Liste 3:
Stift
schaffen
vergeben
Bischof
alt
Panzer
hinterdrein
Winterschlaf
Hirte
Samen
hauchzart
Wolle
Die Eine
Das Bett knarzte. Es knarzte wie immer, wenn Fremde sich unruhig darin wälzten und in hektischen Stößen dem Betrag gerecht werden wollten, den sie Marta bezahlt hatten. Wofür? Für ihre Liebesdienste vor allem und für den Rest, der in Geld nur schwer auszumessen war. Von Bischof bis Bänker hatte sie schon alle ihren Samen hier gelassen. Die einen wollten Sex, die anderen nur reden. Manche wollten zuerst Sex und dann reden oder umgekehrt. Was in Martas Zimmer passierte, blieb dort. Marta war diskret und offenherzig, je nachdem, was die Situation erforderte, und das wussten ihre Kunden zu schätzen. Sie plauderte nichts
darüber aus, dass der Hirte vom Dorf südlich der Stadt einen Wollunterwäsche-Fetisch hatte und regelmäßig darauf bestand, nur mit einem wohlig wolligen Schlüpper bekleidet, von Marta durchs Zimmer geritten zu werden. Dabei war sein Verlangen nur bedingt sexueller Natur: Marta setzte sich auf seinen Rücke und er krabbelte auf allen Vieren durch das Zimmer und gab Schafgeräusche von sich. In regelmäßigen Abständen kraulte sie die Wolle am Hintern des Hirten und sprach ihm hauchzart Lob zu.
Der Bürgermeister des Ortes verlangte von Martas strikte Autorität. Mit einem Schnuller im Mund und einem rosa gerüschelten Babyhäubchen lag er im Bett und erwartete
die nächste Rüge seiner Herrin. Marta hatte sich in den Jahren ihrer Tätigkeit auch etwas schauspielerischen Können angeeignet und schaffte es problemlos, die Spannbreite vom unschuldigen Schulmädchen bis zur strengen Domina auszufüllen.
Es ist 6 Uhr morgens. Nach einer entspannten Nacht erledigt Marta ihren Papierkram. Heute Nacht war nur Rudolf bei ihr gewesen. Der ehemalige Profiboxer hatte einen Stapel Scheine auf den Tisch geknallt und das volle Programm verlangt. Jedoch regte sich nach intensiven Bemühungen seitens Martas nichts bei Rudolf und so wurde die Nacht zu einem Gespräch über Rudolfs Familienprobleme und die Tücken
des Alltags eines ergrauten Testosteronmachos.
Mit einem perlmuttfarbenem Stift füllt Marta nun endlose Formulare aus. Versicherung, Altersvorsorge, Steuererklärung. Sie könnte Ansgar den Steuerberater fragen, der ein mal im Monat bei ihr vorbeischaut, um auf Kosten des Finanzamtes etwas Entspannung zu suche, aber ihr falscher Stolz lässt es nicht zu. Ihr Leben lang hat sie sich allein durchgebissen und einen Panzer der um sich gebildet. Da werde die paar Papiere sie nicht in die Knie zwingen. Nichts zwang sie in die Knie. Außer man entlohnte sie gut dafür.
Sie schaut der Stift in ihrer Hand an. Es war ein Geschenk von Frank, einem ihrer besten Kunden, der nun seit drei Monaten nicht mehr
kam. Von heute auf morgen war er weg und hatte sich nie wieder gemeldet. Dabei war er einer ihrer Lieblinge. Immer gepflegt und fröhlich, großzügig und sanft, wenn er wollte. Er konnte aber auch zu einem wilden Tier werden – nun ja, dies lag schon paar Jährchen zurück. Tatsächlich war er über 30 Jahre regelmäßig zu ihr gekommen. Kaum eine Ehe hält so lange, denkt Marta und dreht den Stift in ihrer Hand, und sie hat über 30 Jahre eine Liebesbeziehung mit einem Freier. Verrückte Welt. Wäre das nicht ein guter Stoff für eine Geschichte?
Es klopft an der Tür. Marta schaut auf die Uhr. 6:15. Eigentlich müsste sie nicht mehr aufmachen, aber sie tut es trotzdem, mehr aus Neugierde als aus Pflicht. Eine ältere
Frau steht vor ihr. Sie hat graue, kurze Haare, einen wachen Blick und ein paar Pfund zu viel auf den Hüften.
„Sind Sie Marta“, fragt sie nervös.
„Ja.“
„Haben Sie gerade Zeit? Ich müsste mit Ihnen über etwas Wichtiges reden.“
„Eigentlich habe ich jetzt Feierabend und ich bin sehr müde müssen Sie wissen.“
„Es geht um Frank. Ich bin seine Ehefrau.“
Marta kann die Überraschung in ihrem Gesicht nicht verbergen.
„Das ist ja ein Ding“, entfährt es Marta unkontrolliert. „Mir hat er nie was von einer Frau erzählt. Und ich kenn ihn schon paar Jähren müssen Sie wissen.“
„Ja, mir ist bekannt, dass Sie mit ihm …
verkehrten“, sagt Franks Frau mit vorwurfsvollem Ton, der Marta nicht entgeht. „Aber ich bin Ihnen nicht böse“, fügt sie hinterdrein.
„Das überrascht mich jetzt doch. Sie wollen mir aber bestimmt auch keinen Blumenstrauß dafür überreichen“, sagt Marta mit einem zaghaften Lächeln.
„Nein, da haben Sie recht. Ich hab Ihnen schon vor langem vergeben. Frank war mir immer ein treuer Ehemann gewesen, ich habe an seiner Liebe nie gezweifelt. Dass er Sie auch liebte, musste ich akzeptieren. Die Wege des Herzens sind unergründlich.“
Sie zögert.
Marta überlegt, ob sie sie hereinbitten sollte. Die Frau scheint ihr wirklich nichts Böses zu
wollen und es ist doch reichlich unhöflich, sich hier, zwischen Tür uns Angel, in einem Puffviertel um kurz nach sechs zu unterhalten. Wer weiß, welcher besoffene Affe sie hier anpöbeln könnte.
Mit einer knappen Handbewegung bedeutet Marta der Frau einzutreten.
„Was ist denn los mit dem guten Frank? Ist er in Winterschlaf verfallen“, versuchte Marta mit dem nächsten Scherz die Stimmung aufzulockern,
Franks Frau schaut nach unten, reibt sich verlegen die Hände. Zögert.
„Frank ist tot. Er hatte Krebs und ist vor drei Monaten verstorben.“
Hinter all der Schminke sieht Marta plötzlich alt aus. Man merkt wie diese Nachricht sie
trifft, tief trifft, unter den Panzer ihrer Professionalität kriecht und immer tiefer sticht. Sie wusste gar nicht, dass es so tief gehen könnte, dass sie noch so viel Emotionspotential hatte.
Franks Frau spricht in die beklemmende Stille: „Ich bin hier, weil ich seine Tagebücher gefunden habe. Darin schreibt er sehr viel über Sie. Ich weiß alles, was zwischen Ihnen in den letzten 30 Jahren gelaufen ist. Ich weiß, welche Geschenke er Ihnen gemacht hat, ich weiß, wo sie zusammen waren. Ja, ich weiß sogar, dass Ihre Tochter keinen Kontakt mehr zu Ihnen hat, weil sie sich für Ihren Beruf schämt.“
Marta will sich wehren. So viel Unverschämtheit hatte sie seit langem nicht
mehr erlebt. Kommt einfach hier rein und breitet ihre Vergangenheit vor ihr aus. Diese unverschämte alte Vogelscheuche. Kommt einfach so hier rein und sagt, dass Frank tot sei, ihr Frank, einfach so tot. Und er hat ihr nicht mal etwas davon erzählt. Nach 30 Jahren. Dieser Mistkerl. Dieser Gott verdammte Wichser. Sie dachte, sie wäre die eine. Sein Marien-Martchen.
„Ich will Sie gar nicht lange aufhalten“, sagt Franks Frau seelenruhig. „Frank hat in seinem Testament etwas für Sie vermerkt. Ich bin hier, um es Ihnen zu übergeben.“
„Was soll das?“, schreit Marta plötzlich. „Was erlauben Sie sich hier rein zu kommen und mir so was zu sagen. Wissen Sie eigentlich, was Sie da sagen? Das ist jawohl die Höhe!
Verschwinden Sie sofort aus meinem Zimmer, Sie Lügnerin.“
Martas Hände zittern. Ihr Atem geht schnell. Sie springt auf und läuft hektisch durchs Zimmer. Greift sich an den Kopf und reißt die blonde Perücke herunter. Schleudert sie in die Ecke.
Franks Frau steht auf, holt etwas aus der Tasche und legt es auf den Tisch. Sie geht ohne Marta eines weiteren Blickes zu würdigen.
Erst als die Tür ins Schloss fällt, bemerkt Marta, dass sie allein im Zimmer ist. Jetzt kommen die Tränen, jetzt bricht alles aus ihr heraus. Sie fällt auf die Couch und schluchzt, ergibt sich wehrlos in den jähen Schmerz. Frank ist tot. Ihr Frank ist tot. Und er hat ihr
nichts davon gesagt. Sie war nie die Eine für ihn. Er hatte eine andere. Die er liebte. Ohne sie dafür zu bezahlen. Sie war seine normale Frau, keine Nutte, kein billiges Stück Fleisch, das man nach belieben wenden und drehen konnte, bezahlen, damit es Kunststückchen vollführt, damit es den niederen Gelüsten der perversen Schweine gehorcht.
Marta weinte noch lange, sie weinte und wusste nicht um die Marienkäfer-Brosche, die Frank für sie auf den Tisch hinterlassen hatte.