Kurzgeschichte
Es gibt Bücher, die sollte man nicht aufschlagen

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"Es gibt Bücher, die sollte man nicht aufschlagen"
Veröffentlicht am 15. August 2016, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: justdd - Fotolia.com
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

In meinem Garten steht kein Birnbaum - trotzdem unschwer zu erkennen wo mein Zuhause ist. Der Dichter, der dieses Land mit Leidenschaft beschrieb, muss damals schon gewusst haben, dass ich mich dort niederlassen würde. Das Schreiben habe ich - wie fast alle - mit dem ABC erlernt. Eigene Gedanken zu Papier zu bringen ... viel, viel später. Mich hat weder die Muse geküsst, noch fühle ich mich berufen meine Mitmenschen mit meinen literarischen ...
Es gibt Bücher, die sollte man nicht aufschlagen

Es gibt Bücher, die sollte man nicht aufschlagen

Es gibt Bücher, die sollte man nicht aufschlagen

Der Tag versprach schön zu werden. Schon am Morgen kitzelte die Sonne meine Nase, sodass ich schneller als üblich aus dem Bett sprang, die Treppe hinunterlief und die Kaffeemaschine einschaltete. Während der Kaffee durchlief absolvierte ich im Bad das morgendliche Ritual, das mit leichtem Erschrecken beim Blick in den Spiegel begann. Nun ja, so ein Spiegel ist eben unbestechlich. Eine viertel Stunde später war ich dann vorzeigbar. Aus dem Schlafzimmer drangen Geräusche, die darauf hindeuteten,

dass Burkhard aus seinen Träumen gerissen wurde. Mehrmaliges lautes Gähnen und ein empörtes "es ist ja noch so früh" waren unmissverständliche Äußerungen. Ich überhörte sie geflissentlich.

"Das Frühstück ist in zehn Minuten fertig",

flötete ich.

Ich musste Burkhard bei Laune halten, denn heute wollte ich unbedingt in das neue Einkaufszentrum. Nicht morgen oder nächste Woche. Heute! So neu war es nicht mehr. Es wurde schon vor einem viertel Jahr eröffnet. Bisher hatte Burkhard sich erfolgreich gedrückt die 40 km zum Einkaufsparadies mit mir zu fahren. Dabei hatte er nichts gegen Autofahrten an sich. Er hatte etwas gegen Einkaufszentren. Doch allein machte so ein

Einkaufsbummel keinen Spaß. Meine Freundin hatte schon seit sechs Wochen ein Gipsbein und fiel als Begleitung aus.


Ich hatte mir mit dem Frühstück viel Mühe gegeben. Alles, was Burkhard morgens mochte, stand auf dem Tisch. Er strahlte. Ich auch als ich sagte:

"Wir fahren heute ins Einkaufszentrum!"

Das Eigelb seines Fünf-Minuten-Eies rutschte vom Löffel und landete mit einem klatschenden Geräusch auf dem Tisch.

"Ich wollte den Rasen mähen."

"Der wurde vor vier Tagen gemäht."

"Bernd kommt nachher und bringt die Bohrmaschine zurück."

"Es ist jetzt 8,30 Uhr. Bernd kommt gegen

18,00 Uhr. Ich will im Einkaufszentrum keinen Urlaub verbringen."

"Das überrascht mich!"

"Burkhard!"

" ... und außerdem wollte ich zum Mittagessen Kohlrouladen machen. Das dauert seine Zeit."

"Wir essen im Center!"

Endlich hatte ich den Sieg davongetragen.

Resigniert trank er seinen Kaffee aus und setzte eine leidende Miene auf.


Der große Parkplatz vor dem Center war etwas verwirrend. Wir mussten uns genau merken, wo unser Auto geparkt war. Mehrere Eingänge zogen die kauffreudigen Besucher in den riesigen Komplex, als ob sie

eingeatmet würden. Niemand kam hinaus. Wo waren die Ausgänge? Vorwegnehmend möchte ich erwähnen, dass wir sie fanden - nach vier Stunden.

Wir betraten also die kleine Stadt - und ich war glücklich. Von Boutique zu Boutique, weiter zu hochwertigem Porzellan - nicht, dass ich es benötigte - in Schuhgeschäfte, in einen Hutladen. Ich habe noch nie in meinem Leben einen Hut getragen. Burkhard hatte Schweißperlen auf der Stirn. Ein Geschäft mit Töpfen. Einen Topf brauchte ich! Burkhard brauchte ein neues Aftershave. Ein anderes - immer derselbe Duft. Er fand sein altes in Ordnung. Ich nicht! So verging die Zeit. Ich habe einiges im Center gekauft, von dem ich gar nicht wusste, dass ich es brauchte. Und

dann strahlte Burkhard plötzlich. Durch ein Fenster hatte er außerhalb des Centers das Schild eines Baumarktes gesehen. Nicht irgendeines Baumarktes, sondern den Mercedes unter den Baumärkten.

"Wir sind jetzt hier fertig. Bevor wir zum Auto gehen, machen wir noch einen Abstecher im Baumarkt."

Ich kannte solche Abstecher. Darauf hatte ich keine Lust.

"Geh´ du in den Baumarkt, ich gehe zu dem Stand mit den ungarischen Spezialitäten.

Ich möchte noch Gewürze kaufen. Anschließend setze ich mich in das Cafe, vor dem draußen die Palmen stehen. Dort treffen wir uns dann."

Er war zufrieden mit diesem Vorschlag.


Ich saß etwa fünfzehn Minuten im Cafe als eine Frau am gegenüber stehenden Tisch Platz nahm. Zuerst schenkte ich ihr keine Beachtung. Dann sah ich ihr zufällig ins Gesicht. Das Sprichwort "lesen, wie in einem offenen Buch" hat seine Berechtigung. Betroffen wandte ich mich ab, um schon nach kurzer Zeit wieder in dieses Gesicht zu blicken, nein, zu starren.

Ich war aufdringlich, unhöflich. Doch meine Unart wurde von ihr nicht wahrgenommen.

Ihr Alter war schwer zu schätzen, wie es oftmals ist, wenn die Menschen einer anderen Nationalität und einem uns fremden Kulturkreis angehören. Sie musste einmal schön gewesen sein. Weiße Strähnen

dominierten in ihrem schwarzen Haar, das am Hinterkopf zu einem schlichten Knoten geschlungen war. Ein verhärmtes, abgemagertes Gesicht - von tiefen Furchen durchzogen. Als sie den Kopf wandte, zeichnete sich eine unschöne Narbe vom Hals bis zum Ohr ab. Ich versuchte meine Augen von ihr abzuwenden und konnte es nicht. Sie hob eine Hand um ein Strähne ihres Haares nach hinten zu streichen. Brandnarben bedeckten den Handrücken und zogen sich bis zum Ärmel ihrer Bluse. Ihre Augen schienen das Leid der Welt gesehen zu haben. Was sah sie jetzt? Worauf richtete sich ihr innerer Blick? Auf Frieden, den sie sich wünschte, Ruhe, die sie nicht mehr kannte, Vergeltung für die Qualen,

die sie durchlitten hatte. Oder sehnte sie sich einfach danach einzutauchen in ein Nichts, zu vergehen? Ihre Augen blickten in eine Ferne, der ich nicht folgen konnte. Dazu bedurfte es wohl einer Portion Weisheit ... und von der bin ich weit entfernt.






Die stumme Begegnung mit dieser Frau im Cafe war der Anlass für meine Zeilen "Weitblick"



© KaraList 08/2016

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Über den Autor

KaraList
In meinem Garten steht kein Birnbaum - trotzdem unschwer zu erkennen wo mein Zuhause ist. Der Dichter, der dieses Land mit Leidenschaft beschrieb, muss damals schon gewusst haben, dass ich mich dort niederlassen würde.
Das Schreiben habe ich - wie fast alle - mit dem ABC erlernt. Eigene Gedanken zu Papier zu bringen ... viel, viel später. Mich hat weder die Muse geküsst, noch fühle ich mich berufen meine Mitmenschen mit meinen literarischen Ergüssen zu überschütten.
Nach gefühlten 20 000 gelesenen Büchern, habe ich mir gesagt, eine Geschichte oder ein Gedicht schreiben, das kannst du vielleicht auch. Und wenn der geneigte Leser nach der letzten Zeile das Buch mit dem Gedanken zuschlägt ´schade, dass es zu Ende ist` - dann war die Mühe nicht umsonst. Denn, Schreiben ist Arbeit.

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sugarlady Diese Frau hat viel erlebt. Wahrscheinlich schlimmes erlebt
Gesichter sagen mehr als hundert Worte.
Ich finde, wenn man einen auffälligen Menschen anstarrt, ist er um einiges interessanter als so ein aufgetakelter Mensch.
Liebe Grüße
Sugar.


Vor langer Zeit - Antworten
KaraList ... ups, da klapperte ja noch Taschengeld in die Sparbüchse. Herzlichen Dank, liebe Sugar!
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Hallo Sugar,
Du hast recht ... Gesichter können ein Leben erzählen.
Schön, dass Du hier warst! Ich freue mich und bedanke mich herzlich für den Favo.
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Dilettant Eindringlich, gut geschrieben.

LG
D.
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Ich danke Dir herzlich ... für Dein Lob und den Favo! Freu!
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Bleistift 
"Es gibt Bücher, die sollte man nicht aufschlagen..."
Zuerst nahm ich an, ich würde Dir auf einen lustigen Pfad
quasi auf einen erquicklichen Einkaufsbummel folgen,
aber mein Lächeln ist mir recht schnell entgleist,
als Du das Gesicht jener Frau beschrieben hattest...
Allerdings bin ich jetzt inzwischen der Meinung,
dass man solche Bücher eher nicht oft genug aufschlagen kann.
Denn davor darf man seine Augen einfach nicht verschließen, never...
LG
Louis
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Diese leichte Irreführung war natürlich beabsichtigt. :-) Ich hoffe, es ist mir damit gelungen, den krassen Unterschied zu dem, womit andere vom Unglück gebeutelte Menschen sich zwangsläufig beschäftigen, deutlich zu machen. Deinem Fazit stimme ich absolut zu - auch wenn der Inhalt des Buches uns entsetzt. Du bist er einzige Kommentator, der sich zum Titel positioniert hat!!
Ich danke Dir herzlich für Deine Lesezeit und den Favo, lieber Louis!
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Es macht betroffen, in ein solches Gesicht zu sehen. Du hast dieser Frau zu Bedeutung verholfen. Man kann nur hoffen, dass irgendwan mal wieder der menschliche Verstand über all die Machtspielchen siegt, die sich Politgrößen aller Länder liefern.
Terrorismus bekämpft man nicht mit Waffen, sondern, indem man ihnen keine Waffen mehr liefert.

LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Menschlichkeit sollte im Vordergrund stehen, dann wäre schon viel gewonnen.
Vielen herzlichen Dank für das Taschengeld, liebe Bärbel.
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Shehera Das ist sehr gut geschrieben.
Es zeigt deutlich, wie gut es uns doch eigentlich geht und dass wir immer noch in einem relativ sicheren Land leben.
Den Terrorismus haben die Islamisten nicht erfunden, den hatten wir auch schon durch eigene Landsleute in Deutschland.
Wir sollten immer den Menschen betrachten, niemals die Nationalität.

LG
Shehera
Vor langer Zeit - Antworten
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