Was bisher geschah:
Hans-Joachim Gote kehrt nach 20 Jahren in seinen Heimatort zurück. Der Geschäftsmann Jürgen Reeder und der Architekt Christian Meyer werden tot aufgefunden. Selbstmord!. Gote lernt in einem Buchladen Anna Bäcker kennen, beiden kommen sich näher. Erstaunlicherweise scheint das Ding in dem Holzkästchen, das Gote mitgebracht hat, keinen Einfluss auf sie zu haben. Der Grund dafür ist, dass sie selbst eines besitzt, das aber schweigt. Schließlich stirbt mit Arndt Münzer noch ein dritter Mann. Danach fällt Gote die Entscheidung, dass Anna und er sich nicht wiedersehen dürfen, denn auf ihn wartet noch ein Letztes: Die Konfrontation mit dem ehemaligen Dorfpolizisten Wilhelm Henkel.
"Getaway, runaway, fly away
Lead me astray to dreamer’s hideaway"
Nightwish - The poet and the pendulum
Mit großen Augen starrte Wilhelm Henkel die Kugel an. Selbst wenn er es gewollt hätte - und er wollte es -, er hätte sich ihr nicht entziehen können. Auch Gote verspürte ihre Wirkung, doch wie gewöhnlich konnte er sich widersetzen. Ein unangenehmes Kribbeln lief durch seinen ganzen Körper, als wäre alle seine Gliedmaßen eingeschlafen, doch mehr löste sie nicht in ihm aus. Erklären konnte er sich das nicht. Bei ihm machte das Ding offensichtlich eine Ausnahme. Darum eignete es sich so hervorragend für seine Pläne, die Pläne, die kurz vor dem Abschluss standen.
"Was willst Du tun?", kreischte Wilhelm
Henkel noch einmal. Seine Stimme war kaum mehr zu erkennen. Panik, Furcht und die Einsicht in diese überflutete sein Begreifen.
"Ich werde gar nichts tun", wiederholte Gote. "Die Frage lautet: Was werden Sie tun, Wilhelm Henkel?"
Er hatte sich von diesem Augenblick größere Zufriedenheit versprochen. Sie bleib aus. Stattdessen beobachtete er, wie der Blick des anderen zwischen ihm, dem Mann in Schwarz, und der Kugel in dem kleinen Holzkästchen flackernd hin- und herwechselte. Die Nacht war still geworden. Kein Grashüpfer regte sich. Selbst der nahe See verstummte. Die Wellen hielten inne und schweigen. Der Rest der Welt war weit weg. Nur die Vergangenheit war hier. Ikarus ...
"Aber ich habe doch nichts getan. Gar nichts!", rief Wilhelm Henkel. Sein Geist klammerte sich an einen letzten Rest der verzerrten Wahrheit, die Zusammenhänge
ignorierend. "Es waren Jürgen, Christian und Arndt. Gute Jungen, doch da haben sie wohl ein wenig übertrieben. Aber ich habe nichts gemacht!"
Eine Kaskade von Schmerz explodierte in Gotes Kopf. Mit kühler Distanz hatte er drei Mal das Geschehen beobachten können. Jetzt blitzten Bilder vor seinen geöffneten Augen auf. Das Letzte war das der toten Maria Stallwang.
"Nichts getan? Sie haben nichts getan? Aber das ist es: Sie haben nichts getan!", schrie Gote. "Sie wussten genau, was die drei vorhatten. Jürgen Reeder ist vorher ja zu ihnen gekommen und hat es erzählt. Wollte sich absichern. Hat ja funktioniert. Sie haben es abgenickt. Gute Jungs? Totschläger waren sie! Und Wilhelm Henkel, der Polizist, der Vertreter von Recht und Ordnung im Ort, hat sie machen lassen. Dabei ist ihre Schuld noch größer. Sie kannten damals die Ermittlungsergebnisse. Sie
wussten, dass er unschuldig ist. Karl Bäcker stand schon längst im Fokus der Polizei. Sie wussten das und haben sie machen lassen. Dabei hätten die drei auf Sie gehört. Wäre Jürgen Reeder sonst zu ihnen gekommen? Doch sie taten nichts. Sie sind genauso ein Mörder!"
"Ich wollte den Gammler loswerden!", brüllte Henkel, doch seine Stimme überschlug sich und war bereits brüchig. "Ich wollte den Gammler loswerden", flüsterte er und dann noch einmal leise: "Ich wollte den Gammler loswerden..."
Die Macht der grün leuchtenden Kugel tat ihre Wirkung. Die Schuld begann Wilhelm Henkel zu überfluten und was ihm 20 Jahre lang gelungen war, funktionierte nicht mehr: Er konnte seine Vorstellungen von dem, was richtig und was falsch war, nicht mehr zurückdrängen. Auf einmal wurde er ganz still. Mit langsamen Schritten ging er zurück in die Diele, nahm seinen Hut, setzte ihn auf und zog seinen
Mantel an. So trat er aus dem Haus. Sorgfältig schloss er die Tür ab, steckte den Schlüssel in die eine und die augapfelgroße Kugel in die andere Tasche. Ohne Gote noch Beachtung zu schenken machte er sich auf zum See. Durch ein braun gestrichenes Törchen auf der Rückseite seines Hauses trat er auf einen Weg, der um den See herumführte. An dessen Ufer angekommen hielt er kurz inne, ging dann aber weiter. Der Mantel blähte sich auf und der Hut schwamm auf dem Wasser, bis er vollgesogen versank. Niemand fand je eine Spur von Wilhelm Henkel.
Gote blieb im Nachtschatten eines Baumes stehen. Es dauerte auch gar nicht lange, bis die Seeoberfläche an einer Stelle grün aufleuchtete. Schnurstracks kam sie zurück zu ihm. Er hob die Kugel auf. Sie war trocken. Dann legte Gote sie zurück auf das schwarze Samtkissen und schloss das kleine Holzkästchen. Kurz überlegte er, ob er die Stelle suchen sollte, doch selbst bei Tage wäre er nicht sicher gewesen, ob
er sie gefunden hätte. Außerdem war er hierher zurückgekehrt, um den Schmerz loszuwerden, nicht um ihn zu erneuern. Tatsächlich spürte er etwas, das er seit 20 Jahren nicht mehr kannte. Fühlte sich so Erleichterung an? Es ging ihm nicht gut, aber besser. Langsam machte er sich auf den Weg zurück zu seinem Seven. Eine Sache wartete noch auf ihn.
- Fortsetzung folgt -