TANte Mastha und die obdachlose Fledermaus
Immer, wenn ich beim Vorlesen an diese Stelle kam...
"Pst, aber nichts verraten!"
...antwortete mein Enkel
verschwörerisch:
"N- e- i- n, das verrate ich nicht!"
Bilder und Text von Marl
Tante Mastha kam vom Einkaufen.
Sie war auf den Wochenmarkt gewesen und hatte einen Beutel Kartoffeln gekauft, die sie am Wochenende brauchte. Ihr Heimweg führte über den Kirchplatz, wo sie auf einen Menschenauflauf stieß.
Schaulustige umringten die Straße, geschäftig liefen Leute hin und her. Sogar die Feuerwehr war da und die Polizei regelte den Verkehr.
Na nu, was war denn da passiert? Ein Autounfall? Brennt da irgendwas?
Als Tante Mastha näher kam, sah sie, was geschehen war. Der älteste Baum der Innenstadt, eine Linde, von der man wusste, das sie 1665 gepflanzt worden war, hatte das Gewitter der letzten Nacht nicht überstanden. Sie war am frühen Morgen umgekippt. Der morsche Stamm lag abgebrochen quer über die Straße und die große Krone war in den Vorgarten des Herrn Pastors gekracht. Überall lagen Baumteile herum. Mauersteine vom
Gartenzaun und der Gehweg waren auch kaputt. Es war ein schlimmes Bild der Verwüstung.
Na ja, mal hatte es so kommen müssen. In den vielen hundert Jahren, die der Baum auf den Kirchplatz stand, schlug der Blitz immer wieder ein und hatte dabei den dicken Stamm von der Wurzel bis zur Krone ausgehöhlt. Dagegen konnte der Gitterzaun, der um den Stamm gebaut worden war, auch nicht schützen.
Nun waren die Männer von der Forst dabei die alte Linde abzuholzen.
Tante Mastha sah ein Weilchen zu, unterhielt sich mit den einen oder anderen und machte sich bald wieder auf den Weg, um ihren Einkauf nach Hause zu bringen. Hier konnte sie ja doch nichts tun. Sie hätte sich aber mehr Gedanken machen sollen über die Bedeutung
der alten Linde, dann wäre sie vielleicht vorbereitet gewesen, was sie Zuhause erwarten sollte.
Dort angekommen wollte sie die Kartoffeln in den Keller bringen, sie brauchte die ja heute nicht mehr.
Der kleine Geist, der sie kommen hörte, rief ihr noch eine Warnung zu, doch es war bereits zu spät. Tante Mastha hatte schon die Tür zum Keller aufgemacht und knipste das Licht gerade an, als ihr etwas Dunkles entgegen flog. Es stürzte sich in wilder Wut auf ihren Kopf, krallte sich in ihren Haaren fest, schlug ihr die Flügel um die Ohren und piepste und fiepte dabei fürchterlich.
Tante Mastha war so sehr erschrocken, dass sie mit einem lauten Schrei die Kellerstufen wieder nach oben rannte. Dort glaubte sie sich in Sicherheit.
Doch das braune Ungetüm verfolgte sie und setzte zum nächsten Angriff an.
Gerade noch konnte Tante Mastha zur Seite springen und den Kopf einziehen. Da schoss
es knapp an ihr vorbei, die Treppe hinauf, wo Gernot stand.
„Was war denn das?“, keuchte
Tante Mastha. Sie hatte im Kampf nicht sehen können, wer oder was sie überfallen hatte. Gernot musste es ihr erklären:
„Das war meine Freundin Fledermaus. Sie wollte sich nur ein bisschen ausruhen.“
„In meinem Keller?“ Tante Mastha war entsetzt und der Schreck saß ihr in allen Knochen. Sie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen.
„Da stand gerade das Fenster auf. Sie kann doch nicht nach Hause fliegen. In die Linde Nummer 1 hat heute Nacht der Blitz eingeschlagen und ihre Höhle ist umgekippt.
Da habe ich ihr angeboten, dass sie im Keller schlafen kann.“
So war das also.
Die hohle Linde war nicht nur ein Baum, sie war auch eine Zuflucht gewesen. Ein sicherer Ort für Fledermäuse. Durch den hohen Gitterzaun wohnten sie dort ungestört.
Daran hatte Tante Mastha nicht gedacht.
„Das habe ich gesehen. Sieht ganz schön schlimm aus. Wo ist sie denn jetzt hingeflogen?“, wollte sie wissen.
So eine kampflustige Fledermaus hatte sie noch nie erlebt.
War sie vielleicht wirr im Kopf?
„Ins Badezimmer.“, antwortete Gernot. „Sie braucht nun mal was Dunkles.“
„Ja schon, im Badezimmer kann sie aber auch nicht bleiben. Sie muss sich eine neue Wohnung suchen, oder ich rufe das Tierheim an, wo sie artgerecht versorgt werden kann.“,
erklärte Tante Mastha schnell.
Doch Gernot wehrte ab:
„Das weiß sie, dahin geht sie morgen. Erst müssen wir ihre Schwester suchen. Die hat sich, als der Blitz einschlug, den Flügel gebrochen und konnte nicht mehr fliegen. Ich will ihr heute Nacht beim Suchen helfen.“
„Das dauert ja noch eine Ewigkeit bis du um Mitternacht los fliegen kannst. Solange kann sie nicht im Badezimmer bleiben!“, entgegnete Tante Mastha entsetzt.
Gernot konnte sie beruhigen. „Nein! Das fällt unter Havarie. Manchmal mache ich das schon. Wenn du nichts dagegen hast und keinem was sagst, fliegen wir los sobald es schummrig wird.“
Oh! Tante Mastha hatte nichts dagegen. Sie
würde bestimmt niemandem was sagen, selbst, wenn sie sofort los geflogen wären.
Doch dafür war es wirklich noch zu hell.
„Kannst du nicht mal mit ihr reden? Vielleicht beruhigt sie sich ja.“, schlug Gernot vor.
„Iiich?“ Tante Mastha riss die Augen auf. Sie sollte sich in die Löwengrube wagen?
Na ja, wer sonst, oder sollte der kleine Geist noch denken, dass sie eine Bangebüchse war.
Sie kam ja gerade von der Unglücksstelle und hatte gesehen, was da geschehen war. Aber von einer kranken Fledermaus war da keine Rede gewesen.
Tante Mastha nahm all ihren Mut zusammen und stieg langsam die Treppe hinauf, schlich um die Ecke und schaute ins Bad. Ja, da hing sie in der Gardine. Sie hatte sich dort
festgekrallt und schaute mit ihren Kulleraugen ängstlich umher.
Was sie für große Ohren hat? Ach so, sie war eine Langohr-Fledermaus. Die hatte Tante Mastha noch nie gesehen. Um sie besser betrachten zu können, wollte sie vorsichtig näher gehen, aber kaum war sie an der Tür, fiepte das Tier schon wieder los und setzte zum nächsten Sprung schon an.
Das kannte Tante Mastha nun schon und versteckte sich schnell wieder hinter die Ecke und sagte hastig zu Gernot gewandt: „Ich glaube deine Freundin mag mich nicht. Das grenzt ja schon an Hausbesetzung. Ich werde sie besser in Ruhe lassen und solange im Garten warten. Sagt Bescheid, wenn ihr los fliegen wollt.“
Du liebe Güte, so was Nervöses. Da standen wohl beide tüchtig unter Schock.
Gernot schaute Tante Mastha nach und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Als sie halb auf den Weg gewesen war, rief er ihr nach:
„Tante Mastha! Warum schleppst du eigentlich den schweren Sack noch mit dir herum? Wolltest du ihn nicht in den Keller bringen?“
Verdutzt schaute Tante Mastha auf ihre Hand. Sie hatte den Kartoffelsack im Eifer des Gefechts völlig vergessen. Nun musste sie über sich selber lachen.
„Ach, du mit deinen Spukereien!“
Und dann dachte sie verschmitzt, dem werde ich ein Ende setzen. Wartet nur, wenn ihr abgeflogen seid, will ich in den Keller gehen und in beide Kellerfenster heimlich Fliegengitter kleben.
Pst, aber nichts verraten!
Übrigens:
Am nächsten Tag las Tante Mastha den Artikel in der Zeitung über das Unglück der alten Linde und ganz unten, als Letztes, stand, dass eine Langohrfledermaus von einer Familie gefunden wurde, die sich den Flügel gebrochen hatte. Sie haben sie noch am
gleichen Tag zur Behandlung ins Tierheim gebracht.
„Na, Gott sei Dank.“, sagte sie zu Gernot. „Da sind die beiden ja wieder vereint und können sich bald eine neue Wohnung suchen.
Hier steht auch, dass ein neuer Baum auf den Kirchplatz gepflanzt werden soll.“
Dort drüben im Baum,
raschelt leise ein Traum.
Er will dich begleiten,
durch die Nacht hindurch leiten.
Er zeigt dir im Schlaf
das Sternentraumschaf.
Drum geh schnell zur Ruh,
mach die Äugelein zu,
schon vergehen alle Sorgen
und du träumst schön bis morgen
Ich hab dich lieb!
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