„Es wird Winter“, stellte ich fest und wickelte meine Jacke enger um mich herum. Es war ein lauer Frühlingsabend, eigentlich fast schon im Sommer.
„Was?“ Steffen sah mich an, als hätte ich ihm gerade mitgeteilt, dass ich schwer krank wäre. „Wie meinst du das?“ Er war immer noch sichtlich verwirrt. Überall in der Stadt blühte es und die meisten Menschen – er auch – waren im T-Shirt unterwegs.
„Vielleicht ist dir einfach nicht gut. Du fierst ja auch“, versuchte er es weiter.
„Nein“, protestierte ich, „Es ist anders. Ich glaube, es hängt mit den Sternen zusammen.“
Skeptisch richtete er seinen Blick auf den
Himmel.
Kein Stern weit und breit.
„Was soll mit den Sternen sein?“, fragte er schließlich, inzwischen ziemlich ratlos.
„Wie Sie sehen, sehen Sie nichts. Die Sonne hat sich auch schon lang nicht mehr blicken lassen.“
Steffen zuckte mit den Schultern. „Es ist ja aber auch nicht direkt dunkel. Und die Blumen blühen doch.“
„Plastik“, erklärte ich.
„Hä?“, machte er.
„Ja, sie riechen gar nicht.“
„Wie soll das gehen?“
„Ich weiß nicht“, antwortete ich wahrheits-gemäß, „Es geht halt.“
Er atmete mehrmals tief durch die Nase ein und aus, um die Luft zu riechen. Dann gab er
auf und hob erneut die Schultern. „Ich weiß nicht.“
„Und du findest es auch nicht stickig?“
„Ich bin Allergiker, für mich ist es im Frühling immer stickig.“
„Aber es ist anders“, murmelte ich. Sein Unverständnis regte mich langsam auf.
„Anders stickig?“
Ich ignorierte ihn. „Wir sollten aufs Land fahren.“
„So spät noch?“
Wie spät? Ich hatte keine Uhr. War es überhaupt schon Abend? Ich sah mich um, aber nirgendwo konnte ich eine Uhr entde-cken. Der Himmel half mir auch nicht weiter, er war gelb. Nicht dunkel, nich hell, nein:
einfach gelb.
Auf der anderen Straßenseite liefen Menschen vorbei, die sich daran nicht zu stören schienen. Sie lachten. Die Männer trugen Shorts und T-Shirts, einige Frauen sogar Sommerkleider. Dabei war es wirklich nicht warm. Aber das merkten sie nicht.
Ich lief zu einem Blumenbeet und riss ein Veilchen heraus.
„Was zum Teufel machst du denn da?“, fragte Steffen. War er etwa genervt? Dazu hatte er doch gar kein Recht, fand ich.
„Hier, Plastik!“ Triumphierend – weil ich Recht hatte, nicht weil ich mich darüber freute – zog und zerrte ich vor seiner Nase an den Blüten. Sie waren zäh.
„Ach!“ Er nahm sie mir aus der Hand und warf
sie weg.
Damit war die Diskussion beendet. Schweigend gingen wir weiter. Am Ende der Straße segelte die erste Schneeflocke an meinem Gesicht vorbei und ich zertrat sie mit meinem Schuh.
Dann kam noch eine. Und noch eine. Und noch viele mehr.
Ich kuschelte mich in meine Strickjacke. Ob die Menschen in Sommerkleidung, an denen wir vorbeigekommen waren, wohl immer noch so ausgelassen lachten?