Kafee ferti
An dem Tag, an dem wir uns zum ersten Mal getroffen hatten, war es seine Ausstrahlung gewesen, welche mich etwas aus dem Konzept gebracht hatte. Wenn dieser Mann einen Raum betrat, so schien es fast unmöglich zu sein, ihn nicht wahrzunehmen. Stets trug er ausgewählte Kleidung; farblich aufeinander abgestimmt und als höchstes Maß der Freizeitgarderobe empfand er eine schlichte Stoffhose und ein minutiös gebügeltes Hemd. An seiner Seite pflegte er zu jeder Zeit einen kunstvoll gravierten Stock zu tragen. Er
war charmant und aufmerksam.
Es war genau diese Aufmerksamkeit, welche ihn dazu veranlasste, das Misstrauen in seinen stahlgrauen Augen durchblitzen zu lassen.
„Leibgrimmen aufgrund von einer nicht ganz unberechtigten Paranoia?“
Nach dieser etwas sarkastischen Begrüßung, trällerte Anton mir mein allseits gefürchtetes „Luisa, mein Goldkind“ entgegen. Da war sie wieder, die Rache für meinen abführenden Kuchen.
Der Drehbuchautor Anton Halstein erhob sich von seinem Platz und kam mir entgegen. Sofort angelte er sich
meine beiden Hände, nur um sie geschlossen mit einem Handkuss zu versehen. Anton war durch und durch eine Kavalier der alten Schule und vom Theater buchstäblich gezeichnet. Hin und wieder, wenn ich Zeit mit ihm verbrachte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass dieser Mann wahrhaftig ein Wesen aus dem realen Leben war und nicht der Phantasie eines kreativen Dramatikers entsprang.
In unserem Stammcafé waren wir beide allmählich so bekannt, dass wir, wenn uns die Besitzerin schon sah, zwei "Schreiberling-Gedecke" bekamen. Jeder ein Stück Kuchen, Anton eine Wiener Melange und ich einen „Kaffee
verkehrt“.
Das Thema „Main-Krimi“ beschäftigte den Autoren sehr, denn es war gar nicht so leicht, ein Mörderschauspiel auf einer zweistündigen Main-Kreuzfahrt auf die Beine zustellen, insbesondere wenn der geistige Urheber sich jenseits der realistischen Logik für der Wirklichkeit befand. Seit geschlagenen zwei Wochen versuchte ich diesen Ken Folett des Theaters davon zu überzeugen, dass seine Recherche außergewöhnlich gut, jedoch dramaturgisch nicht umsetzbar war. Mein Vintageverschnitt von Henning Mankell Krimis zog eine Schmollschnute vom Allerfeinsten, ich
jedoch hielt dem Druck unter den 20.000 Meilen unter dem literarischen Meer stand.
Schweigend muffelte ich meine Karamellsahneschnitte mit Haselnusskrokant, während Anton seine original Sachertorte anmaulte.
„Anton, Giftmorde sind unauffällig, deswegen werden Leute vergiftet. Es soll niemand mitbekommen. Ein auffälliger Giftmord ist ein Paradoxon. Und Tetradodoxin stammt zwar von einem Fisch, aber hast du schon mal Fugo auf einem Paddelboot serviert bekommen?“
Dieser Mann war unglaublich. Plötzlich brachte er Alexander Litwinenko und
Jassir Arafat mit ins Gespräch ein.
Ab diesem Zeitpunkt war ich der festen Überzeugung, dass dieser Mensch die einzige Person auf Gottes Erden war, welche H.G. Welsh, Heinz Rühmanns 'Lalelu' und Sir Arthur Conan Doyle mit Loriot in einem logischen Satz nennen könnte, ohne dass die Ärzte der nächsten neurologischen Klinik einen ernsthaften Frontalhirntumor diagnostizieren würden.
„Das ist doch eine vollkommen andere Dimension. Polonium ist eine radioaktives chemisches Element. Diese Morde waren ein Politikum mit der Aussage :'Wir konnten euch mit etwas vergiften, das so auffällig ist, dass man
uns finden muss und trotzdem habt ihr es nicht geschafft uns zu schnappen'. Das ist Stoff für einen Thriller, aber nicht für eine Dümpeltour über den Main mit einem Vier-Gänge-Menü.“
Künstler waren ein anstrengendes Volk und ich war sauer, weil ich genauso stur sein konnte, wenn ich die Idee für ein Schmuckstück umsetzen wollte, jedoch das Material zu schnell an seine Grenzen stieß.
Das Herz unseres Stammcafés trat beschwingt an den Tisch und lächelte uns beide freundlich an. „Meine Lieben, darf es noch etwas sein?“
Die gute Frau war nicht geschäftlich
tätig, sondern hatte eine ebenso gute Nase für schlechte Laune. Hoffentlich befürchtete sie nicht, dass wir mit unserer todbringenden Ausstrahlung die andern Gäste vergraulen würden.
Ich bestellte noch einen Kaffee verkehrt und Anton ging zum Wasser über. Damit war klar, jetzt ging die Arbeit erst richtig los. Der gemütliche Teil war vorbei.
„Du kannst den Vergifteten auf der Bühne theatralisch darstellen. Aber wie willst du das mit einem Gift machen? Es nach Maria Montessori oder Rudolfs Steiners anthroposophischer Waldorfpädagogik vortanzen?“
Nach diesem Satz warf der Autor mir
einen Blick zu, welcher heißen konnte, ich übertreibe oder – und das war wesentlich schlimmer – Anton überlegte ernsthaft, ob man diese Kombination auf eine Schiffsbühne bringen konnte.
Allmählich gingen mir die Argumente aus. Die Besitzerin des Cafés kam mit der Bestellung und wechselte mit uns einige vertraute Worte. Im Grunde ein einfacher Smalltalk, aber auf einer Ebene, dass man sich hier bei ihr wie zu Hause fühlen konnte. Sie und Anton tauschen eigne lokalpolitische Themen aus, bis ein weiterer Gast um seine Rechnung bat.
Eine gelungene Pause. Diese hatte mir die Möglichkeit gegeben, wieder auf
meinen Boden der Tatsachen zu kommen. Jetzt war es wieder möglich, ernsthafter und strukturierter an die verschiedenen Aspekte des Drehbuches zu gehen. Ich war von Anfang an erstaunt darüber, auf wie viele kleine Dinge man achten musste, damit ein Theaterstück entstehen konnte. Die Recherche und das sogenannte Plotten waren augenscheinlich anstrengender als das Schreiben an sich. Hinzu kam noch der hohe Anspruch an sich selbst, welchen Anton hatte. Jedenfalls wäre es kein Job für mich. Ich saß wesentlich lieber an meiner Werkbank und bearbeite Gold und Silber.
Wir hatten gerade die Rolle des
Mordopfers in groben Zügen festgelegt, als der Drehbuchautor seine Wiener Melange austrank und verwundert in seinen Kaffeebecher blickte. Mit seinem Löffel fischte er aus der Tasse ein Fünfcentstück und legte es auf die Untertasse.
Schweigend beobachtete ich das Geschehen und lehnte mich weit nach hinten an die Fensterscheibe in meinem Rücken. Ich wartete, bis der kreative Kopf anfing, zu arbeiten und das Stahlgrau seiner Augen nach meinen suchte.
„Wenn ich es wollte, hätte ich dich bereits erledigt.“
Der Mann, welcher mein Wissen über
Mordmethoden ausnutze, welche mir dank meines verstorbenen Ex angeeignet hatte, begriff immer noch nicht.
Also lächelte ich, genau wie an dem Tag, als ich ihn wegen seiner Bitte beim „Mord planen zu helfen“, einen Kuchen mit Abführmittel serviert hatte.
„Mordmethode 31: ‚Kaffee fertig‘, eine Methode welche ausschied, weil Sarah als Bardame die Leidtragende sein würde!“
Selbst wenn Anton von meiner Freundin Sarah erfahren hatte, dass ich mich mit den Gedanken, meinen betrügerischen Ex umzubringen, beschäftigte, so hatte er niemals nachgefragt, wie ich es machen wollte. Mit seinem Charme und
der Aufmerksamkeit, welche Anton an den Tag legte, akzeptierte er, diese Art der Bewältigung von Trauer, Liebeskummer und tiefster Verachtung.
„Kaffee fertig, mein Ex trank ihn regelmäßig. In der Schweiz nimmt man ein Rappenstück, legt es in ein Kaffeeglas mit Zucker und gießt Kirschwasser hinein, bis das Geldstück vollkommen bedeckt ist. Er war so darauf versessen, dass er neben dem Kirschwasser ein Schüsselchen mit Rappen darin stehen hatte. Jedenfalls gibt man anschließend soviel Kaffee ins Glas, bis man das Rappenstück wieder erkennen kann. Danach wird noch Sahne auf den schwarzen Kaffee gegeben. Wer
das trinkt, ist danach fertig; vor allem, wenn man zuvor das kleine Geld mit so etwas Banalem wie Arsen bestrichen hat. Ich wäre sehr wahrscheinlich noch nicht einmal im Haus gewesen, wenn er per Zufall das vergiftete Geldstück in seinen Schlummertrunk gegeben hätte.“
Mit jedem Wort meines letzten Satzes, konnte ich beobachten, wie die Farbe aus Antons Gesicht wich. Ich meinte sogar zu entdecken, dass sich seine Augen von Stahlgrau in dunkles Granit verwandelten.
Wir hatten schon einiges an Zeit miteinander verbracht, jedoch war er noch nie so nah an meinen seelischen Abgrund
geraten.
„Anton, die wahre, menschenähnliche Verdorbenheit und Tragik findest du nicht auf der großen Bühne. Sie sitzt oftmals einfach neben dir.“