Kapitel 18 Gleichgültigkeit
Es gab keine wirklichen Zellen in der fliegenden Stadt. Das, was im kaiserlichen Palast einem verließ noch am nächsten kam, war eigentlich kaum mehr als eine endlose Ansammlung von Kellern. In den Fels geschlagen, aus denen die schwebenden Inseln der Stadt bestanden, erstreckten sich Gänge und Kammern , so weit, dass es hieß, man könnte von einem Ende des Palastes ohne Mühe zum anderen gelangen, ohne je das Tageslicht zu sehen. Gefangene indes, fanden sich in diesen Tiefen nur selten. Sollte es doch einmal einen Mann in
Ketten hierher verschlagen, hieß das meist, das er schlicht zu wichtig für die Pläne und Geschicke des Imperiums war, um ihn irgendwo verrotten zu lassen… und entsprechend wurden diese Häftlinge auch behandelt. Es brauchte keine Mauern und Eisengitter um jemanden hier fest zu halten, schwebte doch die gesamte Stadt hoch über dem Erdboden. Alles, was es brauchte, waren verlässliche Schwerter und Gewehre an den Seilwinden der Gondeln, die den einzigen sicheren Weg nach unten darstellten. Doch wenn es darum ging, jemanden sicher zu verwahren, waren die Keller wohl immer noch ein günstigerer Ort, als die Villen und Anwesen des
Adels und die Garnisonsunterkünfte. Die Tunnel hier unten waren genau so unübersichtlich und weitläufig, wie der oberirdisch liegende Palast, wie Naria schnell feststellen musste. Jemanden hier zu finden ohne zu wissen, wo man suchen musste, war ein aussichtsloses Unterfangen, verliefen die Gänge doch labyrinthisch und scheinbar ohne feste Ordnung durch den Fels. Manchmal führte eine Treppe abwärts zu einem tief gelegenen Lagerraum nur um bereits wenige Schritte später wieder nach oben zu führen. Andere Wege führten in weiten Serpentinen herauf in Kammern voller vermoderter Schriftrollen und Bücher. Die Verwaltung des Kaiserreichs
produzierte Unmengen an Papier und die Bibliotheken oben waren schon vor zweihundert Jahren aus allen Nähten geplatzt, wie es hieß. Hier in der Tiefe schlummerte das Erbe der alten Kaiser. Aufzeichnungen über Sold und das Wetter aber auch Geschichtliche Dokumente, Urkunden, die man in schützenden Lederhüllen versiegelt hatte und Berichte der kaiserlichen Agenten. Hätte Naria Zeit gehabt, vielleicht hätte sie sich tatsächlich dazu hinreißen lassen, ein paar der uralten Schriftstücke durchzugehen, doch so warf sie im Vorübergehen nur einen kurzen Blick hinein und eilte weiter. Die Fackel die sie trug drohte bereits zu erlöschen und
sie war noch nicht am Ziel. In völliger Dunkelheit ohne jede Lichtquelle, würde auch sie sich nicht mehr orientieren können. Doch immerhin würde sie sich nicht verirren, dachte sie. Die Präsenz des Wesens, das hier unten ausharrte, war so deutlich zu spüren, dass sie einen Moment doch daran zu zweifeln begann, ob es eine gute Idee gewesen war, den Weg alleine anzutreten. Ismaiel war wie ein Leuchtfeuer in finsterer Nacht, selbst zwischen all der Magie, welche die fliegende Stadt durchströmte. Er machte nicht einmal Anstalten sich zu verbergen. Naria hingegen bewegte sich wie ein Schatten, als sie sich schließlich ihrem Ziel näherte und versuchte, was
immer sie an magischen Spuren hinterließ so gut es ging zu verbergen.
Ismaiels Zelle lag wie alles andere hier unten in Dunkelheit gehüllt. Nicht, dass der Mann nicht in der Lage gewesen wäre, daran etwas zu ändern, wenn er gewollt hätte, dachte sie, während sie ein paar Schritte entfernt stehen blieb und sich an die Wand lehnte um ins Innere der Zelle zu spähen.
Eine rostige Gittertür versiegelte einen Durchgang, der so niedrig war, dass wohl selbst ein Zwerg den Kopf eingezogen hätte. Dahinter gab es nur Dunkelheit, die das Licht der langsam ersterbenden Fackel in ihrer Hand nicht mehr ganz durchdringen konnte. Und
doch war die Präsenz des Magiers jetzt deutlich spürbar, fast wie ein physisches Gewicht, das jeden Schritt schwerer zu machen schien. Vorsichtig trat sie näher und hielt die Fackel höher.
,, Was wollt ihr ?“ Ein Schatten erhob sich blitzschnell von einem einfachen Lager aus Decken und Stroh, das in einer Ecke der kleinen Zelle aufgeschichtet war. Mit einem einzigen, geschmeidigen Schritt, so schien es, trat er ans Gitter und spähte zu ihr herauf, denn tatsächlich musste er sich ducken um unter dem Türsturz hindurch sehen zu können. Einen Moment lang, war sie tatsächlich überrascht. Sie hatte vielleicht jemand Älteren erwartet.
Jemanden, der mehr wie das uralte Wesen aussah, das sich hinter dieser Gestalt verbarg. Doch Zachary war natürlich Jung gewesen, keine zwei Jahrzehnte älter als sie selbst. Doch das hier war er nicht mehr, erinnerte sie sich. Falls Ismaiel von dem Besuch überrascht war, so zeigte er es zumindest nicht. Vielleicht hatte er doch gemerkt, wie sie sich genähert hatte? Sie hatte schon fast vergessen, dass er sie etwas gefragt hatte, bis sie den ersten Schock überwunden hatte.
,, Ich war vielleicht Neugierig.“ , erklärte sie, nicht bereit schon irgendetwas Preis zu geben. Sie konnte diesen Mann noch nicht einschätzen,
mal von den Geschichten abgesehen. Und die reichten bereits um das flaue Gefühl in ihrem Magen zu rechtfertigen. Wenn er gewollt hätte, er hätte diese Gitter, die sie trennten zerschmettern und sie gleichzeitig durch die nächste Wand schleudern können, da war sie sich sicher. Das letzte Mal, dass sie auch nur eine annähernd vergleichbare Macht gespürt hatte… das war in Helike gewesen. Sie dachte ungern an diesen einen schrecklichen Tag zurück. Und doch war das, was von Ismaiel ausging gänzlich verschieden von der rohen Gewalt des roten Heiligen. Es war auf eine schreckliche Art… realer, dachte sie. Ismaiel verfügte als letzter
Erzmagier über Jahrtausende mehr an Erfahrung, als ein Mensch in seinem gesamten Leben ansammeln könnte. Und doch kämpfte sie die aufkommende Unruhe nieder. Deshalb war sie nicht hier.
,, Aber im Augenblick sehe ich nur Zachary. “Bis auf die grünen Augen, dachte sie, diese unsagbaren, brennenden Augen. Die Iris war durch einen Kranz aus sich ständig verändernden Formen verschleiert, die im Dunkeln schwach zu glühen schienen. ,, Und ich könnte euch das gleiche Fragen. Habt ihr geglaubt, man würde euch einfach so empfangen? Man denkt darüber nach euch zu töten, das muss euch klar sein. Was treibt euch
hierher?“
Zachary Gesicht blieb starr und unbeweglich, während Ismaiel über die Antwort nachzudenken schien. Oder vielleicht ignorierte er sie auch bloß, wer wusste das schon zu sagen.
,, Ich habe zu viel verloren, als das es mich noch groß kümmern würde, was ihr denkt. Ich verlange nicht, dass jemand wie ihr das verstehen kann. Ich habe einmal jemanden wie euch getroffen, kleine Gejarn…. Ihr seid ein Fehler. Mehr noch als eure ach so wertvollen Zauberer… Ich möchte nicht einmal wissen, welcher Umstand zu euren Fähigkeiten geführt hat.“
Naria ging nicht darauf ein. ,, Glaubt
mir, ich kann das sehr gut nachvollziehen…“ Ihre Heimat, Sine, Wys… all die anderen… Wenn es jemanden gab, der nicht verstand, dann dieses Ding hier vor ihr. Sie schmunzelte einen Moment als ihr die Ironie der Situation bewusst wurde. Ismaiel sah sie offenbar als Monster. Und sie ihn. Nun immerhin das wussten sie beide.
Hinter dem grünen Feuer lagen nicht einmal mehr die Augen eines Menschen. Stattdessen schimmerte hinter dem grün dunkles gelb und Pupillen, die wie bei einer Katze oder manchen Gejarn geschlitzt verliefen. Was sie da mit unterdrückter Wut und vielleicht auch Verzweiflung anblitzte, waren die Augen
des alten Volkes, wie ihr klar wurde. Ismaiel war näher an das Gitter getreten und hatte die Streben umklammert, das seine Finger weiß wurden. Naria wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Einen Moment war sie fest davon überzeugt, dass er das Gitter schlicht zerbröseln würde, wie altes Brot. Doch dann trat auch Ismaiel einen Schritt zurück, scheinbar wieder ruhiger, ohne ersichtlichen Grund. Was ging da nur vor sich? Sie hielt nach wie vor Abstand, während der alte Erzmagier sich zu sammeln schien.
,, Habt ihr Merl gesehen ?“ Einen Moment lang war sie sich nicht sicher, ob die Frage überhaupt von der gleichen
Person stammte. Selbst die Stimme, die mit ihr sprach, schien plötzlich jemanden anderem, jüngeren zu gehören, klang mehr nach jemanden, der dem Alter des Körpers entsprach, den Ismaiel besetzt hielt. Zachary ? Selbst das grüne Feuer schien einen Moment aus seinem Blick zu schwinden und wieder einen Hauch von Türkis durchschimmern zu lassen. Zacharys eigentliche Augenfarbe... Sie ermahnte sich selbst, nicht dumm zu sein und sich so einfach täuschen zu lassen. Doch gleichzeitig, warum solle Ismaiel interessieren, was aus Merl geworden war? Es schien keinen Sinn zu machen. Und sie dadurch ablenken… wenn der alte Magier
glaubte, das das nötig wäre um bei einem Fluchtversuch an ihr vorbei zu kommen, sollte sie sich wohl fast geehrt fühlen, dachte sie düster.
,, Werdet ihr mir noch antworten ?“ sie hatte beinahe vergessen, das der Mann auf der anderen Seite des Gitters ihr eine Frage gestellt hatte. Das war in jedem Fall wieder Ismaiel, dachte sie. Die Verachtung und Ungeduld in seiner Stimme sorgten dafür, dass sie ihm einen Moment am liebsten gar nicht geantwortet hätte. Doch je länger sie darüber nachdachte… Warum interessierte Ismaiel bitte, was aus Merl wurde? Die Antwort fiel ihr wie Schuppen von den Augen. Es war
unmöglich. Und doch gleichzeitig auf eine beunruhigende Art schlüssig, das Naria sich fragte, wieso sie nicht eher darauf gekommen war.
,, Ihr seid sein Vater, oder ?“ Zum ersten Mal tauchte so etwas wie Unsicherheit im Blick des alten Magiers auf.
,, Er… Wie kommt ihr darauf?“ Ismaiel funkelte sie misstrauisch an. ,, Er ist nicht mit Zachary verwandt…“
,, Ich rede auch nicht von ihm… sondern von euch Ismaiel. Merl ist euer Sohn, richtig?“
,, Wie kommt ihr darauf ?“ Ismaiel legte den Kopf schief und musterte sie, als würde er ihre Anwesenheit erst jetzt überhaupt wirklich zur Kenntnis nehmen.
Und das allein verriet ihr bereits, dass sie ins Schwarze getroffen hatte, dachte Naria. Oder das sie der Wahrheit zumindest verdammt nahe kam.
,, Fangen wir damit an, das Zachary Merl sicher nicht nur durch einen bloßen Zufall gefunden hat. Er wusste, wo er ihn finden würde. Wo er ihn suchen muss. Er hat ihn nicht einfach nur aufgenommen. Und Zachary muss gewusst haben, was und wer Merl ist. Wieso sonst sollte er seine ganze Forschung auf das alte Volk ausrichten? Und ich wüsste nur eine Person, von der er diese Informationen haben könnte. Das seid ihr. Wie lange hat er schon Kontakt zu euch, Ismaiel?
,, Spielt es eine Rolle ?“ Der alte Magier lehnte sich gegen die Wand neben dem Gitter und sah zu Boden. ,, Spielt irgendetwas hiervon eine Rolle ? Ihr könnt ihn meinen Sohn nennen, so oft ihr wollt, aber wenn, dann ist er vor allem eines: Ein Fehler, noch größer als ihr. Eine Abscheulichkeit nicht wirklich ein Mensch und doch gehörter auch nicht zum alten Volk.“
,, Wer war seine Mutter ?“
,, Was kümmert es mich. Wenn irh unbedingt einen Namen wollt… fürchte ich kann ich euch damit kaum dienlich sein. Ihre Namen haben mich nie
interessiert…“
Naria war den Abfälligen Tonfall des alten Magiers mittlerweile schon fast gewöhnt und vielleicht war auch genau das der Grund, aus dem sie ihm nicht abnahm, was er über Merl sagte. Er mochte sich vielleicht selbst davon überzeugt haben, aber… wenn er wirklich weniger als nichts für ihn empfand, warum hatte er dann Zachary zu ihm geführt? In diesem Augenblick klang sein Tonfall mehr nach bloßem Trotz. Beinahe… kindisch, so lächerlich diese Vorstellung war. Sie stand hier vor dem mächtigsten Wesen das diese Welt vielleicht je gesehen hatte und es verhielt sich wie ein bockiges Kind, das
sich weigerte eine schlichte Wahrheit einzugestehen…
,, Ihr seid lächerlich…“ Ismaiel hörte die Beleidigung scheinbar nicht mal. Oder gab es vielleicht noch einen anderen Grund aus dem er nicht reden wollte? Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Allein der Gedanke… Wenn ihre Vermutung zutraf, hatte Zachary dann ebenfalls davon gewusst?
,, Sagt mir die Wahrheit…. Hattet ihr etwa geplant, den Jungen als Hülle für euch zu nutzen? War das der Grund, aus dem ihr Zachary geholfen habt?“
Ismaiel sah sie nur ausdruckslos an. ,, Spielt es noch eine Rolle ?“ Die kalte Gleichgültigkeit in seinem Ton raubte
Naria fast den letzten Nerv. Geister, dieser Mann war anstrengend… und hatte es offenbar darauf abgesehen ein absolutes Ekel zu sein. Sie alle bedeuteten ihm weniger als nichts, das war ihr klar gewesen… aber das er selbst Merl und Zachary die ganze Zeit nur als Instrumente gesehen haben mochte…
Sie machte auf dem Absatz kehrt, zum einen, damit er den entsetzten Ausdruck auf ihrem Gesicht nicht sah, zum anderen, weil sie schlicht genug hatte. Sollte er hier unten in der Dunkelheit verrotten, dachte ein Teil von ihr. Vielleicht wäre das besser. Vielleicht nicht für Zachary, aber sicher für Merl… Wenn er sich von einer Begegnung mit
diesem Monster irgendetwas erhoffte, dann konnte sie ihn jetzt wohl beruhigen.
Naria wendete sich zum Gehen, bevor sie jedoch vier Schritte gemacht hatte, ließ Ismaiels Stimme sie noch einmal anhalten. Sie drehte sich nicht um, doch die Präsenz des alten Magiers war für sie auch so spürbar, wie ein physisches Gewicht. Er war so dicht wie möglich vor das Gitter getreten und hatte die Hände um das Eisen geschlossen.
,, Bitte… verratet es ihm nicht.“ In diesem einen kurzen Moment schien seine Stimme endlich einmal etwas anderes als Gleichgültigkeit und Abscheu auszudrücken, klang beinahe flehend.
Naria antwortete ihm nicht, während sie weiterging, Sollte er sich hier unten doch das Hirn darüber zermartern, ob sie seinen Sohn mit der Wahrheit konfrontierte. Allerdings bezweifelte sie, das sie überhaupt Gelegenheit dazu haben würde. Der Junge war schlau genug um selber darauf zu kommen. Und wenn nicht… würde er es wohl noch früh genug erfahren. Sie für ihren Teil hatte genug von der Dunkelheit und der drückenden Last des Steins.
Bevor sie jedoch weit kam, hörte sie vor sich Stimmen. Sofort löschte sie die Fackel in ihrer Hand und duckte sich in eine Steinnische. Naria hatte keine Lust, zu erklären, was sie hier unten suchte.
Mal davon abgesehen, das ihr wohl eh niemand abnehmen würde, das es sie zufällig hierher verschlagen hatte… keine zehn Schritte von Ismaiels Zellen entfernt.
Dieser wiederum verfolgte sie immer noch mit den Augen, während er regungslos an den Gittern stehen blieb. Auch der Erzmagier musste wohl die Stimmen bemerkt haben, den wortlos trat er wieder in die Dunkelheit seines Verlieses zurück, so als sei nie jemand hier gewesen….