Was bisher geschah:
Hans-Joachim Gote kehrt nach 20 Jahren in seinen Heimatort zurück. Kurz darauf werden angesehene Bürger im Ort, der Geschäftsmann Jürgen Reeder und der Architekt Christian Meyer, tot aufgefunden. Seltsame Selbstmorde. Gote lernt in einem Buchladen Anna Bäcker kennen, die beiden kommen sich näher. Erstaunlicherweise scheint das Ding in dem Holzkästchen, das Gote mitgebracht hat und welches so wertvoll zu sein scheint, dass es in einen Safe gehört, keinen Einfluss auf sie zu haben. Denn sie besitzt selbst eines, das aber schweigt. Die Gewalt nimmt kein Ende. Der Landstreicher Hans Hasenscharte greift Leni Silberstein, an, die Mutter die ihn verstoßen hat, ein dritter Mann stirbt.
"He stopped crying at the end of each beautiful day"
Nightwish - The poet and the pendulum
Die Nacht verbrachte Gote bei Anna. Es war
den ganzen Tag über nicht so warm wie zuvor gewesen und nach Sonnenuntergang herrschte eine angenehme Kühle. Sie hatten die Fenster geöffnet. Eine frische Brise wehte vom See in das Haus. Die Vögel schwatzten auch in der beginnenden Dunkelheit noch miteinander.
Es hätte ein perfekter Abend sein können und ein wenig war er das auch. Hajo kochte. Er war darin besser als Anna. Ohne viel Nachzudenken dünstete er verschiedenen Gemüse und machte gebratene Nudeln. Dazu hatte er Ginger Ale besorgt. Zum Essen schauten sie John Carpenters The Fog im Fernsehen an. Gote sagte, dass er diesen Film liebte. Es fiel Anna
nicht schwer, das zu glauben. Sie bemerkte seine Stimmung deutlich. Nach dem Essen krochen sie auf dem Sofa gemeinsam unter eine Decke und hielten sich gegenseitig. Ruhe und Zufriedenheit erfasste beide, während auf dem Bildschirm Untote Menschen zerhackten.
Doch das war nur die eine Seite. Es schienen zwei Gotes bei Anna zu sein. Er wandelte sich wie Ebbe und Flut, nur in einem schnelleren Rhythmus. Mal war er zufrieden. Dann strahlte er eine große Ruhe aus, als habe er eine schwere Aufgabe hinter sich gebracht. Stets kam jedoch dieser Schatten zurück und lastete auf seiner Seele. Anna spürte es. Er glich einem Dichter, der einen abschließenden Vers suchte, ein Dichter der wusste, dass sein Werk ohne diesen bedeutungslos war. Seine Arme begannen leicht zu zittern und er zog sie dann noch ein wenig näher an sich heran, was ihn wieder zu beruhigen schien.
Nach dem Ende des Films unterhielte sie sich.
Er wollte wissen, wie ihr Tag gewesen war, doch Anna lenkte das Gespräch schnell auf ein historisches Thema. Sie wusste, dass er gern darüber redete. Dort fühlte er sich wohl, dort kannte er sich aus, war Zuhause. Mit mehr als nur einem Lächeln sah Anna, dass er plötzlich mit sich im Reinen war. Als sie in den ersten Stock stiegen und ihr Schlafzimmer betraten, war Hajo ganz er selbst.
Am frühen Morgen trennten sie sich. Anna fuhr auf ihrem Fahrrad zu Brauns Bücher und er mit seinem Seven zu dem Haus am Waldrand. Für den Abend hatten sie sich in der Pizzeria im Ort verabredet.
Den Tag über hatte Anna einiges zu tun. Es waren nicht mehr Kunden als sonst im Laden - Leni Silberstein schien niemand so recht zu vermissen - und an dem Geschwätz über den Tod von Arndt Münzer beteiligte sie sich nicht. Doch Hedwig Braun schien es mit der
Einrichtung der Diskutierecke ernst zu sein. Die Pläne dazu überließ sie Anna. Sofort nahm die Esoterik & Lebenshilfe ins Augen, ohne zu wissen, dass es dort schon einmal eine Diskutierecke gegeben hatte und welchen Freudensprung Hajo ob ihrer Idee gemacht hätte. Sie lief mit einem Zollstock durch den Laden, maß Längen, Höhen und Breiten, schätzte und überlegte. Wie viel Platz benötigten sie, wie viele Sessel? Sollten sie die Leute nach Lust und Laune plaudern lassen, oder Themen vorgeben? Es gab jede Menge Möglichkeiten. Das musste sie mit Hedwig Braun besprechen.
Am späten Nachmittag fuhr ein Wagen mit aufheulendem Motor am Laden vorbei. Anna erschrak, lief zum Schaufenster und schaute dem Auto hinterher. Es verließ den Ort. Sie hatte es noch nie gesehen. Erst da würde ihr klar, dass sie Hajo verlieren würde, schon sehr bald verlieren würde. Glücklich werden gehörten
nicht zu ihren Aufgaben, davor hatten die anderen sie gewarnt.
Hedwig Braun hatte Anna auf ihre Bitte hin etwas eher gehen lassen. Sie war nach Hause geradelt, um ihren schwarzen Rollkragenpulli anzuziehen. Sie wusste, dass Hajo ihn mochte. Er war ein letzter und, wie sie wusste, vergeblicher Versuch, Einfluss auf den Lauf der Dinge zu nehmen.
In der Pizzeria bekamen sie den selben Platz wie bei ihrer ersten Verabredung. Aus der Küche strömte das herrliche Aroma verschiedenster Gerichte in das Lokal. Es war gut gefüllt, aber dennoch war es nicht laut. Man konnte sich problemlos unterhalten. Anna fühlte sich wohl. Hajo erzählte von seiner Studienzeit, seltsamen Professoren und noch seltsameren Kommilitonen. Einer hatte sein Referat über die rumänische Verfassung von 1878 in einem Seminar bei den Dakern beginnen
lassen - im 1. Jahrhundert nach Christus! -, weil er das für das Verständnis unerlässlich hielt und war von dieser Auffassung auch nicht abzubringen gewesen. In Annas Gelächter hinein kam die Bedienung. Sie hatte eine Pizza Diavolo und er eine Lasagne bestellt. Das Essen verlief schweigend. Wie verliebte Teenager schauten Anna und Hajo immer wieder von ihren Speisen auf und kicherten. Nachdem sie ihre Teller geleert hatten, rückten sie auf der Bank zusammen, hielten sich bei den Händen und Anna erzählte aus ihrem Leben. Die anderen ließ sie aus.
Die Sonne war gerade untergegangen, als sie das Lokal verließen. Anna war sehr müde. Also stieg sie auf ihr Rad und er machte sich auf den Weg zu seinem Seven. Nach einem langen Kuss hatten sie sich bereits getrennt, als Hajo sich noch einmal umdrehte.
"Anna?"
"Ja."
"Ich liebe Dich."
Pause.
"Ja. Ich weiß."
Dann machten sich beide auf den Heimweg. Anna wusste, dass es eine Trennung für immer war.
- Fortsetzung folgt -