Familienzuwachs Teil I
( Überarbeitete Version )
Das Meditieren nach dem Vorfall am See vollbrachte wahre Wunder. Niemand mehr würde auf die Idee kommen, dass dort höhere Magie angewendet wurde. Fachgerecht und sorgfältig verwischte Kai seine Spuren. Wie gut jedoch sein Nervenkostüm war, wollte Rooster nicht ausloten. Jedenfalls Annika hatte genug. Der Schreck saß dem unreifen Ding ordentlich in den Knochen. Zudem schloss Boris sie vom Training vorerst aus. Sorgen machte dem
großen Bruder die Aura eines hoch gewachsenen Jungen, dessen Blicke nur eines gegen Kai aussagten: VERACHTUNG.
Stets sah er Kai als unentwegten Rivalen, und sein Brüderchen ignorierte diese Gefahr beharrlich. Ebenso wie er Annika unterschätzte.
Aus diesem Grund wollte sich der Rotschopf ins Training einmischen. Geschickt tauchte Rooster im Dojo auf, bezirzte etwas die Mädchen und ärgerte Boris. Mit Holger verstand er sich bestens und damit verschaffte er sich günstige Voraussetzungen den anstehenden Trainingskampf zwischen Lukas und Kai für sich zu
gewinnen.
"Die nächsten!", ertönte die Bassstimme von Boris.
"He Bo, lass mich mal. Mir schläft der Hintern ein", rief der Rotschopf durch den Raum, als die beiden Kontrahenten den Ring betraten. Dabei winkte er wie ein Großmütterchen mit weißen Spitzenhandschuhen.
"Nur, wenn du das Haus stehen lässt und meinen Schüler ganz lässt", knurrte Boris und verschränkte die Arme.
"Ach, ich bin so eingerostet. Siehst du nicht wie rot meine Haare schon sind."
Es machte sich allmählich Verwirrtheit breit. Was sollten die Umstehenden von Kais Bruder halten. Natürlich bemerkten
sie dass er stark war, jedoch wirkte Rooster alles andere als gefährlich.
Jetzt knirschte Lukas mit den Zähnen. Er kam sich so vor, als würde ihn Boris um seinen Sieg betrügen wollen. Wenn der Trainer einen Kampf mit diesem Vogel zulassen wollte, dann sollte der Hahn eben geschlachtet werden.
"Pass auf Lukas, er ist gefährlich."
Auf der Schulter des Angesprochenen detonierte eine Hand so groß wie ein Teller. Den Gleichaltrigen passierte Kai, wobei die Blicke der beiden kollidierten. Obwohl die Augen des Alexis tief grün waren, wirkten sie hart und undurchdringlich wie grauer Granit. Das Gesicht von Kai
war völlig leer. In Kombination mit dem Tonnenschweren Handabdruck auf seiner Schulter wurde Lukas schlagartig klar, dass er gegen Kai heute verloren hätte.
"Sag mal Bübchen, stehst du auch auf Jungs, oder wieso starrst du mich so an? Ausziehen werde ich mich jedenfalls nicht. Ich bin verlobt!"
"Mit wem denn? Pumukel?", spottete Lukas, dem es gar nicht in den Sinn kam, dass Rooster älter und größer war als er. Die unbändige Wut in ihm ergriff jäh wieder die Oberhand. Gestern hatte er gesehen wie der Rotschopf Kai eine Verpasst hatte, dass jeder normale Mensch wahrscheinlich nicht mehr ausgestanden wäre. Seine Chancen wägte
Lukas dennoch für sich ab. Einstecken konnte er schon von klein auf. Ihm war noch nie etwas geschenkt worden im Gegensatz zu diesen Alexis -Brüdern.
Nach diesem Satz fühlte sich Lukas nicht mehr in der Lage Luft zu holen. Das Startsignal gab Boris, und Rooster reagierte darauf. Es war nur ein kleiner, kaum merklicher Stoß den Lukas verspürte und schon küsste sein Hinterteil den Boden.
Rappelte er sich gerade auf kamen die nächsten Berührungen von Rooster, sodass er nicht mit dem Taumeln aufhören konnte, oder sein Gegner in Reichweite kam.
"Was soll der Scheiß. Können du und
dein Bruder nur mit Tricks gewinnen? Verarsch’ doch Boris oder die dämlichen Hühner, aber mit mir geht das nicht."
Die Wut gab Lukas Stand. Fest genug um zum ersten Gegenangriff überzugehen. Er gab seine Deckung auf und ...
"AAAAHHH!"
Und landetet schmerzhaft auf seinen Rücken, dass die gesamte Luft auf seinen Lungen verflog. Sogleich holte Rooster aus, Lukas sah das siegreiche Lächeln des anderen und verspürte eine ungeahnte Angst in seinen Gliedern. Die Faust grub sich tief und unaufhaltsam in die Matte, sodass die Vibration wie ein Presslufthammer in Lukas Ohren
dröhnte.
"Hurra, Hurra der Kobold mit dem roten Haar", kicherte es unheilvoll über ihm.
"Musste das sein, Gabriel!"
Die Karnickel-Fang-Schlacht-Haltung von Rooster gab Kai die Gewissheit, genügend Eis in seinen Ton gelegt zu haben.
"Hättest du ihn in die Schranken gewiesen?", konterte Rooster strenger als erwartet.
„Die Aureus beherbergt Kinder und Jugendliche mit weit aus schlimmeren biographischen Hintergründen und dieser Lukas hat bestimmt keine glückliche Kindheit genossen. Deswegen wundert es
mich, dass du nicht in der Lage warst ihm dir richtigen Grenzen zu zeigen.“
„Hat das nicht gestern deine Mutter mit mir gemacht. Mein Kiefer tut übrigens auch noch weh“, knurrte Kai zurück, war jedoch nur halb so sauer auf Rooster wie es den Anschein hatte.
Im Wintergarten saßen sie und blickten betreten auf den Garten hinaus. Der Sommerwind brachte den Geruch von reifen Getreide und den letzten Kirschen mit sich. Die Hortensien standen in voller Blüte und der einzige Mensch in diesem Haus der sich ruhig und gelassen fühlte war Mia, welche die Blumenbeete goss.
Hässlich und unnatürlich klebte ein
weißes Verbandspflaster auf ihrer Stirn und lies den Haaransatz dort zerzaust wirkten. Beschämt über seinen offensichtlichen Fehler, konnte Kai dieses Ding nicht ansehen. Schon von Kindesbein auf wurde ihm bewusst gemacht, welche Verantwortung und Macht in ihm wohnten, da er ein Magier war.
Als Erster brach Rooster das Schweigen: "So lange die Studenten noch nicht da sind und unsere beiden Grazien das Essen richten, könnten wir doch noch etwas trainieren?"
Sein Unterton versprach nichts Gutes. Wieso wollte er Kai testen? Warum stellte Rooster ihn so oft in Frage? Das
passte zu diesem Gockel nicht.
Zunächst wollte sich Kai drücken. Ihm war klar, dass seine Fähigkeiten lange nicht gefordert worden waren. Allerdings gab es da noch etwas, dass ihn mehr als nur interessierte und seinen Bruder antworten zu entlocken wenn dieser es nicht wollte war noch nie sehr einfach gewesen.
"Nur wenn du mir sagst, ob das mit der Verlobten stimmt."
Schon begaben die beiden sich auf den Rasen, und Mia war mittlerweile außer Sichtweite. Das nächst Folgende musste sie nicht mit ansehen.
"Was ist mit dir und dem
Gestaltwandlermädchen?"
Schnell nahmen sie ihre Positionen ein, und wie von Rooster erwartet ging Kai in die Verteidigung.
"Sie heißt Mia!"
"Ah, was Ernstes."
Darauf schnaubte Kai verächtlich: "Hallo, angreifen der Herr. Oder soll ich hier überwintern?"
Das war die falsche Aussage. Genau wie Lukas landete Kai zielsicher auf dem Boden. Nur verspürte er sofort einen heftigen Schmerz, und Rooster würde keine Gnade zeigen. Der erste Schlagabtausch ging damit an den Gockel.
"Bleib locker, meine Verlobte ist auch
verflucht. Für die Beziehung ist das nicht gerade förderlich."
Jetzt versuchte Kai zu kontern, brachte jedoch nicht genügend Kraft auf um zu Punkten, denn diese Erkenntnis haute ihn von den Füßen.
"DU-BIST-VERLOBT?"
Augenblicklich nutzte Rooster seinen Vorteil, und der Schlagabtausch wurde schneller und härter. Die Konzentration der beiden verstärkte sich, dass Gespräch musste bis zur nächsten Verschnaufpause warten. Unumstritten hatte der Rotschopf mal wieder Spaß daran seinen kleinen Bruder zu ärgern.
„Auszeit! Ver-lo-bte?! Gabriel, wer um alles in der Welt, hat bei so einem Vogel
wie dir JA gesagt?“
Verlegen blickte Rooster zu Boden. Die zwei sahen sich seit ein paar Monaten nicht mehr und telefonierten auch nicht miteinander, da ging schon so ab und an etwas unter.
„Bruder, raus damit, kaum sehen wir uns mal nicht und schon... verlobt.“
„Das glaubst du mir sowieso nicht“, bei diesem Satz bekamen Roosters Ohren Gesellschaft von seinen Mundwinkeln. Okay, wenn er nicht wollte, mussten sie ihr Ringkämpfchen eben weiter austragen.
„Verlobt“, murmelte Kai kopfschüttelnd.
Auf einmal wirkte der Trainingskampf völlig ungleich. Nie zuvor, hatte der
Jüngere derartige Probleme gehabt, mit seinem Bruder Schritt zu halten. War er etwa unkonzentriert? Nein, auch wenn Rooster ihn eben schockte. Die einst so vertraute Alltäglichkeit wurde zum nie da gewesenen Spießrutenlauf.
„Los, streng dich mal an, kleiner Bruder“, kam die so ungewohnte barsche Aufforderung von dem Rothaarigen. Der Jüngere stolperte, stürzte, rollte sich im selben Atemzug ab und landete dicht vor der Wand wieder auf beiden Füßen.
„Sonst sag' ich dir nicht, wer die Glückliche ist“, kicherte Rooster, als er den entgeisterten Gesichtsausdruck von Kai bemerkte. Doch wie sollte dieser sich anstrengen? Die komplette Oberhand
hatte Rooster. Plötzlich stach es dem Jungen heftiger denn je in die Schulter und der Rotschopf versetzte ihm einen Hieb in die Seite, mit dem kein normaler Schüler des Kamui ohne Knochenbrüche davon gekommen wäre.
„Hör auf mit dem Scheiß, Kai-Alexander!“, beschwerte sich Rooster, der fassungslos mit ansah dass sein kleiner Bruder verlor.
Diese Auseinandersetzung gewann Rooster mit Leichtigkeit. Bereits als kleiner Junge zeigte Kai ein unfassbares Potential. Diese Niederlage stellte sich nicht als ganz normal heraus, immerhin war er der Sohn von Alexander und Alexandra Alexis. Meister Cain, und
Alexis Enkelsohn.
„Ich versuch's ja!“, hustete der Junge und rappelte sich auf, doch beiden war klar, wie sinnlos das weitere Kämpfen war.
„Früher hatte ich die größte Mühe, gegen dich anzukommen und heute...“, fragte Gabriel besorgt, wobei er den reglosen Kai betrachtete. Langsam schritt er auf ihn zu, und hockte sich zu ihm. Vorsichtig legte Kai seinen Kopf, auf die breite Schulter seines Bruders. Ihm war zum Heulen zumute und obwohl es Kai nichts ausmachen würde wenn sein Bruder dies mit angesehen hätte, so setzte sich nur ein schmerzhafter Kloß in seiner Kehle fest, bis ihm schlecht
wurde.