Mein Name ist Margarethe - und - ich mache den Motorradführerschein. Bei einer Familienfeier in der letzten Woche erzählte ich meinen Kindern, dass ich mich in einer Fahrschule zu einem Intensivfahrkurs angemeldet habe. Meine erwachsenen Kinder, 32, 30, 28 Jahre jung, sahen mich an, als hätte ich mich gerade zu einer Mondfahrt angemeldet oder wäre jetzt mit meinen 50 Jahren völlig verrückt geworden. Heute ist es nun soweit: Ich sitze das
erste Mal auf einem Motorrad, einer 500er. Was für ein Gefühl. Freiheit! Wundervoll! Peter, mein Fahrlehrer, erklärt mir alle technischen Funktionen. Während der Erklärung kommen mir Gedanken in den Sinn, wie z. B. “Ich lerne jetzt, wozu die einzelnen Hebel und Schalter gut sind und dann ab auf die Autobahn. Ja, klar..gut, dass mein Fahrlehrer diese Gedanken nicht lesen konnte... Ich bin doch froh, dass wir ganz allein auf einem großen Übungsplatz waren. Ich zog die Kupplung mit der linken Hand, legte mit dem linken Fuß den 1.
Gang ein, drehte mit der rechten Hand vorsichtig am Gas und - ließ die Kupplung zu schnell los. Mein Motorrad machte einen Satz nach vorn und blubb - der Motor ging aus. Ja, doch, also von diesem Moment an war mit schon klar, das kann jetzt etwas dauern….Führerschein mit nur den Pflichtstunden – das wird wohl nichts werden. Bis heute früh habe ich noch geglaubt, den Führerschein in ganz kurzer Zeit zu haben. Meine Güte - ich bin 50. Das darf doch länger dauern. Sätze wie Alter mal Stunden kamen mir in den Sinn. Naja, so schlimm wird´s wohl nicht. Peter zeigte mir dann mit
viel Geduld - er ist nett- dass ich doch bitte die Kupplung langsam loslassen soll. Ich fuhr meine Kreise. Das ist so was von umwerfend schön. Ich fühlte mich wie eine Königin auf dem Motorrad. Ich werde mein eigenes Motorrad Queen nennen. Meine Freundin Annette nenne ich auch so. Während der Fußball Weltmeisterschaft saß Annette als Sozia auf einem großen Motorrad und durfte bei einem guten Freund von mir mitfahren - Manfred. Heimliche, unerfüllte Liebe. ES hat lange gedauert, bis sich dieser Schmerz, den ich fühlte, wenn ich an ihn dachte, in ein warmes
dankbares Gefühl verwandelte. Ich verdanke ihm eine schöne Zeit. Manfred hat sich für eine andere Frau entschieden. Ich hatte ihm nie gesagt, was ich fühle. In meinen Augen hätte er es eigentlich lesen können, aber vielleicht wollte er das gar nicht. Nun ja, man kann nicht alles haben. Die Erinnerung an eine schöne Zeit aber bleibt für immer. Fußball begeisterte Menschen standen während der Weltmeisterschaft jubelnd am Straßenrand, um ihre deutsche Fußballmannschaft zu feiern. Annette stellte sich einfach vor, alle Menschen jubelten ihr zu. Sie hob einer Königin
angemessen, ihren Arm hoch und winkte hoheitsvoll. Annette fühlte sich in dem Moment wie eine Königin und das sah man ihr an. Sie genoss die Fahrt mit dem Motorrad.
Endlich ist es Nachmittag. Die nächsten Fahrstunden waren angesagt. Ich drehte meine Runden auf dem großen Platz. Plötzlich verwechselte ich rechten Arm mit linkem Arm- also Kupplung mit Handbremse - keine Ahnung wie mir das passieren konnte - und stand da - den Lenker eingeschlagen. Motorradfahrer - Ihr wisst, was das heißt? Ich halte keine - was wiegt so ein Ding? 200 Kilo? Im Zeitlupentempo kippte ich um. “Lenker gerade, wenn du bremst!” schrie Peter mich an. Jaa - die Anweisung kommt jetzt zu spät. Hatte
ich gesagt, mein Fahrlehrer ist nett? Ich lag unter dem Motorrad, mein Selbstvertrauen auch - separat - und der Klugredner schreit mich an! Mir ist nichts passiert, aber die Maschine brauchte einen neuen Blinker und einen Griff für die Kupplung. Fahrstunde zu Ende. Ich freute mich dennoch auf die nächsten Fahrstunden, weil Motorrad fahren für mich einfach das schönste Freizeitvergnügen ist; dieses Kribbeln im Bauch…Ich schaff das - ich fahre Motorrad...ganz allein – bald.. Der Motorradführerschein muss sein,
diese Herausforderung ist eine tolle Ablenkung vom Singledasein. Alleinsein ist nicht die für mich vorgesehene Lebensgestaltung. Ich habe nach der Beendigung meiner Beziehung das erstbeste Wohnungsangebot unterschrieben und war dann mal weg.. Nachmittag - das bedeutet Fahrschule. Es hat mal wieder angefangen zu regnen. Egal, mein Fahrlehrer dirigierte mich auf die Autobahn. Vorher waren wir schon zwei Stunden durch die Stadt gefahren. Es fing an zu regnen. Wie meist, wenn ich Fahrstunde hatte. Oh
man. "Ein bisschen schneller Margarethe, gib auf der Autobahnauffahrt Gas". Ich konnte aber kaum etwas sehen durch das total verregnete und sich immer wieder beschlagende Visierfenster. Ich registrierte eine große Lücke auf dem rechten Fahrstreifen und wechselte vom Beschleunigungsstreifen auf die rechte Spur der Autobahn. Peter schrie mir aufgebracht ins Ohr: "Rechts, rechts", was ich auch sofort machte. Ich wechselte zurück auf den Beschleunigungsstreifen. In dem Moment schoss ein Auto mit einem
Wohnwagenanhänger an mir vorbei. Erschrocken hörte ich Peter wieder schreien: "Weißt du, wie Scheiße das ist, wenn ein Fahrlehrer seinen Schüler verliert? Kannst du denn nicht gucken? Der kann doch gar nicht bremsen. Der Wagen hätte ihn weiter geschoben" Er schrie noch irgendetwas, aber das konnte ich nicht verstehen. Seine Stimme überschlug sich. Ich spüre meine Tränen aufsteigen. Ganz schlecht. Ich konnte ja schon wegen des Regens wenig sehen. Nun auch noch Tränen. Mir wurde gerade klar, dass Peter mir soeben das Leben gerettet hatte. "Fahr jetzt rauf" höre ich ihn
rufen. Blick in den Spiegel, Schulterblick und Geschwindigkeit kontrollieren. Der Wohnwagen war schneller als 80 km/h gefahren. Soviel hatte ich auf dem Tacho, als der Wagen an mir vorbeischoss. Konnte ich mit dieser Geschwindigkeit rechnen? Bei jeder Autobahnauffahrt sehe mir seitdem die Auffahrspur ganz genau an, bevor ich den Beschleunigungsstreifen verlasse. Fahrer von Wohnwagen werde ich höllisch genau beobachten. Die unterschätze ich nicht noch einmal.
Ach ja, und nächsten Tag - ich bin Motorrad gefahren. Noch ne Runde, noch ne Runde. Langsamer Slalom - wer hat sich das ausgedacht? Ich berühre ständig den Boden, aber mein Fahrlehrer, gar nicht mehr netter Peter, hat sich in den Kopf gesetzt, mich nächste Woche durch die Prüfung zu bringen. Ich hab Bauchschmerzen.
Ach, hab ich schon gesagt, dass ich mit dem Motorrad unterwegs war? Es regnete, aber das war Peter egal.
Ich hab solche Schwierigkeiten mit dem Headphone. Manchmal kann ich Peter nicht verstehen und dann schreit er...ich kann dieses Geschreie von ihm nicht leiden - vom nicht mehr netten Peter...
Diesmal dirigierte er mich auf die Landstraße. Ich fuhr 80 km/h, wegen des Regens. Wir waren ganz allein auf der Landstraße. Alle anderen Menschen
saßen im trockenen bequemen Wohnzimmer, nur wir nicht. Plötzlich rief Peter: Stoff, Stoff. Ich dachte nur: "Der spinnt total, aber nun gut". Ich gab Gas bis auf 100 km/h. "Hör hin, wenn ich mit dir rede", schrie mir seine Stimme ins Ohr. "Halt an, fahr rechts ran". Ich hielt rechts an neben einer Einfahrt zu einem Feldweg. Peter kam zu mir gelaufen. "Was hast du verstanden, als ich Stopp rief? Was geht in deinem Kopf vor sich?" "Ich hab Stoff verstanden. Tut mir leid. Der Empfang hier ist ziemlich
schlecht."
"Ein paar Kilometer weiter sollen Schafe auf der Straße laufen, wir kehren um". Ich war erleichtert. Ich konnte auch nicht mehr.
Und...was habe ich am Nachmittag des nächsten Tages gemacht? Richtig. Ich bin Motorrad gefahren. Super drei Stunden. Langsamer Slalom. Ich hab es drauf. Ausweichen, Vollbremsung, normaler Slalom. Mich schafft keiner mehr ...na, warte Peter, bald bin ich durch mit der Prüfung und dann schreit mir keiner mehr ins Ohr!"
Am nächsten Tag bin ich den halben Tag Motorrad gefahren. Irre. Mich kann nichts mehr erschüttern, meinen Hintern auch nichts.
Ich hab es geschafft. Fahrstunden mal Alter - ja, kommt hin. Gut Ding will Weile haben...Egal, ich habe den Führerschein und bin sowas von happy. Das Leben ist herrlich. Mein Motorrad wird jetzt im Preis wegen der vielen Fahrstunden etwas kleiner ausfallen, aber solange es ABS hat...egal. Jetzt suche ich mir ein Motorrad..mit ABS und allem möglichen
Schickimicki.
Als ich nach Hause kam, rief ich alle Freunde an, die erreichbar waren. Ich war so stolz auf mich.