„Geh endlich.“ Chiron und der fremde Mann
lieferten sich einen verbissenen Schlagabtausch. In Finas Augen waren die Hiebe des fremden Mannes etwas schneller. Plötzlich schoss ein Eiszapfen auf Chiron los. Fina rannte zu ihm. Zu spät. Der Zapfen durchbohrte Chirons linke Schulter. Er ließ sein Schwert fallen und griff mit der rechten Hand an seine Wunde. Fina rannte mit ihrem Schwert auf den Mann zu und versetzte ihm einen Schlag gegen seinen Arm. Der Fremde griff sich an seine Wunde. Fina nutze die Gelegenheit und zerrte Chiron in die Kammer. Aya folgte ihnen. Im Geheimgang viel Chiron zu Boden und schnaufte.
„So ein Mist! Komm schon. Wir sind gleich draußen.“, sagte Fina. Plötzlich tauchte der Fremde auf und rannte mit erhobenem Schwert auf Chiron zu. Fina konnte den schlag abwehren. Der Mann lachte laut auf.
„Du bist schwach geworden Chiron.“ Fina blickte den Mann mit großen Augen an.
„Jetzt hat dein letztes Stündlein geschlagen.
Das Mädchen hat keine Chance gegen mich.“, sagte der Mann und stürmte erneut los. Plötzlich schoss eine rote Kugel an Fina vorbei. Die Kleider des Mannes begannen zu brennen. Verwirrt versuchte er die Flammen zu löschen.
„Los jetzt!“, rief ihr Aya zu. Fina stürmte los und versetzte ihm einen Stoß. Der Mann ging zu Boden. Fina rannte zu Chiron, der immer noch nach Luft schnappte.
„Warst du das eben?“, fragte Fina Aya.
„Ja. Das war ein Feuerball. Ich bin eine Magierin. Magierin in der Ausbildung.“, gestand Aya. „Darf ich etwas versuchen?“ Chiron nickte. Aya trat neben ihn und legte ihre Hand auf seine Verletzung. Aya murmelte etwas und ihre Hand begann, für kurze Zeit, grün zu leuchten.
„Es tut mir leid.“, sagte Aya zu Chiron.
„Es ist in Ordnung. Wenn er wirklich die Wachen verständigt hat, werden sie gleich hier sein. Ihr müsst ohne mich weiter.“, sagte Chiron.
„Nein. Ich lasse dich nicht zurück.“, sagte
Fina mit Tränen in den Augen.
„Du musst. Ich bin nur eine Last für euch. Mach dir um mich keine Sorgen. Ich schaffe das schon. Geht und sucht einen Mann namens Van. Er wird euch helfen. Aya nimm dies bitte an dich.“ Chiron reichte Aya einen Dolch. Schritte ertönten.
„Geht endlich.“, sagte Chiron und drückte Fina liebevoll, aber bestimmt, zur Seite. Fina schlang kurz ihre arme um ihn und flüsterte „Ich werde dich raus holen“. Dann nahm sie Aya an die Hand und rannte den Gang entlang. Sie lief tief in den Wald hinein und versicherte sich, dass ihnen niemand gefolgt war.
„Ich muss kurz nach Hause.“, sagte Fina schnaufend.
„Bist du sicher. Sie werden uns suchen.“, gab Aya zu bedenken.
„Ich weiß. Es ist nur kurz. Ich muss noch etwas holen.“ Fina rannte in Richtung Dorf. Trotz einiger Umwege, kam sie ungehindert bis
zu ihrem Haus. Sie versteckte sich hinter einer Hauswand und beobachtet das Geschehen.
„Mist.“, flüsterte Fina.
„Was ist Mist?“, fragte Aya. Fina erschrak und drehte sich um. Sie hatte nicht, bemerkt, dass Aya ihr gefolgt war. Fina legte einen Finger an den Mund und deutete mit der anderer zum Haus. Aya schaute um die Ecke und erblickte eine Hand voll Soldaten. Diese waren direkt vor der Haustür positioniert.
„Und was jetzt?“, wollte Aya wissen. Fina dachte einen kurzen Augenblick nach. Da viel ihr ein, dass Chiron gesagt hatte, sie solle einen Mann suchen. Van. Sie kannte keinen Van. Ihr Entschluss stand fest. Sie musste diesen Van finden, aber zuvor musste sie etwas Wichtiges aus dem Haus holen. Sie schaute erneut zu ihrem Haus. Fünf Wachen standen vor der Tür. Sie konnte nicht erkennen, ob sich noch mehr Soldaten im Haus befanden.
„Ich versuche es ein andermal. Es sind zu
viele.“, sagte sie zu Aya und lief mit ihr in den Wald zurück.
„Was nun?“, fragte Aya.
„Hier in der Nähe ist eine Höhle. Sie liegt tief im Wald versteckt. Dort können wir uns ausruhen.“ Fina ging voran. Die Höhle war umgeben von Sträuchern und Bäumen. Man hätte sie für einen riesigen Stein halten können, wenn man sie nicht näher Untersuchte. Fina hatte unterwegs etwas Brennholz eingesammelt und wollte in der Höhle eine kleine Feuerstelle entzünden. Doch irgendwie wollte das Holz sich nicht entzünden.
„Warte. Ich mach das.“, sagte Aya. Sie murmelte etwas und warf einen Feuerball auf das Holz, dass sich direkt entzündete.
„Danke. Darf ich dir eine Frage stellen?“
„Nur zu.“, antwortete Aya.
„Warum haben sie dich eingesperrt? Im Dorf ging das Gerücht um, du hättest den König
bestohlen.“
„Keine Ahnung. Ich habe im Schloss gearbeitet. Neben meiner Ausbildung als Magierin, half ich den Dienstmädchen um etwas Geld zu verdienen. Am Abend vor meiner Festnahme belauschte ich ein Gespräch des Königs und seines Beraters. Der König war sauer, dass seine Suche nicht vorranging. Der Berater machte ihm einen Vorschlag. Es ging um ein Mädchen und die Todesstrafe. Ich verstand es nicht richtig. Ich weiß noch, dass das Mädchen, wenn irgendwas nicht eintritt hingerichtet erden sollte. Daraufhin ließ ich mein Tablett fallen. Dies blieb, zu meinem Pech, nicht unbemerkt. Sie hetzten mir die Soldaten auf den Hals. Ich hatte zu viel mit angehört. Ich schaffte es mich einen Tag vor ihnen zu verstecken. Am Dorf Tor erwischten sie mich und sperrten mich in diese kalte, nasse Zelle. Die Soldaten gaben mir den Namen Aya.“
„Ist das nicht dein
Name?“
„Nein. Ich heiße Selphie. Ein Tag später versuchte ich mit Hilfe von Magie zu jemanden Kontakt auf zu nehmen, damit dieser mir helfen würde. Ich hatte mir erhofft, dass mein Meister mich retten würde. Leider war das ein Irrtum. Entschuldige, dass wir Chiron zurücklassen mussten. War er ein Verwandter?“, fragte Selphie.
„Er war mein Vater. Mein letzter verwandter. Meine Mutter ist vor einigen Jahren an einer Krankheit gestorben. Die Ärzte konnten nichts mehr für sie tun. Chiron hat das damals sehr mitgenommen. Er ging nicht mehr zur Arbeit und saß den ganzen Tag in seinem alten Sessel. Bevor Mutter verstarb hatte er mich in ein paar Kampfkünsten zu Hause unterrichtet. Nach Mutters Tod trainierte ich alleine. Als er sah, wie hart ich trainierte, war er irgendwie anders. Er stand auf und kam zu mir. Er nahm mich mit in den Wald und zeigte mir ein paar neue
Techniken. Chiron nahm mich hart ran. Eines Tages sagte ich ihm, dass ich auf alles gefasst wäre. Wir stritten uns, weil er anderer Meinung war. Tagelang sagten wir kein Wort zum anderen. Irgendwann kam er zu mir, nahm mich in die Arme und sagte: „Es ist schon in Ordnung, dass du nicht weiter Trainieren möchtest. Ich möchte nur nicht, dass dir etwas zustößt.' Danach waren wir unzertrennlich.“, Fina rannen tränen übers Gesicht.
„Was wolltest du so dringend zu Hause?“, fragte Selphie neugierig.
„In meinem Zimmer ist ein Stein versteckt. Chiron sagte mir immer wieder, wenn ihm etwas zustoße oder ich aus irgendeinem Grund das Dorf verlassen müsse, sollte ich ihn auf jedenfalls mitnehmen. Er wäre sehr wichtig für mich. Verstanden habe ich das allerdings nicht. Es schien ihm sehr wichtig zu sein. Deshalb wollte ich ins Haus. Würdest du mir morgen helfen es erneut zu
versuchen?“
„Klar. Ich bin dir etwas schuldig. Lass uns schlafen gehen. Ich bin todmüde.“ Selphie musste gähnen. Fina nickte und suchte sich einen Schlafplatz.
„Gute Nacht, Selphie.“
„Gute Nacht.“