Kapitel 31 Heimkehr
Die Überfahrt verlief ruhig. Lediglich einmal waren sie in die Ausläufer eines Wintersturms geraten, der das Deck gefährlich zum schwanken gebracht und Wellen über die Planken gespült hatte. Nun jedoch, wo sie sich der Küste näherten, war das Wasser wieder still und die Luft eisig und still. Galren hatte das Gefühl auf See zu sein vermisst. Etwas, das ihm erst wirklich bewusst geworden war, nachdem er nach einer Ewigkeit wieder das Schwankende Deck unter den Füßen gespürt hatte. Das
Gefühl, wie der Schiffsboden bei jeder Welle rollte, das leichte knarzten der Planken und der Geruch von Salz in der Luft. All dies gehörte auf Tiefste zu ihm, hatte es immer getan. Und das nicht nur wegen seiner natürlichen, oder wohl eher unnatürlichen, Fähigkeit sich auch auf offener See zu Recht zu finden.
Schon als Kind war er mit den Fischern in Maillac rausgesegelt, wenn auch immer in Sichtweite der Küste und später nachdem sein Vater verschwunden war, hatte ihn nichts davon abhalten können, in seine Fußstapfen zu treten. Vielleicht war es damals noch jugendlicher Leichtsinn gewesen, der Traum ihn eines Tages zu finden. Nun
am Ende hatte er genau das getan. Und im Nachhinein betrachtet wäre es wohl besser gewesen, wenn nicht.
Naria hatte ihm ein frisches Flächen mit ihrer Tinktur mitgegeben und bisher schien sie immerhin zu wirken. Er schlief traumlos und ruhig, auch wenn er sich morgens eher fühlte, als hätte ihm abends einfach jemand einen Hammer über den Schädel gezogen. Und neben der dünnwandigen Kristallphiole hatte die Gejarn ihm noch etwas anderes zugesteckt. Galren berührte den kleinen, weißen Kristall in seiner Tasche nur um sich zu versichern, dass er immer noch da war. Er sah fast genau aus wie der, den sie ihm bei seinem ersten Abschied
aus der fliegenden Stadt geschenkt hatte. Mit einem Unterschied. Dieser hier könnte ungeschehen machen, was der erste Erschuf. Trotz ihrer Gegensätze, irgendwie hatten Lias und Naria am Ende doch respektieren gelernt.
Eis hatte sich in einer Schicht auf den Tauen und Segeln des Schiffs festgesetzt und auch am Rumpf und auf den Planken hatte sich ein dicker Kristallpanzer gebildet, der es gefährlich machte, das Deck überqueren. Galren hatte sich als Schutz vor der Kälte einen schweren Wollumhang um die Schultern gelegt und ein paar Handschuhe angezogen, trotzdem konnte er jeden Windhauch bis auf die Knochen spüren. Die Winter auf
Hamad waren schon immer grausam gewesen, vor allem hier an der nördlichen Küste der Insel. Und doch genoss er dieses Gefühl, scheine selbst die eisigen Windböen von Zuhause zu sprechen…
Elin hingegen war die Kälte deutlich weniger gewohnt und hatte sich in einen schweren, Mantel gehüllt, der ihr zu groß war und hinter ihr über den Boden schleifte. Dazu kamen ein dichter, schwerer Wollrock über ihren Hosen und eine Mütze, die mit ihrem schreiend roten Farbton bereits bei der Mannschaft für Belustigung gesorgt hatte. Nach dem Spott der Matrosen allerdings, hatte die Gejarn wohl erst recht für sich
entschieden, sie weiter zu tragen.
Das Schiff tauchte in eine Nebelbank ein. Eisflocken wirbelten durch die Luft, die sich in einer dünnen Schicht auf seinen Mantel legten, während eine Welle den Boden unter Galrens Füßen schwanken ließ.
Unter Deck wäre es sicher wärmer, dort brannten in kleinen Eisenöfen Feuer vor denen sich die Crew versammelt hatte. Doch Galren dachte gar nicht daran, als das Schiff den Nebel wieder hinter sich ließ. Am Horizont waren so eben die ersten Gipfel von Hamad aufgetaucht. Schwarzer Granit und gleißend weißer Schnee wechselten sich miteinander ab, während die Insel langsam vor ihnen aus
dem Meer erhob. Sie war klein, das wusste er und aus der Ferne betrachtet wirkte sie sogar winzig. Nicht viel größer als eine Münze und doch schon zum Greifen nahe. Im Sommer konnte man innerhalb von wenigen Tagen die gesamte Küste umrunden und das Meer war selbst im Zentrum der Insel nie weiter als einen halben Tagesmarsch entfernt. Und doch war es seine Heimat, dachte Galren. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, dass er sie das letzte Mal gesehen hatte. Damals waren die Küsten noch grün gewesen und Freybreak… Galren sah auf den größer werdenden Hafen hinaus. Nun, vor Freybreak hatten sich die Schiffe damals noch
nicht gestaut, dachte er mit einem Lächeln. Freybreak war damals noch ein völlig anderer Ort gewesen. Wenn Armell das nur sehen könnte.
Jeder Pier der Stadt war doppelt und dreifach besetzt, insgesamt wohl mehr als einhundert Schiffe, die sich trotz der Witterung und des Kriegs bis hier herauf gesagt hatten. Ihre Masten und Taue bildeten einen dichten Wald , der bereits aus der Ferne kaum zu überblicken war und der Hafen selbst war ein wuselndes Meer aus Menschen. Manche trugen Kisten mit Tüchern, Fischen, Krüge voll Öl und Gewürzen, andere unterhielten sich über den allgemeinen Lärm hinweg. Oder versuchten es zumindest. Händler,
von den örtlichen Fischern bis hin zu den Gewürzhändlern und den fliegenden Krämern die sich als blinde Passagiere auf den Schiffen versteckt haben mochten, riefen ihre Waren aus und boten sie im Schein großer Kohlebecken feil, an denen sich ihre Kundschaft die Hände wärmen konnte.
Freybreak war auf einer Seite vom Meer und von drei von hoch aufragenden, grauen Klippen umschlossene. Die Berge schirmten die Stadt fast vollständig vom Rest der Insel ab, so dass sie nur über steile Treppen oder über den Seeweg zu erreichen war. Die Felsen wiederum , die bis in die grau-grünen Wogen hinein reichten, formten eine geschützte Bucht ,
die zumindest die schlimmsten Unwetter abhielt und so einen natürlichen Hafen schufen . Und die ständig den Gezeiten ausgesetzten Steine boten guten Untergrund für Muscheln und mit ihnen einer Unzahl Fische, welche die Fischer Feybreaks mit großen Netzten direkt von den Klippen aus an Land ziehen konnten. Die mutigeren wagten sich auch in kleinen Ruderboten bis an die Klippen um dort ihre Angeln auszuwerfen oder Muscheln und Austern zu ernten. In früheren Zeiten hatte sich die Stadt fast ausschließlich über den Fischfang versorgt. Somit war der Hafen schon immer mit Abstand der wichtigste Teil der Stadt gewesen, selbst als die Stadt
nach dem Krieg des Aristokratenbunds drohte in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Nun jedoch konnte Freybreak dem Andrang der Händler kaum noch standhalten wie es schien und Galren begann sich insgeheim zu fragen ob nicht grade der Krieg der Grund dafür sein mochte. Überall in Canton brannte das Land. Nur nicht hier. Hier erwarteten die Händler noch einfache Geschäfte und sichere Abnehmer für ihre Waren. Hingegen bezweifelte Galren, das man sie in Erindal noch willkommen hieß, wenn von der Stadt überhaupt mehr als eine rauchende Ruine geblieben war. Hamad jedoch war von den Kämpfen bisher so gut wie unberührt geblieben
und zu seiner Erleichterung hatte er bisher auch keinen Prediger oder die rote Hand des Herrn der Ordnung entdecken können. Allerdings war es selbst aus der Nähe schwer, einzelne Personen im Gedränge auszumachen.
Als sie schließlich eine freie Anlegestelle fanden, mussten der Kapitän zuerst die Menschenmengen mit wildem Flüchen und Armwedeln bei Seite scheuchen, damit man überhaupt eine Planke hinab lassen konnte ohne jemanden zu erschlagen. Elin sprang bereits von Bord, noch bevor die Laufplanke ganz den Kai erreicht hatte und lief mit großen Augen in Richtung Hafen. Der Wind der über die Piers
wehte war genau so bitterkalt wie der auf See und von den Dächern der großen Steinhäuser und hölzernen Lagerhallen, die das Hafenbecken säumten hingen Eiszapfen wie Reihen von gläsernen Dolchen. Und trotzdem musste Galren unwillkürlich lachen, als er Elin nachsah und sich selbst mit ihrem Gepäck über der Schulter auf den Weg machte. Für den Moment spürte er die Kälte nicht einmal mehr.
Die Stadt erblühte geradezu, trotz der eisigen Temperaturen. Schneeflocken rieselten aus dem grauen Himmel auf sie herab, verdampften in Fackeln und Kohlebecken. Die Hafenmole war fast komplett mit Eis überkrustet, das jeden
Schritt tückisch rutschig mache. Und dann fand er schließlich Elin wieder, die dort wo der hölzerne Steg in das Fundament der Stadt überging auf ihn wartete. Gischt und Schneeflocken wirbelten um sie, verfingen sich in ihrer Kleidung und ihrer Mütze, die sie mit einer Hand festhalten musste, damit sie nicht einfach wegflog. Sie schien ihm nie schöner gewesen zu sein wie in diesem Augenblick. Galren nahm sie in den Arm, bevor er überhaupt wusste was er tat, lachte erneut. Er war daheim, dachte er, als er sie wieder losließ. Für einen Moment zumindest…
Elin legte ihre Hand in seine, als sie sich auf den Weg fort vom überlaufenen
Hafen und weiter ins Stadtinnere machten. Vor nicht einmal einem Jahr waren die Fenster der meisten Häuser vernagelt und selbst die Gasthäuser geschlossen gewesen. Nun jedoch leuchtete warmes Licht aus den Fenstern, in denen sich meist sogar echtes Glas befand und warf seinen Schein auf den Schnee draußen und aus den Gasthäusern drang der Duft von bratendem Fleisch und Bier und undeutliches Stimmengewirr.
Einmal überhörten sie eine Gruppe Händler, die sich direkt im Eingangsbereich einer völlig überfüllten Taverne niedergelassen hatten und sich offenbar über ihre Konkurrenten
unterhielten.
,, Die Händlergilde wird langsam zu einer echten Macht. Die Zeiten wo es hier nur ein paar vereinzelte Kaufleute gab die alles bestimmten ist vorbei.“ , meinte einer, ein Mann mittleren Alters , der sich in schwere, dunkle Pelze kleidete, die ihn mehr wie einen Jäger den wie einen Kaufmann wirken ließen.
,, Ich habe gehört sie hätten Obarst D'Ambois aus der Stadt gejagt. Ist da was dran?“, fragte ein anderer, der bunte Roben trug, die für die Witterung gänzlich ungeeignet schienen. Vielleicht ein Händler aus Erindal oder Lasanta.
,, Und ob. Nach der ersten Ratssitzung hat er gepackt. Sein Haus ist leer, bis
auf die Diener. Es heißt, er hätte die Stadt Richtung Süden verlassen, vielleicht nach Risara.“ Der dritte Sprecher war ein Gejarn im feinen Mantel eines Edelmannes, bestickt mit Silber und Gold.
,, Nun, zumindest gibt es da genug Wein.“ , meinte wieder der Mann im braunen Pelzumhang und hob zur Demonstration einen Kelch mit dunklem Roten. ,, Auf das wir ihn so schnell nicht wiedersehen mögen.“
,, Es wurde auch Zeit, dass jemand etwas gegen ihn unternimmt. Der Mann war nicht mehr tragbar. Angeblich hat er versucht die Pachtmeister am Hafen zu bestechen, damit sie einigen Händlern
Plätze verweigern. Nur damit er sein persönlichen Geschäft schützen kann.“
Nun wenn das stimmte, dachte Galren, als sie weitergingen, wäre Armell ein weiteres Problem los. Erneut musste er unwillkürlich grinsen. Der Tag wurde tatsächlich noch besser. Immer noch Seite an Seite erreichten sie schließlich eines der Tore Freybreaks. Wobei Tor wohl kaum das Richtige Wort dafür war. Der einzige Schutz, den die Stadt brauchte bestand in den Bergen selbst und so war die Stadtmauer entsprechend kaum mehr als ein mannstarker Steinwall, der durch einen Bogengang unterhöhlt wurde. Dahinter stiegen beständig die schneebedeckten Stufen
nach oben über die Felsen und Grate der Berge. Wenn sie sich beeilten würden sie es heute noch bis in die nächste Siedlung schaffen um sich dort eine Unterkunft zu suchen. So überfüllt wie die Stadt war bezweifelte Galren bereits, dass sie hier ein Gasthaus finden konnten.
Am Ende kostete die Reise von Freybreak nach Maillac sie fast drei ganze Tage. Durch den Wintereinbruch waren viele Straßen fast unpassierbar geworden oder gänzlich unter Schnee und Eis verschwunden. Mehrmals mussten sie in kleineren Dörfern vor Wind und Schneeregen Schutz suchen, der nur heftiger zu werden schien, je näher sie ihrem eigentlichen Ziel kamen.
Ein paar Mal verschüttete der Schnee den Weg dem sie folgten, so dass sie sich nur noch Querfeldein bis zur nächsten Ortschaft durchschlagen konnten um nach dem Weg zu fragen.
Doch Galren ließ sich davon nicht entmutigen. Im Gegenteil. Er hatte es nicht eilig und nachdem er endlich wieder hier war, interessierte er sich brennend für das, was sich alles verändert haben mochte. Ein paar der Leute bei denen sie Unterschlupf suchten kannte er sogar, auch wenn es sie meist einige Zeit brauchte bis sie ihn auch wiedererkannten. Er hatte sich verändert und das nicht nur durch Wunden und Schlafmangel. Auch wenn die
Verbrennungen ihm nur noch wenige Beschwerden bereiteten, ging er leicht schief, eine Angewohnheit die er wohl nicht mehr so schnell loswerden würde. Und wenn er sich selber im Spiegel betrachtete sahen ihn ausgebrannte, graue Augen an. Nein, ganz hatte er sich noch nicht erholt. Aber er war auf dem besten Weg, sog die Kalte, klare Luft ein und genoss die verschneite, gefrorene Landschaft. Mit seiner Gabe hätte er sicher einen schnelleren Weg nach Hause finden können, doch noch zögerte er seinen Fähigkeiten wieder zu vertrauen. Die letzten Tage waren traumlos gewesen, obwohl er Narias Tinkturen gelassen hatte wo sie waren. Vielleicht
war es tatsächlich vorbei, dachte er. Vielleicht hatte Ismaiel den Herrn der Ordnung auch längst besiegt… oder dieser zumindest seine Aufmerksamkeit von ihm abgewendet, jetzt wo er nicht einmal mehr das Schwert besaß. Galren vermisste das vertraute Gewicht an seiner Seite und gleichzeitig war es doch eine Erleichterung. Er war wieder frei, sein Geist gehörte wieder ihm… Und am Abend des dritten Tages ihrer Wanderung kam schließlich Maillac in Sicht.