Helike
In der nördlichen Peloponnes am Golf von Korinth lag Helike. In der Landschaft von Achaia fand diese Stadt ihre Blüte. Das lag an dem geschützten Hafen, an der toleranten Polis, wie damals die Demokratische Staatsform des alten Griechenlands hieß. Ein sogenannter Stadtstaat. Ihre Götterverehrung galt vor allem dem Poseidon, dem Meeresgott. Kein Wunder, bot doch das Meer die besten Handelsbeziehungen. Dieses Mitspracherecht des Volkes scheint gut funktioniert zu haben, denn Helike war ein begehrter Wohnsitz. Wie gesagt, die Geschäfte blühten und auch die Stadt selbst profitierte davon.
Man stellte mitten in der Stadt auf einem Hügel eine imposante Poseidon Statue auf. Sie gehörte nicht ganz zu den antiken, sieben Weltwundern,
wurde aber ehrfürchtig von den Zeitgenossen beschrieben.
Jedenfalls, ein prima Wohnsitz.
Wir schreiben das Jahr 373 v. Chr. Es war Winter in Griechenland und nur um die 14 Grad warm. Helike legte sich zum Schlafen. Am Hafen war eine Armada von Kriegsschiffen angekommen. Es waren 10 Trieren. Kriegsschiffe aus Sparta. Kein kriegerischer Akt, sondern einfach eine militärische Zwischenlandung, um ungestört die Handelsrouten zu gewährleisten. Außerdem sollte es zu einer Bündnisvereinbarung kommen.
Das genaue Datum lässt sich nicht mehr herausfinden. Jedenfalls in dieser Nacht legten sich die ungefähr 20.000 Einwohner
schlafen.
Am nächsten Tag war die gesamte Stadt verschwunden. Keiner überlebte, keiner wurde gefunden. Nichts! Wie nie dagewesen.
Was war geschehen?
Der römische Autor Aelian schrieb ungefähr 500 Jahre später (ca. 200 n.Chr.), dass er schriftliche Hinweise zu folgenden Merkwürdigkeiten eruiert hätte. Mäuse, Katzen, Schlangen, Tausendfüßler, Käfer und andere Kleintiere hätten Helike fünf Tage vor der Katastrophe verlassen und sich in Richtung der nahegelegenen Bergstadt Keryneia aufgemacht haben. Diese Anomalie wussten die Heliken nicht zu deuten.
Der wirkliche Zeitzeuge Herakleides war zu diesem Zeitpunkt gerade 17 Jahre alt. Die
römischen Schriftsteller Strabon (ca. 70 n.Chr.) und auch Diodor (ca. 90 n.Chr.) beriefen sich in ihren Ausführungen auf ihn. Herakleides war zwar nach dem Unglück nicht selbst vor Ort, behauptete aber sich genauer darüber erkundigt zu haben.
Obwohl also der Stadtkern von Helike 12 Stadien (ca. zwei Kilometer) vom Wasser entfernt gelegen war, soll die ganze Landzunge im Meer verschwunden sein.
Angeblich fanden sich schon Tags darauf Hilfskräfte ein. Die anliegenden achaiischen Städte hatten die Hilfsaktion von mindesten 2000 Helfern organisiert. Das lag nicht nur an den nun verschwundenen Kriegsschiffen aus Sparta, nein, es lag auch daran, dass die sieben
Kilometer entfernte Stadt Bura fast völlig zerstört wurde.
Nicht einmal die heiligen Statuen aus Marmor hatten das Erdbeben überstanden.
Bura befand sich schon fast im Gebirge auf 500 Meter über Meereshöhe. Es war klar, dass es sich um ein gewaltiges Erdbeben gehandelt hatte.
Trotzdem!
Wie konnte die gesamte Stadt Helike verschwinden?
Helike lag am Golf von Korinth. In der Nähe befindet sich heutzutage die Region Egio.
Das Beben muss gerade in dieser Meerenge einen unglaublichen Tsunami ausgelöst haben.
Das erklärt aber noch nicht alles.
Neueste Forschungen aber bieten die Lösung.
Helike war damals buchstäblich auf Sand erbaut.
Durch das extrem starke Beben kam es zur Bodenverflüssigung. Ein sogenannter Porenwasserüberdruck baute sich in der Sandschicht auf. Es entstand ein Sand-Wasser-Brei. Man muss sich das wie Treibsand
vorstellen. Die Gebäude finden keinen Halt mehr und versinken.
Helike traf dieses Schicksal.
Während also der Grund und Boden flüssig wurde, kamen die Menschen nicht nur durch die einfallenden Trümmer um, sie verschwanden praktisch von der Oberfläche.
Dann schwappte zusätzlich der unglaubliche Tsunami über die Reste und riss alles noch Verbleibende mit. Der Tsunami muss eine ungeheure Höhe erreicht haben, denn der Golf von Korinth ist schmal, lässt diese Wasserschockwelle riesig aufbauen.
Als sich der Tsunami wieder zurückzog, man bedenke, dass der rückläufige Sog genauso
verheerend war, da war von Helike buchstäblich kein Fitzelchen mehr übrig.
Nicht einmal Tote konnten geborgen werden.
Über einhundert Jahre später, ca. 250 v. Chr., soll sich der berühmte Eratostenes dort umgeschaut haben. Praktisch eine Touristenattraktion. Und da hätten ihm die Fischer erzählt, dass sich im Wasser die Netze an der untergegangenen Poseidon-Statue verfangen würden.
Die Angaben sind nicht wirklich gesichert. Auch Ovid und später Plinius behaupten, dass im Wasser noch Überreste von Helike sichtbar gewesen seien. Sogar der italienische Reisende Xavier Scrofani will sich noch 1794/1795 erinnern, dass er Teilruinen von Helike tief im Meer gesehen hätte.
Diese Katastrophe hatte für die damaligen Menschen einen sehr nachhaltigen Eindruck hinterlassen und natürlich durfte bei der Interpretation der Zorn der Götter als Ursache nicht fehlen.
Asebeia, also der Frevel und die Gottlosigkeit, bestraften die Heliken.
Für den Schriftsteller Diodor war das sonnenklar.
Der berühmte Aristoteles, ein Zeitgenosse (geb. 384 v.Chr.) brachte die Katastrophe in einen Zusammenhang mit der Sichtung eines Kometen. Sein Schüler Kallisthenes, ebenfalls ein Zeitzeuge, sprach von einer ungeheuren Feuersäule und einem Beben auf Delos, das zum Untergang geführt hätte.
Pausanias (ca. 150 n.Chr.) findet eine Erklärung
darin, dass Luft in die Spalten der Erde eingedrungen wäre und sich daher der Untergrund wie ein Maulwurfshügel erhob.
Die heutige Wissenschaft erklärt es folgendermaßen: Das Erdbeben erschütterte den Küstenstreifen. Eine Verflüssigung fand statt.
(Helike - Sedimentbewegung)
Dann knallte der Tsunami auf die Region, so dass die Gebirgshänge in Bewegung gerieten und damit die Stadt samt allen Einwohnern ins Meer rissen.
In nur fünf Kilometer Entfernung fällt der Golf von Korinth auf 500 bis 700 Meter Meerestiefe ab, so dass sich die Küstenregion geologisch in einer sehr instabilen Lage befindet.
Das Schicksal von Helike soll Platon (gestorben 348 v. Chr.) in seinen Erzählungen, in seinem Werk Kritias, über Atlantis inspiriert haben.
Ich halte dies für durchaus vernünftig.
Seit 2001 finden Grabungen in der Ebene von Eliki statt. Man fand die Überreste einer alten Stadt, die auf ca. 370 v.Chr. datiert wird. Da
Flusssedimente den Küstenverlauf nachhaltig verändert hatten, vermutet man, dass es sich um Helike handeln könnte.
(Grabung: Die Forschung dauert bis heute an.)