Was bisher geschah:
Hans-Joachim Gote ist nach 20 Jahren in seinen Heimatort zurückgekehrt. Dabei hat er eine Kleinigkeit mitgebracht, die so wertvoll scheint, dass sie in einen Safe gehört. In einem Buchladen hat er zwei Bücher bestellt und Anna Bäcker kennengelernt. Die beiden kommen sich näher. Einen Tag später wird ein angesehener Bürger im Ort, der Geschäftsmann Jürgen Reeder, tot aufgefunden. Die Polizei geht von einem Selbstmord aus.
"One last perfect verse is still the same old song."
Nightwish - The poet an the pendulum
In Unterhose und T-Shirt stand Hajo Gote in der Küche und versuchte etwas zu kochen, Nudeln mit Tomatensoße, nichts Kompliziertes, schließlich war er verwirrt. Anna war schon die zweite Sache, der zweite Mensch, den er nicht eingeplant hatte. Und wieder schickte sein Innerstes ihn auf eine Achterbahnfahrt.
Er war die ganze Nacht bei ihr geblieben. Am Morgen frühstückten sie, nachdem sie zusammen geduscht hatten. Wieder war Gote versucht gewesen, ihr alles zu erzählen. Etwas war an dieser jungen Frau. Ihr zu widerstehen fiel ihm so schwer, viel schwerer als dem Stein.
Es war Annas Idee gewesen, dass er sie zu
Brauns Bücher brachte. Wenn sie sich schon den Mund zerreißen wollen - und das wollen sie! -, dann geben wir ihnen auch einen richtigen Grund dazu. Daran hatte Gote ebenfalls Spaß, allerdings war er sich nicht sicher, ob es gut war, sie da mit hereinzuziehen. Denn sollte ihn jemand erkennen, würden die Dinge anders laufen, auch für sie. Aber Anna wollte, dass er mit aufheulendem Motor vor dem Buchladen hielt. Sie stieg aus und fuhr ihm zum Abschied mit der Hand durch die Haare. Ein leichter Druck auf das Gaspedal und der Seven sprang davon. Wer Anna in diesem Augenblick gesehen hätte, wäre wohl der Meinung gewesen, dass sie dem offenen Sportroadster und seinem Fahrer nachwinkte. Zwar hob sie den Arm und zeigte die offene Handfläche...
Gote war nicht direkt zu dem angemieteten Haus am Waldrand gefahren. Immerhin kannte er
genug kleine Nebenstrecken und über diese ließ er den Seven fliegen. Jede Kurve kannte er, die einsehbaren und die anderen. Die Fliehkräfte drückten ihn in den Sitz, der Wind wehte ihm durch die Haare, er lachte und kannte in diesem Augenblick keine Reue. Hupend rauschte er an zwei Traktoren vorbei und überholte einen Golf GTI. So gedemütigt versuchte der mit ihm mitzuhalten, doch das mehr als doppelt so schwere Auto konnte nicht so rasant beschleunigen und musste vor den Kurven eher abbremsen. Sein Fahrer - Gote schätzte ihn auf Anfang zwanzig - musste die Jagd bald aufgeben. Dessen Zähneknirschen übertönte die Motoren.
Doch irgendwann spürte Gote, dass er die Nacht über kaum geschlafen hatte. Die Müdigkeit kroch in seine Glieder. So orientierte er sich kurz und schlug dann einen Weg ein, der ihn zu dem Haus am Waldrand zurückbrachte. Dort angekommen, ging er ins Schlafzimmer,
entledigte sich nur seiner Schuhe und der Hose, ließ sich auf das Bett fallen und war auch sogleich eingeschlafen.
Seine Verwirrung war größer, als Gote es gedacht hatte. Er wollte sich Nudeln mit Tomatensoße für ein verspätetes Mittagessen machen. Dabei hatte er gar keine Tomaten. So ging das nicht. Kurz überlegte er, ob die Soße es wert war, dass er seine Hose wieder anzog. Weil er aber den Geschmack schon auf der Zunge hatte, bejahte er diese Frage. Mit Hose, Geld und einer Plastiktasche fuhr er zum Supermarkt in den Ort. Hinter dem Gebäude gab es einen Parkplatz, dessen asphaltierter Charme dem eines Kreuzschlitzschraubenziehers glich. Im Laden selbst war es nicht anders. Das Geschäft gehörte zu einer großen Kette und wie es bei solchen üblich ist, wurde unter kaltem Licht mehr Wert auf Wiedererkennbarkeit denn auf
Persönlichkeit gelegt. Aber wie die meisten Menschen erkannte Gote das nicht, weil er schon nichts anderes mehr erwartete. Er packte zwei Dosen geschälte Tomaten, einen kleinen Pappkarton H-Sahne, zwei Flaschen Orangensaft, Äpfel in einer Plastiktüte, die unerklärlicherweise als Foodtainer beworben wurde, und Paprikachips in seinen Einkaufswagen. Damit fuhr er an die Kasse bezahlte und verstaute seine Einkäufe in der mitgebrachten Tasche. In weniger als fünf Minuten stand er wieder auf dem Parkplatz. Zehn Meter von seinem Wagen entfernt war Hans Hasenscharte damit beschäftigt einen Mülleimer nach Dingen zu durchwühlen, die andere Menschen für entbehrlich hielten. Seine zerfledderte Bibel hatte er in einiger Entfernung auf den Boden gelegt. Gote beachtete ihn nicht. Er wunderte sich noch nicht einmal, wie schnell er sich wieder an diesen Anblick gewöhnt hatte. Nachdem er seine Einkaufstasche auf dem
Beifahrersitz verstaut hatte, wollte er den Motor starten. Doch da bemerkte Hans Hasenscharte ihn, ließ von seinem Tun ab, griff nach nach der Bibel und lief auf den Seven zu und als er ihn erreicht hatte, drückte er den krummen Rücken durch und zeigte mit dem Finger auf Gote.
"Gott vergibt nicht!", donnerte er mit einer Stimme, die niemand ihm zugetraut hätte.
"Was... wie... wie bitte?", stotterte Gote.
"Gott vergibt nicht!", wiederholte Hans Hasenscharte, ebenso bedrohlich wie zuvor. Doch bevor Gote etwas erwidern konnte, lief der im ganzen Ort bekannte Landstreicher weiter zu einer Familie, die gerade ihre Einkäufe in den Kofferraum eines Wagens legt und rief: "Gott vergibt nicht!"
- Fortsetzung folgt -