Kapitel 3. Jagd
<Jetzt>, rief Adahy mir zu und trieb den jungen Rehbock in meine Richtung.
Blut schoss mir durch die Venen, all meine Sinne auf dieses Tier gerichtet.
Wie ein Blitz schoss ich nach unten und grub meine Fänge tief in das weiche Fleisch des prächtigen Jungtieres. Mit aller kraft versuchte ich es in die Luft zu heben, doch es bäumte sich immer wieder stark auf, sodass ich schließlich von ihm ablassen musste. Mit wenigen kräftigen Flügelschlägen eilte Dahy mir zur Hilfe, doch in Todesangst sprang das junge Tier zurück in den Schutz des Waldes.
<Schnell hinterher. Der entkommt uns
nicht.> hörte ich Dahy in meinem Kopf.
Genau wie ich, verfiel auch er langsam in den Blutrausch und unser einziges Ziel war es, dieses eine Tier zu erbeuten. All meine Instinkte waren erwacht und all meine Konzentration galt der Beute. Mein erster Angriff war schiefgelaufen, doch Aufgeben kam nicht in Frage. Zu zweit würden wir es schaffen. Es waren keine Worte nötig, um uns zu verständigen, wir waren ein eingespieltes Team. Schon oft hatten wir gejagt und wir wussten was wir taten. An ein so großes Tier hatten wir uns allerdings noch nie gewagt, doch das steigerte meine Kampflust nur umso mehr. Jagen war meine Leidenschaft.
Doch erst einmal musste ich meine Blutgier zügeln, denn es hieß warten.
Geduld war der Schlüssel zum Erfolg und wohl auch der Grund dafür, weshalb nicht jeder meiner Angriffe erfolgreich war. Zwar war ich eine exzellente Jägerin, doch abwarten gehörte nicht zu meinen Stärken. Doch diesmal würde ich es nicht versauen und so warteten wir ab, bis sich das verängstigte Tier wieder aus dem kleinen Waldstückchen hervortraute.
<Ok> vernahm ich Dahys Gedanken<Weiter geht´s>
Mit einem schrillen Schrei stieß er auf das immer noch nervöse Tier hinab und hinterließ eine weitere Wunde in dem
schönen, rostbraunen Fell.
Dieses allerdings wollte nicht aufgeben. Mit seinem noch nicht gänzlich ausgewachsenem Geweihversuchte es den großen Adler über sich zu verletzen und sprang so wild herum, dass es mir fast unmöglich war, Dahy zur Hilfe zu eilen.
Dieser Rehbock war ein harter Brocken und diese Jagd, eine wie ich es liebte. Ein Kampf um Leben und Tot.
Schließlich hatte das junge Tier sich losgerissen und flüchtete wieder Richtung Wald. Schnell schoss ich hinab und schnitt ihm den Weg ab, sodass es vor Schreck zurück, in Richtung Dahy lief.
Erneut stürzte ich mich auf die Beute
und man sah nur noch das weiß in den Augen des Tieres. Schaum tropfte aus seinem Maul.
Dies war eine für Adler ungewöhnliche Jagd, doch für mich das pure Glück. Adrenalin pumpte durch meine Adern und der Adler gewann vollkommen die Oberhand über mich. Wieder und wieder hackte ich auf das Tier ein. Mit letzter Kraft bäumte es sich noch einmal auf und sank dann zu Boden. Im Blutrausch gefangen holte ich zum tödlichen Stoß aus, als ich von etwas Hartem getroffen wurde und einige Meter durch die Luft flog.
Völlig überrascht und erfüllt von heißer Wut über die Störung sah ich auf und
blickte direkt in die Augen eines braunen Adlers mit weißem Kopf und Schwanz.
In die Augen eines Seeadlers.
Die Augen meines größten Feindes.
Einer vom Lacuseagle-Clan.
Schnell versuchte ich vom Boden wegzukommen und an Höhe zu gewinnen, doch der etwas größere Adler stieß immer wieder auf mich hinab und hinderte mich daran, in eine vorteilhaftere Position zu gelangen.
Verärgert schlug ich wie wild mit meinen Flügeln und stieß einen lauten Kampfschrei aus. Mit voller Wucht flog ich den fremden Adler an und zusammen schlugen wir, wild mit den Flügeln schlagend, erneut zu
Boden.
Von Wut angetrieben hackte ich mit Klauen und Schnabel auf den anderen ein, welcher allerdings jedem meiner Angriffe geschickt auswich. Verzweifelt sah ich mich nach meinem Freund um. Dahy wurde von zwei weiteren Seeadlern attackiert und auch wenn er einen Größenvorteil hatte, für einen Steinadler war er überdurchschnittlich groß, schien er nicht die Oberhand gewinnen zu können. Während ich von meinem Gefährten abgelenkt war, hatte sich der Seeadler erneut auf mich gestürzt und versetzte mir einen schmerzhaften Hieb mit seinen Fängen.
<elender Mistkerl> beleidigte ich ihn
und parierte seinen nächsten Hieb.
<Schlampe> konterte er und ich spürte seinen Zorn.
<Verpisst euch von unserem Territorium ihr Aasgeier> giftete ich und schlug ihn heftig mit meinem Flügel, sodass er zu Boden fiel.
Ich flog höher um einen Kampfvorteil zu gewinnen, doch er folgte mir.
<Nennt ihr unser Territorium neuerdings das Eure?! Interessant! Das ist gradezu jämmerlich. Ihr habt unsere Grenze überschritten. Wenn ihr am leben bleiben wollt, solltet ihr euch lieber ganz schnell davonmachen. Und richte deiner Führerin aus, dass wir weitere Grenzüberschritte nicht mehr dulden werden.> meinte er
trocken und ich hörte die Drohung aus seinen Worten.
Ich lachte heiser <Du bist also wirklich der Überzeugung, ihr wärt stärker? Sei froh, dass du noch nicht tot bist.> wütend stürzte ich mich auf ihn und gefühlt zum zehnten Mal fielen wir zu Boden. Er unten, Ich oben. Meine Chance.
Der Auftrag war es, jeden Eindringling des verfeindeten Clans zu töten, doch als ich jetzt endlich die Möglichkeit hatte, zögerte ich. Ich hatte noch nie einen Menschen getötet.
<Nur zu, bring mich um> meinte der Adler unter mir< Töte uns auf unserem Territorium und löse einen erneuten
Krieg aus. Ihr seit sowieso alle zu blutrünstigen Monstern geworden>
Ich konnte spüren wie verbittert er war. Sein Hass saß tief, richtete sich allerdings nicht direkt gegen mich.
Scharfe Krallen rissen mich von ihm hinunter und Schmerz schoss mir durch einen meiner Flügel. Ein weiterer Adler hatte mich angegriffen. Als nun ein dritter auf mich zugeschossen kam, wurde mir klar, dass ich keine Chance hatte. Ich würde sterben. Sie würden mich niedermetzeln, wie sie es schon mit vielen anderen von uns getan hatten.
Nichts dergleichen geschah.
Völlig unerwartet verwandelte sich der erste Angreifer in einen Menschen und
drückte mich auf den Boden, sodass ich mich kaum noch bewegen konnte.
Voller Wut starrte ich ihn an und fühlte mich so hilflos, wie noch nie zuvor. Wie konnte er mich so sehr demütigen? Wie konnte er sich in einem Kampf Adler gegen Adler in einen Menschen verwandeln?! Durch einen anderen Adler zu sterben war wenigstens ein ehrvoller Tot, doch durch Menschenhand war einfach nur erbärmlich.
Von Verzweiflung angetrieben versuchte ich mich mit meinen Flügeln freizuschlagen, doch ein stechend scharfer Schmerz in meiner linken Schwinge hinderte mich daran. Es tat so
weh.
„Beweg dich nicht, verdammt noch mal, oder willst du nie wieder fliegen können?!“, meinte der junge Mann, der nun vor mir kniete und behutsam, aber wütend meinen Flügel in die Hand nahm.
„Es wird jetzt gleich sehr weh tun“, sagte er und drückte fest zu.
Angesichts dieses Schmerzes verwandelte ich mich ungewollt in Menschengestalt und stieß einen gellenden Schmerzensschrei aus.
„Du solltest jetzt gehen und nimm deinen Freund da mit“, wies er mich an und seine schönen dunklen Augen trafen auf meine blauen. Sofort fielen mir die goldenen Sprenkel darin auf. Dieser
Mann faszinierte mich. Kampflustig funkelte ich ihn an. Er wich meinem Blick nicht aus, doch ich konnte ihm ansehen, dass ich ihn lieber nicht weiter provozieren sollte.
Dann verwandelte er sich zurück und ließ mich, fast schon enttäuscht auf dem Boden zurück.
Vorsichtig bewegte ich meinen Arm. Nichts. Der Schmerz war wie weggeblasen. Eilig verwandelte ich mich zurück in den goldbraunen Adler und stieg hinauf in den Himmel. Schnell flog ich zu meinem Freund, von dem die anderen Adler ebenfalls abgelassen hatten.
<Ich bring sie um> vernahm ich seine
aufgewühlte, zornige Stimme. Voller Wut stürzte er hinter meinem Angreifer und Retter hinterher.
<STOPP> dachte ich so heftig, dass auch die Seeadler es gehört haben mussten <Willst du uns umbringen?! Es reichtSie haben uns verschont. Es ist ihr Revier. Wir sollten nicht hier sein. Lass es gut sein für heute.> beendete ich meinen Satz nun etwas leiser. Aus irgendeinem Grund wollte ich nicht, dass Dahy diesen einen Jungen verletzte...