Kleines Wunder ...
Es geht ja diesen Monat, um das Thema Aufklärung. Oh Gott habe ich gedacht, was für ein blödes Thema. Was in Gottes Namen soll ich dazu schreiben?
Ich habe lange Zeit hin und her überlegt, ob ich dazu etwas schreiben soll. Es ist ein Thema, was mich stark beschäftigt, weil ich nie damit konfrontiert wurde. Obwohl ich in einer Zeit geboren bin, in der Aufklärung großgeschrieben wurde.
Seit dem ich die Themenbeschreibung gelesen haben, überlege ich, ob ich überhaupt aufgeklärt wurde. Wenn ich ehrlich bin, kann ich mich nicht daran erinnern. Jedenfalls nicht an eine
Aufklärung durch Gespräche. Dafür erhielten wir sehr früh die praktische Aufklärung, ohne dass wir das wollten.
Aber bei diesem Thema geht es schlechthin um die Theoretische Aufklärung. Dazu habe ich eigentlich nichts zu sagen. Weil ich wüsste gar nicht, wie ich meine Kinder darüber aufklären sollte. Da ich zwei Jungs habe, hatte das mein Mann damals übernommen und hat das wie sich heute herausstellt, auch ganz gut gemacht.
Vor allem geht es mir in diesem Buch darum zu zeigen, warum es so wichtig ist Kinder aufzuklären. Denn niemand sollte in solch eine Situation kommen, wie sie mir damals passiert ist. Es war damals
schlimm und es ist heute noch das gleiche schreckliche Gefühl da, wenn ich zurückdenke, an diese Zeit. Ein Gefühl, dass ich nicht einmal meinen ärgsten Feinden wünsche. Nicht einmal meiner Erzeugerin.
Ich weiß gar nicht wie ich richtig anfangen soll. Erstens weil es mir heute, im Alter von 54 Jahren peinlich ist und ich immer noch über solche Dinge nicht reden kann. Als ich heute in der Cafeteria meine Freunde traf, fragten sie mich, warum ich so nachdenklich sei? Was mich so sehr beschäftigt. Nach einigen hin und her, habe ich ihnen dann von diesem Thema erzählt und sie gaben
so ihre Storys, über ihre Aufklärung zum Besten. Dass ich immer schweigsamer wurde, fiel schnell auf. Natürlich kam irgendwann die Frage, wie ich denn aufgeklärt wurde. Ich saß eine Weile schweigend da und sagte nichts. Schlussendlich machte ich stets das, was ich immer mache, wenn ich in die Ecke getrieben werde, mit Fragen über meine Vergangenheit, ich stand auf und verließ den Tisch. Ich zog mich in mein Zimmer zurück und starrte aus dem Fenster. Mein bester Freund kennt dieses Verhalten von mir schon seit vielen Jahrzehnten und weiß, dass man wieder einmal einen verdammt wunden Punkt bei mir erwischt hat. Das Beste ist dann immer,
man lässt mich eine Weile in Ruhe und sucht am nächsten Tag das Gespräch mit mir. Genauso hat es Micha dann auch getan. Vorsichtig sprach er mich am nächsten Morgen beim Frühstück auf dieses Thema an.
Da er weiß dass ich über bestimmte Dinge, die vor meiner Zeit in Deutschland lagen, nie spreche, versucht er halt auch nicht mehr zu bohren. Denn dann verschließe ich mich ganz. Im Laufe der vielen Jahre, hat er eine Methode entwickelt, wie er trotzdem zu den gewünschten Informationen kommt. Er animiert mich zum Schreiben. Er sagt immer.
"Wenn du darüber nicht reden kannst,
dann schreibe es doch auf. Wozu hast du sonst das Talent entwickelt, wunderschöne Geschichten zu schreiben", dabei bekommen seine Ohren immer Besuch.
Meistens dauert es dann ein oder zwei Tage, bis ich soweit bin darüber zu schreiben. Im Laufe der Jahrzehnte, habe ich langsam begriffen, dass er Recht hat und es mir im Anschluss meistens besser geht. Denn sonst neige ich dazu, diesen ganzen Frust und Hass, den ich auf meine Kindheit habe, in mich hinein zu fressen. Irgendwann platze ich dann vor Wut und meistens, bekommt jemand meinen ganzen Frust ab, der rein weg gar nichts dafür kann. Deshalb höre ich
fast immer auf seinen Rat und schreibe mir auch dieses Mal den ganzen Mist von der Seele.
Die Erinnerung an diese Zeit tun immer noch weh und ich vermeide es heute noch viel darüber nachzudenken. Trotzdem muss man sich ab und an seiner Vergangenheit stellen. Gerade dann, wenn sie droht dich einzuholen. Als Meisterin im Verdrängen, schlechter Erinnerungen, ist das oft gar nicht so einfach. Obwohl es sich im Nachhinein immer so anfühlt als wenn man mir eine große Last von den Schultern genommen hätte.
Es ist das erste Mal, dass ich überhaupt um diese Gefühle spreche und ich
glaube, ich sollte meinem Ex-Mann dieses Buch einmal zu lesen geben. Er hat nie erfahren, was damals wirklich in mir vorging. Die Ärzte bezeichneten als Wochenbett-Depression, dabei lagen die Ursachen für mein Verhalten, wo ganz anders. Mit meinem damaligen Freund, Mann und jetzigen Ex-Mann und immer noch besten Freund, hätte ich damals und kann heute noch nicht über dieses Thema reden. Ich gab ihm die Schuld und war der felsenfesten Überzeugung dass er an allen die Schuld trage. Es kam fast zu einem Bruch zwischen uns. Mein sowieso schwer zu erringendes Vertrauen in ihn war total erschüttert. Aber es kam noch schlimmer. Als ich begriffen hatte, dass
er schuldlos ist, konnte ich dieses Thema nie wieder ansprechen. Warum werdet ihr begreifen, wenn ihr die Geschichte bis zum Ende lest.
Micha, mein bester Freund, versteht mich jetzt. Da er Krankenpfleger ist, konnte er mir einige meiner damaligen Reaktionen erklären. Das macht die Sache zwar nicht leichter, aber hilft mir trotzdem wieder ein Stück mein ins Reine mit mir zu kommen. Es ist wieder ein Stückchen mehr Normalität in meinem Leben und darüber bin ich froh.
Ich schätze ich brauche noch eine lange Zeit, ehe ich mir alle meine Reaktionen verzeihen kann. Dazu mache ich mir zu schwere Vorwürfe. Aber den ersten
Schritt habe ich getan, überhaupt einmal darüber zu "Reden". Den Rest bringt die Zeit.
Sexuelle Zuneigung, so wie es die Teenys von heute haben, hatten wir als Kinder nicht gekannt. Es war für uns etwas, was wir erdulden mussten. Dies wurde zwar in einen wunderschönen Rahmen verpackt, aber es tat weh und war ekelig.
Ihr müsst euch vorstellen, dort wo wir lebten gab es nur kaltes bis eiskaltes Wasser zum Waschen oder im sogenannten Duschraum zehn Rohre die aus der Decke kamen in einen geteerten Raum. Unserer sogenannten Nasszelle.
Zum Waschen bekamen wir Kernseife und zehn Handtücher am Tag, für fünfundzwanzig Kinder. Unsere Toiletten, waren zehn etwa 6 Zoll dicke Rohre, die der Einfachhalt halber im Duschraum waren. Dort wurde sich hingehockt und das Geschäft gemacht. Dabei spielte es keine Rolle, ob jemand gerade duschte oder nicht. Privatsphäre, war für uns ein Fremdwort.
Unsere Betten waren Holzgestelle, mit Holzbrettern drin. Darauf lag eine ... ich überlege gerade wie man die Dinger nennt, ich glaube ... Bettaufleger. Meine Oma hatte so etwas auf ihren Matratzen liegen, damit man die Rillen nicht so spürte. Im Sommer bekamen wir
eine Wolldecke, im Frühjahr und Herbst zwei Wolldecken und im Winter drei Wolldecken, die wir in einen Bezug einziehen mussten. Dabei spielte es keine Rolle wie kalt es im Winter war. Wenn wir froren, war das unser Problem und nicht das unserer Betreuer. Die Haare und den Körper wuschen mir mit Kernseife und die Zähne putzten wir uns mit den Fingern. Creme oder Zahnpasta oder Haarwäsche kannten wir nicht.
Wir waren fünfundzwanzig Mädchen und Jungen, die zehn Jahre lang im selben Raum gelebt und geschlafen hatten. Einen Raum mit Gittern vor dem Fenstern und dunkelgrün gestrichen, mit einen Holzofen, der nur beheizt wurde,
wenn die Temperatur auf unter 15 Grad minus sank. Darin war es immer kalt und feucht, selbst im Sommer wurden nur selten unsere Decken richtig trocken.
Die verschiedenen Geschlechter waren uns bekannt, trotzdem waren wir irgendwie geschlechtlos. Es spielte einfach keine Rolle, es war normal für uns. Unterschiede gab es keine zwischen den Geschlechtern, wir wurden alle auf die gleiche Art und Weise, wie ich heute weiß, schlecht behandelt. Wir mussten alles das Gleiche tun. Wir bekamen alle die gleichen Strafen. Es spielte nie eine Rolle wie wir uns fühlten. Selbst als wir Mädchen später unsere Tage bekamen, wurde da kein Unterschied gemacht. Da
alle Mädchen irgendwann bluteten, wussten wir dass es nichts Schlimmes war. Nur wussten wir nicht warum das so ist und warum das bei den Jungs anders war. Wen hätten wir auch fragen sollen? Unsere Betreuer? Nie im Leben. Da hatten wir viel zu viel Angst.
Als wir etwas älter waren, ich glaube wir waren in der sechsten Klasse, bin mir aber nicht mehr ganz sicher, gab es ein Pärchen bei uns das sich zueinander hingezogen fühlte. Ob sie ineinander verliebt waren. Ich weiß es nicht. Zwischen den beiden war mehr als zwischen uns anderen. Sie hielten immer einander an der Hand und sie machten den großen Fehler sich einmal zu küssen.
Nur ein kurzer Kuss auf die Wange, nicht mal auf den Mund. Seit der fünften Klasse predigte man uns täglich, nicht nur mit Worten, das körperliche Berührungen unanständig seien und nur dann geduldet würden, wenn sie dazu dienten, dass wir uns gegenseitig Hilfestellung leisteten. Was nach dem Kuss der beiden passierte, hat uns alle nachhaltig geprägt. Danach kam niemand von uns je wieder auf die Idee, so etwas zu probieren. Heute denke ich oft, dass man die Dosis ... ich habe keine Ahnung wie man das nennt ... des Stimulus, also der Medikamentierung, in unserem Essen erhöht hat. Damit wir keinerlei sexuelle Gefühle mehr entwickeln konnten.
Trotzdem denke ich, dass der Angstfaktor, in die gleiche Situation zu kommen wie die beiden, die die Betreuer beim Kuss erwischt hatten, dazu beitrug, dass wir das nie wieder versucht haben. Denn die beiden bekamen richtigen Zoff. Sie mussten tagelang auf dem Hof stehen, was bei Temperaturen um die 30 Grad, die Hölle war. Sie bekamen eine Tracht Prügel die sich gewaschen hatten und waren ab diesen Zeitpunkt ständigen und nicht enden wollenden Schikanen der Betreuer ausgesetzt. Das ging nicht nur über Wochen sondern über Monate so. Egal wie sehr die beiden sich anstrengten, sie bekamen einfach keine Chance, zu beweisen, dass sie begriffen
hatten, dass das was sie getan hatten falsch war. Es war nur ein Kuss auf die Wange, mehr nicht. Wut kommt in mir hoch, wenn ich daran denke. Nach fast einen halben Jahr gaben die beiden auf und wählten den Freitod, in dem sie sich gegenseitig getötet haben. Ich werde das Bild, als wir sie fanden nie vergessen. Es war selbst für uns, schrecklich. Keiner von uns hat danach je wieder etwas anders in seinem Gegenüber gesehen, als einen Kameraden, den es genauso beschissen ging, wie einem selbst. Danach verwischten sich die Geschlechter bei uns, quasi ins Nirgendwo. Wir nahmen es gar nicht mehr war, dass bei den anderen
irgendetwas anders war als bei uns.
Trotzdem muss ich noch einmal kurz an den Anfang unserer Schulzeit gehen. Im ersten Schuljahr schon, bekamen die Sonntage für uns eine neue Bedeutung. Nach dem Training wurden immer mal wieder ein, zwei oder manchmal auch mehr Mädchen oder Jungen abgeholt von Betreuern. Es war, so blöd es jetzt vielleicht für euch klingen mag, für uns zum Teil sogar ein freudiges Ereignis, wenn auch nicht unbedingt schön. Wir bekamen in diesem Augenblick etwas Gutes getan, am Anfang jedenfalls. Den Rest, glaube ich, haben wir immer schnell verdrängt. Das war unsere
Aufklärung zum Punkto Sex und den Unterschied zwischen Mann und Frau.
Wurde einer von uns auserwählt, brachte man uns als erstes nach drüben in den Block der Betreuer, in dem wir nichts zu suchen hatten. Es war uns unter Strafe verboten diesen Block zu betreten. Wir verstanden sehr schnell warum. Denn dort war alles viel heller und schöner als bei uns. Zwar bedeuteten diese Besuche für uns weniger Schlaf, denn wir wurden immer erst nach dem Zapfenstreich geholt, das heißt nach 22 Uhr, aber das störte uns nicht so sehr.
Als erstes wurden wir in ein großes Bad geführt und durften in einer großen Wannen liegen und mit heißem Wasser
baden. In dem Wasser war etwas, dass wir alle nicht kannten, etwas das gut roch und einfach nur gut tat. Heute weiß ich, dass es Duftöl oder Badesalz war. Außerdem gab es gut riechende Seife. Wenn wir aus dem Wasser kamen, bekamen wir weiche Handtücher und es stand dort ein großer Pot mit gut riechender Creme. Alleine dafür lohnte es sich, das alles über sich ergehen zu lassen. Durch die Creme, wurde unsere sowieso zerschundene Haut ganz weich und hat bis zum nächsten Morgen gut gerochen.
Anschließend brachte man uns in ein Zimmer, dort saß dann ein Betreuer und hat mit uns gegessen. Er hat mit uns
ganz normal gesprochen, ohne zu schreien und uns zu schlagen. Der Betreuer, den ich oft hatte, war immer ganz lieb. Manchmal sangen wir zusammen oder er las mir etwas vor. Ich bekam Tee aus dem Samowar und oft auch russische Pralinen. Glaubt mir, die erste Zeit habe ich das sehr genossen. Es war einfach schön.
Wir, nicht nur ich, wurden ganz lieb behandelt, ganz anders als sonst. Wir bekamen etwas zu essen und zwar nicht nur eine Schüssel Haferschleim, sondern richtiges Essen und so viel, dass wir satt wurden, oft gab es auch Kuchen, Kekse oder Eis zum Nachtisch. Nach dem Essen allerdings gingen wir dann in ein
anderes Zimmer. Dort stand ein großes Bett. Das war weich und vor allem war es warm. Es hatte große Kissen für den Kopf und eine dicke Zudecke, in die man sich einkuscheln konnte.
Am Anfang wurden wir nur gestreichelt und haben diese Zuwendung, wirklich genossen. Nur gut, dass wir damals nicht wussten, was noch auf uns zukommt. Später wurde dann viel mehr daraus und ich habe es gehasst. Aber darum geht es ja heute nicht, sondern um das Thema Aufklärung. Deshalb sagte ich ja, wir wurden praktisch aufgeklärt. Komischer Weise, empfand ich das damals nie besonders schlimm. Ich glaube es lag daran, dass die Betreuer es langsam
gesteigert haben. Es war unangenehm, das ja, aber schlimm war es für mich erst später. Vielleicht lag es auch nur daran, dass ich immer den gleichen Betreuer hatten und wusste was auf mich zukam. Andere hatten da nicht so viel Glück. Denen ging es danach oft schlecht. Trotz allem, hat sich nie jemand von uns beklagt oder wollte nicht dorthin. Die zehn Minuten Horror, wie wir später immer gesagt haben, konnten wir gut ertragen: für ein warmes Bad, eine richtiges Essen und ein weiches Bett, hätten wir alles getan. Die Zeit im Bett konnten wir verdrängen, so wie wir viele Dinge verdrängt haben. Das Gefühl einmal gut behandelt zu werden, war
eine Streicheleinheit für unsere Seelen. Das Gefühl in einem weichen Bett zu schlafen unter einer warmen Decke und sogar ein Kopfkissen zu haben, war ein Gefühl, als wären wir im Himmel.
Aber zurück zum Thema. Warum erzähle ich euch das alles? Ich glaube ihr müsst das wissen um das, was ich euch jetzt schreibe zu verstehen, sonst denkt ihr ich bin verrückt. Wo also kommen die Kinder her? Ich glaube über dieses Thema haben wir mit unseren Betreuern nie gesprochen und bei allem Sex, den wir mit diesen Unmenschen hatten, ist nie jemand von uns schwanger geworden. Vielleicht bekamen wir Medikamente ins Essen, ich kann es nicht sagen. Zutrauen
tue ich das diesen Menschen schon, dass sie auf diese Weise Schwangerschaften verhindert haben. Kontakt mit anderen Menschen hatten wir nicht, schon gar nicht zu Schwangeren. Wir hatten nur selten Kontakt zu anderen Kindern und wenn wir diese einmal trafen, meistens keine Möglichkeiten mit diesen zu reden oder gar Interesse an ihnen zu zeigen. Wir hatten alle das gleiche Alter und hatten sehr schnell lernen müssen, dass wir mit den anderen Kindern gar nicht klar kamen. Wir verstanden sie nicht und sie uns nicht. Es interessiert uns überhaupt nicht wo sie herkamen. Wir waren also überhaupt nicht aufgeklärt. Das war für uns einfach nicht
wichtig.
Es war im Juni oder im Juli 1978, als ich alleine eine Woche Urlaub bei meinen Zieheltern machte. Ich lebte damals schon fast ein Jahr lang, mit meinem Freund und späteren Mann zusammen. Kurz nachdem ich angekommen war, nahm mich meine Ziehmutter bei Seite und drückte mich. Sie erkundigte sich freudestrahlend bei mir, wann denn das Baby kommen würde. Ich schaute sie völlig perplex an und wusste gar nicht was sie von mir wollt. Wie gesagt, über dieses Thema hatten wir nie gesprochen. So blöd es für einen normalen Menschen von 19
Jahren auch klingen mag, ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, wo die Kinder herkommen. Ich hatte etwas zugenommen, aber ich hatte auch ganz gut immer gegessen. Kinder waren für meinen Mann und mich auch noch überhaupt kein Thema, denn mein Mann steckte noch mitten in der Ausbildung und ich hatte erst ein Jahr zuvor eine neue Stelle angetreten, als Ausbilder. Wir hatten über Familienplanung noch gar nicht gesprochen. Ich selber hatte mir noch nie Gedanken darüber gemacht, ob ich überhaupt einmal Kinder haben wollte. Ich glaube damals hätte ich mich entschieden dagegen ausgesprochen. Niemals hätte ich jemand das angetan,
was man mir angetan hatte. Ich wusste ja nicht, dass andere Kinder mit Liebe und in Geborgenheit aufwuchsen, also ganz anders als wir. Woher sollte ich das denn wissen?
Da meine Ziehmutter mit mir schlimmen Kummer gewöhnt war, denn ich lebte fast zwei Jahre bei ihr, holte sie sich Rat bei meinem Ziehvater, wie sie mir das alles erklären sollte. Ich war nicht immer einfach, was die normalen Dinge im Leben anging. Viele Sachen die für Menschen normal sind, lernte ich erst kennen als ich nach Deutschland zurück kam. Ich war bei den einfachsten Sachen, vor allem im zivilen Bereichen, einfach überfordert. Man schob das
Thema Baby erst einmal zur Seite, obwohl für meine Zieheltern feststand, dass sie bald Oma und Opa werden. Sie wussten aber nicht, wie sie mir das schonend beibringen sollten. Deshalb holten sie sich Hilfe. Meine Ziehmutter arbeitete im Krankenhaus, auf der Kinderstation und kannte natürlich eine Frauenärztin und brachte mich am darauffolgenden Montag, genau dorthin. Vorgewarnt von meinen Zieheltern ging sie sehr behutsam auf mich ein und untersuchte mich. Kurz darum stand amtlich fest, ich war im vierten Monat schwanger, wie sich herausstellte mit Zwillingen. Meine Zieheltern freuten sich wie verrückt, da sie keine eigenen
Kinder hatten.
Für mich allerdings war das ein unvorstellbarer Schock. Die Frauenärztin und meine Ziehmutter versuchten mir so schonend wie möglich diese Tatsache beizubringen. Zeigten mir im Krankenhaus Frauen mit riesigen Bäuchen und Neugeborenen Babys. Sie taten das so schonend wie es irgend möglich war.
Ich kann mich heute noch an dieses entsetzliche Gefühl erinnern, dass mich damals befiehl. Ich wollte nicht, dass da irgendetwas in mir heranwuchs. Klar hatte ich mit meinen Fast-Mann geschlafen, aber das hatte ich auch
jahrelang mit meinen Betreuern und da war nie irgendetwas in mir herangewachsen. In all den Jahren hatte ich so etwas nie erlebt.
Klar heute lache ich darüber, aber damals war das der blanke Horror. Mir ist schon klar, dass das eigenartig kling. Aber es sind die Gefühle die sich damals in mir eingebrannt hatten. Bei jeder darauffolgenden Schwangerschaft, hatte ich gegen dieses Gefühl zu kämpfen. Warum das so war, weiß ich nicht und es konnte mir bis jetzt auch niemand wirklich erklären.
Innerlich wehrte sich alles in mir, gegen das, was in mir heranwuchs und je dicker ich wurde, umso schlimmer wurde dieses
Gefühl des Ekels. Ich habe geheult wie noch nie zuvor in meinen Leben und wollte, dass sie das Ding in mir weg machen. Meine Zieheltern hatten alles versucht und informierten in ihrer Verzweiflung meinen Freund und den Vater meiner zukünftigen Kinder, über die Tatsache, dass er bald Vater wird. In der Hoffnung, dass er an mich herankommen würde. Aber ich habe ihn gehasst, für das was er mir da angetan hat. Ich ließ mich nicht von ihm trösten, geschweige denn von ihm anfassen. Ich habe mich vor mir selber geekelt und konnte einfach nicht ertragen, dass ich immer dicker wurde. Vor allem, dass ich keinen Sport mehr machen durfte und zu
guter Letzt über einen Monat im Krankenhaus das Bett hüten musste. Das war für mich das allerschlimmste.
Als Lydia und Robert am 18. Dezember 1978 geboren wurden, war ich erleichtert. Ich war froh, dass diese Dinger endlich aus mir heraus waren.
Guckt nicht so. Es war wirklich so. Auch wenn ich mich heute dafür schäme. Damals waren es die Gefühle die mich beherrschten. Das erste was ich nach der Entbindung gemacht habe, war mich stundenlang zu duschen. Ich wollte wieder sauber werden. Egal was die Schwestern auf der Entbindungsstation machten, ich ging immer und immer wieder duschen, nur um dieses Gefühl
des Ekels vor mir selber los zu werden.
Meine Kinder habe ich voll und ganz ignoriert. Wenn sie die Kleinen brachten, bin ich aus dem Raum gegangen. Ich habe sie nicht angesehen und nicht gefüttert und schon gar nicht gestillt. Ich konnte es nicht. Die Pflege unserer Zwillinge hat mein Fast-Mann dann übernommen und übernahm das Babyjahr. Ich bin nach vier Wochen wieder arbeiten gegangen und war froh wieder normal zu sein. Die Fragen nach unseren Kindern, die von Seiten meiner Kollegen kamen, habe ich einfach ignoriert. Bis Anfang des Sommers ich glaube es war Ende Mai oder Anfang Juni, als ich mich langsam an den
Gedanken gewöhnt hatte, dass ich Mutter bin. Dass diese beiden süßen kleinen Fratzen meine Kinder sind. Dass sie ein Teil von mir sind. Ich danke heute meinen Ex-Mann noch, dass er so viel Geduld mit mir hatte und mir die Zeit gab, die ich brauchte um unsere Kinder zu akzeptier und lieben zu lernen. Vor allem, dass er mich zu nicht gedrängt hat. Ich glaube kein anderer Mann wäre so geduldig mit mir gewesen. Dafür liebe ich ihn heute noch.
Meine Liebe zu den beiden Kindern und glaubt mir eins, das werde ich mir nie verzeihen, habe ich erst entdeckt, als es zu spät war. Ich hatte die beiden akzeptiert, geliebt habe ich sie erst viel
später. So wie es oft im Leben ist, kommt manche Einsicht erst, mit dem Schmerz, der dir die Seele aus dem Leib reißt.
Im November 1979, also elf Monate nach der Geburt meiner Zwillinge lag ich 200 Kilometer von meinem Heimatort nach einem Unfall in einer Spezialklinik. Mein Fast-Mann wollte mich in der dortigen Klinik mit den Kindern besuchen kommen. Kindersitze gab es damals noch keine und Sicherheitsgurte erst Recht nicht. Die Kinder saßen im Sportwagen angeschnallt im Fond des Skodas, als meinem Mann auf der Autobahn ein LKW hinten auf den PKW fuhr, ungebremst. Da sich beim Skoda
der Motor hinten befindet, schleuderte er die Kinder mit samten Kinderwagen vorn durch die Frontscheibe. Sie hatten keine Chance zu überleben. Das schlimme daran war, mein Mann ist an dem Unfall fast zerbrochen. Denn er hatte nur eine kleine Schramme und ein zerrissenes Hemd bei dem Unfall abbekommen. Er kommt bis heute damit nicht klar und ich kann ihm nicht helfen.
An dem Abend, als mein Mann viel zu spät zu mir ins Krankenhaus kam, habe ich begriffen was ich verloren habe. Als der Vater meiner Kinder weinend vor meinem Krankenbett stand und mir erklärte, dass ich meine Kinder nie wiedersehen werde, wurde mir die
Bindung, die ich schon so lange spürte, aber nie wahrhaben wollte bewusst und fiel in ein tiefes Loch.
Ich gab mir die Schuld an dem Tod der Beiden, weil ich sie nicht richtig geliebt habe. Weil ich das Gleiche gemacht habe wie meine Erzeugerin. Weil ich erst in dem Moment als Lydia und Robert starben begreifen konnte, was ich Wichtigste in meinem Leben verloren habe. Es hat viele Jahre gedauert, bis ich wieder ein Kind in den Armen halten konnte. Manchmal denke ich, dass der liebe Gott nicht wollte, dass ich noch einmal Kinder bekomme, um ihnen nicht noch einmal so weh zu
tun.
Lange Zeit mussten mein Mann und ich warten, bis uns noch einmal dieser Segen erfüllt wurde. Trotzdem jede Schwangerschaft, die ich durchlaufen musste, die gleichen entsetzlichen Gefühle in mir heraufbeschworen hat, versuchten wir es immer wieder. Ich lernte mit diesem Ekel umzugehen. Selbst heute ist es mir nicht möglich einer Schwangeren an den Bauch zu fassen. Selbst bei der Schwangerschaft meiner Schwiegertochter konnte ich es nicht. Der Ekel ist geblieben, egal was die Psychologen versucht haben, dieses Gefühl konnte ich noch nicht abstellen.
Im Jahr 1980 kam unser Sohn Thomas tot zur Welt, zwei Jahre später, starb unser Sohn Sebastian nur drei Wochen nach der Geburt. Aus meiner heutigen Sicht der Dinge, war dies die Strafe für meine Ignoranz. Auch wenn ich weiß dass das Quatsch ist. Ich habe jahrelang die Schuld bei mir gesucht. Nach Sebastian, der einen offen Rücken und einen schweren Herzfehler hatte, wollte ich keine Kinder mehr. Ich hatte meine Strafe, keine Kinder mehr zu bekommen, einfach akzeptiert.
Aber wie es so oft im Leben ist, kommt es erstens anders und zweitens als man denkt. Ich gehöre zu den Frauen, wo es
genügt, dass der Mann die Hose nur ans Bett hängt, um schwanger zu werden. Nach Sebastians Geburt hatte ich noch schlimmer Probleme mit meinen stets unregelmäßig kommenden Perioden. Durch zu viel Sport, viel Hungern und unregelmäßiges und zu wenig schlafen, hatte ich damit schon immer große Probleme. Sie blieb über Monate aus, dann ging sie über Monate nicht weg. Der Versuch die Pille zu nehmen, scheiterte daran dass ich sie nicht vertrug, ebenso die Spirale. Regelmäßig Arztbesuche bestätigten mir immer wieder, dass ich nicht Schwanger war. Auch Männlein kann ja Verhüterle tragen. Tja im Februar 1984 war ich
dann der Meinung dass da irgendwas in mir nicht stimmte, da ich nur am Brechen war. Tja und im Mai dann bekamen wir die Bescherung. Etwas mit dem weder mein Mann, noch ich gerechnet hatten, einen kleinen Jungen.
Das erste Mal in meinem Leben, dass ich mein Kind in den Arm nahm und nie wieder hergab. Diesmal war uns das Glück hold und wir durften den kleinen bei uns behalten. Es war ein unfassbares Gefühl. Unseren Großen liebte ich der ersten Sekunde an und ich gebe zu, ich hab ihn damit fast erschlagen. Er brauchte nur einmal Niesen, da stand die Welt auf dem Kopf. Bis meine Kinderärztin irgendwann mal mit mir
Klartext gesprochen hat. Ich muss gerate lachen, aber ich glaube das war mehr als nötig. Was ich den Zwillingen zu wenig gab, gab ich dem Großen zu viel. Ich musste erst das richtige Mittelmaß finden. Zum Glück hatte ich immer einen sehr geduldigen Mann und verdammt gute Zieheltern.
Auch wenn ich kurz nach der Geburt wieder Arbeiten ging, das ging leider nicht anders. Mein Mann machte wie immer das Babyjahr und kümmerte sich um den Kleinen. Nutzte ich jede Sekunde die es mir möglich war um bei meinem Sohn zu sein. Drei Jahre später kam dann unser Lüdder zur Welt und komplettierte unser Glück. Auch er war kein geplantes
Kind, wie gesagt, meine Periode kam und ging wie sie wollte, aber nie wie sie sollte. Das Wort regelmäßig und ich passen einfach nicht zusammen. Aber darüber haben wir uns nie beschwert. Wir waren einfach nur glücklich.
Damals erfuhr ich auch erst im fünften Monat dass ich schwanger war, darüber war ich nie böse. Eine Abtreibung, die gab es damals ja offiziell schon, wäre für mich nie in Betracht gekommen. Einfach aus dem Grund, dass ich es meinen Zwillingen schuldig war, die Kinder zu bekommen. Ich wollte an ihnen gut machen, was ich an meinen zwei Süßen versäumt habe. Ich weiß dass das irgendwo Quatsch ist, aber das
schlechte Gewissen, den Beiden gegenüber wird wohl immer bleiben. Egal wie ich es drehe, egal was man mir sagt, ich habe den zwei Kleinen etwas Wichtiges genommen und kann es nie wieder gut machen. Vor allem weiß ich genau, wie es sich anfühlt. Das ist das Schlimmste an der ganzen Sache. Denn genauso habe ich mich als Kind gefühlt. Nur hatte meine Erzeugerin alle Zeit der Welt dies zu ändern. Ich hatte nur elf Monate. Es fühlt sich deshalb genauso beschissen an.
Genau das ist der Grund, warum ich dieses Buch geschrieben habe.
Es gibt nichts Wichtigeres als Kinder
richtig aufzuklären. Ja, vielleicht liegt es an meinen damaligen Lebensumständen. Das Zusammenspiel vieler widriger Umstände und falscher Erziehung, dass ich so extrem reagiert habe. Mag ja alles sein, da gebe ich euch Recht. Aber trotzdem, stellt euch vor, auch nur ein Mädchen würde wegen des nichts Aufgeklärt seins, durch diese Hölle müssen. Das darf niemals wieder geschehen, nie wieder. Alleine der Gedanke an damals jagt mir Gänsehaut über den Rücken.
Wenn ich gewusst hätte, was es bedeutet schwanger zu werden, wäre meine Einstellung zu den Kindern eine ganz andere gewesen. Davon bin ich felsenfest
überzeugt. Ich hätte nicht diese widerlichen Gefühle gehabt, dass etwas Ekliges und Abartiges in mir heranwächst. Ich kann dieses Gefühl nicht genau erklären. Auch nicht warum ich das Gefühl hatte. Vielleicht haben uns auch die Betreuer irgendwelche Horrordinge erzählt die passieren, wenn wir uns nicht an ihre Weisungen halt. Alles weiß ich auch von damals nicht mehr. Wir haben so viel verdrängt, von dem was damals geschah. Ich weiß es nicht und kann es auch nicht erklären. Aber genau dieses Gefühl war es, das verhindert hat, dass ich meine Kinder annehmen konnte. Weshalb ich sie nicht auf den Arm nehmen wollte. Egal was
die Ärzte, Hebammen, Schwestern, zum Schluss sogar die Psychologen versucht haben, ich habe mich geekelt, geschüttelt und sogar gebrochen, wenn die Kinder nur in meine Nähe kamen. Ich schäme mich dafür, aber ich kann es leider nicht mehr ändern und schon gar nicht wieder gutmachen. Leider. Ich konnte und wollte diese Dinger einfach nicht berühren. Als ich dieses Gefühl endlich im Griff hatte, war es zu spät.
Nicht nur zu spät für die Beiden, sondern auch für mich. Ich konnte ihnen nicht mehr zeigen, wie sehr ich sie lieben würde. Zu spät sie in die Arme zu nehmen und zu spät für die Einsicht, dass ich mir das Schönste in meinem
Leben genommen habe. Zum Glück kam diese Einsicht aber für meine lebenden Kinder nicht zu spät.
Heute bin ich froh, dass ich meine beiden Söhne habe. Auch wenn ich nicht die perfekte Mutter war, die sie vielleicht verdient hätten, für mich waren es die perfekten Kinder und ich bin stolz auf die Beiden. Sie gaben mir viel mehr als nur meine Liebe zurück.
Sie zeigten mir, was es heißt eine Kindheit zu haben. Eine Kindheit, die ich nie hatte.
Sie zeigten mir, was es heißt zu lachen und zu weinen. Etwas dass wir nur im Stillen durften.
Sie zeigten mir, eine völlig neue
Sichtweise des Lebens, die ich nie erlebt hätte ohne Kinder.
Sie lehrten mich Gefühle wie Liebe, vorbehaltloses Vertrauen und Geborgenheit.
Sie zeigten mir, wie man spielt und dass Dummheiten zu machen kein Unglück sein muss.
Sie brachten mir, unendlich viele unvergessliche Stunden voller Glück.
Sie sind der Grund, warum ich lebe und immer wieder weiterkämpfe.
Für sie würde ich ohne zu überlegen mein Leben geben.
Welche Gründe braucht ihr noch, um zu erklären das Aufklärung wichtig ist. Damit niemand ein Kind bekommt, weil
er nicht wusste, wie man das verhindern kann. Weil er nicht wusste, dass er schwanger werden könnte und damit kein Kind geboren wird, dass auf dieser Welt nicht wirklich willkommen ist.
Hätten meine Erzeugerin verhütet, wäre mir viel Leid erspart geblieben und damit auch meinen verstorbenen Kindern. Guckt nicht so. Hätte meine Erzeugerin mich gewollt, wäre ich in einer Familie großgeworden und meine Mutter hätte mich auf all das vorbereitet. Ja ich gebe meiner Erzeugerin ein Teil der Schuld. Sie hat mich im Stich gelassen und zugelassen das skrupellose Menschen mit uns machen konnten was sie wollten. Sie
trägt eine Teilschuld an meinem Verhalten. Durch sie habe ich nie Liebe, Geborgenheit und Vertrauen gelernt und habe nie das Wissen bekommen, was eine Frau wissen müsste.
Was ist schlimmes daran, Kinder aufzuklären. Ihnen zu sagen, da passiert nichts schlimmes, wenn du schwanger bist. Was zwischen Mann und Frau passiert, dient nicht nur der Fortpflanzung und der Erhaltung der Rasse, sondern gibt mehr weiter ...
Liebe
Geborgenheit
Wissen
...und dieses Leben, was aus diesen Akt entsteht, ist unsere Zukunft.
Eine Zukunft, die man durch nichts ersetzen kann.
Kinder zu bekommen sollte das Schönste sein, was es gibt. Die Verantwortung über das wie, liegt nun einmal bei den Eltern und beginnt damit, dass man den Kleinen erklärt, wie es geht und was
passiert. Ohne Scheu und mit viel Liebe. Denn es entsteht etwas Unbezahlbares und Schönes...
Ein kleines Wunder