Bitte Lächeln
Sie waren mindestens zu zwanzigst. Keiner von ihnen wollte das es so weit kommt, aber jetzt zählte nur noch das blanke Überleben. Es war eng und stickig. Kaum Luft zum Atmen und kaum Raum um sich zu bewegen. Es war düster und man hörte lediglich das Aneinanderreiben der zwanzig Insassen. Selten vernahm man einen Schritt und noch seltener konnte man ein paar Stimmen von außen hören. Keiner sprach ein Wort und keiner traute sich auszubrechen. Der letzte, der es versucht hatte kam nie mehr zurück.
Bobby war einer von ihnen. Zumindest wurde er stets von außen so gerufen. Er hatte das Glück immer mal wieder nach draußen zu dürfen. Woran das lag wusste er selbst nicht. Einer der Aufseher musste einen Narren an ihm gefressen haben. Anders konnte er sich das nicht erklären. Aber wenn es der Fall war, dann
durfte er in den Außenhof und sich etwas bewegen. Auch dort sprach er kein Wort. Stets bewahrte er sein Lächeln um nicht unangenehm aufzufallen. Und immer wieder kam es vor, dass der Aufseher ihn dafür lobte. Sein Name war Timmi. Zumindest wurde er so von den ganz hohen Tieren genannt und deshalb glaubte es Bobby auch. Timmi hatte offenbar Spaß daran zuzusehen, wie der Gefangene seine Runden im Kreis drehte. Manchmal konnte er ihn sogar zum Lachen bringen. Nur nicht unangenehm auffallen. Nur nicht den Wärter verärgern. Immer schön Lächeln und brav bleiben. Ansonsten bestand die Chance, dass man nie wieder in das Gefängnis zurückkehren konnte. Und das bedeutete in der Regel nichts Gutes. Keiner wollte wirklich herausfinden, wohin die Reise gehen sollte. Und wenn sich Bobby richtig anstellte, dann durfte er auch bald wieder in seine Zelle zurück.
"Darf ich Bobby rausholen?"
Die hohe Stimme des Wärters ertönte. Der Insasse war sich nicht ganz sicher, ob er es begrüßen sollte oder nicht. Hier drin war er sicher. Hier drin war es einfacher. Aber dort draußen hatte er zumindest ein wenig Bewegung und Abwechslung. Aber schließlich hatter er keine Wahl. Die hohen Tiere gewährten den Wunsch Timmis und so wurde Bobby in den Außenhof gebracht. Jetzt zählte es. Das Spiel begann von vorne. Keine falschen Bewegungen. Schön dem Wärter gefallen und immer brav lächeln. Das war das Geheimnis und genau das tat Bobby auch. Immer schön seine Runden drehen. Bedacht und freundlich. Nicht den Anschein erweckend, dass etwas nicht in Ordnung wäre. Zu Beginn fiel ihm das deutlich schwerer, aber mittlerweile war er schon fast ein Meister darin seine wahren Gefühle und Emotionen zu verbergen.
"Darf ich ihm was zu Essen geben? Ich mag es wenn er etwas isst?"
Auch diesen Wunsch ließen die Hohen zu. Generell war es sehr positiv, wenn Bobby etwas zwischen seine Zähne bekommen konnte. Ein Privileg, dass den anderen so verwehrt blieb. Jedoch hatte er die letzten Wochen immer mehr zu essen bekommen als die anderen. Er hatte schon etwas angesetzt. Seines erachtens ging es ihm sogar zu gut. Irgendetwas stimmte nicht. Aber er durfte sich jetzt nichts anmerken lassen. Einfach weiterlächeln. Den Schein wahren. Und da wurde ihm auch schon sein Essen vorgesetzt. Eine Karotte. Als ob er in seinem Leben nichts anderes essen würde. Karotten gab es gefühlt jeden Tag. Aber wenn Timmi Spaß daran hatte Bobby mit Karotten zu füttern, dann musste es wohl so sein. Dazu gab es Wasser. Wie immer keine sehr nahrhafte Mahlzeit, aber er sollte zufrieden sein. Bisher hatte er alles heil überstanden. Weiterlächeln. Dran bleiben.
Eine tiefere Stimme ertönte. Es war eines der
zwei hohen Tiere: "Jetzt ist aber so langsam wieder genug Timmi. Setze ihn wieder in den Käfig."
Ja. Das war es, was er hören wollte. Wieder aus der Gefahrenzone hinaus. Zurück zu den anderen. Die würden zum Teil neidisch sein, aber sie wussten ja nicht, was für eine Qual es war dem Aufseher zu gefallen. Wie nah am Tod er immer wieder war. Auch wenn es besseres Essen gab, der Preis könnte ein hoher sein.
"Ich will ihn wieder rein setzen."
Timmis große Pranken kamen näher und näher. Schließlich umschlossen sie Bobbys Taille und hoben ihn in die Luft. Bobby musste sich anstrengen weiter zu lächeln. Er erschlaffte in den Händen, so konnte er ja doch nichts ausrichten. Und wie so oft hoffte er auf eine sanfte Landung, die nur selten kam. So hatte Bobby auch dieses Mal den Boden noch nicht ganz erreicht und Timmi ließ schon wieder los. Er konnte von Glück reden, dass seine Pfoten
ein weiches Fell hatten.
Neben sich saß Eddy. So wurde er zumindest von den Hohen genannt. Er schien unglücklich zu sein. Bobby stupste ihn an und zeigte sein eigenes Lächeln um ihm anzuzeigen, dass er es ihm nachmachen sollte. Eddy tat es aber nicht. Wie versteinert zog er eine Grimasse und brachte kein Lächeln zustande. Das entdeckten nun auch die ganz Hohen.
"Der sieht aber nicht gut aus, was meinst du, Karl?"
"Ja Elly, du hast Recht. Ich glaube, uns bleibt hier keine andere Wahl."
"Aber pass auf, dass Timmi das nicht sieht."
"Bei so vielen Hasen wird einer nicht auffallen. Außerdem spielt er doch die ganze Zeit mit Bobby. Da wird es nicht auffallen, wenn Eddy fehlt."
"Du hast Recht. Wer hatte sich zuletzt für einen gemeldet?"
Das Gespräch der zwei Hohen ging noch eine
Weile weiter. Bobby wusste nur eines: Eddy würde er nie wieder sehen. Er hatte aufgehört zu Lächeln und seine Maske fallen lassen. Das war sein Verhängnis.