Romane & Erzählungen
Der Mann, der nichts tat - Erzählung - 16.: Der Mann in Schwarz

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"Jagen!"
Veröffentlicht am 17. Juli 2016, 16 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Zweifler, Pessimist, Misanthrop ... ... ungefähr so: "Nein, nein, ich habe nicht bewundernswert gesagt, ich sagte, ich bin außergewöhnlich. Das was ich tue, das was dir so viel bedeutet ... du meinst, ich tue es, weil ich ein guter Mensch bin? Ich tue es, weil es zu schmerzhaft wäre, es nicht zu tun. (...) Weißt du, es tut weh (...), alles das! Alles was ich sehe, alles was ich höre, rieche, berühre, die Schlussfolgerungen, die ich ...
Jagen!

Der Mann, der nichts tat - Erzählung - 16.: Der Mann in Schwarz

Was bisher geschah: Hans-Joachim Gote ist nach 20 Jahren in seinen Heimatort zurückgekehrt. Kurz darauf werden angesehene Bürger im Ort, der Geschäftsmann Jürgen Reeder und der Architekt Christian Meyer, tot aufgefunden. Die Polizei geht in beiden Fällen von Selbstmord aus. Gote lernt in einem Buchladen Anna Bäcker kennen und die beiden kommen sich näher. Erstaunlicherweise scheint das Ding in dem Holzkästchen, das Gote mitgebracht hat und welches so wertvoll zu sein scheint, dass es in einen Safe gehört, keinen Einfluss auf sie zu haben. Der Grund dafür ist, dass sie selbst eines besitzt, das aber schweigt. Die Gewalt nimmt kein Ende, als der stadtbekannte Landstreicher Hans Hasenscharte die Institution des Ortes, Leni Silberstein, angreift, die Mutter die ihn verstoßen hat. 




"Swaying blade my lullaby" Nightwish - The poet and the pendulum Arndt Münzer war der Dritte im Bunde. Jürgen Reeder und Christian Meyer waren seine besten Freunde gewesen. Sie kannten sich, seit sie klein waren. Schon in der Schule hatten sie wie Pech und Schwefel zusammengehalten. Niemand war gegen sie angekommen. Sie hatten auch für Ordnung gesorgt, oder für das, was sie für Ordnung hielten. Hippies, Punker, linke Zecken, Streber und sonstige alternative Spinner hatten sie reihenweise vermöbelt. Da war es nur logisch, dass sie die begehrtesten Mädchen abbekamen: Melanie, Marion und Karin. Und wehe jemand schaute sie auch nur falsch an. Dann setzte es was. Das Melanie blöde geworden war, dafür konnte Jürgen ja

nichts. Später hatten sie zusammen gute Geschäfte gemacht. Doch nun waren Jürgen und Christian tot, auf absurde Art und Weise ums Leben gekommen, und Arndt hockte im Dunkeln und hatte Todesangst.

Das Haus der Münzers lag ein wenig außerhalb des Ortes, umgeben von großen immergrünen Hecken. Nirgendwo anders hatte es genügend Platz für den Tennisplatz gegeben. Arndt Münzer hatte es nicht von Christian Meyer, dem Architekten unter ihnen, planen lassen, weil er wusste, dass dieser schlampig arbeitet. Mehrere Monate lang hatte das ihre Beziehung belastet. Aber ihre Leben waren zu eng miteinander verwoben, als dass sie sich einen lange anhaltenden Streit hätten leisten können. So hatten sie sich wieder zusammengerauft. Jürgen war der Friedenstifter gewesen.

Und Jürgen war nun tot.

Ebenso wie Christian.

In dem Haus hatte Arndt Münzer sich endlich sein Spielzimmer einrichten können, mit Flippern, Poolbillardtisch und Automatenspielen. Am anderen Ende, so weit weg wie möglich, damit sie sich nicht ins Gehege kamen, lag Karins Schlagerzimmer.

Karin war nicht da.

Arndt hatte für diese Musik nichts übrig. Er hört Jazz und Klassik, las chinesische Gedichte im Original und Edgar-Wallace-Krimis. Genau genommen waren sie ziemlich verschieden, doch sie profitierten von einander und der Sex war auch nicht zu verachten. Auch wenn Karin keine 20 mehr war. Früher hatte sie sich mehr Mühe gegeben. Aber so war das eben in einer Ehe. Sie kochte nicht einmal mehr für ihn. Dafür hatte sie eine Köchin eingestellt, die aus Minsk in Weißrussland kam. Sie sprach nur gebrochen Deutsch, war aber in der Küche und im Bett eine Wucht. Aber das musste Karin ja nicht wissen.

Die Köchin war auch nicht da.

Im Gegensatz zu Jürgen und Christian kümmerte sich Arndt selbst um den Garten. Er mochte harte körperliche Arbeit. So konnte er seinen Geist von überflüssigen Gedanken befreien. Außerdem war es ein guter Ausgleich für das eintönige Einerlei bei der Sparkasse Werrentheim. Dort war der Reiz für ihn schon lange verlorengegangen. Er kannte alle Tricks. Die hausinterne Revision würde ihn niemals erwischen.

Die Sonne war hinter den Bergen versunken. Es war sehr dunkel, eine feuchtwarme Sommernacht, fast schon schwül, denn schwere Wolken hingen tief am Himmel. Ein Gewitter lag in der Luft. Arndt Münzer war in seinem Spielzimmer und spielte Space Invaders. Die Weltraummonster hatten keine Chance gegen ihn. Aus den Augenwinkeln sah er, dass in der Ferne ein Blitz über den See zuckte und die Nacht wie ein kaputtes Blitzlicht erhellte. Der

erwartete Donnerschlag blieb jedoch aus. Stattdessen läutetet es an der Tür. Es klang eindringlicher als sonst. Er hasst es, ein Spiel aufzugeben, aber das konnte seine Frau, die etwas vergessen hatte, oder sogar wichtig sein. Also ließ er zähneknirschend von dem Automaten ab, ging zur Haustür und öffnete sie. Draußen war nichts als die dunkel Nacht. Er konnte noch nicht einmal bis zu der das Haus umgebende Hecke sehen. Vor der Tür stand aber niemand. Verärgert wollte Arndt Münzer sie schon wieder schließen, als eine schwarze Gestalt in das Dielenlicht trat, dass bis auf den Weg schien.

Zu erkennen war nicht viel. Konturen ließen sich allein ausmachen. Dennoch begriff Arndt Münzer, dass er einen Mann vor sich hatte, auch wenn er außer dem Schwarz nur dessen Turnschuhe erkennen konnte. Er wollte etwas sagen, doch seine Kehle war trocken. Etwas schnürte sie zu. Zum ersten Mal in dieser Nacht

meldete sich die Angst. Sie sollte wachsen und ihn erst wieder verlassen, als ein anderes Gefühl übermächtig wurde.

Der Mann in Schwarz trat näher. Einzelne Konturen zeichneten sich ab. Mit beiden Händen hielt er ein kleines Holzkästchen vor sich. Kurz überkam Arndt Münzer die Neugier. Was mochte das sein? Doch dann öffnete der Mann in Schwarz es und die Angst überflutet den Hausherren. In dem Kästchen lag auf einem schwarzen Samtkissen eine augapfelgroße Glaskugel. Es dauerte nicht lange und sie begann grün zu pulsieren. Und dann schlug der Mann in schwarz die Kapuze zurück. 20 Jahre lang hatte Arndt Münzer dieses Gesicht nicht mehr gesehen, doch er erkannte es sofort. Die Erinnerungen kamen zurück und der erste Funke des Gedankens, tiefes Unrecht begangen zu haben. Ein Schrei wurde in seiner Kehle geboren, konnte sie aber nicht verlassen.

Der Mann in Schwarz nahm die Kugel und

setzte sie auf den Boden. Arndt Münzer wandte sich mit Schrecken ab und lief ins Haus. Noch sträubte sich sein Überlebenstrieb gegen die Einsicht. Die Kugel folgte ihm. Alles Licht im Haus erlosch.


Eine halbe Stunde lang dauerte die Jagd bereits. Es war immer noch dunkel. In den letzten tagen war kein verlass auf den Strom. Zu allem Unglück hatte er auf seiner Flucht durch das Haus die Telefonanlage aus der Wand gerissen. Es gab kein Festnetz mehr. Sein Handy hatte er jedoch griffbereit Doch wen sollte er anrufen? Wer sollte ihm helfen? Wer konnte ihm helfen? Die Kugel war nicht schnell. Lies sie sich Zeit? Quälte sie ihn? Oder erkundete sie das Haus? Ohne zu überlegen - einen klaren Gedanken konnte er eh nicht fassen - drückte er die Kurzwahltaste vier. Er war so verängstigt, dass er sich nicht erinnern konnte, wen er da versuchte zu erreichen. Es spielte jedoch auch

keine Rolle. Kein Netz verfügbar. Zuerst schüttelte er das Gerät, dann blickte er flehentlich zu dem Display, wie ein Pilger auf eine heilige Reliquie. Kein Netz verfügbar.

Arndt Münzer war im Gästezimmer im ersten Stock gelandet und versteckte sich hinter einem alten Sessel, der ein wenig nach seinen vielen Lebensjahren stank. Sie hätten ihn eigentlich schon längst aufpolstern lassen müssen. Das dunkle Rollen der Kugel drang von unten zu ihm hinauf. Es war nur eine Kugel, aber er wusste, dass er auch hier oben nicht vor ihr sicher war. Hastig schaute er über seine Schulter. Natürlich konnte er aus dem Fenster steigen, aber wer sagte, dass die Kugel ihm nicht auch dahin folgen würde? Außerdem stand vor der Tür noch der Mann in Schwarz, das spürte er. Die Angst wuchs sich langsam zu einer Panik aus. Kalter Schweiß stand auf Arndt Münzers Stirn und er atmete stoßweise. Ein Blitz erleuchtete das Gästezimmer und

beschien alles in ihm auf groteske Art und Weise. Als wäre das ein Startschuss gewesen, sprang er auf, lief durch die Tür. In der Diele schaute er sich nach links und nach rechts um. Nirgends war das grüne Leuchten der Kugel zu sehen. Doch er konnte sie hören.

Klonk-klonk-klonk!

Sie kam die Treppe hinauf. Auf der anderen Seite des Hauses gab es noch eine zweite, aber das konnte sie nicht wissen. Auf die rannte Arndt Münzer nun zu. Von einem Donnerschlag getrieben nahm er zwei Stufen auf einmal. Dennoch näherte sich das dunkle Rollen ihm wieder. Am Fuße der Treppe angekommen, fiel ihm nichts besseres ein, als sich nach links zu wenden, seinem Spielzimmer zu. Es lag ganz am Ende eines langen Gangs und hatte nur einen Zugang. Es war eine Sackgasse, doch in seiner Panik begriff Arndt Münzer das nicht. Er wurde von Angst beherrscht, von Angst und einer immer deutlicher werdenden Erinnerung,

die er so lange so gut in seinem Innersten begraben hatte.

Im Spielzimmer angekommen, wusste er nicht, wo er sich verstecken sollte. Mit zittriger Hand schloss er die Tür. Es gelang ihm kaum. Auch hier funktionierte das Licht nicht. Dann stellte er sich hinter den Poolbillardtisch und wartete fingernägelkauend. Es dauert nicht lange und das dunkle Rollen näherte sich. Die Tür öffnete sich - wie immer die Kugel das auch geschafft hatte. Sie kam näher und blieb einen Meter vor ihm liegen. Der grüne Schein, der aus ihren Tiefen kam, erfüllte den Raum. Sonst tat sie nichts. Arndt Münzers Angst wich, aber nur um einem anderen Gefühl Platz zu machen: Verzweiflung. Die Erinnerung wollte übermächtig werden. In einer letzten Kraftanstrengung stürzte er sich auf die Kugel und griff nach ihr. Sie brannte wie Feuer in seiner Hand. Die Muskeln in seinem Oberarm zitterten unkontrolliert, aber irgendwie schaffte

er es, sie in eines der Löcher des Poolbillardtischs zu stecken. Das grüne Licht erlosch.


Erschöpft und ungläubig stand Arndt Münzer in seinem Spielzimmer. Er fühlte sich leer und das aufziehend Gewitter bemerkte er nicht. Schließlich begann er zu lachen, wie ein Irrer zu lachen. Er war dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen. Natürlich hatten er und die anderen zusammen Fürchterliches getan, aber er lebte noch. Nur darauf kam es an. Um klarer zu sehen, wollte er das Licht einschalten. Er bestätigte den Schalter, doch nichts geschah. Stattdessen sah er ein grünes Schimmern.

Die Kugel kroch aus ihrem Loch und Arndt Münzer kapitulierte.

Er ging zum Billardtisch. Lange starrte er die Kugel an. Dann nahm er sie. Dieses Mal fühlte sie sich kühl an. Angst, Panik und Verzweiflung wuchsen in ihm, befeuert von Reue, tödlicher

Reue. Er wusste, dass er ein Monster war. Er hatte großes Unrecht begangen. Und dafür gab es in der Welt - in seiner Welt - nur eine Strafe. Ruhig ging er in die Küche. In der Abstellkammer bewahrte er den flüssigen Grillanzünder auf. In einer Schublade fand er Streichhölzer. Seine Schritte waren von entschlossener Gebrochenheit, als er das Wohnzimmer betrat. Er schaute noch einmal auf die Kugel. Es war nicht ihre Schuld. Sie hatte ihm nur klar gemacht, was er eh wusste, schon jahrelang wusste.

Mit ruhigen Bewegungen kletterte er in den offenen Kamin und legte mehrere Holzscheite neben sich. Die übergoss er ebenso mit dem Grillanzünder wie sich selbst. Das Brennen der Kugel, als er sie das erste Mal in der Hand hielt, hatte ihn auf die Idee gebracht. Dann riss er ein Streichholz an und ließ er fallen. Arndt Münzer verbrannte still bei lebendigem Leibe.

Als das Gewitter begann, fiel der Regen durch

den Schornstein und löschte so den verkohlten Leichnam. Da sprang die Kugel aus der Hosentasche und rollte zurück zur Haustür. Der Mann in Schwarz stand noch immer da. Er bückte sich, legte die Kugel zurück auf das Samtkissen und schloss das Holzkästchen. Ohne das Haus zu betreten wandte er sich ab und verschwand im Regen.




- Fortsetzung folgt -

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Hörbuch

Über den Autor

ArnVonReinhard
Zweifler, Pessimist, Misanthrop ...

... ungefähr so:

"Nein, nein, ich habe nicht bewundernswert gesagt, ich sagte, ich bin außergewöhnlich. Das was ich tue, das was dir so viel bedeutet ... du meinst, ich tue es, weil ich ein guter Mensch bin? Ich tue es, weil es zu schmerzhaft wäre, es nicht zu tun. (...) Weißt du, es tut weh (...), alles das! Alles was ich sehe, alles was ich höre, rieche, berühre, die Schlussfolgerungen, die ich imstande bin zu ziehen, die Dinge, die sich mir offenbaren ... die Hässlichkeit. Meine Arbeit fokussiert mich. Das hilft. Du sagst, ich benutze meine Gaben. Ich sage, ich geh nur mit ihnen um."
(Sherlock Holmes; In: Elemantary)


Fantasy- und Schauergeschichten sind mein Ding, weil sich darin alles Menschliche verarbeiten lässt.
Und ob ich es will oder nicht, auch das Thema "Freundschaft" taucht immer wieder auf.
Aphorismen.
Ein weiterer großer Bereich, mit dem ich mich beschäftige, in Erzählungen und Nonfiction, ist das Thema Krieg.

Arn von Reinhard ist EU-Skeptikerkritiker und Medienkritikerskeptiker.


foto by and with permission of Evelyne Steenberghe from vlien.net

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Willie Freitod besonderer Art und ich bin wirklich gespannt was nun noch passiert..
Da Elle Wolke es anspricht- Geschichte aufgeteilt in kleine Happen, in den Literaturpodien wohl angebracht und hier sind ja Appetitshäppchen...
b.G.
W.
Vor langer Zeit - Antworten
ArnVonReinhard Die Geschichte derart aufzuteilen ist dem Medium geschuldet. Anders herum habe ich schlechte Erfahrungen gemacht. Außerdem erhalte ich so Anmerkungen, die sich kleinteiliger mit dem Geschriebenen beschäftigen.
Und ...
Noch habe ich mein Pulver nicht verschossen ...
;-)

LG
AvR
Vor langer Zeit - Antworten
EllaWolke Einziger Mangel :) die Unterbrechung durch - Fortsetzung folgt -
Nun muss ich wieder warten bis es weiter geht.
Gibt ja so Bücher, die kann man nicht wegtun, bevor sie ausgelesen sind oder einem vor Müdigkeit die Augen zufallen, weil sie vielleicht zu viele Seiten haben.
So dicht dabei, das Knistern der Spannung im Haus fühlbar beschrieben.
SonntagsGrüße
Vor langer Zeit - Antworten
ArnVonReinhard Also mit dem Makel kann ich leben.
;-)

LG
AvR
Vor langer Zeit - Antworten
EllaWolke Du machst es genau richtig.
Lange Texte werden hier ungern gelesen
Und ich weiß ja, es werden noch einige Häppchen folgen

(PS. Selber "schuld" wenn man so spannend schreibt :-) )
Vor langer Zeit - Antworten
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