Vorbemerung
"Mein Museum".
Ich erzählte bereits von der
Silbersesterze,
dem Angelhaken aus meinem Museum
Hier nun wird der Kronkorken meines privaten, kleinen Museums gewürdigt.
Zu 95% beruht diese Geschichte auf wirklichen Ereignissen.
(wieder eingestellt: 27.05.2022)
Copyright: G.v.Tetzeli
Cover: G.v.Tetzeli
Die Buchreihe "Mein Museum":
Die Sesterze
Der Angelhaken
Der Kronkorken
Die goldene Schraube
Die Feder
Das Erbe
Der Angelhaken
Der Kronkorken
Wieder war ich in meinem Museum, der Garage, die andere ohne Kunstverstand eher als Rumpelkammer bezeichnet hätten. So stand ich vor einer schier unlösbaren Aufgabe, nämlich Ordnung zu schaffen. Daher ließ ich diesen Gedanken wieder fallen.
Aber Eines war mir wichtig: Finde den Kronkorken! Ich hatte ihn doch schon einmal im Wust meiner übrigen "Kleinodien" verloren! Ich fand ihn schließlich genau da, wo ich ihn abgelegte hatte.
Nachdem nun der Angelhaken und die Silbermünze ihre kleinen Vitrinen hatten, sollte der Kronkorken auch eine bekommen.
Warum denn, werden sie fragen.
Ich erzähle es Ihnen, soweit ich mich erinnern kann:
Vor ca. 25 Jahren befand ich mich in Venezuela. Genauer gesagt in Chichirice (ausgesprochen Tschischerivizi), an der Atlantikküste gelegen. Und wenn man etwas weiter nach oben unterwegs wäre, käme man nach Maracaibo. Das Hotel, in dem ich untergebracht war, hieß Caribana. Es steht noch heute. Damals war dieser Ort erst im Aufbruch. Es gab schon Neubauten, kleine Bungalows, die für Touristen und Venezoelaner gedacht waren, die dort Urlaub machen wollten. Irgendwie fehlte aber das Geld, so dass sich die meisten Häuschen
noch im Rohbau befanden. Die Hauptstraße zum Hafen nannte sich Calle Silva. Eigentlich war es nur eine etwas breitere Piste. Eine Piste aus Sand, Geröll und rötlichem Beige. Rechts und links waren die Häuschen bewohnt, allerdings ließ sich kein Mensch blicken. Am meisten kann man von der Örtlichkeit immer dann erfahren, wenn man die Ortskneipe aufsucht. In der Calle Silva gab es eine, kurz vor dem Hafen. Ich enterte und bestellte salopp einen Tequila. Die wenigen Gäste starrten mich durch den schummrigen, spartanischen Schankraum an. Die Gestalten sahen so aus, als ob sie nur auf das nächste Piratenschiff warteten, um endlich wieder ihrem blutigen Handwerk nachzugehen. Ich war so unauffällig wie eine Schildkröte auf
einer Sahnetorte und fühlte mich unwohl. Da stand einer der Verbrecher von seinem Plastiktischchen auf und steuerte auf mich zu. Wie ich denn hieße. Ich nannte Namen und meine ferne Herkunft. Er patschte mir auf die Schulter und los ging’s. Er orderte die nächste Bestellung. Rum! Natürlich Bückware, hochprozentig und ein richtiger Rachenputzer. Ich bezahlte, um mich bei dem Seeräuberhaufen einzuschleimen. Am Schluss befand ich mich mitten unter der Seeräuberbande. Sie waren alle wirklich nette Menschen. Von ihnen erfuhr ich, dass man mich zu den vorgelagerten Inseln übersetzen könnte. Vormittags hin, nachmittags zurück. Ich verabredete einen Treffpunkt am Hafen um 10:00 Uhr des nächsten Tages. Es war ein
geselliger Abend, der so unverfälscht war, wie man es sich nur wünschen kann. Zuletzt fühlte ich mich als Buckanier aufgenommen, sozusagen zur Familie gehörig.
Am nächsten Morgen war ich am Hafen zur Stelle. Am Kai erwartete mich ein gemütlicher, ca. 50 jähriger Mann mit Bauch. Ich stieg in das blaue Holzboot ein. Ein Mercury Außenborder trieb es an. Das Schiff hieß Pereira. Und weil ich ihn nicht weiter kannte und er außerdem maulfaul war, nannte ich den Bootseigner ebenfalls Pereira, der Einfachheit halber. Pereira fuhr mich zur Cayo Muerto, der Todesinsel. Um 16:00 Uhr holte er mich, inzwischen war ich sonnenverbrannt, wieder
ab.
Das hatte mir gefallen! Praktisch Robinson Crusoe spielen. Na gut ich hatte eine Cava, also eine Kühlbox dabei gehabt, die mit Getränken und Obst gefüllt war, aber trotzdem. Es war einsam, Palmen-bewehrt und paradiesisch gewesen.
Am nächsten Tag erschien ich wieder bei Pereira. Man könnte doch auch die kleine Insel Cayo Peraza anfahren. Perera verneinte und zeigte auf den Atlantik hinaus. „Nix gut“, meinte er.
Das war’s. Ich wiederum verstand nix. Wunderbares Wetter, blauer Himmel, tiefblaues, ruhiges Meer. Pereira, stummgesprächig wie immer, schüttelte nur den Kopf. Er würde nicht hinaus
fahren.
So begab ich mich verärgert zum Hotel Caribana zurück. Allmählich zogen dunkle Wolken auf. Es lohnte sich nicht mehr am Schwimmingpool zu faulenzen. So ging ich zur anliegenden Hotelbar, die im Tiefpaterre eine Halle mit Beton-Stempen darstellte. Praktisch ein Souterrain. Jose goss Cuba Libre ein.
„Er wird kommen“, sagte er, als ich erschrocken feststellte, dass es so dunkel geworden war, wie wenn die Nacht hereingebrochen wäre.
Dann brach der Sturm los.
Sinnflutartiger Regenguss kam herunter. Das Wasser im Schwimmingpool tobte. Der Wind war ungeheuerlich. Im Nu war der Pool überschwemmt und die Treppen hinab zur
Hotelbar wurden zu Wasserfällen, die sich tosend auf den Boden der Bar stürzten.
(Andrew hin zu den Bahamas u. Florida)
Gegenstände sah man draußen luftig vorbei
huschen, wie wenn die großen Teile nur Fliegenschiss wären. Es orgelte, brummte und tobte. Irgendwie konnte ich plötzlich der Sage von der Sinflut einiges an Wahrheitsgehalt abgewinnen. Ich flüchtete aus der Bar, die sich allmählich in einen schmutzigen See verwandelte. Jose war schon eher auf diesen Gedanken gekommen und enteilt.
An der Rezeption erkundigte ich mich. Die Holde brüllte, dass es nicht so schlimm sei. Es sei nur ein Ausläufer. Der wirkliche Horror bliebe uns erspart. Andrew würde weiter wandern. "Was", schrie ich durch das Tosen zurück. "Alles OK, das Hotel ist stark gebaut."
Im Hotelzimmer hatten sie die Fenster zusätzlich mit Juteleinen verhangen, damit keine Glassplitter durch das Zimmer jagen
konnten. Dass die zugekeilten hölzernen Fensterläden alles abhalten konnten, daran glaubte man offensichtlich nicht.
Ganze viereinhalb Stunden wütete der Orkan, dann erst flaute es ab.
(Die Entwicklung von Andrew. Der rote Punkt
ist ungefähr die Höhe von Chichirice. Rot ist Klasse 5)
Am nächsten Morgen war der Himmel immer noch grau bedeckt, aber es war trocken. Ich ging die Calle Silva hinunter zum Hafen, der eigentlich nur aus einem ziemlich erbärmlichen Kai bestand und hochtrabend Embarcadero Santa Barbara genannt wurde. Kaum eines der kleinen Boote dümpelte an Ankerleinen. Die Fischer und auch Pereira hatten die Boote rechtzeitig an Land gezogen. Die Calle Silva glich einem Emmentaler voller Pfützen und kleinen Seen. Am Hafen selbst waren mehrere Fischer versammelt, die mit Kennerblick auf das graue Meer hinausschauten.
Ein kleiner Junge faszinierte mich. Er mochte vielleicht fünf Jahre alt sein, war stämmig gebaut und hatte relativ kurze Beine. An einem Bindfaden zog er ein kleines, geschnitztes Bötchen durch die große Wasserpfütze. Das aus Holz geschnitzte Boot hatte sogar einen Mast. An dem hing an einem quer befestigten Zahnstocher ein Lappen als Segel.
Der Junge zog und das Gefährt litt immer wieder an gefährlicher Schlagseite. Eine ganze Weile sah ich dem Kapitän zu, wie er die große Fahrt intensiv begutachtete. Schließlich ging ich auf ihn zu. Er hatte wohl etwas Angst, dass ich sein Boot wegnehmen könnte. Da bückte ich mich und hob einen Kronkorken auf. Damit belud ich sein Schiff.
Schnell umrundete ich den recht großen Pfützen-See und erwartete die Lieferung. Wie Gulliver stampfte und patschte der Kleine mit dem Frachter im Schlepptau durch das Wasser. Er kam bei mir an, machte aber kehrt und begab sich auf die Rückreise. Nachdem ich ihn immer wieder freundlich anlächelte und bitte, bitte signalisierte, durfte ich die Fracht schließlich doch in Empfang nehmen. So behielt ich den Kronkorken und kehrte zum Hotel zurück.
Andrew war 1992 ein Hurrikan der Klasse fünf. Und diese Gewalt hatte er schon entwickelt, als er nur bei Venezuela vorbei zog. In Florida galt er als der schlimmste Sturm seit Menschengedenken. Er wurde erst durch Hurrikan Katrina übertroffen. Andrew forderte
damals in Venezuela 26 Todesopfer. Davon ein Fischer, der trotz der bekannten Vorboten auf das Meer hinausgefahren war.
Es war der Vater meines kleinen Admirals gewesen. Er kehrte nicht zurück und wurde auch nie gefunden. Auch sein Boot nicht.
Der Kronkorken blieb und ziert mein Museum noch heute.