Heimweg
Bassey sah einem Laternenkäfer nach, wie er im Nachtdunkel nach Hause irrlichterte. Sie seufzte und ließ sich auf die Bank am Gleiterstop fallen. Bob hatte offenbar noch überschüssige Energie, denn er machte noch ein paar Step-Ups, bevor er darauf stehen blieb. Wie konnte er dabei nur auch noch pausenlos reden? Seine Stimme plätscherte dahin wie ein Wasserfall. Schon während des Einkaufs, zu dem er sie unbedingt hatte mitschleppen müssen - und dessentwegen sie den letzten Gleiter verpasst hatten - hatte er ständig gebabbelt. Nun fing er auch noch an, Werbung mit ihr zu diskutieren.
"Ich hab mir auch eins von diesen Dingern zugelegt, für zu Hause", erzählte er, mit dem Daumen auf das Plakat hinter sich deutend. "Für einen Junggesellen und Nicht-Krösus ganz richtig! Die Poster sind behämmert; so viel kann der Roboter nicht, aber putzen und aufräumen sind genau seine Kragenweite, und er hält Tiffany auf Trab - das alte Mädchen hat noch Angst vor ihm. Hab ich eigentlich das Futter für sie eingekauft? Ja, hab ich. Jedenfalls, er putzt meine Bude, dass der Spieß glatt vorbeikommen könnte, und erledigt die anfallenden regelmäßigen Dinge. Waschen, bügeln, meinen Kalender im Kopf behalten, Müll rausbringen und so - wobei ich mich frage, warum sie noch immer keine automatische Müllentsorgung bei uns
im Block eingebaut haben. Die neben uns haben es schon. Direkter Anschluss an die Müllrutsche auf die Subdeponie. Finde gut, dass sie aus den Gasen inzwischen Energie gewinnen..."
Bassey stellte heimlich ihre akustischen Sensoren aus. Sollte Bob quatschen. Von wegen Junggeselle! Für wen hatte er denn wohl die Pralinen gekauft, hm? Seiner Wampe nach hätte sie ihm schon zugetraut, dass er sie selber fraß, aber für sich kaufte Bob die billigen Sachen. Die einzigen Dinge, für die er Geld ausgab, waren Bequemlichkeit und seine Katze. Die Pralinen sprachen jedoch von einer verheißungsvollen Romanze. Ach, Bob konnte ihr gestohlen bleiben. Sie jedenfalls
freute sich auf ein gemütliches Wochenende nach drei Wochen Wachdienst auf dieser verdammten Abwehrstation!
Bassey seufzte. Sie war so oft weg, dass ihr Mann vor ein paar Monaten die Scheidung eingereicht hatte. Jetzt käme sie in ein leeres Appartement zurück. Sie sinnierte herum. Vermutlich würde das Wochenende genauso trostlos wie die letzten drei, seit Liam ausgezogen war. Sie würde das Bett gar nicht mehr in den Bettkasten räumen, sondern vermutlich den ganzen Tag nur herumliegen und das Glotzophon anstarren, wobei ihr Geist wahrscheinlich ausflöge. Beim letzten Mal hatte sie sich dabei erwischt, wie sie stundenlang auf eine Nachtsendung über
Astronautenwitze - und zwar ziemlich schlechte - gestarrt hatte. Und nach den vier Tagen frei würde sie - unerholt und genervt - wieder zur Station zurückfliegen und einsehen müssen, dass sie nur noch für ihre Arbeit lebte. Und selbst die ging ihr auf die Nerven. Melancholisch schaltete sie ihre akustischen Sensoren wieder ein. Vielleicht hatte wenigstens Bob was Gutes zu erzählen. Manchmal war er durchaus witzig.
"Bassey? Hörst du mir überhaupt zu?", hörte sie gerade seine Stimme. Sie schrak auf.
"Wie, wo, was?", fragte sie. "Entschuldige, Bob. Ich war in Gedanken." Er schnaubte.
"Wieder bei Liam, ja?" Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass hinter den
Helmvisoren seine Augen durch sie hindurch zu sehen schienen. Sie nickte schwach. Er seufzte übertrieben.
"Hör, Bassey, sei froh, dass du den Typen los bist, ja?", sagte er brutal. Sie wollte ihm in die Rede fallen, doch er ließ sie gar nicht erst Luft holen. "Du hattest dich da an ein Schwein erster Güte vergeben. Ich kenn ihn noch von der Akademie, und er hatte eine richtig süße kleine Freundin damals - und trotzdem mindestens sechs Affären, obwohl sie auch an der Akademie war! Sie hätte ihn jederzeit erwischen können, wenn sie nur hingeschaut hätte. Was glaubst du, was er getrieben hat, während du weg warst?
Ganz ehrlich, was du brauchst, ist mal 'n Kerl, der dich ein bisschen auf Händen trägt. Der
dir zeigt, was du ihm wert bist. Vergiss Liam. Such dir einen, der dich versteht und der dich respektiert. Vielleicht einen aus dem Corps. Ja, ich weiß, mit Arbeitskollegen ist immer so 'ne Sache, aber hey - wenigstens schnallt er dann, was an deiner Arbeit so wichtig ist."
Das tiefe Brummen des Gleiters unterbrach ihn, und er grunzte ungehalten. Bassey war es ganz recht, denn er hatte ihr einige dicke Brocken zu kauen gegeben. Sie hatte lange befürchtet, dass Liam sich nicht an die Spielregeln hielt, während sie fort war, und Bobs Darstellung ließ den nagenden Verdacht zur Gewissheit werden. Sie bestiegen den Gleiter und konnten endlich die Helme
abnehmen.
Bobs igeliger Blondschopf war im Sitzen etwa auf ihrer Schulterhöhe. Er kicherte, als ihre endlich aus dem Helm befreite brünette Lockenpracht ihn am Ohr kitzelte.
"Weißt du was, Süße?" Noch hatte Bassey die Anrede nicht ganz verwunden, als Bobs Kopf nach unten verschwand. Als er hochkam, hielt er die Schachtel Pralinen in der Hand. "Eigentlich hatte ich ja dieses Wochenende geplant, noch mal auf die Pirsch zu gehen - allein schon, damit Mutter mir nicht wieder dauernd die Ohren mit Enkeln vollheult, wie soll ich das denn machen ohne Frau? -, aber ich schätze, du kannst 'n paar chemieinduzierte Endorphine besser brauchen als 'n Mädel, das kurz
darauf eh in Glückseligkeit schwimmt. Hier, nimm." Er drückte ihr die Pralinen in die Hand und hörte nicht auf ihre Proteste.
Irgendetwas in Bassey machte 'knack'. Sie hatte noch nie von einem Mann echte Schokolade geschenkt bekommen. Dafür war das viel zu teuer. Und dass Bob echte Pralinen geholt hatte, das hatte sie gesehen.
Außerdem war er ihr Freund. Er hatte ihren Hintern mehr als einmal aus dem Dreck gezogen - wie sie den seinen - und immer unerschütterlich zu ihr gestanden, selbst gegen diesen sexistischen Unteroffizier, der den Kameraden "auch 'nen Ritt" versprochen hatte, wenn sie Bassey opferten. Tatsächlich hatte er sich einen Dienstverweis geholt und
damit vier Jahre auf eine Beförderung verzichtet, als er diesem Schwein eins in die Fresse gehauen hatte. Gut, das hatten auch die andern Jungs, die dann fröhlich mitgemischt hatten, doch Bobs Schlag war der erste gewesen.
"Weißt du Bob, vielleicht hast du dein Wild ja gerade erlegt", murmelte sie leise und legte den Arm um ihn, die Pralinenschachtel an ihre Brust gedrückt.