Der silbersesterz
Vielleicht wussten sie es ja noch nicht, aber ich habe ein kleines Privatmuseum. Jawohl, Museum. Die dort ausgestellten, einmaligen Stücke verschlagen buchstäblich jedem die Sprache. Natürlich nur denjenigen, denen ich den Zutritt zu den heiligen Hallen gestatte. Ich anerbiete mich auch als Museumsleiter zu den einzelnen Kleinodien den historischen Hintergrund zu erläutern.
Das Museum befindet sich in einer angemieteten Garage, ganz in der Nähe meiner Wohnung. Und nachdem ich den einzigartigen Kronkorken, also eines der wichtigsten Ausstellungsstücke, eines Tages vermisste, da musste ich gehörig investieren.
Nachtlichtkameras, Alarmanlage, usw. Der Kronkorken war natürlich etwas Besonderes, aber das ist eine andere Geschichte. Glücklicher Weise habe ich ihn auch wiedergefunden. Er war in die hinterste Ecke der Garage gerollt. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich den Kronkorken durch ein Plagiat ersetzt hätte. So etwas kommt überhaupt nicht in Frage! Ich leite ein seriöses Museum.
Unter all den Herrlichkeiten befindet sich auch eine echte Silbermünze. Sie ist in einer eigenen Vitrine gebettet.
Ich bin immer sehr stolz, wenn ich über die historischen Ereignisse dozieren darf. Mit der Münze hatte es eine besondere Bewandtnis, ohne dass ich hier etwas verklugfiedeln will.
Es hatte sich also vor längerer Zeit folgendes begeben.:
Damals ging ich mit dem Hund spazieren. Besonders liebte es Tobi im Wald herum zu tollen. Dort hatte er einen Liebling. Es war ein Eichhörnchen, dass ihn immer keckernd begrüßte. Das Eichhörnchen hielt sich immer genau außerhalb der Reichweite des Hundefangs auf. So klebte es am Baum und verhöhnte Tobi. Der sprang immer wieder den Baum hoch, ohne das Eichhörnchen erreichen zu können. Plötzlich fiel mir an der Baumwurzel etwas Blinkendes auf. Es war eine Silbermünze. Eine alte!
Daheim zeigte ich sie meiner Holden erst gar nicht, stattdessen rief ich Ralf an, ein guter
Kumpel und er verstand etwas von Münzen. Wir verabredeten uns. Bei ihm zu Hause wurde seine Frau Mathilde aus dem Zimmer gescheucht, weil wir etwas Wichtiges, Geschäftliches zu besprechen hätten.
Ralf begutachtete und nahm seine Speziallupe zu Hilfe. Eine, die das Objekt auch noch ausleuchtete. Dann kam das Mikroskop zum Einsatz.
„Eine römische Münze“, erklärte er. „Ich lege sie über Nacht in ein Säurebad, dann wissen wir Morgen mehr.“ Und weil er mir so zur Seite stand, bot ich ihm an zu teilen, falls die Münze wirklich etwas wert wäre.
Am nächsten Tag schrie das Telefon, als Ralf völlig aufgelöst am Apparat war.
„Komm her!“
Ich zischte los. Wenn die Münze vielleicht sogar 100 € wert war, dann wollte ich mit Ralf mal einen Abend draufmachen.
In seinem Arbeitszimmer schloss Ralf sogar ab. Es sei eine Vorsichtsmaßnahme, wisperte er.
Schließlich rückte er heraus, nachdem ich genügend gebettelt hatte.
„Es handelt sich nicht um einen Denar aus der Zeit Hadrians. Der Hadrian Denar! Wert ungefähr 50 bis 100 €, je nach Erhaltung."
"Zum Teufel! Ich will nicht wissen, was sie nicht ist"
Mir war es Wurst, welcher Hallodri darauf abgebildet war, obwohl Ralf lang und breit etwas von Römischer Kaiserzeit schwafelte, von 134-117 v.Chr., also vor über 2000
Jahren.
"Schluss mit dem Numismatiker Geschwätz! Was ist sie wert?"
„Es gibt da verschiedene….“
"Egal, wie viel?"
"Eigentlich ist für eine römische Sesterze nötig; silber; Büste mit Lorbeerkranz und leichter Drapierung an linker Schulter nach rechts und auf der anderen Seite: Neptun mit Dreizack und Delphin zur Rechten rechts setzt links Fuß auf Prora. Eindeutig eine Hadrian Sesterz. Siehst Du die Beschriftung? Hadrianus Augustus."
"Himmel nochmal, wie viel?"
Er sah mir in die Augen.
"Ungefähr 2700 €!"
"Waas!"
„Psst, sei doch leise“, flüsterte er.
Ich glotzte ihn an.
„Damals war es üblich, dass römische Truppen, die auf Kriegspfad waren, ihren Sold für alle Soldaten mit sich führten. Wenn Du also eine Münze gefunden hast, dann…“ Er ließ es tragend im Raum stehen und zwinkerte.
„Und wenn nur ein Soldat pinkeln musste und ihm die Münze aus seinem Waffenrock gefallen ist. Kann doch sein.“
„Blödsinn! Die bekamen doch den Sold immer nach der Schlacht. War dann sowieso übersichtlicher wegen der Verteilung. Weniger Anspruchssteller, du verstehst?.“
„Du meinst also wirklich, dass da noch wesentlich mehr Münzen liegen?“
Er nickte.
„Morgen Nacht zeigst du mir die Stelle und wir schauen uns mal heimlich um. Nimm eine starke Taschenlampe mit. Und Mund halten!“
"Sowieso!"
Am Abend konnte ich nicht anders. Ich musste meine bessere Hälfte aufklären.
„Das ist ja toll“, rief Sie.
Und so bekam ich die Erlaubnis des Nachts in den Wald zu gehen. Ich traf mich mit Ralf und wir stöberten in der Nähe des Baumes. Die Suche blieb ergebnislos.
„Wäre auch zu schön gewesen", murmelte ich. „Papperlapapp! Wir müssen morgen Nacht noch einen Spaten mitnehmen. Wir finden etwas, da bin ich mir sicher."
In der nächsten Nacht war ich mit einer Power
Trail super LED Stirnlampe ausgerüstet (399,95 €) und hatte einen Spaten dabei. Auch Ralf unterstützte mit einer Halogen-Standfunzel die Beleuchtung. Wieder schnüffelten wir in einem größeren Areal um den Baum herum.
Eine halbe Stunde später gesellten sich 15 ungeladene Helfer hinzu. Weiß der Himmel wo die her kamen. „Die müssen uns praktisch aufgelauert haben. Hast du etwa geplaudert“, herrschte mich Ralf an.
„Kein Sterbenswort“, verteidigte ich mich vehement. „Ich schwör’s!“
Als ich mich, wieder ohne Erfolg, im Morgengrauen ins Bett zu meiner besseren Hälfte legte, wachte sie auf, weil sie selbst bei dem Knarren einer Fliegenkniescheibe
wach wurde.
„Du hast doch nicht etwa irgendetwas herum erzählt?“ Ich knirschte.
„Gar nicht“, verteidigte sie sich.
„Telefoniert?“
„Nein! Ich war sowieso nicht außer Haus. Nur für zwei Stunden beim Friseur und…“
Ich wusste Bescheid.
„Ich hab‘ nur angedeutet, dass…“
„Schon gut“, seufzte ich. Es war eh nicht mehr zu ändern.
In darauffolgender Nacht tummelten sich bereits über Hundert Leute in dem Waldstück. Sogar der Bürgermeister war dabei. Natürlich entstand Streit. Wem gehörte nun ein zukünftiger Fund. Dem Finder? Wie hoch war mein Anteil. Wie viel riss sich der Staat unter
den Nagel? Fragen über Fragen. Der Stadtkämmerer hatte die Lösung. Das gesamte Waldgebiet sollte in Claims aufgeteilt werden plus der zugehörigen Schürferteilung.
Tagsüber konnte man sich im Rathaus einen Claim für 100 € sichern. Um 8 Uhr Morgens quoll das Rathaus über. Jeder wollte einen Claim möglichst nah am Fundort ergattern. Ralf und ich hatten dabei fairer Weise einen gewissen Vorzug. Auch meine bessere Hälfte hatte ich eintragen lassen. So hatten wir insgesamt sogar drei Claims (300 €). Ihrer lag schon 4 Kilometer abseits, aber wer weiß schon, welchen Weg die Truppen damals eingeschlagen hatten. Wo die Sesterzen-Truhe verloren gegangen war.
Wieder wurde es Nacht. Der Wald war hell erleuchtet und ich war nicht der einzige, der über einen neu gekauften, professionellen Metalldetektor verfügte (979 €)
Nach 14 Nächten war ich am Ende meiner Kräfte. Tagsüber arbeiten und Nachts auf vergebliche Suche gehen, das ging an die Substanz. Ralf und ich beschlossen wenigstens unsere Metallsammlung, nämlich Nägel, Türgriffe, Beschläge und Alu-Deckel zu entsorgen.
Allein, die einzige wirklich existierende Silbersesterze brachten wir zu einem Händler.
„Mehr, als 45 € kann ich leider nicht zahlen.“ Dieser dreckige Halsabschneider, dachte ich.
„Wissen Sie, vor einem halben Jahr wurde der Markt mit diesen Münzen überschwemmt. Da
hatte jemand eine Soldtruhe der Römer gefunden. Sold für eine ganze Legion. Muss ganz in der Nähe gewesen sein, wo sie wohnen. Deshalb der Preisverfall.“
"Scheiß pinkelnder, römischer Soldat", fluchte ich.
Ich behielt die Münze als Andenken.
Das Stadtsäckel hatte sich reichlich gefüllt und der Wald gedieh prächtig, nachdem der Waldboden weitläufig umgegraben und gereinigt worden war. Abfälle, wie Plastik, alte Fahrräder, usw. wurden bei den Grabungsarbeiten nämlich vorschriftsmäßig entsorgt. In der Lokalzeitung wurde die einmalige Umweltaktion des Bürgermeisters,
noch dazu völlig ohne Unkosten, hoch gelobt.
Ja, so war es gewesen.
Jetzt muss ich aber die Garage wieder schließen.
Und was es mit dem Kronkorken auf sich hatte, das erzähle ich Ihnen vielleicht ein andermal.